Читать книгу Lipstick Traces - Greil Marcus - Страница 42
UM MIT
Оглавлениеdieser Vision von Hässlichkeit fertigzuwerden, lebte man sie aus. Heute, nach über einem Jahrzehnt Punkstil, wenn ein grünlila Irokesenhaarschnitt auf dem Kopf eines amerikanischen Halbwüchsigen aus der Vorstadt nur die Frage aufwirft, wie früh er oder sie aufstehen muss, um seine oder ihre Frisur rechtzeitig vor der Schule fertigzustellen, kann man sich kaum noch vorstellen, wie hässlich die ersten Punks waren.
Sie waren wirklich hässlich. Zwischentöne gab es keine. Eine zwanzig Zentimeter lange Sicherheitsnadel, die sich durch eine Unterlippe in ein auf die Wange tätowiertes Hakenkreuz bohrte, war kein modisches Statement; ein Fan, der sich den Finger in den Hals rammte, sich in die Hände kotzte und anschließend das Erbrochene in Richtung der Leute auf der Bühne schleuderte, verbreitete ansteckende Krankheiten. Ein zwei Zentimeter breiter Heiligenschein aus Maskara erinnerte eher an Tod als an irgendwas anderes. Die Punks waren nicht nur gutaussehende Menschen wie die Slits oder die Adverts-Bassistin Gaye, die sich erst hässlich machten. Sie waren fett, magersüchtig, pockennarbig, picklig, sie stotterten, waren verkrüppelt, narbig oder beschädigt, und ihre neuen Verzierungen unterstrichen lediglich das bereits in ihre Gesichter eingegrabene Scheitern.
Die Sex Pistols hatten ihnen irgendwie ermöglicht, in der Öffentlichkeit als menschliche Wesen zu erscheinen und ihre Gebrechen als gesellschaftliche Tatsachen zur Schau zu stellen. »I was waiting for the Communist call«, sang Johnny Rotten unterwegs zur Mauer in »Holidays in the Sun«. Von derselben westlichen Seite der Mauer stellt in Peter Schneiders 1982 erschienenem Buch Der Mauerspringer der Erzähler, durch die ideologisch konträren Nachrichten im Ost- bzw. West-Berliner Fernsehen völlig verwirrt, die gleiche Frage wie Punk: »Gründet sich nicht jede Karriere in der westlichen Gesellschaft, gleichgültig, ob es sich um die eines Sportlers, Unternehmers, Künstlers oder Rebellen handelt, auf den überzeugt vorgeführten Gestus, dass jede Initiative die eigene, jede Idee selbst erfunden, jede Entscheidung eine ganz persönliche ist? Was würde ich anfangen, wenn ich aufhören würde, die Schuld im Prinzip eher bei mir als beim Staat zu suchen, wie ich es gelernt habe?« Eher noch als Mülltüten oder zerrissene Hemden trugen die Punks Adornos morbiden Ausschlag; den trugen sie gemustert mit Filzstift oder Schablone überall an sich auf. Wie Adornos präparierte Leichen, bewusster präpariert, als er sich vorgestellt hätte, explodierten sie mit Beweisen ihrer Vitalität – anders formuliert, sie sagten, was sie meinten.
»DAS TELEFON klingelte ununterbrochen«, sagte Feuerwehrhauptmann Donald Pearson, 31. »Die Leute riefen aus dem ganzen Bundesstaat an. Jetzt verstehen wir den Begriff ›Medienereignis‹.« Pearson sagte: »Der denkwürdigste Augenblick der Woche war, als wir den Baum durchsägten und die Bienen rauskamen. 30 oder 40 Reporter und Fotografen standen herum, und einige suchten das Weite.« Die Feuerwehrleute sagten, [Feuerwehrmann] Racicot habe die Killerbienen am besten beschrieben.
»Die Killerbienen sind die mit den Lederjacken und den Punkfrisuren«, sagte er. »Man kann sie nicht übersehen.«
San Francisco Examiner, 28. Juli 1985, über das erste Auftauchen von »Killerbienen« in Kalifornien
Damit warfen sie Adornos Vision des modernen Lebens auf sich selbst zurück: Adorno hätte sich nicht vorgestellt, dass seine Leichen wüssten, was sie sagen wollten. Punks verstanden sich als die, denen man die Nachricht von ihrem nicht ganz gelungenen Ableben aus bevölkerungspolitischen Rücksichten vorenthielt; so wie Punk die Nicht-Zukunft definierte, würde die Gesellschaft eine Menge Zombie-Gegenbilder brauchen, Einkäufer, Bürokraten, Fürsorgeempfänger, eine Menge Leute, um sich in Schlangen anzustellen und sie zu füllen. Der Unterschied war, dass diese Leute die Nachricht gehört hatten.