Читать книгу Wiederbelebte Geschichten - Grete Ruilre - Страница 10

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Der schwarze Punkt

Meine Eltern hatten viel übrig für die »Schönen Künste«. Jahrelang erneuerten sie ihr Jahresabonnement für das Zürcher Opernhaus. Ich durfte sie als kleines Mädchen manchmal begleiten.

Damals trugen die Damen noch lange Abendkleider, ausgefallenen Schmuck und feine Schuhe. Selbst die Herren kleideten sich elegant. Man wurde noch zu den samtig ausgepolsterten Logenplätzen hinbegleitet. Von hier aus bestaunte ich jedes Mal den funkelnden, von Ornamenten eingefassten Kronleuchter. Der Raum schien mir voller Geheimnisse.

Die Handlungen begriff ich nicht immer, doch die Schauspieler und vor allem ihre Kostüme fand ich bezaubernd. Es war märchenhaft! Ein spezielles Ambiente.

Was ich nie vergessen werde: Vater holte mir in der großen Pause am Theaterbüfett jedes Mal eine Portion Vanilleglace, übergossen mit heißen Himbeeren. Das war köstlich!

Als ich erwachsen wurde und einen Beruf erlernen sollte, stand für mich fest: Ich werde Theaterschneiderin und Designerin.

Meine Eltern waren nicht verwundert. Ausbildung und Beruf erfüllten mich, verliehen meiner Fantasie Flügel. Durch meine Arbeit lernte ich mehr und mehr mich in die empfindsamen Seelen der Künstler hineinzufühlen, in ihr rasch wandelbares Temperament, von Himmel hoch jauchzend bis zu Tode betrübt. Mir wurde klar, wie wichtig gute Theaterpsychologen sind!

Es stand uns wieder eine Premiere bevor, ein historisches Stück stand auf dem Spielplan. Tag und Nacht war ich beschäftigt. Es hatte sich gelohnt, die Premiere wurde ein Erfolg.

Unerwartet stellte man mir nach der Vorstellung einen berühmten italienischen Modeschöpfer vor. Er war mir nur durch die Medien bekannt. Überschwänglich lobte er meine historischen Entwürfe. »Sie haben eine hervorragende Leistung vollbracht, ganz außergewöhnlich«, beteuerte er immer wieder. »Darf ich Sie morgen Nachmittag zum Tee einladen, in mein Zürcher Feriendomizil? Sie würden mich sehr glücklich machen!«

Ich war überrascht und zugleich verwirrt, nickte nur. Was will der Mann bloß von mir, schoss es mir durch den Kopf?

»Bis morgen, Madame.« Er hauchte einen zarten Kuss auf meinen Handrücken. »Mein Chauffeur wird Sie um 16.30 Uhr abholen.«

In dieser Nacht fand ich lange keinen Schlaf.

Der Chauffeur kam pünktlich.

Der Hausherr empfing mich herzlich und führte mich in den großen Salon. Der Tisch war reich gedeckt, mit feiner Patisserie. Das Teegeschirr war hauchdünn und bemalt mit filigraner japanischer Kunst. Eine üppige Blumenschale im gleichen Stil zierte den Tisch, in der weiße Orchideen schwammen. Es gefiel mir, war stilvoll.

»Der Tee wird gleich serviert, Madame, man weiß, dass Sie angekommen sind. Dürfte ich Sie inzwischen bitten, mit mir mein neu erstandenes Kunstwerk zu betrachten?«

»Oh ja, ich liebe Kunst!«

»Dann darf ich vorausgehen«, meinte er freudig.

Als er die Türe zu einem Nebenraum öffnete, sah ich an der Wand ein großformatiges Gemälde, in dessen Mitte ein überdimensionaler großer, schwarzer Punkt prangte. Sonst war nicht das Geringste zu sehen. Er stand einige Minuten ganz verzückt und still vor dem Gemälde, dabei starrte er unaufhörlich auf die Leinwand mit dem schwarzen Punkt.

»Furchtbar«, dachte ich!

»Es ist doch wunderbar, nicht wahr?« Er schaute mich erwartungsvoll an.

»Ja, sehr interessant, sehr interessant!« Es war das Einzige, was mir dazu im Moment einfiel. Ich wollte die Gefühle meines Gastgebers nicht verletzen.

»Ja, ja«, sagte er, »der Punkt hat ein ganz besonderes Schwarz! Jetzt werden wir aber unseren Tee trinken.«

Beim Tee trinken wurde das Geheimnis gelüftet, warum ich von diesem berühmten Mann netterweise eingeladen worden war. Er wollte mich vom Theater abwerben und für seine Ideen gewinnen.

»Sicher wäre es für Sie viel interessanter, etwas Moderneres, Zeitgemäßeres, Lebendigeres zu kreieren«, meinte er. »Am Salär soll es nicht scheitern.«

Die Summe war beachtlich. Ich lehnte trotzdem ab. Vermutlich lag es an dem überdimensionalen, großen Punkt, mit dem ganz besonderen Schwarz.

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