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Kleines Alltagserlebnis

Mein Arbeitsplatz ist an der Uni Freiburg. Heute war wieder ein besonders anstrengender, turbulenter Tag. Ich beschloss deshalb, nach Feierabend noch ein Stück durch den Park zu spazieren. Das hilft mir meist, um Abstand zu gewinnen von den oft traurigen Patientenschicksalen.

Ein frisches Lüftchen wehte. Tief atmete ich ein und aus und fühlte mich gleich viel besser.

Ich liebe den Park mit seinen alten Bäumen und Sträuchern. Besonders hübsch ist es momentan: Es ist alles voll von Blumen und blühenden Pflanzen.

Spaziergänger sah ich keine. Nur eine ältere Frau ging etwa 100 Meter vor mir her, mit ihrem Rollator. Sie ging schleppend und gebückt. Kaum hatte ich sie überholt, rief sie laut. »Stopp, stopp!« Ich drehte mich um und fragte: »Meinen Sie mich?«

»Ja, ja«, sagte sie. »Sehen Sie die drei roten Fahnen?« Aufgeregt hob sie den rechten Arm und zeigte nach vorne.

»Nein, ich sehe keine drei roten Fahnen.«

»Doch, Sie müssen die drei roten Fahnen sehen.« Verneinend schüttelte ich den Kopf.

»Ich kann nicht mehr! Ich kann nur bis hierher und nicht weiter«, jammerte die betagte Frau. »Ich bin todmüde! Bitte helfen Sie mir!« Sie fing an zu schluchzen. Ich sah, dass die Frau in einem schlechten Zustand war. »Wo wohnen Sie denn?«, fragte ich sie.

»Im Seniorenheim.«

»Gut, ich habe mein Handy dabei und werde dort anrufen, dass man sie abholt.«

Nun vergoss die Frau noch mehr Tränen. »Nein«, sagte sie immer wieder, »dass dürfen Sie nicht tun, sonst darf ich nicht mehr ausfahren.«

»Wohnen vielleicht Kinder von Ihnen in der Nähe?«

»Nein, mein einziger Sohn lebt in Hamburg.«

Inzwischen wusste ich, wo die drei roten Fahnen wehten, vor dem Seniorenheim. Die Seniorin hatte die falsche Richtung eingeschlagen. Hilfesuchend sah sie mich an.

Ich begutachtete ihren Rollator. Glücklicherweise war es ein breites Exemplar.

»Eine Möglichkeit haben wir, wie ich Sie zurückbringen kann. Sie setzen sich auf den Ruhesitz des Rollators und ich fahre sie langsam zurück zum Seniorenheim. Es ist zwar eine heikle Sache, denn die Füße müssen Sie dabei etwas anheben.«

Ihr Gesicht bekam sofort einen hoffnungsvollen Ausdruck. »Ja, lassen Sie uns das ausprobieren«, meinte sie.

Ich drehte den Rollator Richtung Seniorenheim und hob die müde Frau auf die Sitzbank. »Festhalten am Gestänge!«, befahl ich. Vorsichtig fuhren wir los. Zu meinem Erstaunen genoss sie die außergewöhnliche Rückfahrt. »Ach, ist das lustig«, rief sie immer wieder. »Es macht so viel Spaß!« Unbekümmert wie ein kleines Kind, thronte sie auf dem erhöhten Sitz. Das Müdesein schien spurlos verschwunden.

Die drei roten Fahnen flatterten im Wind, als wir näherkamen. »Gleich sind wir da«, sagte ich. »Sehen Sie auch die drei roten Fahnen?«

»Ja, aber sehr undeutlich, denn auf dem linken Auge bin ich fast blind. Ach, war das schön mit Ihnen! Heute haben wir gemeinsam den Rollator-Führerausweis bekommen, nicht wahr?«, strahlte sie. Wir sahen uns an und mussten so heftig lachen, dass uns die Tränen kamen. Beim Abschied versprach ich der alten Dame, sie auf alle Fälle wieder zu besuchen.

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