Читать книгу Wiederbelebte Geschichten - Grete Ruilre - Страница 9
ОглавлениеColette
Endlich konnte ich die langweiligen Bankgeschäfte hinter mir lassen: Ich war Leiterin einer Nobel-Boutique in Zürich geworden. Mode und Menschen liebe ich. Die Aufgaben waren vielseitig. Das Betreuen der Kunden, das Kassenwesen, das Dekorieren der Schaufenster, organisieren von Modeschauen und vieles mehr. Das sorgte für Abwechslung. Die war gut für mich. Die Zeit verging wie im Flug. Eines Tages stellte sich die Einkäuferin unserer verschiedenen Boutiquen vor: Eine äußerst attraktive, große brünette Dame, ungefähr vierzig Jahre alt. Sie war unterwegs nach Mailand, Florenz und Paris, um für die Boutiquen die ausgefallensten Modelle für die neue Saison einzukaufen. Designer wie Max Mara, Ungaro, Samt-Phil oder zeitloses Chanel waren immer gefragt. Die Kundinnen waren wählerisch.
Persönlichkeiten aus Film und bekannte Damen der vornehmen Zürcher Gesellschaft kauften bei uns ein. Meine Arbeit war interessant. Unsere Chefin betonte immer wieder: »Sie müssen unsere Kundinnen kennen!« Das hieß: Öffnete eine die Ladentür, so musste immer ihr Name präsent sein.
Colette, die Einkäuferin, traf ich hin und wieder im nahen Café. Sie erzählte mir von einer Fernsehserie. Ich muss gestehen, dass ich nur mit halbem Ohr zuhörte. Colette ließ diese Serie scheinbar nicht mehr los. Unaufhörlich kam sie darauf zu sprechen, vor allem auf die blonde Hauptdarstellerin, die sie besonders bewunderte, in ihrer Eleganz und Ausstrahlung. Colette war total entzückt von ihr. Plötzlich hatte ich den Eindruck, dass sie begann, sich mit dieser Frau zu identifizieren. War mein Gedanke absurd? Sie war doch eine kluge Frau?
Dann kam der entscheidende Tag! Die blonde Schauspielerin trug ein besonders schönes Spitzennegligé. In diesem herrlichen Outfit empfing sie ihre Besucher aus der Männerwelt. Jeder, der sie so sah, musste sie umwerfend schön finden. Nun begann bei Colette eine verrückte Suchjagd nach diesem transparenten »Hauskleid«. Zuerst fragte sie bei Beldona nach. Nacheinander folgten weitere Geschäfte für noble Unterwäsche. Aber das gesuchte Dessous konnte Colette nirgends finden. Jedes Mal kam sie desillusioniert und geknickt zurück. Inzwischen war ich mir nicht mehr sicher, ob es tatsächlich der blonde Vamp war, mit dem sie sich identifizierte, oder war es nur deren zarte Bekleidung? Ich konnte in Erfahrung bringen, dass diese hübsche Frau von ihrem Ehemann geschieden wurde und andere Männer ihr blitzschnell den Rücken kehrten. Die Suche nach Zuneigung geht manchmal wundersame Wege. Oder wäre das Leben nicht glücklicher und sinnvoller, wenn die eigene Identität behalten würde?