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RALPH DUTLI
Kleine rosige Herde!

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Also bin ich doch ein Hirte meiner halluzinogenen Schafe.

Und auch der knurrende Hund, der sie hütet.

Manchmal schert eines aus, ich hole es auf Knien kriechend zurück in die Herde.

Aber es sind buntscheckige Schafe, in der Natur nicht vorkommende, nicht vorgesehene.


Gemeint sind – natürlich! – die Bücher, diese rosigen nichtigen zottigen Wesen, um die sich mein dein sein Leben dreht.

Das Karussell der Schafe, wenn sie sich um den Hund drehen.

Seidene Schafe, lederne Hunde, halbwilde Hirten, halbgläsern, halbunsichtbar.

Schneckenfühlerhafte Hirten.


Auch der Hund ist bunt, ich mag es, ein solcher zu sein.

Alles liebt Etiketts, ich trage sie am liebsten verkehrt herum.

Also Karneval und Schafherde.


Meine Herde ist gerne von ferne:

halluzinatorisch, buddhistisch, karnevalistisch, lieber magisch.

Alles in einem.

In den Ohren die winzigen goldenen Mühlen nichtiger Erinnerungen.

Ich versuche mich zu erinnern, wo ich sie plötzlich herhabe.

Aber ja!


vom Tod weiß ich

zwei Dinge mehr aber das Leben

läuft und läuft es läuft keine Gefahr

die Pillendreher kurven mir hier um die Nase

in den Ohren die winzigen goldenen Mühlen

nichtiger Erinnerungen

nur das dürre Licht-Gras funkt herüber

vom Wind und von Waben einer

Ersten Poesie

wie sie die Gräber dichten


Schreibe ich deshalb schon ein Werk?

Das Wort klingt hochgestochen, deshalb lieber: Schafherde und Hirtenwesen.


Roman, Essay, Lyrik, Biografie, Gedichtübertragungen.

Das eine hat das andere befruchtet und notwendig gemacht, und das eindeutige Etikett – überflüssig.

Im Übrigen will ich gar nicht so genau wissen, wer oder was ich bin.

Es wäre nicht gut für meine Ohren.


ich habe einen Idyllendichter

in einem Steinhaus so lange

mit Kehricht gefüttert und er

narrt mich mit einer Blüte

strenger Poesie!


Dass ich mich nicht endgültig entscheiden muss, ist eine Freude, keine Schwäche.

Sondern die kopflos brabbelnde Zukunft, die eben auch ein bunter Hund ist.

Brauchen meine magischen verschwiegenen Schäfchen überhaupt Zukunft?

Es belastet mich nicht, dass sie so eigensinnig sorglos sind.


so lange schreit man Weihnacht! bis sie kommt


Es braucht keine Ewigkeit, um Dauer zu fühlen.

Die reine Dauer der Emotion ist selbstgenügsam.


Ich liebe das Muster in allem, ich mag das Hybride, Unreine, Gesprenkelte, Gefleckte, Gescheckte, Geäderte, Gemaserte, Narbige, Gemischte, das universale Durcheinander, die Rumpelkammer des Weltalls.


Ich mag es mit hinterlistiger Fröhlichkeit, dass die Gabeln und Messer aus völlig verschiedenen Sets stammen, Laken und Kissenbezüge aus unterschiedlichen Epochen meines Lebens.

So schlafe ich mich durch meine alten Träume.

Gemachte Betten haben mich nie interessiert.


Brauchen die Schläfen jetzt den Schlaf? Eher selten.

Jedes lebt sein Eigenleben.

Alle meine Schafe sind gläubige goldene Buddhisten.

Ob sie Dauer brauchen? Darin lauert doch nur Trauer.

Es ist nicht ganz, was nicht bricht.


Der Verlag ist ein Mithüter der kleinen rosigen Herde, und er ist bestimmt ebenso ein bunter Hund, der viele Tiere, jedenfalls: Lebewesen, zusammenhalten muss.

Natürlich Schafe.

sie gehn zu Tausenden – bewegen Beine

mit zotteligen Knien wie aus Draht

und schütteln sich: ein lockenhaftes Schäumen,

den Losen gleich, in einem großen Rad.


Bin dankbar, dass meine halluzinierenden Schafe zusammenbleiben dürfen, sonst wäre die Chaos-Herde noch unübersichtlicher.

Aber sie wollen keinen Stall. Keine Enge.

Oder dann: einen Stall aus Stille.

Gehen in nassem, zottigem Fell durch die Landschaft meiner Vorstellung.

Sie sind obdachlos, weil auch der Hirte keins hat.


wir schlafen stehend, dichte Nacht,

unter der Mütze, warm, aus Schaffell


Ist der Lektor ein Mithirte, der vor sich hin summt, schneckenfühlerhafter Mindcontroller mit rotleuchtendem Stift, der weiß, dass die Schafe manchmal ausschweifen und deshalb Ermahnung brauchen?

Keine Zügelung, aber den roten Hirtenstab des fluoreszierenden Schreibzeugs immer zur Hand.


Schafe und Hirte, also Hund.

Aber Dauer und Kontinuität?

Nur in den Einbrüchen, den Aufbrüchen.

Kopfunter schreiben, das wäre was.

Einen Dichter liebe ich für diesen einen Vers:


Ich hänge als Zwergfledermaus meines eigenen Ichs


Wie Bücher ohne Ewigkeit, aber voller Dauer.

Also nach dem Wirrwarr, den wir anstellen.

Dem Wortkarneval.

Dem Zeit-Heu auf den Gabeln.

Es ist nicht ganz, was nicht bricht.

Mögen die Hirten alt werden, die Schafe verjüngen sich immerzu.

Jedes Buch ein Lamm mit vielen Seiten.

Und es wird immer jünger.


Der Hirte des Abschieds möchte Flügel bekommen.

Die Schafe kreisen sowieso weiter.

Es gibt ja noch den Hund.

Wenn überhaupt.


In meinen Träumen identifiziere ich mich noch mit jedem angefahrenen Straßenigel oder jedem geschlagenen Hund.

In Mexiko auf einer staubigen Straße zwischen Uxmal und Mérida, unweit von Muna, ist mir einer mit glatter grauer Haut in vollem Galopp vor den Wagen gelaufen.

Resthungrig!

Aus dem verrückten Rückspiegel hinkend.

Meine Seele steckte in ihm, also musste ich ihn suchen.


Wie die Bilder entstehen, weiß später keiner mehr.

Der Gläserne spricht mit dem Unsichtbaren.

Sein Schweigen muss er für eine Stärke halten.

Zum Gläsernen und Unsichtbaren tritt der Stumme.

Lass die Hände sprechen, sie haben ihr eigenes Gedächtnis.

Hallo, ist jemand da?


bewohnt habe ich immer nur eine Stimme

sie ist ein Zelt: wo alle Nacht sich verkriecht

lass ich für dich schnurstracks! Herzblut blühen


Dabei habe ich noch nicht vom Unsichtbarwerden gesprochen.

Jetzt muss ich allein mit meinen Schafen reden, sie hegen und pflegen.

Sie dürfen nicht vorlaut werden.

Sie müssen ebenso gläsern werden wie der Hirte.

Aber der Hirte hat einen Helfer, es ist der Bruder des Unsichtbaren.

Nur hat er eine Stimme, also kann sie Rettung bringen.


Als ob es nicht genug Geräusch gäbe, will ich die Stimme hören im Kradem der Welt.


komm schon Stimme fernmelde dich

sprich in den mobilen Hörer der gottgleich nackt

auf dem Küchentisch liegt

lûte dich heiteriu stimme daz dich die

unmüezegen vernemen

welche Unruhigen? wer wenn du wie ich?

geh schon hervor süßer Ton

ganc her vür süezer tôn daz

die vernemenden dich loben

winde dich : heb dich auf : wirble mit deiner Stille

bring die Welt zum Schweigen

allen Krachradaukrakeel

hebe dich wünneclicher clanc daz dû

gesweigest den kradem der unsaeligen welte

wo nur wo? am Fuß des Heiligenberges

nû hebet iuch heiligen noten der

wünneclichen musicae

also Jubel komm schon süßes Bräutchen

mach mir deine Spur ins Ohr

sing mir was vor mach schon komm

hebe dich ane heiliger iubel des

wünneclichen brûtsanges

tropf herunter Konfusion

aus dem Hormon der Nebennierenrinde

kum genuhtsamer tropfe des êwigen touwes

daz dû geviuhtest daz dürre gelende

mînes innern menneschen.

ewiger Tau? für immer taub?

das dürre Gelände? meines innern Menschen?


Also muss die Stimme alles retten, was immer sie kann.

Die Herde ist abgeschweift, das mag sie am liebsten.

Der Hirte wird von ihr weggezogen.


Der Verlagshirte mag zuständig sein für das Werk, ich kümmere mich kummervoll um das Wort.

Also Wort statt Werk.

Wo-We. Wo ist das Weh?

Das Wort treibt mich an, nicht das Werk.


Also bleibt alles so, wie es niemals war.

Es ist nicht ganz, was nicht bricht.

Es kommt alles erst langsam ans Licht.

Das Werk? Es kümmert mich nicht.

Das Wort? Aber hallo!



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