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SUSANNE FRITZ
Ein Buch ist ein Text, der deinen Kopf verlässt

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Ein Buch ist ein öffentlicher Text.

Keine Privatangelegenheit.

Befreite Wörter, dem Gängelband des häuslichen Alphabets entkommen:

Die Decke ist gelüpft, die Fenster sind geöffnet.

Und die Wörter?

Fliegen.

Nichts hält sie auf.

Zweifel, Angst, Reue holen sie nicht ein.

Einmal losgelassen, sind die Wörter taub.

Sie kennen keine Diskretion, keine Rücksicht, keine Vorsicht.

Sie sind schamlos, treulos, rücksichtslos.

Manchmal töten sie, ohne einen Begriff von Schuld.


Doch auch die Stärksten unter ihnen sind wehrlos.

Nichts bewahrt sie vor Kälte, Skepsis, Gleichgültigkeit, vor Missbrauch, Vereinnahmung, Diebstahl, vor Aggression, Hass oder hemmungsloser Liebe.


Sie sind frei, häufig einsam.

Manchmal sperrt man sie ein.

Alles kann den Wörtern passieren, oder es passiert auch nichts.

Hätten sie meinen Kopf besser nie verlassen,

wären besser zu Hause, in der Schublade geblieben?


Ich kontrolliere meine Wörter nicht länger.

Sie sind draußen:

Heraus aus dem Dämmer.

Meinen Ahnungen.

Meinen Ängsten.

Nicht ich bin es, die redet.

Meine Geschichte trägt nicht länger mein Gesicht.

Nicht ich bin es, die zählt.

Meine Geschichte fällt aus meiner in eine andere Zeit,

aus meinem Landstrich in Neuland.

Fällt aus meinen schwankenden Ansichten,

aus meiner Not.

Meine Geschichte ist jetzt eine von unzähligen Geschichten.

Ich habe sie nicht mehr in der Hand.

Kann mich nicht länger schützend vor sie stellen, mich erklärend neben oder bestärkend hinter sie.


Meine Geschichte hat mich verlassen.

Sie hat meine Zunge, meinen Kehlkopf, meine Stimmbänder abgestreift. Sie spricht jetzt mit anderer Stimme, vielstimmig im Chor.

Vielleicht erkenne ich sie nicht wieder.

Sie spricht in Sprachen, die ich nicht beherrsche.

Fremde erkennen sich in meiner Geschichte.

Ich verliere meine Geschichte, bekomme die Geschichten anderer.

Verwirrend ist das, enttäuschend, befreiend.

Es kümmert mich nicht, geht mich nichts an.

Ich besitze die Wörter nicht länger.

Nicht ich verleihe ihnen einen Sinn, lasse sie schweben, tanzen auf meinem Atem.

Das tun andere an meiner Stelle oder keiner.


Du gehst fort, deine Wörter bleiben.

Deine Wörter gehen, du bleibst hier.

Andere Wörter kommen.

Andere Menschen.

Sie finden und sie trennen sich.

Es ist ein Kommen und Gehen.

Ein Kommen und Gehen von Menschen und Wörtern.

Und nicht immer haben sie sich viel zu sagen.



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