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LEANDER FISCHER
Warum mich das Futur II immer traurig macht
ОглавлениеEr schrieb: »Liebe Mama, lieber Papa, liebe Schwestern, Anna und Barfi, ich danke Euch für Euer liebes An-Mich-Denken. Auch ich bin in Gedanken immer bei Euch.« Er hätte auch die Einladung beantworten sollen. Da fielen ihm Malte und Quentin ein, die er nicht weniger liebte als seine Geschwister, sogar der alte Holden, der gottverdammte Hal, beispielsweise, auch Butch und Thomas, David und Vladi und die alle. Er fuhr so fort: »Leider kann ich in nächster Zeit nicht heimkommen. Die neue Literatur brodelt. Ich muß dableiben, die Ohren spitzen.« Er suchte nach einer besseren Ausflucht, doch dann fügte er noch hinzu: »Ich arbeite.« Er glaubte, er müsste anfangen, etwas zu arbeiten.
Er schrieb: »Ich bin sechsundzwanzig, und es ist so gut wie nichts geschehen. Wiederholen wir: Ich habe eine Studie über Schnitzler, Schwaiger und Streeruwitz geschrieben, die schlecht ist, zwei Dramen, die ›Julia und Romeo‹ und ›Klassenfahrt 2009‹ heißen und etwas Falsches mit zweideutigen Mitteln beweisen wollen, und ein paar Kurzgeschichten.« Soweit er sich irgend erinnern konnte, schrieb er, schrieb er diese Kurzgeschichten zwischen 2010 und 2018. Alle entstanden sie während seiner Universitäts-Zeit und samt und sonders waren sie mehr Lehrlingsarbeit als Gesellenstück. Jugendlich-unreif und sogar -kriminell. Beispielsweise war er blind dafür, dass der Konflikt der Hauptfigur in Anrainer real und interessant genug war, um den Plot zu tragen. Zudem war es ein stark autobiografisch gefärbter Text. Offensichtlich hielt er es aber für nötig, noch eine ganze Schicht von Regenmetaphern und Anspielungen auf Faulkners Schall und Wahn und Good Morning, Vietnam drüberzukleistern. Sein spezielles Problem in der Anfangsszene bestand nicht nur darin, dass er einen Mann aus Oberösterreich in – dazu noch inkonsequenten – Wiener Dialektwendungen sprechen ließ, sondern daraus auch noch unbedingt ein Element der Handlung machen wollte. Wobei sein Fehler der war, mit einem Gehör angeben zu wollen, das er noch gar nicht hatte.
Damals träumte er wie so viele andere unzufriedene Spacken davon, ein »Künstler« zu werden. Wie andere auch verbrachte er viel Zeit in Jazzklubs, wo er das Zwei-Bier-Minimum über den Abend zu strecken versuchte. Er ging auf Partys, die in Lofts stattfanden und von Mädchen in seltsamer Gewandung besucht wurden. Sein Traum war, dermaleinst keinem öden Drohnenjob nachzugehen, sondern als Erwachsener etwas Originelles und Kreatives zu tun. Und nun stand er da, und habe ach, Philosophie und AVL, und Kreatives Schreiben und Sprachkunst, und leider auch Literarisches Schreiben studiert, da saß er nun, mit heißem Bemühn, hieß Bachelor of Arts, gar Master, und schrieb wie Bartleby, der arme Thor, ohne Ahnung von der eigenen Ahnungslosigkeit.
Als der Schatten des Fensterrahmens dann auf die Vorhänge kroch, war es zwischen sieben und acht Uhr, und als er die Taschenuhr ticken hörte, lag er wieder in der Zeit. Der Stift, mit dem er schreibt, hatte seinem Großvater gehört. In seine Fassung ist »Dipl. Ing. Leander Fischer« eingraviert, und als sein Vater ihm den Kugelschreiber mitsamt der Taschenuhr schenkte, sah er eine zukünftige Erinnerung. Sein Vater sagte: »Ich schenke dir das Mausoleum jeglicher Hoffnung.« Er sagte zu seinem Vater: »Und jetzt willst du hier in Rente herumsitzen, ohne Schrift und Zeit, und darauf warten, dass du stirbst.« Und sein Vater sagte: »Das tut jeder Mensch. Das hier sind der Kugelschreiber und die Uhr deines Großvaters gewesen, er trug sie jeden Tag in seine Hemdtasche geklemmt. Ich schenke sie dir, nicht damit du immer ans Schreiben und die Zeit denkst, sondern damit du beides ab und zu für einen Moment vergisst.« An jenem Abend in Hannover begriff er, dass er Anna und Barfi und die alle tatsächlich vermisste.
T. W. ist nicht so schlimm wie die, aber er hat ihm, auch, viele Fragen gestellt. Das hier ist alles, was er wohl dazu sagen würde. Das Einzige, was er weiß, ist, gewissermaßen vermisst du alle, von denen du erzählst. Sogar T. W. und Thorsten, beispielsweise, auch Svenja und Florian, Louisa, Claudia und Claudia, Team Wall’n’Stein. Ich könnt euch vielleicht auch erzählen, was ich tue, seit ich in Wien bin, und was ich wohl im Herbst tue, wenn ich hier rausgekommen bin, aber ich fühl mich nicht danach. Tu ich wirklich nicht. Ich bin hier drin.