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3. Salvatore A. Sanna als „Heimatdichter“

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Salvatore A. Sannas Gedichte erwähnen, wie gesagt, viele verschiedene Orte: Frankfurt, Rom, Paris, Genf, Lausanne, New York, Toronto, Montepulciano, Palestrina, Parma, Pisa, Positano, Prag – und immer wieder Sardinien. An diesen Orten sind die Gedichte vielleicht zum Teil entstanden, jedenfalls verweisen sie auf alle diese Orte. Man hat den Eindruck, dass das lyrische Ich – und ich wage zu sagen, auch der Dichter – gewissermaßen an allen diesen Orten, in Europa und in der Welt, beheimatet ist. Salvatore A. Sannas Gedichte beschreiben und entwerfen auf diese Weise eine Heimat, die nicht in einem fernen Anderswo situiert ist, die aber ohne ein Anderswo nicht denkbar ist.

Salvatore A. Sanna hat den Begriff „letteratura de-centrata“ geprägt. Er hat zusammen mit Caroline Lüderssen eine Anthologie herausgegeben mit dem Titel „Letteratura de-centrata. Italienische Autorinnen und Autoren in Deutschland“. Diese Anthologie versammelt literarische Texte und Einführungen zu Autorinnen und Autoren italienischer Herkunft, die – überwiegend – in Deutschland leben und schreiben.1 Die Anthologie basiert auf mehreren Tagungen mit Autoren und Wissenschaftlern, die teilweise im Literaturhaus Frankfurt, teilweise an anderen Orten, darunter die Villa Vigoni, stattgefunden haben. Letteratura de-centrata ist für Salvatore A. Sanna „[…] eine Literatur, die außerhalb des italienischen Sprachraums entsteht, obwohl sie sich der italienischen Sprache bedient.“2

Der Bezeichnung „letteratura de-centrata“ möchte ich als ergänzenden Suchbegriff den der „neuen Heimatliteratur“ zur Seite stellen. Ich gebrauche diesen Begriff nicht in einem abwertenden, sondern in einem emphatischen Sinn, ähnlich wie etwa auch Thomas Bernhard als „Heimatdichter“3 bezeichnet werden konnte. Die Heimat, von der Salvatore A. Sannas Gedichte handeln, ist nicht eine globalisierte Welt ohne Vergangenheit und ohne Zukunft. Salvatore A. Sanna beschäftigt sich mit sehr konkreten Heimaten, die er in seinen Gedichten beschreibt, abbildet und gleichzeitig sprachlich erschafft. Diese Heimaten – von Toronto bis Karbach – bilden ein über die Erde gespanntes Netz, in der „wechselseitigen Befruchtung des Mannigfaltigen“, von der der jüdische Romanist Erich Auerbach in seinem berühmten Aufsatz zur „Philologie der Weltliteratur“ gesprochen hat: Salvatore A. Sanna verwendet in seinen Gedichten nicht „fertig geprägte Begriffe“, die „überall“ „auf der Lauer“ liegen, die „zuweilen durch Klang und Modegeltung verführerisch“ sind. Seine Gedichte enthalten „nichts Allgemeines, was von außen an den Gegenstand herangetragen“ würde. Sie sind „aus ihm herausgewachsen, ein Stück von ihm selbst“. Die „Dinge“ kommen „selbst […] zur Sprache“4. Es ist, als ob aus der Ferne der Blick geschärft wurde für das Vertraute.

Salvatore A. Sanna setzte seine wichtige Tätigkeit als kultureller Vermittler zwischen Deutschland und Italien mit den Mitteln der Dichtung auf einer anderen Ebene fort. Seine Lyrik der Erinnerung ist zugleich eine Lyrik, die alternative Modelle der Identität und ein neues Konzept von Heimat entwirft und vorführt. Sannas Gedichte können nicht als Repräsentanten einer Nationalkultur aufgefasst werden, sondern sie erscheinen als Gebilde der Interferenz, als Organismen eines Zwischenraums, der sich als Schnittmenge unterschiedlicher Erfahrungsräume ergibt; sie präsentieren ein Panorama von unterschiedlichen und vielfältigen Beheimatungen – und noch mehr. Alles dieses konnte so wahrscheinlich nur in den Gedichten eines deutsch-italienischen Lyrikers in Frankfurt entstehen.

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