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II

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Allegorien, Symbole, Zeichen – eines der hervorstechenden Merkmale dieser ohnehin meist kurzen, überaus komprimierten Gedichte bleibt ihre höchst eindrückliche bildliche Ausdrucksweise, mit Recht könnte man vom Primat des Bildes sprechen. Virtuos bedient sich Sanna dabei verschiedener fein abgestufter Verfahren. Zuweilen geht er von einer offensichtlichen oder leicht nachvollziehbaren allegorischen Bedeutung aus, erweitert sie jedoch (und entzieht sie dadurch wieder teilweise dem Verständnis), etwa indem er die Malven sich der Sonne darbieten lässt („le tue malve/offerte al sole/sotto il ventaglio/delle palme/perdono/la loro innocenza/per l’avidità/dei calabroni“, Château de la Solenzara, Löwen-Maul, S. 142) oder den Hahnenschrei zum Teil eines natur-magisch aufgeladenen Ritus erklärt („Un gallo in lontananza/ripete un rito antico“, Le attese, le tensioni…, Mnemosyne, S. 386). Andere Symbole erschließt der Kontext: Das Eröffnungsgedicht des Sardinien-Zyklus in Fünfzehn Jahre Augenblicke, Massi…, läuft nach der Evokation der anthropomorph dargestellten sardischen Landschaft auf ein Artefakt, ein fremd-artiges, künstliches Objekt zu („Una colonna greca/è un simbolo estraneo/al paesaggio“, S. 44), das die Sonderstellung Sardiniens außerhalb der Magna Graecia und, mittelbar, den ungefügen, rauhen Charakter der Insel anschaulicher nicht ausdrücken könnte – und Winckelmanns aus klassischer Position ausgesprochenem Verdikt über die sardischen Bronzen entspricht, deren Form und Bildung „ganz barbarisch“ seien.

Die Affinität Sannas zur Bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts äußert sich wiederholt durch eine hohe Bildhaftigkeit des Gedichtes insgesamt und offenkundig intermediale Bezüge: Tutto mi sembra… (Fünfzehn Jahre Augenblicke) beruft sich auf den gefrorenen Realismus Edward Hoppers; Karbach lehnt sich mit seinen großflächig aufgetragenen Farben an expressionistische Landschaften an; Samaden (ebenfalls Wacholderblüten) präsentiert eine rote Blüte nach Art der Neuen Sachlichkeit, isoliert inmitten einer Winterlandschaft. Einige Gedichte bilden Raum-Installationen derart plastisch nach, dass der Leser, obwohl Sanna fast völlig ohne beschreibende Elemente auskommt, die archetypischen Figuren greifbar vor sich zu sehen meint; dazu zählen der Radio hörende Einsiedler am See (L’eremita…) oder die Schwangere auf der Rasenfläche (Sur la pelouse…, beide Löwen-Maul); noch sorgfältiger inszeniert Quadratscha (Wacholderblüten) ein inferno-rotes Interieur, einen bedrohlich wirkenden Un-Ort.

Vielschichtig, aufgebrochen in eine Folge fragmentierter bildlicher Splitter stellt Sanna dagegen Alte Kunst dar – und bedient sich dabei eines unerwartet elegischen Tones; Pisa und Parma (Feste) breiten aus, wie bei der Betrachtung des Pisaner Campo Santo oder des Baptisteriums zu Parma die Kunst der italienischen Frührenaissance als kenntnisreiche „visione/del particolare“ (Parma, S. 282) er- und belebt wird. Nicht der weit ausholenden, beschreibenden Gesamtschau, Rapport des Bildungsreisenden, sondern den für viele Betrachter belanglosen Details, sei es der bronzene Hippogryph oder ein antikes Relief, gilt die Aufmerksamkeit des Autors, der, vor dem Baptisterium zu Parma stehend, seine eigene (dichterische) Existenz in der Lünette des Südportals dargestellt findet. Beide Male allerdings holt Sanna, ganz illusionsdurchbrechend, sich und den Leser wieder in die Wirklichkeit zurück: Der Blick auf diese Kunst, übrigens ein symbolischer „sguardo in alto“ (Parma), übersieht keineswegs den distanzierenden Rahmen.

Ungleich wirkungsmächtiger (und faszinierender) aber sind die Rätsel-Bilder, die Sanna dem Leser aufgibt. So skizziert das Gedicht Hôtel-Dieu (Feste) eine entlegene mittelalterliche Heiligenlegende, lässt sich aber von seiner Struktur her genauso als suggestive Reihung einzelner Bilder lesen, als quasi-surrealistische Einladung zum freien Assoziieren, und insbesondere die vom Schlussvers vorgeschlagene Aufhebung der passiven Rezeptionshaltung öffnet das auf den ersten Blick hermetisch wirkende Gedicht beträchtlich. Selten trifft die interpretatorische Binsenweisheit, dass bedeutende Lyrik den Leser zu allererst mit sich selbst konfrontiert, mehr zu. Sanna fordert regelrecht dazu auf, gleichsam den Gang ins Bild zu tun, d.h. die weitgefassten Symbole (Einhorn, Heiliger, Eichenzweig) mit Leben zu erfüllen und damit das Gedicht erst zu vollenden. Ganz zur enigmatischen Chiffre wird das klassische Wappentier des Dichters, der Schwan, der längst nicht mehr seine symbolistischen Kreise zieht, sondern, reines Zeichen, im Sturzflug auf einen See herabstößt: „Effemeride di un week-end:/picchiata/del cigno/nelle acque/del lago“ (Löwen-Maul, S. 176). Unverkennbar: Sanna schreibt die pictura eines Emblems, dessen inscriptio und subscriptio fehlen; das Symbol des Schwans wird für die Gegenwart nicht neu besetzt, sondern fern jeder interpretatorischen Eindeutigkeit zu einem seines Inhalts beraubten leeren Zeichen erklärt. – Mitunter erteilt Sanna dem Leser, der nach Erläuterung fragt, eine klare Absage: Nachdem er die verschneite Winterlandschaft beschrieben hat („La neve riposa/sui bracci lunghi degli abeti/curvi come tube tibetane“, Wacholderblüten, S. 104), schlägt er, statt den ungewöhnlichen Vergleich weiter auszuführen, eine schneeglitzernde Volte („Attendi un suono/ma ricade una pioggia/di polvere bianca/che brilla al sole“). Zwei Gedichte belegen ausdrücklich, welch hohe, ja so scheint es, zentrale Bedeutung Sanna dem „segno“ innerhalb seines Werkes beimisst. Manche Zeichen wirken kraft ihrer selbst lange nach, bis sie sich allmählich enthüllen: „Non è il senso/che lascia tracce/ma il segno/e per capirlo/occorre spesso/tutta una vita“ (Feste, S. 234), andere beanspruchen womöglich, überlegt der Autor, Allgemeingültigkeit über ihr Bezugssystem hinaus („Ho scoperto il rosso/nel verde della natura/Che significhi/fermati/come il rosso del semaforo?“, Wacholderblüten, S. 86). Am Beispiel des zweigeteilten und gespaltenen, halb menschlichen, halb tierischen Fabelwesens thematisiert Centauri (Wacholderblüten) das für Sanna grundsätzlich problematische Wesen des Zeichens selbst: „Fatale/la disamina/sul segno/Fuoco?/Si!/Ma dove?“ (S. 112) Das versteckte (göttliche) Feuer, worunter wohl der jedem bedeutenden Zeichen noch eigene Rest des Numinosen bzw. des Undeutbaren zu verstehen wäre, behalten diese Bilder weiterhin, und daher rühren ihr Glanz und ihre Größe.

Zum poetischen Werk von Salvatore A. Sanna

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