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»… entscheidend ist der Einzelfall!«

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Beispiel:

Auf der chirurgischen Station eines Klinikums ist es die Norm, beim Rücktransport der PatientInnen aus dem OP zur Normalstation die Bettgitter beidseits hochzuziehen. Frau Papazyan, eine 65-jährige Patientin mit armenischen Wurzeln, wird von der gerade examinierten Pflegefachfrau Clara Deister nach einer Strumaresektion zurück auf das Zimmer gebracht. Einige Minuten nachdem die Patientin wieder in ihrem Zimmer ist, hören die Pflegenden laute Hilferufe, sie eilen in das Zimmer von Frau Papazyan und finden diese, total aufgelöst, auf dem Boden liegend vor. Aufgrund der Sturzhöhe durch die Bettgitter ist die Patientin sehr tief gefallen und hat sich einige Prellungen und Hämatome zugezogen. Erst als ihre Angehörigen am Nachmittag zu Besuch kommen, erfährt das Personal, dass Frau Papazyan im Armenienkrieg in den 90er Jahren verschleppt und in Gefangenschaft gehalten wurde. Seitdem hat sie große Angst vor geschlossenen und begrenzten Räumen.

Gerade dieses Beispiel zeigt: Clara Deister ist einer Norm der Station gefolgt, ohne deren Sinn und Nutzen im konkreten Fall zu prüfen. Sie hat gelernt, dass diese Handlungsweise seitens der Station von ihr erwartet wird. Anweisungen ist Folge zu leisten – wenn dieser Grundsatz befolgt wird, gerät aus dem Blick, wie Helfende auch fachlich-ethisch verantwortlich handeln können. Sie befindet sich in einem Dilemma zwischen Patientensicherheit und dem Willen der Patientin. Hätte eine kontinuierliche Beobachtung der Patientin, die durch die standardmäßige, regelmäßige Vitalzeichenkontrolle postoperativ ohnehin gewährleistet worden wäre, den Sturz verhindern können? Eine sorgfältigere Erhebung der Patientenanamnese und ein Gespräch mit der Klientin im Voraus über mögliche Handlungsabläufe nach der Operation hätte die Ängste von Frau Papazyan erkennen lassen können. Kontinuierliche Teamsitzungen mit Evaluation einzelner Abläufe und Bewertungen von Einzelsituationen aus der Vergangenheit tragen dazu bei, Normen als Verhaltens- und Handlungsregeln in Beziehung zu setzen.

Neben den bisher genannten Belastungen gibt es noch zahlreiche weitere Einflussfaktoren auf die Entstehung von Gewaltsituationen, die strukturell mit den Berufen verbunden sind. Darunter fallen nicht zuletzt die Konfrontation mit körperlicher Nähe, der Umgang mit Krankheit, Ängsten, Leid und Tod sowie der erlebte Widerspruch von institutionellen Abläufen und individuellen Bedürfnissen der AdressatInnen. Ebenso ist das Balancehalten zwischen dem Mut zur Nähe und der Kraft zur Distanz oder die Mandatsproblematik zwischen Hilfe und Kontrolle zu nennen. Hohe Kommunikations- und Beziehungsanforderungen, die sich etwa bei Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen oder fremder sprachlicher Herkunft überfordernd gestalten können, fordern die Fachkraft in weiterem Maße. Zudem sinkt bei vielen HelferInnen die Motivation im Laufe der Berufsjahre, wenn sie sich durch die Gesellschaft kaum wertgeschätzt fühlen und die Bezahlung in Relation zur geleisteten Arbeit auch noch als relativ gering erlebt wird. Weitere Faktoren sind schlecht ausgestattete Räumlichkeiten, fehlende Bereitstellung von Geräten oder dringende Umbaumaßnahmen. Darüber hinaus wird die Arbeit durch unnötige Laufarbeiten oder beengte Verhältnisse in Büros zusätzlich erschwert. Möchten Helfende Verbesserungsvorschläge einbringen und entdecken jedoch dabei, wie gering ihre berufliche Autonomie ist, oder werden ihnen ihre geringen Einflussmöglichkeiten auf grundsätzliche Entscheidungen deutlich, werden dysfunktionale Strukturen erkennbar, die gewaltbegünstigend wirken können.

Berufliche Belastungen bewältigen

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