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2.5 Perspektivische Lösungsansätze
ОглавлениеBeide Fälle zeigen die Bedeutung professioneller Kommunikation in den helfenden Berufen, um auftretender Gewalt und ihren Folgen begegnen zu können. Mit ihr kann es gelingen, Lösungen für gewaltbelastete Situationen zu finden (vgl. Watzlawick/Beavin/Jackson 2007, Wingchen 2006). »Stimmt« die Kommunikation dann wieder, können Bedürfnisse erkannt und aneinander angepasst oder eventuelle Veränderungen vorgenommen werden, um empfundener Gewalt zu begegnen (vgl. Hausmann 2014, S. 215 ff.). So mag es etwa Frau Kern gelingen, »die Ursache der Aggression zu erkennen und das problematische Verhalten einzudämmen. Keinesfalls sollte man selbst aggressiv reagieren oder Gleiches mit Gleichem vergelten. Bei persönlichen Angriffen kann dem Patienten gegenüber eine Klarstellung nötig sein, dass man so von ihm nicht angesprochen werden will« (Hausmann 2014, S. 220). So kann es für Herrn Becker auch möglich werden, seine Frustration zu bewältigen, wenn er erkennt, warum sich die Pflegende so verhält. Ebenso werden die wechselseitigen Gewalterfahrungen Frau Ahmann, Frau Geißner und Herrn Meier als eine Gewaltspirale sichtbar, wenn den Beteiligten die gewaltbefördernden Bedingungen klar werden. Professionelle Kommunikation zielt auf die Veränderung gewaltfördernder Kommunikation in Richtung alternativer Umgangsformen sowie der Umgestaltung intrapsychischer Frustrationsprozesse ab. Dabei ist es wichtig, voreilige Lösungsversuche zu identifizieren, die das Problem verschärfen, statt es zu beseitigen. Solche »Lösungen erster Ordnung« (Rövekamp/Sommer 2016, S. 101) unterdrücken nur die Symptome, verändern aber die Beziehung nicht. Hierzu zählen etwa Strategien wie
• das Herunterspielen der empfundenen Gewaltsituation (»So schlimm war es ja gar nicht« oder »Das muss man aushalten lernen«)
• pessimistische Grundhaltungen (»Man gewöhnt sich daran«, »Das ist nun mal so«)
• die Unterstellung von Böswilligkeit, ohne eigene Anteile am Konflikt erkennen zu wollen (»Der ist schuld«),
weil die Fachkraft sich selbst schadet und die Möglichkeit der Verständigung verstellt. Demgegenüber bieten Rövekamp und Sommer Lösungen zweiter Ordnung an, die Zusammenhänge erkennen lassen und alternative Verhaltensweisen bei allen Beteiligten anregen, z. B. indem sie
• intrapsychisch einladen, die eigenen Gedanken und Vermutungen hinsichtlich des Verhaltens des Gegenübers zu hinterfragen und zu ändern
• sozial auffordern, im Sinne der Verhaltenskontrolle aufkommende Aggressionsgefühle kurzfristig abzuwehren, um später mittels alternativer Copingstrategien diese »verrauchen« zu lassen, oder schließlich
• durch eine Entschuldigung dazu beitragen, die Gewaltspirale zu unterbrechen (vgl. Rövekamp/Sommer 2016, S. 101 f.).
Zusammengefasst: Es geht um das Gestalten förderlicher Kommunikation. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass Menschen immer auf mehreren Ebenen kommunizieren. Der direkte Austausch von Gedanken, Informationen, Meinungen, Ideen und Vorstellungen erfolgt über die verbale Kommunikation (vgl. Hornung/Lächler 2018, S. 201). Er findet über die Sprache statt, also in gesprochenen oder geschriebenen Worten. Dadurch wird es möglich, Dinge zu benennen, Zusammenhänge darzustellen und Bedürfnisse auszudrücken. Notwendige Absprachen zwischen Frau Ahmann und Frau Geißner laufen auf der verbalen Ebene. Frau Geißner wären so die Zusammenhänge des Verhaltens der WBL klargeworden, ebenso deren Gedanken und Gefühle. Frau Ahmann hätte ihre Erwartungen an den Frühdienst ausdrücken können. Frau Geißner hätte argumentieren können, warum die Kommunikation mit den PatientInnen aus ihrer Sicht doch wichtig ist. Im Besonderen ist der Gebrauch einer angemessenen Sprache wichtig. Frau Geißner verzichtet dabei auf eine kindliche Sprache (»Wenn der Popo eben dreckig bleiben soll!«) und versucht angemessen auf die Ausdrucksform von Herrn Meier zu reagieren (vgl. Sachweh 2002). Welche Aussage, Information hat die Geste ihres Patienten? Sprache ist ein wichtiges Mittel der Kommunikation, wird aber stets durch nonverbale Signale begleitet.
Daneben existiert also auch eine nicht nur an verbale Sprache gebundene zweite Ebene, die nonverbale Kommunikation. Hornung und Lächler weisen ihr eine ebenso große Bedeutung zu, wenn sie schreiben: »sie macht einen weit größeren Anteil an der zwischenmenschlichen Verständigung aus, als der Inhalt der Worte.« (Hornung/Lächler 2018, S. 202) Sie drückt sich aus über Gestik, Mimik, Körperhaltung und das Verhalten im Raum. Mit Letzterem ist gemeint, wie nah oder distanziert Menschen ihren GesprächspartnerInnen gegenübertreten. Hinzu kommen Dinge: Kleidung und Statussymbole sind Objekte mit kommunikativer Wirkung. Sie signalisieren etwa Stellungen und Funktionen und können in der helfenden Beziehung als dienlich wie auch als hinderlich erlebt werden. Insbesondere in Krankenhäusern gelten Bekleidungsregeln als ein Ausdruck der Krankenhaushierarchie (vgl. Hornung/Lächler 2018, S. 204). Im Gegensatz zur verbalen Kommunikation findet nonverbale Kommunikation also durch Ausdruck des Körpers, Objekte und Stellung im Raum statt und wird visuell wahrgenommen. Helfende können lernen, dass z. B. Mimik ein wesentlicher Bestandteil der Kommunikation ist. Menschen lernen im Laufe ihrer Sozialisation zu unterscheiden, wann welcher Ausdruck von Frustration angemessen ist oder wann die Haltung zu bewahren ist, um dann nicht etwa frustriert den Waschlappen zurück in die Schüssel zu werfen. Solche Gesten lassen Desinteresse, Resignation oder Verärgerung annehmen. Der Interpretationsspielraum ist dabei eher groß, so mag Herr Meier dieses Verhalten auch noch anders deuten: »Habe ich die Schwester jetzt verletzt?« Fehlinterpretationen können wiederum Frustration erzeugen, wenn die entsprechende Reaktion von Frau Geißner wiederum als Zurückweisung empfunden wird.
Nicht nur Pflegende sind deshalb aufgefordert, auf Mimik zu achten. Der Gesichtsausdruck von Menschen drückt ihre Emotionen aus. Diese können falsch interpretiert werden. Die Bedeutung der Mimik von Herrn Becker, weil er den Fisch nicht mag, kann Frau Kern sofort erkennen. Mit der Mimik unterstreicht ebenso Frau Geißner ihre Frustration, wenn Herr Meier sich nicht waschen lässt. Da Mimik häufig sehr schnell und unbewusst abläuft, sind insbesondere Pflegende gut beraten, sich ihrer ausgedrückten Gefühle bewusst zu werden und diese besser offen und empathisch verbal zu kommunizieren. Die Fähigkeit zur Metakommunikation wird in solchen Situationen wichtig: Nicht nur Pflegende regen ihr Gegenüber an, das aktuelle Miteinander zu kommunizieren, indem sie selbst in Distanz zu ihrem eigenen Handeln und dessen Motiven gehen, diese auszudrücken lernen und damit wechselseitige Frustrationen aufzulösen (vgl. Schulz von Thun 2009). Weitere Aspekte zum Thema Metakommunikation finden sich im Folgenden in Lernsituation 5. Der Abbruch des Blickkontaktes von Herrn Meier sagt Frau Geißner schneller, als er das in Worte fassen kann, dass er sich schämt und deshalb die Augen schließt, um der peinlichen Situation zu »entkommen«. Ein gehaltener Blickkontakt erzeugt Nähe. Der abgebrochene Blickkontakt von Frau Kern hingegen kann von Herrn Becker als Desinteresse interpretiert werden. Frau Kern zeigt damit keine Bereitschaft, das Thema Mittagessen weiter zu behandeln. Ebenso kann der zornige Blick von Frau Geißner durch ein intensives Fixieren von Herrn Meier bedrohlich interpretiert werden, was wiederum ein Bedrohungsgefühl oder Scham aktiviert und als Reaktion die Beendigung seines Blickkontaktes nach sich zieht.
Die Körperhaltung von Frau Kern lässt vielleicht ihr Desinteresse an der Situation ihres Patienten erkennen. Eine Form offener Körperhaltung, die Ratlosigkeit und Interesselosigkeit zeigt, könnte in dieser Situation genauso wahrscheinlich sein wie eine geschlossene Körperhaltung, die Unwohlsein und den Wunsch, die Situation verlassen zu können, zeigt (vgl. Hornung/Lächler 2018, S. 204, Molche 2002).
Kommunikation läuft auch über räumliche Nähe bzw. Distanz. Die Unterscheidung in vier Distanzzonen (intim, persönlich, sozial, öffentlich) sensibilisiert nicht nur Pflegende für die Gefahr von Grenzüberschreitungen. Grenzüberschreitungen auf der Seite der Helfer sind nicht immer Teil eines professionellen Handelns. So kann es zu Grenzüberschreitungen auf ihrer Seite kommen, wenn sie ihren AdressatInnen private Gespräche aufzwingen und ihnen damit emotional zu nahe kommen. Grundsätzlich nimmt nonverbale Kommunikation im menschlichen Sozialverhalten deshalb eine zentrale Rolle ein, da sie Gefühle und Einstellungen indirekt ausdrückt, was den sprachlichen Teil sogar überdecken kann.
Diesen beiden Ebenen ist noch die paraverbale Kommunikation hinzuzufügen. Diese bezieht sich auf die gewählten Möglichkeiten durch die Stimme der AkteurInnen (z. B. Lautstärke, Sprechgeschwindigkeit, Betonung). Wie die Stimme für den/die EmpfängerIn klingt, leise oder laut, klar oder unsicher, vermittelt ihm/ihr einen Eindruck davon, was der/die SenderIn von sich selbst, der Art der Beziehung und dem/der EmpfängerIn hält, wenn darauf geachtet wird, wie etwas ausgedrückt wird. Darunter fällt beispielsweise die Wortwahl. Ein sprachsensibler Umgang in der beruflichen Praxis basiert auf der Erkenntnis, dass paraverbale Kommunikation bei KlientInnen immer etwas auslöst, möglicherweise erzeugt sie Übereinstimmung, aber auch Verunsicherung oder Ablehnung. Dieser sprachlichen Macht des indirekten Einflusses bewusst, können Machtgesten oder Dominanz erkannt werden (vgl. Spiegel 2000, S. 80 f.).
Mittels dieses Wissens gelänge den Beteiligten in den Fallbeispielen eine Reflexion des Geschehenen, womit sie sich der wechselseitig beeinflussenden Verhaltensketten, aber auch der strukturellen Bedingungen bewusst würden.
So gelänge ein förderlicher intrapsychischer Umgang mit Frustration, etwa durch Verhaltenskontrolle und durch das Erlernen hilfreicher direkter Reaktionen, z. B. mittels Teamsupervision. Trotzdem müssen Maßnahmen eingefordert werden, die strukturelle Arbeitsbedingungen verändern und damit beruflichen Deformationen, wie etwa einer Opferhaltung (»Man kann ja doch nichts dagegen tun«) oder der Hinnahme der Praxis (»Ist ja bald Feierabend«), vorbeugen.