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4. Geschlossener und offener Negativismus

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Die Frage ist, wieweit sich solche Wahrnehmung des Negativen in sich befestigen, in sich abschließen kann. Bekannt ist der Einwand gegen eine totale Kritik, welche ohne Rekurs auf objektive Maßstäbe und vorgegebene Prinzipien auskommen will. Der Aporie rückhaltloser Negation antwortet dialektisches Denken mittels der Figuren der immanenten Kritik und der bestimmten Negation: Negatives soll nicht abstrakt verworfen, sondern auf das hin kritisiert werden, was sich in ihm selbst, mit Bezug auf eine von ihm selbst prätendierte Norm, ein von ihm selbst beanspruchtes Ziel als defizient erweist. Allerdings setzt dieses Modell ein implizites, unversehrtes Maß des Richtigen im Falschen oder gar ein in der Tiefe tätiges Streben voraus, das unter Bedingungen totaler Verblendung jedoch in beiden Fällen in Frage steht. Im Zustand totaler Entfremdung kann jede Spur des Unversehrten verwischt, im extremen Leiden jede Widerstandskraft verstummt, in der lichtlosen Nacht jeder Vorschein des Anderen erloschen sein. Und dennoch stellt sich die Frage, wieweit der Umgang mit integraler Negativität von deren Anderem absehen kann. In tastenden und zugleich emphatischen Formulierungen erprobt Adorno, dessen Negativitätsdiagnose die abgründigste, unüberbietbarste zu sein scheint, diese Grenzbegehung – vom leisen Zweifel, „ob dies denn alles sein könne“1, bis zum Vorschein des Lichts, das „in den fragmentarischen, zerfallenden, abgespaltenen Phänomenen aufgeht“2, vom Bemühen, „das Nichts so zu denken, dass es zugleich nicht nur Nichts ist“3, bis zur Direktive der Minima Moralia, Philosophie im Angesicht der Verzweiflung als Versuch zu betreiben, „alle Dinge so zu betrachten, wie sie vom Standpunkt der Erlösung aus sich darstellten“ – getragen von der Überzeugung, dass „die vollendete Negativität, einmal ganz ins Auge gefasst, zur Spiegelschrift ihres Gegenteils zusammenschießt“4. In solchen Umschreibungen scheint sich die in dezidierter Antithese zu Hegel formulierte ‚negative‘ Dialektik trotz allem mit dessen transzendierendem Hindurchgehen durch das Negative im Innersten zu berühren. Allerdings wird man sich kaum mit dem Schlusssatz begnügen können, dass gegenüber der in alledem an das Denken gestellten Forderung „die Frage nach der Wirklichkeit oder Unwirklichkeit der Erlösung selber fast gleichgültig“5 sei. Festzuhalten hingegen ist die zweifache Distanzierung des konsequenten Negativismus gegenüber der Positivität einer Heils- oder Ganzheitslehre wie der in sich beruhigten Negativität des Nichts. Negativismus behauptet sich als Gegenkraft gegen einen metaphysischen Nihilismus ebenso wie gegen postmoderne Konzepte der Indifferenz, indem er gegen beide das Negative zum Ausgangs- und Angelpunkt des Denkens macht, in welchem er zugleich den Stachel der Negativität, das Nichtseinsollende des Negativen zur Geltung bringt. Negativistisches Denken bewahrt in sich das ungeminderte Spannungsverhältnis zwischen dem Negativen und seinem Anderen, zwischen Kritik und Erschließung, Abwehr und Rettung, wie Negative Anthropologie im Selbst den Widerspruch zwischen Selbsterkenntnis und Verblendung, Verfallen und Selbstsein austrägt.

Politik – Kirche – politische Kirche (1919–2019)

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