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1 Einleitung

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Der vorliegende Beitrag ist dem Wandel im Bereich sprachlicher Normen und den Auswirkungen, die bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen auf länderspezifische Normdiskussionen haben, gewidmet. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt auf Italien und Frankreich, die beide auf eine lange Tradition sprachnormerischer Aktivitäten zurückblicken, in deren Zentrum die Etablierung und Durchsetzung einer überregional gültigen Sprachform für die mündliche und schriftliche Kommunikation stand und steht.1

Über unterschiedliche Disziplinen hinweg, aber auch innerhalb der Linguistik besteht eine Vielfalt an Normauffassungen. Im vorliegenden Kontext wird Norm nach Gloy (2004, 392) definiert, der unter Norm im engeren Sinne den intentionalen Sachverhalt einer Verpflichtung (Obligation) versteht. Hierbei verkörpert eine Norm zwar häufig ein Richtigkeits- bzw. Korrektheitsurteil, der Verpflichtungscharakter kann sich aber auch auf das Zweckmäßige oder das Angemessene beziehen. Für die Existenz einer Norm ist ihre Formuliertheit nicht ausschlaggebend. Von dieser Norm im engeren Sinne ist die Norm im weiteren Sinne abzugrenzen, die statistisch-strukturelle Sachverhalte wie Häufigkeiten oder Distributionen umfasst.

Seit dem ausgehenden 20. Jh. ist eine Tendenz zu beobachten, die darin besteht, dass sich vor die innerlinguistische Perspektive der präskriptiven oder deskriptiven Norm gleichsam eine soziolinguistische Norm schiebt. Das Phänomen, um das es hier gehen soll, ist die sog. political correctness,2 die sich in unterschiedlichen Ausprägungen zeigt und sich zunehmend verbreitet. Marazzini (2009, 222–223) erläutert diesbezüglich:

[…] si traduce […] nel tentativo di imporre una norma (nuova rispetto alla tradizione), condannando (a volte con durezza) coloro che non si adeguano. […] Recentemente i problemi legati al linguaggio ‚politicamente corretto‘ si sono allargati, e si sono moltiplicati i tentativi di censurare parole ed espressioni […].

Im Jahr 1995 stellte Lampert (1995, 247) fest, dass sich die Sprachwissenschaftler bislang praktisch nicht zur PC-Problematik geäußert hatten. Dies wird auch von Schmitt (2001, 464) belegt, der bezüglich der LRL-Bände beobachtet hat, dass bestimmte, moderne Formen der Normdiskussion im Italienischen bei Erscheinen des ersten LRL-Bandes (IV, 1988) noch nicht bekannt waren. Ebenfalls für das Italienische stellt Canobbio (2009, 35) fest: „L’evoluzione del fenomeno dell’interdizione linguistica sembra in realità un po’ trascurata nelle analisi delle trasformazioni (etno- e socio-)linguistiche in atto nel nostro paese.“

Die Sprachdiskussion verlagert sich zusehends von der Bewertung der sprachlichen Korrektheit oder der Beschreibung des Sprachgebrauchs hin zur Bewertung der Angemessenheit sprachlicher Formen, v.a. hinsichtlich der Wortwahl. Die lexikalische Ebene, die nach Maier (1984, 70) in normtheoretischen Abhandlungen lange Zeit kaum berücksichtigt wurde, rückt nun in den Vordergrund der Betrachtung. Es würde allerdings zu kurz greifen, das Phänomen der political correctness auf die lexikalische Ebene zu beschränken.

Eine zentrale Rolle spielen bei der Verbreitung politisch korrekter Ausdrücke die Medien, die diesen Sprachformen einen bisher unbekannten Resonanzraum bieten (Merle 2011, 11):

Le problème est que les moyens de communication actuels, donc les moyens de „mise en circulation“ des mots, des modes, et des modes de mots et d’expressions, sont sans commune mesure avec les époques antérieures. En effet, la périphrase, l’euphémisme de vaine précaution, la litote de fausse pudeur, la préciosité ridicule et toute la clique clinquante des artifices de langage […] bénéficient d’une caisse de résonance sans limites et sans précédent.

Im Kontext eines Spannungsverhältnisses zwischen einer linguistisch begründeten und einer politisch motivierten Normdiskussion ergeben sich unterschiedliche Fragenkomplexe. Zunächst stellt sich die Aufgabe einer differenzierten Charakterisierung des Phänomens der political correctness. Darüber hinaus gilt es, die Frage nach dem Geltungsgrad zu beantworten. Eine weitere Fragestellung richtet sich darauf, zu erfassen, wie sich ein solcher Sprachgebrauch im Diasystem der Sprache einordnen lässt. Auch muss die Rolle der herkömmlichen Normierungsinstanzen beleuchtet werden und deren aktuelle Akzeptanz hinterfragt werden. Ebenso muss der Beitrag, den die Massenkommunikationsmittel in Normierungsfragen leisten, näher betrachtet werden. Schließlich ist die Frage der lexikographischen Erfassung politisch korrekter Begriffe relevant3 und damit auch die Frage, in welchem Maße Wörterbücher politisch korrekt sein können und sollen. Das skizzierte Feld weist enge Berührungspunkte zu Fragen der Sprachkultur (Klare 1999, 2007) und des Sprachbewusstseins sowie zur Laienlinguistik auf.

Grundsätzlich sei an dieser Stelle schon einmal hervorgehoben, dass es Aufgabe der romanistischen Linguistik ist, den Widerhall gesellschaftlicher Dynamiken in der Sprache, der sich jenseits offizieller Normierungsbestrebungen vollzieht, in den romanischen Sprachen vergleichend zu erfassen und übergreifende Deutungsversuche anzubieten.

Fachbewusstsein der Romanistik

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