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3 Der Sprachgebrauch der Gig-Economy

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Im Rahmen der Betrachtung des Sprachgebrauchs auf den beiden Plattformen DELIVEROO und FOODORA sei der Blick zunächst auf die Bezeichnungen der Fahrrad-Kuriere gerichtet. Im Französischen wird auf beiden Plattformen der Begriff coursier verwendet. Im Larousse wird eine Definition angegeben, die die Übersetzung mit ‚Laufjunge‘ nahelegt:1 „Employé chargé des diverses courses à faire en ville pour une administration, un commerçant, un atelier etc. Le féminin coursière est rare.“ Die gleiche Bedeutung wird auch im TLFI angegeben.2 Im Petit Robert wiederum wird der Begriff in dieser Bedeutung nicht aufgeführt. Die neosemantisierte Form findet auch Eingang in Komposita, so in coursiers partenaires. Darüber hinaus werden die Kuriere bei DELIVEROO als biker(s) bezeichnet. Im Petit Robert wird dieser Begriff zwar aufgeführt, allerdings als Ableitung von amer. Engl. bike « moto, bécane » und somit anderer Bedeutung (Étym. 1987).3 Im Larousse sowie im TLFI wird biker nicht erfasst.

Im Italienischen wird auf beiden Plattformen der Begriff rider verwendet, mitunter mit dem Firmennamen als determinierender Konstituente: rider FOODORA. Rider ist in diesem Jahr als Neologismus im Treccani aufgenommen worden.4

rider s. m. e f. Fattorino che si sposta a bordo di una bicicletta equipaggiata per la consegna a domicilio degli articoli acquistati dai clienti; ciclofattorino. […] Dall’ingl. rider (‚chi va a cavallo, in bicicletta, in motocicletta‘), con una evidente restrizione e specializzazione di significato rispetto alla voce ingl.

Im Zingarelli ist rider nicht erfasst bzw. nur die Kollokation free rider. Zu rider besteht – insbesondere im pressesprachlichen Gebrauch5 – das Synonym ciclo­fattorino, das der Treccani ebenfalls als Neologismus verzeichnet.6 Im Zingarelli wird diese Neubildung noch nicht erfasst. Mit coursier, biker und rider sind drei der vier Bezeichnungen der Kuriere durch Bedeutungsverschiebung gegenüber einer eigenen oder fremdsprachlichen Form entstanden. Eine ausdrucksseitige Innovation ist lediglich ciclofattorino.

Zentrales Argument bei der Akquise der Fahrradkuriere ist das Versprechen von Flexibilität und Autonomie. Dies geht so weit, dass Autonomie als Profileigenschaft gefordert wird. Bei FOODORA wird unter den Anforderungen, die an die Mitarbeit gestellt werden, Folgendes genannt: être autonome. Die Belege sehen für die beiden Plattformen DELIVEROO (D) und FOODORA (F) im Einzelnen wie folgt aus:

Französisch:

 Travaille en toute liberté (D)

 Flexibilité, indépendance, revenus attractifs (D)

 Tu es libre de rouler quand tu le souhaites et selon tes besoins (D)

 Choisis quand livrer (D)

 Vous choisissez quand vous souhaitez travailler en fonctions de vos disponibilités (F)

 Vous choisissez le mode de livraison qui vous convient […] (F)

 Besoin d’un boulot sympa et flexible ? (F)

Italienisch:

 Lavoro flessibile (D)

 Flessibilità, ottimi guadagni e un mondo di vantaggi per te (D)

 Scegli tu quando lavorare (D)

 Sarai un lavoratore autonomo libero di lavorare in base alla tua disponibilità (D)

 Decidi tu quando lavorare (F)

Über den „wahren“ semantischen Gehalt der Wortfamilie um Flexibilität schreibt Trifone (2007, 163):

[…] le parole-simbolo del nuovo mercato del lavoro, flessibile e flessibilità, con i neologismi derivativi flessibilizzare e flessibilizzazione, sono a ben guardare sinonimi molto più astuti di licenziabile, licenziabilità, licenziare e licenziamento.

Neben der Herausstellung von Flexibilität und Autonomie zeichnet sich der Sprachgebrauch auf den genannten Plattformen sowohl für das Italienische als auch für das Französische durch eine Vielzahl an vergemeinschaftenden Formulierungen aus.

Französisch:

 Tu feras partie de la plus grande communauté de livreurs en France (D)

 Rejoignez notre communauté de coursiers ! (F)

 Une seule équipe (F)

 Vous recherchez […] une équipe sympa ? (F)

Italienisch:

 Unisciti a noi (D)

 Diventa parte del team FOODORA (F)

 Entra a far parte della community dei rider (F)

An der Grenze zwischen vergemeinschaftendem und verdunkelndem Sprachgebrauch liegen die Verbalformen bzw. deren Präpositionen Vieni a lavorare come rider con FOODORA (F) und Pourquoi travailler avec nous (D). Im Petit Robert heißt es travailler pour un patron, im Zingarelli lavorare per un azienda. Das Problem eines euphemistischen und verschleiernden Sprachgebrauchs liegt auch vor bei équipement de qualité (D) bzw. equipaggiamento di qualità (D), deren Referent eine Uniform ist. Gleichfalls irreführend sind die Bezeichnungen prestataire indépendant (D) ‚unabhängiger Dienstleister‘ und lavoratore autonomo (D). Bereits in ihrer frühen Studie aus dem Jahr 1964 stellte Galli deʼ Paratesi fest, in welch hohem Maße das Themenfeld des Arbeitsmarktes (inklusive der Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, den Aspekten Einstellung, Entlassung und Bezahlung) von Euphemismen geprägt ist: „Nei rapporti tra le ditte e i lavoratori sono molti gli eufemismi circa i concetti di lavoro, assunzione, pagamento e simili.“ (Galli deʼ Paratesi 1964, 137) Als Beispiele euphemistischen Sprachgebrauchs führte sie collaborazione für lavoro, inserimento für assunzione und livello retributivo für paga an. Im Zusammenhang mit den neuen Arbeitsformen, die in der Folge verschiedener gesetzgeberischer Maßnahmen7 zur Flexibilisierung der Arbeit um die Jahrtausendwende in Italien entstanden sind (z. B. die Zeitarbeit), schreibt Trifone (2007, 161):

La nuova disciplina del lavoro temporaneo e atipico, la conseguente nascita delle agenzie per il cosiddetto „lavoro in affitto“, la parallela crescente diffusione di lavoratori precari hanno determinato lo sviluppo di una sorta di gergo interinalese, fatto di termini e locuzioni che hanno per lo più […] una componente eufemistica, che tendono cioè a occultare o edulcorare una realtà di fatto spiacevole e talvolta drammatica.

In besonderer Weise betroffen von der euphemisierenden Einführung neuer Begrifflichkeiten sind Berufsbezeichnungen. Trifone (2007, 160) schreibt ihnen eine aufwertende, mitunter rehabilitierende Funktion zu, die in seinen Beispielen von Anglizismen erfüllt wird:

Se persino il caporeparto […] diventa un teamleader, si capisce che il bistrattato venditore porta a porta cerchi di riabilitarsi assumendo la definizione ben più professionale di seller door to door.

Für den Wechsel im Bereich der Berufsbezeichnungen gibt es in historischer Sicht viele Vorläufer. Wahrgenommene Bedeutungsverschlechterungen führen im Zeitablauf zu regelrechten Bezeichnungsketten, wobei die jeweils neue Bezeichnung zur Aufwertung des entsprechenden Berufs beitragen soll (Galli deʼ Paratesi 1964, 137). Als Beispiel möge die folgende Kette dienen: serva → donna di servizio → donna → domestica → cameriera → persona di servizio (Galli deʼ Paratesi 1964, 137). Im weiteren Verlauf ist sie um den Ausdruck COLF (collaboratore familiare) ergänzt worden. Neben der aufwertenden und euphemistischen Funktion sieht Dardano (2000, 327) darin auch eine hierarchisierende Funktion am Wirken. Diese bildet letztlich die zunehmende und immer feingliedrigere Spezialisierung und den Zuschnitt einzelner Tätigkeiten in der Gesellschaft ab:

La causa di tali cambiamenti […] è eufemistica e al tempo stesso gerarchizzante: la sistemazione puntigliosa delle sempre nuove specializzazioni e mansioni nella società di oggi comporta lo sviluppo di neologismi, scemi classificatori e iperonimi. I centri di potere producono di continuo eufemismi.

Wenn es auch im vorliegenden Fall weniger um die Umbenennung einer bestehenden Tätigkeit geht als vielmehr um die Benennung eines neu entstandenen „Berufsbildes“, ist doch Crisafulli (2004, 96) zuzustimmen, der über den sog. nominalismo schreibt: „Il nominalismo crede nel potere magico del nominare, è un idealismo linguistico […].“

Wenden wir uns den euphemisierenden Begrifflichkeiten équipement de qualité / equipaggiamento di qualità sowie prestataire indépendant / lavoratore autonomo zu. Insofern als hier in gewisser Weise eine Form der Tabuisierung vorliegt, könnten die Begriffe in die Nähe der political correctness gerückt werden. Hier besteht allerdings ein zentraler Abgrenzungsfaktor. Denn während die political correctness den sprachlichen Schutz von Minderheiten im Sinne hat, geht es im vorliegenden Fall um die Verschleierung der direkten Bezeichnung eines Sachverhalts (Reutner 2009, 369). In ihrer Studie zu französischen und italienischen Euphemismen aus dem Jahr 2009 etabliert Reutner eine Kategorie, die sie mit dem Etikett „Ethik ohne Moral“ versieht (Reutner 2009, 368) und die hier zum Tragen kommt. Ethik ist hier im Sinne von Verhaltenskodex zu verstehen, Moral wiederum als gemeinwohlorientierte Moral und nicht als individuelle Geschäfts- bzw. Wohlstandsmoral (Reutner 2009, 368). Die beobachtete Verschleierung lässt sich zudem mit dem Konzept des doublespeak von Lutz (1989, 1) erfassen. Es ist zu verstehen als:

[…] language that makes the bad seem good, the negative appear positive, the unpleasant appear attractive or at least tolerable. Doublespeak is language that avoids or shifts responsibility, language that is at variance with its real or purported meaning.

An anderer Stelle spricht Lutz (1989, 11) von „language of nonresponsibility“. Doublespeak kommt in verschiedenen Ausprägungen vor (Lutz 1989, 2-7). Eine relevante Kategorie sind bei Lutz die Euphemismen, die mit der Absicht des Täuschens hervorgebracht werden.

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