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1 Einleitung

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Zumindest für Linguisten ist es eine Binsenweisheit, dass sich der Wortschatz verschiedener Sprachen nicht nur durch die Bezeichnungen für Begriffe unterscheidet, sondern auch die begriffliche Ebene selbst unterschiedlich gegliedert sein kann. So finden wir Deutschsprachige mit einem einzigen Wort Fisch das Auslangen, wo man sich im Spanischen für pez oder pescado entscheiden muss, je nachdem, ob der Fisch noch im Wasser schwimmt oder aber bereits im Fischgeschäft, in der Pfanne oder auf dem Teller liegt. Im Vergleich zur Gemeinsprache unterscheidet sich der Wortschatz vieler Fachsprachen begrifflich wesentlich weniger von Sprache zu Sprache, was auf den jahrhundertelangen geistig-sprachlichen Austausch zwischen den europäischen Kulturen zurückzuführen ist. Allerdings gibt es auch in diesem Bereich große Unterschiede von Fach zu Fach. Während die Juristerei trotz aller Bemühungen, supranationales Recht zu etablieren, weiterhin stark in nationalen Traditionen verhaftet bleibt, bieten die Wirtschaftswissenschaften ein Bild weitgehender begrifflicher Gleichschaltung. Diese begriffliche Homogenität bildete sich in diesem Fach allmählich im Laufe der Neuzeit heraus, als die Ausarbeitung wirtschaftlicher Doktrinen noch eine wesentlich polyphonere Angelegenheit war als heute (vgl. Rainer 2017). In chronologischer Reihenfolge dominierte zuerst das Italienische, dann das Französische und schließlich das Englische, wobei im 19. Jahrundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch der Beitrag des Deutschen nicht unterschätzt werden sollte. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg erlangte das Englische seine Stellung absoluter Hegemonie. Seitdem begnügen sich die übrigen Sprachen weitgehend damit, das auf Englisch Vorgekaute jeweils mit eigenen Mitteln wiederzukäuen. Aus der Sicht des Lexikographen oder Übersetzers hat dieser Umstand den Vorteil, dass sich die Suche nach einer Entsprechung meistens auf die Bezeichnungsebene beschränkt. Die folgenden Beispiele mögen genügen, um den allgemeinen Fall zu veranschaulichen:1

Monopol, Duopol, Oligopol monopolio, duopolio, oligopolio
Handelsbilanz balanza comercial
Bad Bank, Abbaubank banco malo, banco tóxico
Abwrack-, Verschrottungsprämie prima de/por desguace
Marketing marketing, mercadotecnia
abschöpfen descremar
usw.

Im Allgemeinen ist die begriffliche Isomorphie in den akademischen Sphären der Wirtschaftssprache am größten, während wir in jenen Bereichen, die näher an der wirtschaftlichen Praxis liegen, durchaus begriffliche Asymmetrien antreffen können. Im vorliegenden Beitrag will ich versuchen, Asymmetrien, die mir im Zuge der Arbeit an einem deutsch-spanischen Wirtschaftswörterbuch2 begegnet sind, zu systematisieren.

Betrachten wir zur Einstimmung ein paar konkrete Beispiele. Für das deutsche Wort Erholungsurlaub bietet Pons3 als einzige Entsprechung vacaciones (de reposo). Der Duden4 definiert das Wort als „der Erholung dienender Urlaub“. Wenn man sich die Verwendung dieses Wortes jedoch etwas näher ansieht, bemerkt man, dass es sich auf zwei verwandte, aber dennoch unterschiedliche Begriffe beziehen kann. Es kann einerseits jeden Urlaub bezeichnen, der der Erholung dient („Ein kurzer Erholungsurlaub täte ihr gut.“5), andererseits ist es im Arbeitsrecht aber auch der Fachausdruck für den langen Urlaub, der Arbeitnehmern einmal im Jahr zusteht („Der ‚normale‘ Urlaub wird auch als Erholungsurlaub bezeichnet“). Während man Erholungsurlaub im ersten Sinn mit vacaciones de reposo, oder geläufiger mit vacaciones de descanso übersetzen kann, ist die Entsprechung im arbeitsrechtlichen Sinn vacaciones anuales („Las vacaciones anuales deben disfrutarse por el trabajador dentro del año natural.“). Mit der Unterscheidung von zwei Begriffen kann dieses Problem also aus lexikographischer Sicht einfach gelöst werden, denn beide Begriffe existieren identisch in den deutsch- und spanischsprachigen Ländern.

Dasselbe gilt auch für unser nächstes Beispiel, Bierbrauer. Pons gibt als einzige Entsprechung cervecero. Diese deckt jedoch nur einen von zwei Begriffen ab, mit denen das Wort im Deutschen verbunden ist, nämlich ‚Fachmann für die Herstellung von Bier‘ (Duden). Neben dieser gibt es im Deutschen aber noch eine zweite Verwendung, in der das Wort metonymisch auf ein entsprechendes Unternehmen, eine Brauerei oder einen Bierkonzern, bezogen wird („Bierbrauer Heineken verdient deutlich mehr.“). In dieser zweiten Verwendung muss das Wort im Spanischen mit (empresa) cervecera widergegeben werden, da die im Deutschen produktive metonymische Übertragung Fachmann > Unternehmen im Spanischen nicht üblich ist. Es handelt sich hierbei um eine systematische Lücke, die alle Ausdrücke dieser Art betrifft, im Duden wie in den deutsch-spanischen Wörterbüchern.

Nicht immer jedoch lassen sich Fallunterscheidungen so eindeutig bewerkstelligen. Für den Ausdruck Wirtschaftsstandort liefert Pons die alleinige Entsprechung emplazamiento económico. Diese Bezeichnung findet man zwar schon einige hundert Male im Internet, aber praktisch nur auf Seiten, die offenkundig einen deutschen Ausgangstext ins Spanische übersetzt haben, wahrscheinlich mithilfe von Pons! Der Ausdruck ist im Spanischen nämlich unüblich. Das Problem liegt hier darin begraben, dass die deutsche Bezeichnung, die seit einigen Jahrzehnten zu einem Modewort geworden ist, eine reiche Polysemie entwickelt hat, die es erforderlich macht, von Fall zu Fall unterschiedliche spanische Entsprechungen zu suchen. Wird der Ausdruck im Zusammenhang mit der Attraktivität für Investoren verwendet, so kann destino de inversiones eine gute Lösung sein: „Deutschland hat als Wirtschaftsstandort an Attraktivität eingebüßt. / Alemania ha perdido atractivo como destino de inversiones.“ Geht es nicht nur um Investitionen, sondern allgemeiner um Geschäfte, kann lugar para hacer negocios die bessere Lösung sein: „Wien ist ein attraktiver Wirtschaftsstandort. / Viena es un lugar atractivo para hacer negocios.“ In wieder anderen Zusammenhängen wird der Ausdruck jedoch auch einfach auf die Wirtschaft insgesamt bezogen und kann/sollte dementsprechend mit economía übersetzt werden: „Der Mittelstand ist eine der Stärken des Wirtschaftsstandorts Deutschland. / El Mittelstand es una de las fortalezas de la economía alemana.“ Damit sind die Übersetzungsmöglichkeiten sicher nicht erschöpft, aber es dürfte klargeworden sein, dass es auch im neuesten Wirtschaftswortschatz Ausdrücke gibt, die mangels exakter begrifflicher Entsprechung für den Lexikographen und den Übersetzer eine beträchtliche Herausforderung darstellen.

Um etwas Ordnung in die folgende Diskussion zu bringen, werde ich mich an den breiten Bedeutungsbegriff von Blank (1997, 95) anlehnen, der nicht nur den semantisch-begrifflichen Kern eines Wortes umfasst, sondern auch andere Ebenen, die für eine erfolgreiche Verwendung ausschlaggebend sind. Im Wesentlichen entspricht eine solche Auffassung Wittgensteins Gebrauchstheorie der Bedeutung, in der die Bedeutung als die Summe der impliziten Regeln betrachtet wird, die die Verwendung eines Wortes in einer Sprachgemeinschaft steuern. Konkret unterscheidet Blank folgende Ebenen:

1 Das „Semem“, d.h. das einzelsprachlich bestimmte begriffliche Wissen, also z. B. all jene Merkmale, die mir erlauben, ein Arbeitsamt von einer Jobbörse zu unterscheiden.

2 Von diesem einzelsprachlich bestimmten Wissen unterscheidet Blank strikt das außersprachliche Wissen sowie Konnotationen, die mit der persönlichen Erfahrung zusammenhängen. Das Wissen, dass sich von meiner Wohnung aus gesehen in der nächsten Querstraße ein Arbeitsamt befindet, ist außersprachliches Wissen, das nicht dem Semem von Arbeitsamt zugerechnet werden sollte. Auch Konnotationen können ganz persönlicher Natur sein: wer einmal schlechte Erfahrungen mit dem Arbeitsamt gemacht hat, wird mit diesem Wort unangenehme Gefühle verbinden. Im Gegensatz zu Blank glaube ich allerdings nicht, dass es möglich ist, das sememische Wissen wirklich klar vom Weltwissen zu trennen. Auch bei den Konnotationen finden wir denselben fließenden Übergang zwischen einzelsprachlich systematischer Festlegung und individueller Ausprägung.

3 Als dritte Ebene unterscheidet Blank das einzelsprachlich-lexikalische Wissen. Dabei handelt es sich um Wissen, das nicht den begrifflichen Kern des Wortes, sondern seine sonstigen Verwendungsbedingungen in der Sprachgemeinschaft betrifft. Blank unterscheidet zwischen interner und externer Wortvorstellung. Die interne Wortvorstellung betrifft u.a. das Wissen über Genus, Motivationsbeziehungen oder Polysemie, aber auch jenes über die Kombinierbarkeit eines Wortes (so kann man in Österreich nicht nur zum, sondern auch auf’s Arbeitsamt gehen). Die externe Wortvorstellung hingegen betrifft soziokulturelle Determinanten der Wortverwendung, also z. B. das Wissen, dass Arbeitsamt nur mehr selten verwendet wird und dass die entsprechende Institution heute in Deutschland Arbeitsagentur und in Österreich Arbeitsmarktservice, kurz AMS, heißt.

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