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3 „Allgemeine Wissenschaftssprache“ und „Fachstil“ nach Forner und Tutin 2007a

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Ich beginne hier mit der Beschreibung dessen, was eigentlich nicht im Zentrum meines Interesses steht, was also nicht die „Mittlere Schicht“ ist, aber von ihr abgegrenzt werden muss. Es handelt sich um ein bestimmtes Register bzw. Repertoire sprachlicher Mittel, das in der Forschung als « langue scientifique générale » (Phal 1968, 8) oder als „allgemeine wissenschaftliche Fachsprache“ (Hoffmann 21984, 63) bezeichnet worden ist. Es entspricht der Gesamtheit jener sprachlichen Mittel, die den Fachdiskursen der verschiedensten Fächer gemeinsam sind. Diese Kategorie „allgemeine Wissenschaftssprache“ und noch mehr „allgemeine wissenschaftliche Fachsprache“ ist in gewisser Weise paradox, denn das Besondere an Fachsprache und damit auch an Wissenschaftssprache ist ja, dass sie für ein bestimmtes Fach – und eben nicht für sämtliche Fächer gemeinsam – charakteristisch ist. Es existieren aber sehr wohl einige interessante Versuche, eine solche „allgemeine Wissenschaftssprache“ zu definieren und zu beschreiben.

Gemeint ist im Wesentlichen eine Art genrespezifisches Register1: die Sprache wissenschaftlicher Publikationen bzw. auch anspruchsvoller populärwissenschaftlicher Artikel. Man kann sich diesem Register aus verschiedenen Perspektiven annähern, einerseits über die Stilistik und Syntax und andererseits über die Lexik. Ersterer „Approach“ ist der von Werner Forner, letzterer wird von den Pionieren Phal (1968 und 1971) und Coxhead (1998 und 2000) vorgegeben und in der Sondernummer Tutin 2007a der «Revue française de linguistique appliquée » vertieft.

Definiert man die „allgemeine Wissenschaftssprache“ als eine Art „Fachstil“ mit spezifischen Ausdrucksmitteln, die – allerdings in geringerer Frequenz – auch in der Allgemeinsprache anzutreffen sind, so kann man versuchen, diese « langue scientifique générale » über ihre spezifischen stilistischen Merkmale zu beschreiben. Der Forscher, der sich diesem Programm für das Französische Jahrzehnte hindurch gewidmet hat, ist Werner Forner2. Er spricht von « style scientifique » bzw. von „registerspezifischen Vertextungs­strategien“ (stratégies de textualisation propres au registre scientifique). Um einen ersten Eindruck davon zu geben, was unter diese Bezeichnung fällt, kann man gewisse Konjunktionen anführen, weiters Aufzählungen, metatextuelle Verweise und andere Eigenheiten der Wissenschaftssprache:

2) d’une part – de l’autre/d’autre part ; d’un côté – de l’autre ; d’un autre côté premièrement… deuxièmement… troisièmement ; d’abord… ensuite… enfin ci-dessus, ci-dessous, ci-contre nous venons de voir que…

Elemente wie diese interessieren Werner Forner allerdings nur am Rande. Was er wirklich beschreibt, das ist eine Reihe von sprachlichen Procédés, die dazu beitragen, einem Text ein « air de spécialité », einen Anschein von Fachlichkeit, zu verleihen, die es also – in einer Art syntaktischer Kosmetik – genügt anzuwenden, damit ein Text sofort fachlich bzw. wissenschaftlich klingt (vgl. Forner 1985 und v.a. 1998). Hier ist die Liste jener sprachlichen Mittel, die laut Forner dieses « air de spécialité » ausmachen (vgl. Forner 1985, 206-207):

 die Nominalspaltung, durch die ein simples, bedeutungstragendes Substantiv sich in eine komplexe nominale Struktur verwandelt, in der der nominale Kern nur mehr eine sehr allgemeine kategoriale Bedeutung transportiert, während der eigentliche semantische Inhalt in ein spezifizierendes Relationsadjektiv verlagert wurde:

3) les forêts le patrimoine forestier les mines les ressources minières la production l’activité de production

 die Verbalspaltung, die ein einfaches, bedeutungstragendes Verb in einen komplexen Verbalausdruck überführt, in dem das neue Verb nur mehr eine sehr blasse, allgemeine Bedeutung hat und die eigentliche semantische Last auf ein nominales Objekt übergegangen ist:

4) investir effectuer un investissement planifier qc. faire la planification de qc. s’accroître connaître un accroissement

 Die Verbalspaltung ist ein Sonderfall der Nominalisierung; diese Nominalisierung ist das dritte charakteristische Procédé, das den „Fachstil“ nach Forner ausmacht. Durch sie verwandeln sich ganze Haupt- oder Gliedsätze in simple Nominalsyntagmen, die auf diese Weise als Module fungieren können, deren Kombination inhaltlich hoch komplexe, mit Bedeutung geradezu vollgestopfte Sätze ergibt; die Nominalisierung dient also vor allem der inhaltlichen Verdichtung:

5) la bourse est instable l’instabilité boursière les ventes ont fortement augmenté la forte augmentation des ventes la crise persistera encore plusieurs années la persistance de la crise dans les années à venir

Erinnern wir uns an dieser Stelle an die Nominalisierungen in unserem Beispiel (1):

6) l’immobilier coûte cher un coût de l’immobilier élevé il y a plus d’injustices et d’inégalités la montée des injustices et des inégalités l’immobilier devient rapidement plus cher une explosion du coût de l'immobilier

 Die durch Komprimierung erzeugten nominalen Module fungieren charakteristischerweise als Argumente von Relationsverben, das sind Verben, die genau genommen Konjunktionen ersetzen:

7) résulter de, empêcher, conduire à, précéder, signifier, être dû à, expliquer, impliquer, comporter…

Aus komplexen Sätzen werden so einfache Sätze mit Relationsverb und inhaltlich satzwertigen nominalen Argumenten. Nominalisierungen kombiniert mit Relationsverben bilden das komplexeste und wichtigste Procédé bei der von Forner beschriebenen Transformation eines allgemeinsprachlichen in einen fachsprachlichen Stil; hier eines seiner Beispiele für eine solche Transformation:

8) il y a moins d’exportations et pour cette raison il y a plus de chômage le déclin des exportations a conduit à une augmentation du chômage

Dazu passen zwei charakteristische Passagen aus unserem Beispiel (1):

9) (Si Paris […] attirait les 400 000 professionnels de la finance de la City […],…) l’immobilier deviendrait rapidement plus cher cela provoquerait une explosion du coût de l'immobilier Lorsque l’immobilier coûte cher, il y a plus d’injustices et d’inégalités et la situation de la population devient plus difficile un coût de l'immobilier élevé contribue à la montée des injustices et des inégalités et met en difficulté […] la population

Nun, da wir die von Forner ins Zentrum gerückten sprachlichen Mittel illustriert haben, stellt sich tatsächlich die Frage, ob es sich um Eigenheiten der Fachdiskurse, um Besonderheiten der Wissenschaftsdiskurse (als Teilmenge der Fachdiskurse) oder um Phänomene auf Registerebene handelt? Weder um Fachdiskurse noch um Wissenschaftsdiskurse ganz allgemein, würde ich meinen; denn der „Fachstil“, wie ihn Forner beschreibt, ist nicht für sämtliche Fachdiskurse charakteristisch, und auch nicht für sämtliche Wissenschaftsdiskurse. Er hat z. B. sehr viel mit Schriftlichkeit oder jedenfalls mit Distanzsprache im Sinne von Koch/Oesterreicher 1990 zu tun, sei es nun in wissenschaftlichen Publikationen oder in anspruchsvollen Divulgationstexten, wie man sie z. B. in der Qualitätspresse oder in Enzyklopädien findet. Es geht um das spezifische Register bestimmer Textsorten bzw. des „deskriptiv-argumentativen“ Texttyps. Deren Stil und seine typischen Procédés unterscheiden diese « Genres » deutlich von anderen, nicht-fachlichen Diskursen, z. B. von narrativen Texten (vgl. Wilde 1994, 101, apud Forner 2000, 219). Die beschriebenen sprachlichen Mittel verdienen also durchaus eine Analyse im Rahmen der Fachsprachenforschung.

Andererseits ist aber auch bekannt, dass Fachdiskurse weitaus vielfältiger sind als nur ihre schriftlich-formellen Varianten. Es gibt auch informelle, nähesprachliche Formen des Fachdiskurses, z. B. im schriftlichen Bereich fachspezifische Diskussionsforen im Internet, und natürlich im mündlichen Bereich die ganze Bandbreite mehr oder weniger spontaner, mehr oder weniger informeller Varianten, z. B. Diskussionen bei Tagungen und Projektmeetings. Dieser weniger formelle und v.a. mündliche Anteil an den Fachdiskursen sollte bei deren Untersuchung und Beschreibung immer auch mitgedacht werden.

Derselbe Einwand ist natürlich auch gegen den zweiten hier vorzustellenden Approach zu erheben, jenen, der über die „allgemein wissenschaftssprachliche“ Lexik geht, denn auch dieser beschränkt sich auf Fachdiskurse in der Form von schriftlichen wissenschaftlichen Publikationen (bzw. gelegentlich wissenschaftlichen Divulgationstexten). Gegenüber der „Fachstilistik“ von Forner konzentriert sich die Analyse hier auf die Lexik, ursprünglich in Form von Einzelwörtern, in jüngeren Studien auch vermehrt in Form von Phraseologismen und Kollokationen. Diese wird mit elektronischen Mitteln aus großen Korpora extrahiert und zu Ergebnissen in Form von Wortlisten verdichtet. Pionier ist für das Französische der bereits erwähnte Phal mit seinem Buch aus 1971 « Vocabulaire général d’orientation scientifique (VGOS) » (dazu auch schon Phal 1968). Die englische Entsprechung dazu stammt übrigens von Coxhead 1998 „An academic word list“ (bzw. 2000 „A new academic word list“).

Le vocabulaire scientifique général est […] commun à toutes les spécialités. Il sert à exprimer les notions élémentaires dont elles ont toutes également besoin (mesure, poids, rapport, vitesse, etc.) et les opérations intellectuelles que suppose toute démarche méthodique de la pensée (hypothèse, mise en relation, déduction et induction, etc.). (Phal 1971, 9 apud Pecman 2007, 85)

Man muss bis 2007 warten, bis eine Sondernummer der Revue française de linguistique appliquée sich dieses Themas vertiefend annimmt. Unter dem Titel « Autour du lexique et de la phraséologie des écrits scientifiques » sammelt Agnès Tutin Beiträge zur allgemeinen wissenschaftlichen Lexik und Phraseologie. Ich möchte darunter insbesondere Tutins Einleitung (Tutin 2007b) sowie die Artikel von Drouin 2007, Pecman 2007 und Blumenthal 2007 hervorheben.

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als könnte man hier auf eine systematische Analyse der „Mittleren Schicht“ gestoßen sein: Spricht doch Tutin in ihrer Einleitung von « un lexique de genre, entre terminologie et langue générale » (S. 5),3 und sie illustriert das Gemeinte (wie übrigens auch Pecman 2007), wie ich es oben getan habe, mit einer Passage aus einem wissenschaftlichen Text, in der nicht die Fachtermini hervorgehoben sind, sondern jene sprachlichen Mittel, die das diskursive Umfeld dieser Termini bilden. Hoch anzurechnen ist ihr auch, dass sie innerhalb des analysierten Texts mehrere Schichten (« strates lexicales ») unterscheidet und sogar noch innerhalb der nicht-allgemeinsprachlichen und nicht-terminologischen Elemente weiter differenziert, vgl. die Punkte 1, 2 und 3 im folgenden Zitat (S. 7):

1 Le lexique propre aux écrits scientifiques […]

2 Le lexique abstrait non spécialisé […]

3 Le lexique méthodologique disciplinaire […]

4 Le lexique terminologique […]

5 Le lexique de la langue « générale » ou « commune » […]

Sieht man sich jedoch die einzelnen Studien in dieser Sondernummer genauer an, so muss man erkennen, dass es den AutorInnen gerade nicht darum geht, disziplinspezifische nicht-terminologische Lexik zu erheben (das wäre in etwa Tutins Schicht 3, wobei ich ja nicht nur an methodologischer Lexik interessiert bin). Sie sammeln vielmehr (wie schon Phal und Coxhead) gezielt jene Lexik und jene Phraseologismen/Kollokationen, die in einer möglichst breiten Auswahl möglichst disparater Disziplinen gleichermaßen zur Anwendung kommen (also Tutins Schicht 1).

So arbeitet Drouin 2007 an einem Korpus französischer Dissertationen aus den Bereichen Psychologie, Recht, Geschichte, Geographie, Archäologie, Physik, Technik, Informatik und Chemie, das er gegen ein Vergleichskorpus der Zeitung « Le Monde » abhebt. Kriterium für seine Wortlisten ist, dass ein Ausdruck oder eine Kollokation in mindestens der Hälfte der von ihm untersuchten Fächerkorpora signifikant oft vorkommt.

Pecman 2007, der die Phraseolexik – also die Ausdrücke plus ihre syntaktische Konstruktion und Umgebung – untersucht, arbeitet an einem Korpus wissenschaftlicher Texte aus den « sciences dures », konkret aus den Disziplinen Biochemie, molekulare Chemie, Botanik, Biowissenschaften, Erdwissenschaften, Physik, Mechanik, Astronomie und Astrophysik. Auch ihm geht es darum, lexikalische Einheiten zu identifizieren, die sämtlichen Disziplinen gemeinsam sind. Er kommt zu dem Schluss, dass es eine „allgemeine Wissenschaftssprache“ auf der Ebene der Phraseolexik (im Gegensatz zur terminologischen Ebene) tatsächlich gibt. Auch hier bleiben wir allerdings in Tutins erster Schicht, auch wenn nicht der Anspruch erhoben wird, Aussagen über die lexikalischen Überschneidungen sämtlicher existierender Disziplinen zu treffen.

Sehr breiten Disziplinenbündeln widmet sich auch Blumenthal 2007, der zwei (populär-)wissenschaftliche Korpora vergleicht, eines aus den « Sciences de l’Homme » und eines aus den « Sciences exactes » (beide aus Enzyklopädien). Ihm geht es darum, durch das Studium der transdisziplinären Lexik der beiden Bereiche nachzuweisen, dass es sich tatsächlich um zwei ganz unterschiedliche Wissenschaftskulturen handelt. Auch hier sind die Fächerbündel zu breit, um meinem eigenen Interesse zu entsprechen, das ja jenen sprachlichen Mitteln gilt, die, ohne terminologisch zu sein, für eine Disziplin oder auch für ein kleines Bündel verwandter Disziplinen charakteristisch sind. Eben jene „Mittlere Schicht“, bei der noch immer eine regelrechte Forschungslücke klafft, die ich hier ein wenig zu schließen versuchen werde.

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