Читать книгу Romanistik und Wirtschaft - Группа авторов - Страница 5
Einleitung
ОглавлениеDas XXXIII. Romanistische Kolloquium, das vom 31. Mai bis 2. Juni 2018 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena veranstaltet wurde, widmete sich dem Thema „Romanistik und Wirtschaft“. In einer Zeit, in der Wirtschaft und Arbeitsmarkt durch rezente Phänomene wie Globalisierung, gemeinsame Märkte, länderübergreifende Handelsorganisationen, Zollunionen, Digitalisierung, neue Wirtschaftsformen – die mitunter sozial prekäre Beschäftigungsverhältnisse implizieren – starken Veränderungen unterworfen sind, ist es eine der zentralen Aufgaben der Linguistik, die sprachlichen Auswirkungen und Implikationen dieser rezenten Entwicklungen zu thematisieren und aufzuzeigen, welche diskursiven Realitäten konstruiert, welche sprachlichen Verschleierungsstrategien angewandt werden, welche neuen Textsorten interkulturell hervorgebracht werden, welche konzeptionellen Asymmetrien in den Wirtschaftssprachen verschiedener Länder auftreten, welche assoziativen ergonymischen Strategien angewandt werden, welche machtpolitischen Auswirkungen die Sprachenwahl gemeinsamer Märkte mit sich bringt u.v.m..
Die Beiträge des Bandes widmen sich dementsprechend in erster Linie zwei großen Themenbereichen: einerseits der Auseinandersetzung mit der aktuellen Fachsprache Wirtschaft in der Romania, andererseits der Ergonymik und Neologismenbildung in den romanischen Sprachen. Daran schließen sich zusätzlich Ausblicke auf die Sprachpolitik gemeinsamer Märkte, auf die textuelle Darstellung historischer wirtschaftlicher Realitäten, auf universitäre Studienmöglichkeiten von Wirtschaft und Sprache, sowie auf zukünftige Betätigungsfelder und Desiderata an.
Konkret thematisiert dieser Band verschiedene Zusammenhänge, die zwischen Romanistik und Wirtschaft bestehen. Ausgehend von der Frage, ob die Annahme einer klaren Dichotomie zwischen wirtschaftlicher Fachsprache und Allgemeinsprache ausreiche, oder eine „Mittlere Schicht“ zusätzlich anzusetzen sei, führt der Band weiter zu neuen, digital bedingten Wirtschaftsformen und der Sprachverwendung in diesen neuen Kontexten. In der Folge wird die relative Einheitlichkeit von Fachsprache durch die Hegemonie des Englischen thematisiert, gleichzeitig auf bestehende fehlende Bedeutungsentsprechungen deutscher und spanischer Wirtschaftstermini eingegangen. Der Band führt weiter zu einem innerhispanophonen Vergleich kultureller Anpassung anhand der Textsorte Nachhaltigkeitsbericht. In der Folge wird der bestehende linguistische Informationsbedarf im Bereich des Marketings thematisiert und ausgehend von kognitionslinguistischen Theorien das funktionale Spektrum von Metonymien im Marketing beschrieben. Es folgt eine Betrachtung von Synonymie und Konzernabschlüssen. Weiter führt der Band in den Bereich der Produktonomastik, geht auf romanische Namen sowohl in Deutschland als auch in Italien ein und zeigt Benennungsstrategien von WLAN-Netzen in Frankreich und Italien. Im Anschluss werden anthroponymbasierte blendings in der Mediensprache thematisiert. Es folgt die Auseinandersetzung mit der Sprachenfrage von Handelsorganisationen wie CARICOM und deren Auswirkungen. Die historische Perspektive wird mit der Betrachtung der Pesme Aventures in Chrestiens Yvain (um 1170) als Abbildung der wirtschaftlichen Realität der Zeit und Hinterfragung deren Funktion aufgegriffen. Der Band schließt mit Ausblicken auf Studienmöglichkeiten von Romanistik und Wirtschaft an deutschen Universitäten und der Formulierung von nach wie vor bestehenden Desiderata in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Romanistik und Wirtschaft.
Die einzelnen Beiträge gestalten sich dabei wie folgt: Den Einstieg bildet der Beitrag von Eva Lavric („Zwischen Terminologie und Allgemeinsprache“), die argumentiert, dass das Ansetzen einer Dichotomie Allgemeinsprache vs. Fachsprache Wirtschaft nicht ausreicht, sondern vielmehr zusätzlich eine „Mittlere Schicht“ anzunehmen ist. Darunter versteht Lavric nicht-terminologische sprachliche Elemente, die durch ihre Frequenz und Funktion bestimmte – aber nicht alle – fachsprachlichen Diskurse kennzeichnen, wobei verwandte Fächer quasi gebündelt gewisse semantische (beispielsweise Sport-Metaphern wie Wettrennen) und syntaktische Elemente bevorzugen.
Im Anschluss thematisiert Antje Lobin die „Sprachverwendung im digitalen Arbeitsmarkt“. Sie zeigt, dass die Digitalisierung zu tiefgreifenden Veränderungen des Arbeitsmarktes geführt hat, die neue Wirtschaftsformen und Beschäftigungsmodelle, wie etwa die Gig-Economy, hervorgebracht haben. Diese gesellschaftlichen und unternehmerischen Entwicklungen schlagen sich auch im Sprachgebrauch nieder. Um den hier implizierten vielfach geringeren Grad an Bindung und Verantwortung gegenüber den (Gelegenheits-)Beschäftigten zu kaschieren, werden euphemistisch Argumente wie Selbstbestimmung und Autonomie angeführt sowie eine Rhetorik der Vergemeinschaftung gewählt. Die entsprechenden Begrifflichkeiten und Benennungsmuster können zu den Konzepten der political correctness oder des doublespeak in Beziehung gesetzt werden. In einer Fallstudie zum Italienischen und Französischen beleuchtet und systematisiert die Verfasserin diese.
Weiterführend geht Franz Rainer („Semantisch-konzeptuelle Asymmetrien zwischen deutscher und spanischer Wirtschaftssprache“) auf die Fachsprache der Wirtschaft ein. Er zeigt, dass diese vor allem durch die Hegemonie des Englischen, in ihrer begrifflichen Struktur über die Sprachen hinweg außerordentlich homogen ist. Dennoch stößt man bei der Suche nach Entsprechungen zwischen deutschen und spanischen Wirtschaftstermini immer wieder auf Fälle, in denen keine genaue Übereinstimmung in den Bedeutungen gegeben ist. In Franz Rainers Beitrag, der aus der lexikographischen Praxis erwachsen ist, wird auf der Basis von Andreas Blanks Bedeutungsbegriff eine Systematisierung der angetroffenen Asymmetrien unternommen.
Auf die Textsorte Nachhaltigkeitsbericht gehen im Anschluss Pilar Pérez Cañizares und Johannes Schnitzer ein („Corporate Social Responsibility kommunizieren: Intertextuelle Beziehungen in den Nachhaltigkeitsberichten des spanischen Unternehmens Gas Natural Fenosa“): Corporate (Social) Responsibility (CSR) und Nachhaltigkeit sind in der kurzen Zeit ihres massiven Gebrauchs zu Schlüsselwörtern in der Unternehmenskommunikation avanciert. Die Textsorte Nachhaltigkeitsbericht ist bisher jedoch aus linguistischer Perspektive eher wenig untersucht worden. Insbesondere die Frage ihrer Entwicklung und ihrer Anpassung an unterschiedliche Kulturräume ist weitgehend unerforscht. Beiden Fragen wird in diesem Beitrag anhand einer exemplarischen Analyse nachgegangen. Zu diesem Zweck wurden die CSR-Berichte eines spanischen Unternehmens mit starker Präsenz in lateinamerikanischen Ländern unter zeitlicher und regionaler Perspektive miteinander verglichen, um Unterschiede und Parallelitäten zwischen diesen Dokumenten festzustellen. Die Ergebnisse dieser ersten Untersuchung weisen darauf hin, dass sich das Spannungsfeld zwischen Adaptierung und Beibehaltung einer konzernweiten Identität komplexer darstellt, als man intuitiv vermuten würde.
Im Kontext von Marketing und Linguistik ist Regina Gökes Beitrag „Das funktionale Spektrum der Metonymie. Beispiele aus Marketingtheorie und -praxis“ angesiedelt, der von kognitonslinguistischen Theorien ausgehend Metonymie und deren funktionales Spektrum beschreibt. Denn obwohl das Fach Marketing tendenziell eher quantitativ ausgerichtet ist, gibt es qualitative, sprachorientierte Forschungsansätze. Diese Arbeiten stellen vor allem Metaphern ins Zentrum ihrer Betrachtungen. Andere Tropen wie die Metonymie oder die Synekdoche bleiben eher ausgeklammert oder werden als Unterarten der Metapher aufgefasst. Zudem werden aktuelle kognitionslinguistische Theorien kaum berücksichtigt. Insgesamt besteht innerhalb des Marketings also ein linguistischer Informationsbedarf, und dieser wird neuerdings auch von qualitativ orientierten Marketingforschern aufgezeigt. An dieser Schnittstelle zwischen Marketing und Linguistik ist Regina Gökes Beitrag zu verorten. Er geht von aktuellen kognitionslinguistischen Theorien aus und beschreibt anhand verschiedener Beispiele aus Marketingtheorie und -praxis das funktionale Spektrum von Metonymien. Darüber hinaus werden Forschungsdesiderata in diesem interdisziplinären Grenzbereich benannt.
Lexikalische Relationen behandelt auch Miriam Leibbrand in ihrem Beitrag „Zur Synonymie in der französischen Wirtschaftssprache am Beispiel einer Textsorte der externen Unternehmenskommunikation“. Die Verfasserin setzt sich mit Synonymie am Beispiel von Konzernabschlüssen börsennotierter Unternehmen auseinander und orientiert sich dabei an empirisch erhobenen Daten authentischen Sprachgeschehens.
Es folgt eine Reihe von Beiträgen, die (produkt-)onomastische Fragestellungen thematisieren. So der Beitrag von Elke Ronneberger Sibold („Carlo Colucci Uomo Mare und Chevalier de Bayard. Romanische Sprachen in deutschen Markennamen (1894 – 2008)“), in dem die Verfasserin zeigt, dass romanische Sprachen in deutschen Markennamen vor allem verwendet werden, um sowohl das benannte Produkt durch positive Assoziationen mit den entsprechenden Ländern als auch seinen Käufer oder seine Käuferin durch die (unterstellte) Kenntnis der romanischen Sprachen und Kulturen aufzuwerten. In beiden Hinsichten unterscheiden sich vor allem das Französische einerseits und die Sprachen der Mittelmeerreiseländer Italienisch, Spanisch und Portugiesisch (im Beitrag „romanisch“ genannt) andererseits. Auch die vorwiegenden sprachlichen Mittel zur Erzeugung der positiven Assoziationen und die bevorzugt benannten Waren sind verschieden. Von 1894 bis 1994 wechselten sich „französische“ und „romanische“ Epochen ab. Erst im neuen Jahrtausend werden die französischen Namen durch spezifisch italienisch markierte abgelöst. Die historische Entwicklung lässt sich weitgehend durch die parallele politische, soziokulturelle und wirtschaftliche Geschichte Deutschlands erklären.
Während sich Ronneberger-Sibold mit romanischen Namen in Deutschland auseinandersetzt, thematisiert Paola Cotticelli in ihrem Beitrag „Echo der anderen romanischen Sprachen in italienischen Markennamen. Konnotationen im Vergleich“ fremdsprachige Ergonyme in Italien. Sie untersucht die Verwendung von Fremdsprachen in italienischen Markennamen und zeigt, dass diese den wechselnden sprachpolitischen Tendenzen im Laufe des 20. Jahrhunderts entsprechen. Waren demnach am Anfang des 20. Jahrhunderts fremdsprachliche Markennamen noch selten zu finden, und wenn überhaupt, nur für bestimmte Produkte, werden vor allem anglisierte Namen seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts häufiger gebraucht. Cotticelli zeigt jedoch, wie es sich mit Markennamen verhält, die sprachlich den romanischen Sprachen näherstehen und analysiert ihre Verwendung in Bezug auf die damit verbundenen Konnotationen.
Nadine Rentel stellt in ihrem Beitrag „Strategien der Benennung von WLAN-Netzen in der Romania“ französisch- und italienischsprachige Benennungen von öffentlichen und privaten WLAN-Netzen gegenüber und zeigt, dass die bei klassischen Produktnamen zu beobachtende werbende und valorisierende Funktion bei der Benennung von WLAN-Netzen eine weit geringere Rolle spielt. Daher sind z. B. öffentliche, frei zugängliche WLAN-Netze wenig originell, dafür aber transparent benannt, während private Access-points selbstcharakterisierende oder zitierende Benennungen aufweisen.
Einen Blick auf die Mediensprache und die hier intendierte werbende bzw. Aufmerksamkeiterregende Funktion von diskursiven Elementen werfen Holger Wochele und Fiorenza Fischer in ihrem Beitrag „Neologismen in der italienischen Mediensprache. Entwicklungstendenzen in der Wortbildung und Erklärungsversuche zu möglichen auslösenden Faktoren“. Sie thematisieren als Neologismen in der Mediensprache auftretende binäre anthroponymbasierte blendings wie z. B. Renzusconi und analysieren diese phonologisch, semantisch und pragmatisch.
Auf die Betrachtung von Benennungsstrategien im (weiten) Marketingkontext folgt die Auseinandersetzung mit der Sprachpolitik gemeinsamer Märkte. So thematisiert Andre Klump in seinem Beitrag „Lang kreyòl kòm dezyèm lang ofisyel“ die Sprachenfrage in der regionalen Handelsorganisation CARICOM. Es zeigt sich, dass ähnlich wie im Falle des Gemeinsamen Marktes Südamerikas, dem MERCOSUR, bei dem im Jahre 2006 eine indigene Sprache – das Guaraní – als dritte offizielle Sprache neben dem Spanischen und Portugiesischen eingeführt wurde, auch die Karibische Gemeinschaft CARICOM seit 2011 die strategische Frage der Institutionalisierung einer neuen Verwaltungs- und Arbeitssprache neben dem Englischen bewegt. Die damalige Forderung des haitianischen Präsidenten Michael Martelly, diesen Status dem Französischen zu verleihen, löste in seinem Land eine lebhafte Sprach(en)debatte zum Stellenwert des Kreyòl ayisyen aus. Andre Klumps Beitrag dokumentiert am Beispiel Haitis, wie die Sprachpolitik länderübergreifender Handelsorganisationen, regionaler Märkte und Zollunionen einen öffentlichen nationalen Diskurs um Potential, Wertigkeit und Funktionalität des eigenen Idioms auslösen können.
Historisch ausgerichtet ist der Beitrag von Philipp Burdy „S’est riches de nostre desserte Cil, por cui nos nos traveillons. Ein früher französischer Wirtschaftsdiskurs (Chrestien de Troyes, Yvain, vv. 5191–5337)“, der die Episode der Pesme Aventure in Chrestiens Yvain (um 1170) thematisiert. Diese ist bereits vielfach kommentiert und gedeutet worden, und zwar mehrheitlich als Abbildung sozialer und wirtschaftlicher Realität im Frankreich des 12. Jahrhunderts. Burdys Beitrag liefert einen Überblick über die fachwissenschaftliche und publizistische Rezeptionsgeschichte dieser Textstelle, die durch ihre ökonomische Aktualität überrascht, geht auf textkritische Probleme ein und wirft erneut die Frage nach möglichen Quellen und der Funktion der Passage auf.
Die beiden abschließenden Beiträge von Anna Scheer („ʻWirtschaft und Sprachenʼ. Vorstellung eines interdisziplinären Studienprogramms der Friedrich-Schiller-Universität Jena“) und Otto Winkelmann („Wirtschaftsromanistik. Erfahrungen und Perspektiven“) führen zurück in die Gegenwart und blicken in die Zukunft. Die VerfasserInnen stellen Studiengänge an deutschen Universitäten (wie die Friedrich-Schiller-Universität Jena und die Justus-Liebig-Universität Gießen) vor, die Romanistik und Wirtschaft verbinden. Otto Winkelmann formuliert zudem ausblickend aus seiner Sicht weiterhin bestehende Desiderata und zeigt auf, welche Bereiche im Kontext „Romanistik und Wirtschaft“ zukünftig noch zu bearbeiten bleiben.
Die HerausgeberInnen bedanken sich bei Kathrin Heyng (Narr Francke Attempto Verlag) für die Betreuung der vorliegenden Publikation sowie bei Claudia Brauer für ihre unermüdliche, umsichtige und sorgfältige Unterstützung bei der Erstellung der Druckvorlage.
Lidia Becker
Julia Kuhn
Christina Ossenkop
Claudia Polzin-Haumann
Elton Prifti