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2. Kritische Perspektivierung der spezifischen Gegenstände des Fremdsprachenunterrichts: Sprache, Literatur, Cultural Studies

Bereits im einführenden Kapitel zu diesem Band macht Gerlach auf die möglichen Bezugskontexte einer kritisch orientierten Fremdsprachendidaktik aufmerksam, die in der Kritischen Theorie nach Adorno (1971) und der Kritischen Pädagogik nach Freire (1976, 2014) liegen. Die Diskussion soll hier nicht wiederholt werden, wohl aber sollen einige Grundzüge kritischer Ansätze dargelegt werden, die besonders im Hinblick auf die in den sprachlichen Fächern verhandelten Inhalte und Gegenstandsbereiche, nämlich Sprache, Literatur und Cultural Studies, relevant sind.

Sprache

Für den Gegenstandsbereich der Sprache und Kommunikation ist zunächst die Critical Language Awareness (CLA) in der Tradition Faircloughs (2015 [1989], 1992) zu nennen, welche ein tieferes Verständnis sozialer, politischer und ideologischer Aspekte des Sprachgebrauchs beschreibt und als pädagogische Anwendung einer kritischen Diskursanalyse (Critical Discourse Analysis) verstanden wird. Die kritische Diskursanalyse bezieht sich auf Foucaults (1971) Diskursbegriff, der die Regelmäßigkeiten und Strukturen fokussiert, welche eine bestimmte Sprech- und Ausdrucksweise im gesellschaftlichen Kontext bestimmen. Dabei geht es nicht um linguistische Normen, sondern um ein Verständnis sozialer diskursiver Praktiken: Welcher Sinnzusammenhang wird durch eine sprachliche Darstellung erzeugt bzw. perpetuiert? Welche spezifischen Interessens- und Machtstrukturen liegen dieser Darstellung zugrunde?

Im Rahmen der Critical Language Awareness bezeichnet insbesondere das Adjektiv ‚kritisch‘ (im Vergleich zur allgemeinen Language Awareness, die eher sprachspezifisches Wissen fokussiert) ein Bewusstsein für die systematischen Zusammenhänge von Macht und Sprache im gesellschaftlichen Kontext, das es zu entwickeln und in der Folge wiederum für das eigene gesamtgesellschaftlich relevante Handeln nutzbar zu machen gilt. CLA beschäftigt sich also ebenso mit der Frage, welche sprachlichen Merkmale Macht- und Dominanzstrukturen hervorbringen und verstärken oder auch herausfordern und hinterfragen. Ein zentrales Konzept in diesem Zusammenhang ist das der ‚Sprachideologie‘ (language ideology), die Razfar/Rumenapp (2012: 349) wie folgt definieren:

Language ideologies, or the ideas and beliefs about language held by a group of people, are actively performed in society. It is an effective process in which the beliefs and views held by a group of people underlies the actions and behaviours of that social group. Language ideologies include the ideas society holds towards language and how these beliefs and ideas relate to the way society uses and acts towards language […]. They represent ideas of power and identity as construed by a society […].

Auf der Basis von Sprachideologien lässt sich betrachten, wie Prozesse individueller Diskriminierung und gesellschaftlicher Marginalisierung sprachlich indiziert sein können, wenn sie nämlich auf einer Zuschreibung eines bestimmten Sprachgebrauchs zu einer ethnischen Gruppe, einer religiösen Gemeinschaft, einer sozialen Klasse oder einer Genderidentität basieren und diese somit die Grundlage diskriminierender bzw. marginalisierender Praktiken und Diskurse bildet. Ebenso zeigt sich, dass die pragmatische Frage, was eine angemessene Sprachverwendung ist, auf der Basis einer sprachideologischen Betrachtung nur dann sinnvoll zu beantworten ist, wenn zugleich mitreflektiert wird, wer auf welcher Grundlage diese Entscheidung trifft und was die Implikationen für die Sprecher*innen sind, die sich durch einen vermeintlich angemessenen Sprachgebrauch auszeichnen, und solche, die es nicht tun. Alles in allem ist es also das Anliegen der CLA zu analysieren, wie sich Gesellschaft und Diskurs gegenseitig formen und beeinflussen.

Literatur

Für den Gegenstandsbereich der Literatur findet sich kein vergleichbares Konzept, das sich beispielsweise mit einer kritischen literarischen Bewusstheit bezeichnen ließe. Wohl aber zeigen Überlegungen zur Literatur, dass diese neben einer gesellschaftsstabilisierenden Funktion, welche zwar nicht ausschließlich aber doch überwiegend affirmativ gegenüber bestehenden sozialen Ordnungen und gesellschaftlichen Praktiken ist, immer auch eine reflexive Funktion hat: „Diese Reflexion schafft im literarischen Zeugnis die Distanz zu den dargestellten Verhaltensweisen und Bewußtseinsformen und erlaubt damit dem Rezipienten die distanzierte Kenntnisnahme und Verarbeitung der Verhaltensstandards.“ (Wild 1982: 119) Mit ihrer subversiven Kraft ist diese Funktion als kritische zu bezeichnen. Literatur hat also immer schon die Fähigkeit, in gesellschaftliche Debatten einzugreifen, politisch wirksam zu sein und Diskurse zu beeinflussen. Diese Dimension der Literatur wird im Fremdsprachenunterricht allerdings eher selten zum Thema gemacht, wohl auch weil hier höchst komplexe Zusammenhänge zu erfassen wären und keine einfachen Kausalbeziehungen zwischen einem spezifischen literarischen Werk und übergreifenden gesellschaftlichen Entwicklungen hergestellt werden können.

Ein kritischer Ansatz, der hingegen bereits auf textimmanenter Ebene zu erfassen ist, ist Bestandteil literarästhetischer Bildung. Das Lesen literarischer Texte wird hierbei als dialektisches Zusammenwirken von persönlicher Involvierung mit dem literarischen Text, also einer Identifikation mit oder Alterität zu Hauptfiguren oder Inhalten, sowie kritischer Distanzierung zum Gelesenen verstanden (Delanoy 2002: 65). Das Kritische bezieht sich hier weniger auf die Dimension gesellschaftlicher Kritik als vielmehr auf eine Befähigung, die Merkmale und Wirkungsweisen der stilistischen Gestaltung und damit die Produziertheit literarischer Texte zu erfassen. Delanoy (2002: 63) sieht die Rolle der Leser*innen als aktiv, kritisch mitschaffend und im Denken gefordert. Der literaturdidaktische Ansatz rekurriert hierbei auf rezeptionsästhetische Positionen, die betonen, dass die Bedeutung literarischer Texte nicht nur der Textvorlage selbst eingeschrieben sind, sondern aktiv von den Leser*innen in ihren bestimmten Kontexten konstituiert wird (vgl. Iser 1976). Das Füllen von Leer- oder Unbestimmtheitsstellen vonseiten der Rezipient*innen ist somit Teil eines kritisch-reflexiven Verstehensprozesses, der auch in einem kritischen orientierten Fremdsprachenunterricht nutzbar gemacht werden kann. Die Möglichkeit der zu bearbeitenden Leerstellen ist abhängig von der Materialauswahl und rekurriert auf dieselbe Frage, die wir oben aufwerfen, nämlich welchen Stimmen Gehör verschafft wird. Auch hier ist also eine politische Dimension involviert.

Cultural Studies

Für den Gegenstandbereich der Cultural Studies finden sich wiederum Konzepte, die sich analog zu Faircloughs Konzept der kritischen Sprachbewusstheit mit Critical Cultural Awareness bezeichnen lassen (vgl. Moncada Linares 2016, Krulatz et al. 2018). Sie beziehen sich in erster Linie auf die Arbeiten von Byram (1997, 2012) und damit auf den Nexus Sprache-Kultur. Critical Cultural Awareness ist die zentrale Kategorie in Byrams Modell interkultureller kommunikativer Kompetenz und wird dort definiert als „an ability to evaluate critically and on the basis of explicit criteria perspectives, practices and products in one’s own and other cultures and countries“ (Byram 1997: 53). Während man Byrams Arbeiten durchaus eine ähnliche Wirkmächtigkeit wie den Arbeiten Faircloughs attestieren kann und es sicher ihr Verdienst ist, die relationale Positionierung eigener und fremder kultureller Erfahrungen in den Fokus zu stellen, sind sie vor allem deswegen zu kritisieren, weil sie auf einem wenig entwickelten, Binaritäten verstärkenden, länder- bzw. nationenbasierten Kulturbegriff basieren, wie es bereits in der Definition deutlich wird. Byram selbst verhehlt dieses nicht und macht deutlich, dass es ihm (zunächst) um ein praktikables und praxisbezogenes Konzept für Fremdsprachenlehrer*innen zur Vorbereitung von Begegnungen (z.B. in Form von Studienreisen oder Schüler*innenaustauschen) geht (für eine ausführlichere Kritik vgl. Viebrock 2018). Zugleich ist aber unbestritten, dass mit dem Konzept die Möglichkeit der Reflexion kulturell diverser und komplexer Gesellschaften und deren Relation zur individuellen sozialen Identität ermöglicht und gar eingefordert wird: „[…] thus, it has become imperative to approach learners to explore cultural complexity and multiplicity, so that they face a different social identity while questioning their own“ (Moncada Linares 2016: 130). Critical Cultural Awareness hat auf einer Metaebene also immer auch die eigenen begrifflichen Voraussetzungen in den Blick zu nehmen.

Eine kritische Diskussion des Kulturbegriffs (einschließlich der Konzepte der Inter- und der Transkulturalität) wird in der Fremdsprachendidaktik bereits seit über zwei Jahrzehnten geführt. Sie oszilliert zwischen Positionen, die davon ausgehen, dass eine kritische Bewusstheit, eine begriffliche Offenheit und reflexive Dimension bereits im Begriff des Interkulturellen eingeschrieben sind und dieser daher ausreichend ist (vgl. Delanoy 2014), bis hin zu Forderungen, den Kulturbegriff gänzlich zu ersetzen, z.B. durch den Diskursbegriff im Foucault’schen Sinn, womit eine ‚fremdsprachige Diskursbewusstheit‘ (Plikat 2017) zum zentralen Anliegen eines kritischen Fremdsprachenunterrichts werden würde. Auch wenn Plikat sein Konzept selbst nicht ‚kritisch‘ nennt, rückt es mit der Aufnahme von Foucaults Diskursbegriff und einer Bezugnahme auf die oben zitierten Arbeiten Faircloughs in die Nähe der Critical Language Awareness und verdeutlicht auf diese Weise die enge Verbindung von Sprache und Kultur bzw. Diskurs. In gewisser Weise fallen Critical Language Awareness, Critical Cultural Awareness und fremdsprachige Diskursbewusstheit damit zusammen bzw. bezeichnen eine ähnliche konzeptionelle Vorstellung aus etwas unterschiedlichen Perspektiven.1

Kritische Fremdsprachendidaktik

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