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Wer ist eigentlich unzufrieden und aus welcher Perspektive?

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Gemeinhin wird gerne angeführt, dass es sich bei den hohen Zufriedenheiten auch um ein methodisches Artefakt handeln könnte, eben der quantitativen Forschung, die aufgrund ihrer Frage-Items weniger sensibel scheint, wie Meinolf Peters (1988) mit Blick auf Ergebnisse der Jugendforschung in den 1980er-Jahren notierte. Er mahnte, dass wir skeptisch sein sollten, wenn sich die allgemeinen Diagnosen von Problemlagen in den Ergebnissen der Umfrageforschung nicht wiederfinden. Eine solche Methodenkritik ist sicherlich nicht unberechtigt, und es hat sich in den letzten drei Jahrzehnten wohl auch deshalb eine qualitative Juventologie konturiert, die phänomensensitiver arbeitet (vgl. Mey 2018c).

Wenn aber in Kritiken solche generell hohen Zufriedenheitswerte angezweifelt werden, bleibt rückzufragen, ob damit der Vorwurf einhergeht, dass jene Jugendlichen übersehen werden könnten, die weniger zufrieden sind, oder ob damit unterstellt wird, dass Handlungsbedarf erst angezeigt sei, wenn die Mehrheit der Jugendlichen Probleme „hat“ (bzw. aus Sicht der Politik „macht“). Es wirkt zuweilen so, als ob „gefühlt“ eher umgekehrte Verteilungen angenommen werden, also nicht, dass je nach in den Studien erfragten Gegenstandsbereichen (von Freizeit, Medien, Arbeit etc.) „nur“ ein Fünftel der Jugendlichen Negativpole bei Items ankreuzen, sondern die Annahme vorherrscht, dass mithin fast alle Jugendlichen unzufrieden sind, zumindest aber sein müssten. Eine solche These verkennt zum einen, dass ein Großteil der Jugendlichen eben weniger Probleme äußert (antizipiert) als vermutet, zum anderen wäre zu fragen, was es für eine gesellschaftliche Wirklichkeit wäre, wenn die große Mehrheit der Jugendlichen ihre Lage als sehr problematisch einstuft und mehrheitlich pessimistisch ist. Solche Eindrücke scheinen möglicherweise einige gängige Tendenzen in der Jugendforschung zu spiegeln, sowohl in Form von Generalisierungen – so wurde das plakative „No Future“ der Punks einfach für die gesamte Generation als Label vergeben – als auch von Vernachlässigung von Differenzierungen. Besonders eindringlich zeigte sich dies beim über die Jugendforschung hinaus publik gemachten empirischen Befund eines „weit verbreiteten Zukunftspessimismus“ der Shell-Studie Jugend ’81 (Jugendwerk der deutschen Shell 1981). Die vor dem Hintergrund von Kriegsgefahr, dem Ausbau des AKW-Netzes, Umweltkatastrophen und Jugendarbeitslosigkeit generell diagnostizierte Verunsicherung war ein Artefakt, da aufgrund der Itemformulierung nicht eindeutig auf eine gesellschaftliche oder eine individuelle Zukunftssicht geschlossen werden konnte.

Ein Weiteres ist, dass bei der Bewertung von Surveys – und dem verschieden ausfallenden Urteil, dass die Daten „schon stimmen“ oder „so nicht stimmen können“ – diese gerne mit Studien konfrontiert werden, die weniger auf eine große Zahl setzen. Denn anders als in repräsentativen Umfragen (wie z. B. des Thünen-Instituts; siehe dazu den Beitrag von Küpper/Mettenberger in diesem Band) oder die in diesem Band dokumentierte WIR-Studie (Ollendorf u. a.) finden sich in fallbasierten Untersuchungen gleichwohl häufiger Problemberichte und Darstellungen, die auf Unzufriedenheiten unter den Jugendlichen hinweisen. Allerdings sagen die in solchen Studien herausgearbeiteten Typiken (siehe Beierle in diesem Band) nichts über die Repräsentanz, nicht einmal etwas über die Verteilung aus.

Schließlich finden sich viele Einsichten und Meinungen über die Lebenslage von Jugendlichen aus der Perspektive von Erwachsenen, seien es Expert*innen aus den verschiedenen Bereichen der Jugend(sozial/kultur) arbeit und generell von mit jugendbezogenen Fragen befassten Multiplikator*innen (z. B. aus der Jugendpolitik). Bei diesen ist zuweilen ein sehr spezifischer Fokus schon professionell bedingt auszumachen aufgrund ihrer Zuständigkeiten für z. T. spezielle Gruppen. Und generell gilt, dass diese Gruppen wie der gesamte Forschungssektor im Grunde als ein intergenerationales Geschehen aufzufassen und zu thematisieren ist. Allgemein ließe sich sagen, dass aufgrund dessen immer auch Projektionen virulent sein können, welche die Jugend als Lebenslaufkategorie von Beginn an – und das meint seit der Antike und deren Warnung vor der Verderbtheit der nachwachsenden Generation – begleiten. Aus dieser Logik resultiert, Jugend entweder als „Heilsbringer“ oder als „Sündenbock“ zu betrachten, die entweder alles besser machen soll oder die schlimmer ist als die vorhergehenden und derer man nicht sicher sein kann (Wirth 1984). Hinzukommt die Vermutung, dass die jeweils vorangegangene Generation (also die Jugendgeneration, der die Sprechenden selbst angehörten) „besser“ – und nicht etwa nur „anders“ – war. Insofern ist Jugend immer eine relationale Kategorie und immer nur in der generationalen Lagerung zu sehen. Dies impliziert, dass die Diskussion mit und über die Jugend nur intergenerational zu verstehen ist.

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