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2 Theoretische Aspekte der Fallarbeit in der Logopädie
ОглавлениеDie Praxis der Logopädie nimmt auf Theorien und Modelle Bezug.
Auf der Grundlage ethischer Prinzipien, die mit den Begriffen Wertschätzung und Einbezug beschrieben werden können, muss das geplante therapeutische Vorgehen plausibel und logisch und damit über Begründungen nachvollziehbar sein. Ethik und Logik werden für die Bearbeitung eines Falles über folgende vernetzte Kompetenzen zusammengebracht:
• Die Theoriekompetenz betrifft die Anwendung von Wissen aus den Bezugswissenschaften Pädagogik, Psychologie, Soziologie, Linguistik und Medizin sowie die Routine in der Recherche nach externer Evidenz. Zusätzlich ist ein Wissen um fachliche Fakten wie Prävalenz, Komorbidität und komplexe Einflussfaktoren im Rahmen der Symptomatik entscheidend.
• Die Beobachtungskompetenz bezieht sich darauf, Situationen allgemein und das Sprach- und Kommunikationsverhalten sowie Kompensationsstrategien der Klienten speziell zu beschreiben und einzuordnen. Die Abgrenzung von Beobachtung und Interpretation ist dabei massgeblich. Das eigene therapeutische Sprach- und Kommunikationsverhalten ist somit Gegenstand der speziellen Beobachtung. Auch die Anleitung der Klienten zur Selbstbeobachtung und dem Umgang mit Fremdbeobachtung ist Teil dieser Kompetenz.
• Die Handlungskompetenz bezieht sich auf die Umsetzung von Leitlinien, Richtlinien oder Empfehlungen für die Praxis und die Anwendung von konkurrierenden oder sich ergänzenden diagnostisch-therapeutischen Tools (Verfahren, Tests, kreative und strukturierte Methoden).
• Durch die Reflexionskompetenz gelingt die Steuerung des Prozesses, damit Transparenz und Einbezug für alle Beteiligten hinsichtlich Entscheidungen und Bilanzierungen im Prozess entsteht.
Auch Intervision und Supervision sowie Weiterbildung sind hier eingeschlossen. In einem weiteren Sinne ist auch ein berufspolitisches Engagement im Sinne der Parteinahme für Menschen mit einem vorübergehenden oder dauerhaften Nachteil zu verbuchen.
Im Rahmen der interprofessionellen Zusammenarbeit ist es günstig, wenn eine Institution eine Kultur der Reflexion lebt und dafür Zeit und Raum zur Verfügung stellt (vgl. Steiner 2018).
Reflexion als verbindende Kompetenz
Die vier genannten Kompetenzen sind die Grundsäulen professionellen Arbeitens. Beushausen (2009) weist darauf hin, dass (deklaratives) Wissen im Rahmen der Theoriekompetenz meist explizit, also benennbar, während prozedurales Wissen des Handelns teils zunächst implizit sei und durch Reflexion im Laufe eines Zugewinns an Routine ebenso explizit wird. In diesem Sinne hat die Reflexionskompetenz eine gewisse Vorrangstellung. Sie bezieht sich auf
• das Bevor der Intervention (Struktur-Reflexion für die Planung),
• das Während der Therapie (Prozess-Reflexion der Aktion) und
• das Nach der Therapie (Ergebnis-Reflexion im Hinblick auf die Ziele).
Die Logopädin benötigt darüber hinaus eine selbstreflexive Haltung, indem sie sich selbst in ihren professionellen Bezügen und spezifischen Verhaltens- und Arbeitsweisen beobachtet, analysiert und reflektiert. Durch die Reflexion werden Denken und Handeln miteinander verbunden und wichtige Informationen über die Effektivität der therapeutischen Intervention gewonnen (Beushausen 2009).
Für eine zielführende Reflexion sind schriftliche Notizen empfehlenswert, die als Gesprächsgrundlage herangezogen werden können. Reflexion sollte idealerweise in Kommunikation mit den Klienten, den Angehörigen, dem interdisziplinären Team und auch mit den Fachkolleginnen und -kollegen erfolgen.
Die Wurzeln der logopädischen Praxis
Alle vier genannten vernetzten Kompetenzen werden für konkrete Situationen angewandt. Die Umsetzung kann anhand von Adjektiven festgemacht werden, die das Wie des therapeutischen Handelns umschreiben. Sie geben ein Bild der Profession und verweisen auf dahinterstehenden Theorien und Konzepte, die im Folgenden nur mit ausgewählten Stellvertretern erwähnt werden ( Tab. 2.1).
Tab. 2.1: Adjektive, die die Verbindung zwischen Theorie und Praxis herstellen
beschreibende Adjektive Die Logopädie erhebt, plant, agiert und bilanziert …Theorien und Konzepte Die Logopädie bezieht sich dabei auf den konzeptuellen Hintergrund …
Der ganz praktische, selbstverständliche Alltag der Logopädin zeigt sich am Wie ihrer Arbeit und folglich ausgedrückt durch Adjektive. Das Wie ist aber eben nicht zufällig, sondern verweist auf Theorien, Konzepte oder Modelle, die als Wissenshintergrund für Handeln integriert sind. Die Adjektive wären, wie auch die in jeder Zeile genannten Stellvertreter, problemlos zu erweitern. Viele Adjektive führen auch nicht zu einem direkt benennbaren Konzept wie zum Beispiel »interprofessionell«. Die Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen mit einer Definition der Kompetenzgrenze und einer Einladung zum Einbezug oder zur Mitarbeit wird aber künftig aufgrund der steigenden Komplexität logopädischer Ausgangslagen mehr gefragt sein als bisher.
Interprofessionalität
Durch die Kontext- und die Ressourcenorientierung ist die Logopädie (vgl. Steiner 2018) Teil eines interprofessionellen Teams. Fallbesprechungen sind disziplinär und interdisziplinär gleichsam anzugehen.
Case-Management
In den Systemen Bildung unter erschwerten Bedingungen und Rehabilitation sind komplexe, unübersichtliche Situationen und Entscheidungsregelungen, die ein Case-Management erfordern, unvermeidbar.
Die Logopädie ist Teil dieses Case-Managements. Mit diesem Begriff ist ein professionsübergreifendes Verfahren gemeint, das die kosten- und bedarfsgerechte Versorgung einzelfallübergreifend als Prozessvorgabe und einzelfallbezogen als individuelle Fallführung steuert.
»Der Case-Manager ist das menschliche Bindeglied zwischen dem Klienten und dem Dienstleistungssystem« (Wendt 2018, 54).
Im Einzelfall geht Case-Management in Life-, Selbst- und Sozialmanagement über.
Fallbesprechungen im Team
Fallbesprechungen können sinnvoll so organisiert werden, dass der Fallverantwortliche den zu besprechenden Fall mit einer zu klärenden Frage bzw. Entscheidung oder Zweitmeinung in das disziplinäre und/oder in das transdisziplinäre Team einbringt und kollegialen Rat anfordert.
Es gelten dabei die Regeln der interprofessionellen Zusammenarbeit, die in Braun & Steiner (2012) beschrieben sind. Situationen der kollegialen Beratung brauchen die Verpflichtung zu einer verständlichen Sprache, die Ressource Zeit und klare Kompetenz-Absprachen. Kompetenz-Absprache bedeutet, dass in Teilbereichen gegenseitige Kompetenzhoheit besteht und diese anerkannt wird. Dabei schließt die Hoheit die Entscheidungen ein, während in anderen Teilbereichen eine Kompetenzüberschneidung zur Zusammenarbeit aufruft. Gemeinsamkeit in der Planung, in der Zielsetzung und in der Aktion ist dadurch möglich.
Im Folgenden wird die systematische Herangehensweise an einzelne Fälle aufgezeigt.
Vollständige und ausgewählte Information
In der Falldokumentation jedes einzelnen Falles müssen die Informationen so vollständig wie möglich und (in Papier oder elektronisch) geordnet sein:
• Blätter zur Erfassung des Kontextes (Patientendaten, Anamnese, Sprachanamnese, Gesprächsnotizen) sollten sich in der Akte an unterster Stelle finden.
• Darauf folgt der Auftrag, der verschiedene Formen haben kann (in der freien Praxis ein Rezept der ärztlichen Praxis, in der Rehaklinik eine Kurzinformation mit Patientenanmeldung u. a.).
• Bezüglich der Diagnostik müssen nicht nur alle Protokollbögen abgelegt sein, vielmehr müssen die Schlussfolgerungen (zum Beispiel vom Rohwert zu einem Prozentrang) sofort ersichtlich sein. Es braucht zudem eine Zusammenfassung der diagnostischen Gesamtsituation.
• Berichte sind zum Teil immer eine Reduktion, da sie sich auf bestimmte Prozess-Phasen beziehen (Eingangs-, Zwischen- und Abschlussbericht) und sich in der Regel an definierte Adressaten wenden.
• Der Therapieplan, der auf der Basis der Diagnostik und dem Dialog mit den Betroffenen und relevanten Personen festgelegt wurde, sollte in der zentralen Stellung jeder Akte sein.
• Die (SMART-)Ziele sind ein Teil des Therapieplans. Der Weg zur Zielerreichung wird, möglichst mit Nennung der Methode, über ein bis drei Bausteine festgelegt. Es ist sinnvoll, sich für alles hier Genannte auf nur ein Blatt in der Akte zu beschränken. So entsteht Nachvollziehbarkeit, die wegen der Legitimation, aber auch wegen einer eventuellen Übergabe bzw. Vertretung, notwendig ist.
• Die Dokumentation ist meist eine sehr schlanke Zeile pro Therapiestunde auf einem Blatt für etwa 10–12 Termine, die nur bedingt Einblick in den Prozess gibt.
• Die Akte schliesst mit dem erreichten Ergebnis bezogen auf die SMART-Ziele. Die Ergebniseinschätzung erfolgt durch eine Absicherung, indem Teile der Eingangsdiagnostik wiederholt und die Ergebnisse dann verglichen werden.
Akten-Check
Eine Akte, die sich um eine solche Vollständigkeit bemüht, arbeitet die gerade dargestellten Stationen systematisch ab und entspricht damit den Qualitätsvorstellungen des Faches (vgl. Giel et al. 2018 sowie Arn & Elmiger 2018).
Tab. 2.2: Good practice in einer Akte (obligate Facetten der Falldokumentation)
Good practise in einer Akte
Es liegt bislang keine datenbasierte Grundlage vor, um Aussagen darüber treffen zu können, inwieweit diese Qualitätsvorgaben in der Praxis verwirklicht sind.