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Evolution als naturhistorischer Prozess nicht gesetzhaft beschreibbar

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Dass Evolution als naturhistorischer Prozess nicht gesetzhaft beschrieben werden kann, wird auch durch Aussagen von LALAND et al. (2015) deutlich, denn diese Autoren stellen zur „Erweiterten Evolutionären Synthese“ (EES, s. u.) fest, dass „… the EES predicts that organisms will sometimes have the potenzial to develop well-integrated, functional variants when they encounter new conditions …“ und „The EES also anticipates that variants with large phenotypic effect can occur, …“ (LALAND et al. 2015, 8; Hervorhebungen nicht im Original). Man beachte die Einschränkungen „manchmal“ und „können vorkommen“ und das Fehlen jeglicher Spezifik: Es sollen lediglich irgendwelche funktionellen Varianten entwickelt werden. Hier liegt offenkundig keine Wenn-Dann-Struktur vor, auch nicht in irgendeiner abgeschwächten oder bedingten Form. Es werden keine spezifischen Bedingungen genannt, unter denen ein bestimmtes Ergebnis oder eine Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines konkreten Ereignisses vorhergesagt werden kann, es werden keine Mechanismen für die Entstehung von Innovationen beschrieben oder eine (wissenschaftlich begründete) kausale Beschreibung geliefert, durch die eine Innovation auf die ursächlichen Faktoren zurückgeführt wird (vgl. Abschnitt „Infragestellung und Verteidigung des nomologischen Erklärungsmodells“).

Wenn es um Innovationen (Makroevolution wie definiert) geht, kann man sich auf gar keine relevanten Gesetzmäßigkeiten berufen. Natürliche Selektion und populationsgenetische Gesetzmäßigkeiten betreffen entweder nur Mikroevolution oder „Natürliche Selektion“ wird (statt mit naturgesetzmäßigen Mechanismen) mit einer Zielvorgabe verknüpft, was im Rahmen naturwissenschaftlicher Beschreibungen jedoch nicht zulässig ist (vgl. Abschnitt „Ist ‚natürliche Selektion‘ eine naturgesetzliche Erklärung?“).

Wenn es um Innovationen geht, kann man sich auf gar keine relevanten Gesetzmäßigkeiten berufen.

„Manchmal“-Erklärungen sind daher im strengen Sinne nicht naturwissenschaftlich (außer man kann angeben, was unter welchen Bedingungen eintritt und/oder man kann konkrete Wahrscheinlichkeiten, d. h. probabilistische Gesetze angeben) (s. o.), sondern bleiben spekulativ. Das trifft auf die neuesten Vorschläge von Evolutionstheorien zu, die LALAND et al. thematisieren (wir kommen weiter unten ausführlicher darauf zurück). Um den grundsätzlichen Unterschied zu naturwissenschaftlichen Theorien deutlich zu machen, nehmen wir nochmals einen Vergleich mit einer tatsächlichen naturwissenschaftlichen Theorie vor: Die genannte Aussage etwa auf das Fallgesetz angewendet, würde lauten: Das Fallgesetz sagt voraus, dass manchmal Gegenstände nach unten fallen, wenn sie losgelassen werden und es sagt weiter voraus, dass es vorkommen kann, dass ein Gegenstand nach Loslassen zu Boden fällt – und zwar ohne dass angegeben werden könnte, warum das manchmal so und manchmal anders ist. Ganz offensichtlich wären solche naturwissenschaftlichen Erklärungen höchst defizitär. Offenbar sind Evolutionstheorien auch in neuesten Versionen etwas grundlegend anderes als eine naturwissenschaftliche Theorie. Und selbst für dieses „manchmal“ gibt es oft keine wirklich eindeutigen empirischen Daten.

Vergleichbare Kritik äußert auch der Philosoph Hans POSER bezüglich der Quelle der evolutionären Veränderungen, den Mutationen (Änderungen des Erbguts von Lebewesen). Diese treten in dem Sinne zufällig auf, als sie keiner Richtungsvorgabe folgen und in keinen nachweisbaren Zusammenhang zu aktuellen oder gar potenziellen zukünftigen Bedürfnissen der Organismen stehen. POSER (2012, 286; Hervorhebung im Original) schreibt in diesem Zusammenhang: „Das Deutungsschema der Evolutionstheorie zu akzeptieren, bedeutet eine Zumutung, denn es verlangt in Gestalt der spontanen Mutation, in Gestalt des unvorhersehbaren Neuen in jedem Anwendungsbereich die Anerkennung des Zufalls.“ Und zwar Zufall als „ontischer Zufall – als Ursachlosigkeit, als Spontaneität aufgefasst“, für den in der teleologischen wie in der kausalen Weltsicht grundsätzlich kein Platz sei (POSER 2012, 287).

Das hat Folgen für die Art der „Erklärung“ des evolutiven Wandels. Eine Wenn-Dann-Struktur ist nicht möglich und so etwas wie das oben erwähnte HO-Schema nicht anwendbar. POSER (2012, 287; Hervorhebung im Original) schreibt weiter: „Im Sinne dieses fundamental neuen Zufallsbegriffes sind wir nicht nur unwissend, die Art und den Zeitpunkt der nächsten Mutation vorherzusagen, sondern das Ereignis wird prinzipiell als spontan, das heißt als ursachlos im Sinne des Fehlens einer spezifischen, für eine Prognose tauglichen Ursache angesehen: Das HO-Schema der Erklärung ist deshalb unanwendbar, weil es keinerlei Gesetzesaussage über das Auftreten der nächsten Mutation geben kann. … Den Zugewinn an Deutungsmöglichkeit mit Hilfe des Evolutionsschemas zahlen wir also mit einem Preis, der gerade bedeutet, auf ein grundlegendes Prinzip des neuzeitlichen Naturverständnisses zu verzichten, nämlich auf das Prinzip des zureichenden Grundes: Die Deutungsleistung des Evolutionsschemas wird erkauft durch einen Verzicht hinsichtlich des Anspruchs, die Welt erklären zu können.“

In der ersten Auflage schreibt POSER (2001, 57), dass „historische Gesetze, die Naturgesetzen entsprechen würden, gar nicht bekannt sind. Die Erklärung eines Historikers kann sich deshalb gar nicht auf im Explanans vorkommende Gesetzesaussagen stützen.“ Und weiter: „Doch auch in einer weiteren Hinsicht zeigt sich heute eine Grenze des HO-Schemas; denn es eignet sich nicht für die Erklärung evolutionärer Vorgänge! Wenn es nämlich ein wesentliches Kennzeichen jeder Evolution im strikten Sinne ist, daß Mutationen vorkommen, so wird gerade die Existenz grundsätzlich nicht vorhersehbarer Ereignisse angenommen. Das ist aber auf keine Weise mit dem HO-Schema vereinbar; deshalb muß das Evolutionsschema als Erklärungsschema eine andere Struktur haben, eine, die zwar Erklärungen der geschichtlichen Genese (in der Biologie gerade so wie in anderen Anwendungsbereichen) erlaubt, aber keine Prognosen zuläßt“ (POSER 2001, 59).

Auch BRIGANDT (2013, 81) hält die traditionelle neodarwinistische Evolutionstheorie für „schlecht ausgerüstet“ für die Erklärung von Neuheiten. Ihr populationsgenetischer Kern erkläre nicht das erstmalige Auftreten „qualitativ neuer morphologischer Varianten“. Dazu seien Befunde aus vielen Teilgebieten der Biologie erforderlich wie Phylogenie, Paläontologie, Entwicklungsbiologie und Morphologie. – Daraus können jedoch keine Mechanismen oder andere kausale Entstehungsmodelle abgeleitet werden; die Entwicklungsbiologie ist wegen zahlreicher grundlegender Unterschiede zu evolutionären Veränderungen ein unbrauchbares Modell.

Manche Autoren sind der Auffassung, dass es überhaupt keine spezifisch biologischen Gesetze gebe. So ist BEATTY (1995) der Auffassung, Gesetzmäßigkeiten gebe es nur in der Biochemie. Biologische Vorgänge seien nur insofern gesetzhaft, als sie auf chemischen oder physikalischen Gesetzmäßigkeiten beruhen. Der Grund für diesen Umstand sei die Tatsache, dass die Biologie es mit Phänomenen zu tun habe, die kontingente* Ergebnisse der Evolution seien, dass sie also letztlich zufällige und unableitbare Ergebnisse evolutiver Vorgänge seien. In diesem Sinne vertritt er eine „evolutionary contingency thesis“.23 Als Beispiele nennt BEATTY (1995, 57): Warum gibt es den achtschrittigen Krebs-Zyklus unter aerobischen Organismen? Warum hat die Evolution zu den Mendel‘schen Regeln geführt? „Evolutionäre Kontingenz untergräbt die Möglichkeit biologischer Gesetze“ (BRAILLARD & MALATERRE 2015, 10).24 Die Abwesenheit von Gesetzen in der Biologie habe ihren Grund darin, dass es sich um Produkte einer langen Geschichte, z. T. angetrieben durch natürliche Selektion und abhängig von historischen Einmaligkeiten (contingencies) handle. Dass biologische Verallgemeinerungen ausgesprochen kontingent seien, rühre daher, dass die Evolution vom gleichen Ausgangspunkt aus zu unterschiedlichen Ergebnissen führen könne, selbst wenn der gleiche Selektionsdruck herrscht (BEATTY 1995, 75).25

„Evolutionäre Kontingenz untergräbt die Möglichkeit biologischer Gesetze.“

Das heißt aber nichts anderes, als dass es für innovative Evolution, d. h. Makroevolution, keine naturwissenschaftliche Erklärung gibt. Das wird auch beispielhaft sehr deutlich, wenn etwa der genetische Code, der hochgradig erklärungsbedürftig ist, einfach als „frozen accident“ bezeichnet wird (z. B. BRANDON 1997, S456). Es ist heute bekannt, dass der Code – also die Zuordnung von DNA-Tripletts zu Aminosäuren – in Bezug auf Robustheit und Materialersparnis optimal gestaltet ist (Überblick bei JUNKER & SCHERER 2013, Kap. IV.8). Das ist erklärungsbedürftig. Hier den Zufall zu bemühen heißt auf eine Erklärung zu verzichten, und zwar genau dort, wo sie dringend erforderlich erscheint.

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