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Vorwort der Herausgeber
ОглавлениеVon 18. bis 20. November 2016 fand im Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim die fünfte Internationale Hartheim Konferenz statt, die sich dem Thema „Optimierung des Menschen“ widmete. Die Beiträge dieser Tagung werden nun in der vorliegenden Publikation der Öffentlichkeit präsentiert.
Da dies die erste Publikation von Ergebnissen der Internationalen Hartheim Konferenz ist, soll einleitend auf die Entstehungsgeschichte des Ortes wie der Tagung kurz eingegangen werden.
Das Konzept des Lern- und Gedenkorts Schloss Hartheim baut auf dem Grundsatz auf, die Historie des Ortes nicht isoliert zu betrachten und darzustellen, sondern zu versuchen, diese in einem ideengeschichtlichen und gesellschaftspolitischen Kontext zu verorten. So besteht der 2003 eröffnete Lern- und Gedenkort aus der Gedenkstätte für die Opfer der nationalsozialistischen Euthanasieverbrechen im Rahmen der „Aktionen“ „T4“ und „14f13“ und aus der Dauerausstellung „Wert des Lebens“, mittels derer die angesprochene Kontextualisierung geleistet werden soll. Diese Ausstellung wird derzeit grundlegend überarbeitet und neu gestaltet; sie soll noch 2020 wieder eröffnet werden. Wie schon in der ursprünglichen Ausstellung steht der gesellschaftliche Umgang mit Menschen, die als „unbrauchbar“ definiert wurden (und werden) im Mittelpunkt. Damit verbunden behandelt die Ausstellung Fragen aus den Bereichen Ethik, Biotechnik und Biomedizin, Sozial- und Gesellschaftspolitik. Der Zeitraum erstreckt sich von der Zeit der Aufklärung bis in die Gegenwart.
Ein weiterer wichtiger Schritt dieser Kontextualisierung war die Gründung der Internationalen Hartheim Konferenz im Jahr 2007. Die Initiative ging vom damaligen Obmann des Vereins Schloss Hartheim, Georg Starhemberg, und dem damaligen Geschäftsführer der Stiftung Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim, Dr. Reinhard Dyk, aus.
Diese erste Internationale Hartheim Konferenz befasste sich mit dem Thema „Sinn und Schuldigkeit. Fragen am Lebensende“. Die Themen der folgenden Hartheim Konferenzen – 2009: Ambivalenzen der Biowissenschaften, 2012: Biologisierung des Sozialen, 2014: Demenz. Ethische und sozialpolitische Herausforderungen, und jenes von 2016: Optimierung des Menschen – stellen sich der Herausforderung, gesellschaftspolitisch relevante Fragestellungen der Gegenwart aufzugreifen und vor dem Hintergrund der Geschichte dieses Ortes zu reflektieren.
In der vorliegenden Publikation der Beiträge der fünften Internationalen Hartheim Konferenz werden die verschiedenen Dimensionen von Optimierungsstrategien diskutiert und auch grundsätzliche Fragen nach Sinn und Nutzen, nach Problemen und Folgen einschlägiger Strategien gestellt.
Am Anfang aber steht eine künstlerisch-philosophische Annäherung an das Thema: Michael Köhlmeier und Konrad Paul Liessmann sprechen über den optimierten Menschen (basierend auf ihrem Buch: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist, Adam?), und es ist ein großes intellektuelles Vergnügen, diesem Gespräch, das für den vorliegenden Band aufgezeichnet und transkribiert wurde, zu folgen. Der Dichter und der Philosoph nehmen antike Mythologie, christliche Schöpfungsgeschichte und eine christliche Heiligenlegende zum Ausgangspunkt ihrer Reflexion und stoßen dabei überraschende Einsichten an.
Daran schließen die Beiträge der FachwissenschafterInnen an. Die Themenblöcke setzen sich zum einen mit Gentechnik und Fortpflanzungsmedizin auseinander: Michael Wunder beleuchtet die Konzeptionen einer genetischen Verbesserung des Menschen und ihrer philosophischen Prämissen und zieht Linien der Kontinuität vom Genetikermanifest 1939 bis zur gegenwärtigen Diskussion um genetic enhancement. Benjamin Greggs Beitrag fokussiert auf den Prozess, der in einer demokratischen Gesellschaft den Einsatz humangenetischer Maßnahmen regulieren soll und versucht, deren philosophische Grundlagen zu definieren. Eva Maria Bachinger setzt sich mit den Versprechen der Fortpflanzungsmedizin und ihrer diagnostischen Verfahren auseinander und reflektiert deren ethische und sozialpolitische Voraussetzungen und Konsequenzen. „Die Optimierung des Menschen“ ist Rainer Müller folgend zwischen Dialektik der Aufklärung und Emanzipation vor dem Hintergrund der Entwicklung des demokratischen Rechts- und Sozialstaates zu betrachten. Wohin sich Demokratie, Wohlfahrtsstaat und Public Health in Folge der aktuellen naturwissenschaftlich-technischen Entwicklungen und der Digitalisierung, die derzeit verstärkt Lebens- und Arbeitswelten, Subjektivität und soziale Handlungsweisen verändern, entwickeln, ist laut Rainer Müllers Beitrag noch nicht absehbar. Karin Harrasser widmet sich der „riskanten Allianz“ von Behinderung und Technik. Neue Technologien können für Menschen mit Behinderungen – sofern sie ihnen zugänglich sind – Teilhabe ermöglichen, aber auch zum Normalisierungs- und Anpassungsinstrument werden, das andere Zugänge zu und Perspektiven auf Behinderung verdrängt und neue Zwänge mit sich bringt. Michael Girkinger wirft in seinem Artikel einen kritischen Blick auf den Persönlichkeitsbildungsmarkt. Er betrachtet dessen Angebote und Erfolg im Spannungsfeld von aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen wie Selbstdisziplinierung, Selbstsorge, Selbstverwirklichung und einem Drang zur permanenten Selbstoptimierung. Die zunehmende Entwicklung hin zu einer wunscherfüllenden Medizin steht im Fokus von Tobias Eichingers Beitrag. Eigenverantwortung, Selbstbestimmung und Wunscherfüllung in der Medizin sowie deren Entwicklung zu einem „Lifestyle-Produkt“, werden von ihm aus ethischer und philosophischer Perspektive in ihrer ganzen Ambivalenz betrachtet. Die aufkommende „Upgradekultur“, die Optimierung der Person auf unterschiedlichen individuellen und persönlichen Ebenen wird von Dierk Spreen als Begleiterscheinung der Individualisierungsprozesse der vergangenen Jahrzehnte betrachtet. In seinem Text stellt Spreen Probleme und mögliche Grenzen dieses Versuchs einer Antwort auf individualisierte Risiken der Gesellschaft zur Diskussion. Den Abschluss bildet Markus Jansen, der Tendenzen und Entwicklungen im Konzern Google und seiner Proponenten untersucht, die dem erneuten Versuch dienen sollen, einen „neuen Menschen“ zu schaffen. Laut den VertreterInnen des Transhumanismus könnten neue digitale Technologien die biologische Unzulänglichkeit des Menschen überwinden und letzten Endes hin zu einer post-biologischen Menschheit führen. Die Rolle von Google und vor allem von dessen Vordenker Ray Kurzweil bei der Entwicklung dieser neuen, scheinbar verheißungsvollen Möglichkeiten, stehen im Zentrum von Jansens Analysen.
Die im vorliegenden Tagungsband analysierten Strategien einer Optimierung des Menschen sind – zumindest teilweise – schon Bestandteil unseres Alltags geworden. Trotzdem bleibt die zentrale Frage, ob und wie es gelingen kann, diese Optimierungsstrategien einzuhegen bzw. entscheidende Fragen in der Öffentlichkeit zu diskutieren: Cui bono? Wem nützen diese Maßnahmen? Soll, etwa im Bereich der Gentechnik, alles Machbare auch gemacht werden? Wenn diese Diskussion nicht geführt wird, reduziert sich die Entwicklung, wie in der Geschichte von Daedalus, auf das Problem der technischen Machbarkeit. Deren ideelle Basis bildet die Annahme einer vollständigen Beherrschung der Natur, und es gehe, so wird suggeriert, nur noch um einige absehbare Schritte, bis der Mensch sich zum Schöpfer seiner selbst erklären könne.
Derzeit erleben wir allerdings, dass das Auftreten eines Virus die einschlägigen Pläne zumindest modifiziert. Die tiefe Krise, die die Corona-Pandemie verursacht, stellt Gesellschaften auf den Prüfstand: Wie gehen sie mit den Schwächsten um? Sollen, wie der verbreitete utilitaristische Zugang besagt, Alte, Kranke und Menschen mit Behinderung im Extremfall geopfert werden, um junge leistungsfähige Menschen zu „retten“? Wie werden die Lasten der ökonomischen und sozialen Krise verteilt?
Als Veranstalter der Internationalen Hartheim Konferenz sehen wir uns in diesem Kontext gefordert, die entsprechenden ethischen, politischen und sozialen Fragestellungen zu verfolgen und auch weiterhin im Rahmen der Tagungen zu diskutieren.
Wir möchten an dieser Stelle noch unsere Trauer über den Tod von Prof. Dr. Rainer Müller zum Ausdruck bringen. Er verstarb im Oktober 2019. Für seinen spannenden und fundierten Beitrag sowie die gute Zusammenarbeit bei der Internationalen Hartheim Konferenz und der Entstehung des vorliegenden Bandes bleiben wir ihm dankbar verbunden.
Brigitte Kepplinger, Florian Schwanninger