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Michael Knabe: Elektrokrampftherapie

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»Der Androide tut was?« Professor Doktor Sigmund Mauz zog überrascht die Brauen hoch.

Seine Assistentin, Doktor Meftaler, konsultierte mal wieder ihr Tab. »Er steht den lieben langen Tag vor dem Klo und drückt die Toilettenspülung, Herr Professor. Wenn seine Besitzerin nach dem Zubettgehen mal raus muss, kann sie anschließend nicht mehr schlafen, weil die restliche Nacht hindurch die Spülung rauscht.«

Und auf Doktor Mauz’ skeptischen Blick: »Ich habe mir das selbst einmal angesehen. Der Mülleimer ist bis zum Überlaufen gefüllt mit leeren Desinfektionsmittelflaschen. Die richtig harten, nicht das Zeug aus dem Drogeriemarkt. Die Wohnung riecht beißend nach Reinigungsmitteln, und er ordert ständig nach. Eine Zwangsstörung dieses Ausmaßes haben sogar die drüben in der Abteilung für Menschen eher selten.«

Die Meftaler ging also auf Hausbesuche, anstatt sich um die nächste Veröffentlichung in der Cybernetic Neuroscience zu kümmern? Er wartete schon seit Wochen auf ihren Artikel, auf dem an vorderster Stelle sein Name prangen sollte. Verfolgte sie auf einmal eigene Ziele, anstatt sich um seine Aufträge zu kümmern? Er würde sie ein wenig bremsen müssen. Mauz machte sich eine mentale Notiz, bevor er sich der Kyb-Einheit zuwandte, die reglos zwischen ihnen wartete.

»Kyb Tony!«

Der Androide wandte sich ihm zu. »Was kann ich für Sie tun, Herr Professor?« Seine Stimme klang voll und melodiös, wie die eines Nachrichtensprechers aus alter Zeit. Der Blick seiner metallischen Facettenaugen ruhte unverwandt auf Mauz.

Der rang sich ein Lächeln ab. »Weißt du, wer du bist, welches Datum wir heute haben und wo du dich befindest?«

»Ja, Herr Professor.« Und als Mauz lange genug schwieg: »Kyb-Einheit Tony. Es ist der vierte August 2034, elf Uhr sechzehn Mitteleuropäischer Zeit. Ich befinde mich auf der Station für klinische Kybernetik der Klinik für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie der Charité Berlin, Bonhoefferweg 78 …«

»In Ordnung. Wach, bewusstseinsklar, orientiert«, setzte Mauz zum Diktat an, doch seine Assistenzärztin hackte bereits die Angaben ins Tab. Noch wehrte sie sich nicht gegen solche Hilfsarbeiten. Er ahnte, dass sich das ändern würde, sobald er ihre Habilitationsschrift geprüft und abgezeichnet hatte. Hungrig waren sie, die Jungen, genau wie seinerzeit er selbst.

Die Abfrage der Stimmung entfiel bei Androiden, den Rest hatte die Meftaler sicher schon perfekt erfragt. Als ob sie selbst unter Zwängen litt wie die Blechbüchse zwischen ihnen. Nur ihre Formen sahen weit erfreulicher aus als die des Androiden. Er lächelte in sich hinein und fuhr mit den spontan berichteten und erfragten Beschwerden fort.

Es reichte längst nicht mehr aus, die Maschine an eine Diagnoseeinheit anzudocken und ein paar Parameter auszulesen. In dem Maß, in dem Roboter menschenähnliche Fertigkeiten erreichten und selbstlernend vorgingen, verließen sie die Pfade nachvollziehbarer Algorithmen. Die Kyb-Psychiatrie wurde zunehmend unexakt, genau wie die Behandlung von Menschen, und Medikamente für Maschinen gab es natürlich keine.

»Kyb Tony, erkläre, warum du das mit der Spülung machst.«

»Meinen Sie das repetitive Betätigen der Spültaste im WC meiner Besitzerin, Herr Professor?«

Mauz’ Antwort beschränkte sich auf eine ungeduldige Handbewegung.

Augenblicklich fuhr der Androide fort: »Ich muss jedes Risiko ausschließen oder zumindest minimieren, dass meine Besitzerin sich durch infektiöse Keime in Gefahr bringt.«

»Keime?«, fragte Mauz. »Welche denn?«

Die Meftaler lächelte und nickte. Offenbar wähnte sie ihn auf der richtigen Spur, und genauso offenbar war ihm selbst das nicht egal. Alter Gockel! Verärgert unterdrückte Mauz das Gefühl der Wärme in der Bauchgegend und konzentrierte sich auf den Androiden, der ebenfalls nickte.

»Krankheitskeime, Herr Professor. Das sind winzige Lebensformen …«

»Danke, ich kenne mich in dem Gebiet aus«, unterbrach Mauz ihn und rief sich gleich darauf zur Zurückhaltung auf. Persönliche Gefühle hatten im diagnostischen Interview mit einem Androiden nichts verloren. »Kyb Tony, berechne die Wahrscheinlichkeit, sich auf der eigenen Toilette mit gefährlichen Krankheitskeimen anzustecken.«

»Eine genaue Antwort ist unmöglich«, antwortete der Androide. »Ich berechne stattdessen ein fünfundneunzigprozentiges Konfidenzintervall. Die Fachaufsätze in den letzten zwei Jahren, welche die gemittelte Wahrscheinlichkeit einer folgenschweren bakteriellen Infektion behandeln …«

Aha. Der Androide hatte offenbar alle einschlägigen Datenbanken konsultiert, kannte die Tücken der Statistik – und hantierte trotzdem exzessiv mit Desinfektionsmitteln.

»Beziehe dich ausschließlich auf die Toilette deiner Besitzerin, Kyb Tony.«

Ein beinahe unhörbares Brummen signalisierte eine Vibration der Einheit. Die Kühlung war angesprungen, um den zentralen Prozessor vor dem Überhitzen zu schützen – das maschinelle Gegenstück zu einer starken Emotion.

»Besagtes Konfidenzintervall zeigt eine Wahrscheinlichkeit zwischen null und einem halben Prozent. Aber bei Feldversuchen muss von einer zusätzlichen Messungenauigkeit ausgegangen werden. Das Risiko kann theoretisch höher liegen.«

»Mit anderen Worten, deine Besitzerin könnte sich im schlimmsten anzunehmenden Fall bei jedem zweihundertsten Toilettenbesuch eine Infektion zuziehen?«

»Das ist dann korrekt, wenn man das zusätzliche Risiko des Feldversuchs ignoriert, Herr Professor.« Der Androide schwankte etwas. Es blieb unklar, ob er lediglich auf einen Luftzug reagierte oder heimlich versuchte, Abstand von Mauz zu bekommen. Die Datenverarbeitung der Androiden war einfach zu komplex geworden. Manchmal verhielten sie sich unlogisch, geradezu emotional.

»Kyb Tony, welche Infektionen genau ziehst du in Betracht?«

»Nun, Infektionen eben, Herr Professor.«

Mauz warf der Meftaler einen bedeutsamen Blick zu. Hier tat sich der erste Blick auf einen Fehler in der Informationsverarbeitung auf, die das Verhalten des Androiden steuerte.

Meftaler, die fleißig auf ihrem Tab mitgeschrieben hatte, schien das bereits zu wissen. Sie wischte hektisch durch die gespeicherten Seiten und reichte das Gerät an Mauz weiter. »Das sind die Aufzeichnungen der kognitiven Verhaltenstherapie der letzten acht Monate. Auf der zweiten Seite finden Sie die Ergebnisse der Datenbanktherapien sowie die Betriebssystemeingriffe von vorvergangener Woche.«

Mauz überflog die Seiten. Donnerwetter, die Meftaler hatte sich ganz schön reingehängt und eine lückenlose Dokumentation nicht nur des Problemverhaltens, sondern auch der kyberkognitiven Interventionen vorgelegt. Manchmal war sie ihm unheimlich in ihrer gnadenlosen Effizienz.

Er würde sie nahe bei sich halten, um an ihren Erfolgen teilzuhaben – immerhin prangte dank ihr sein Name auf jedem zweiten Artikel, der zu Kernfragen der kybernetischen Psychiatrie erschien. Gleichzeitig musste er dafür sorgen, dass kleine Bäume nicht allzu schnell in den Himmel wuchsen. Auf keinen Fall würde er sich eine Konkurrentin an den Fördertöpfen der Forschungsgesellschaften heranzüchten.

Sein Blick blieb an der Tabelle hängen, in der Doktor Meftaler die Ergebnisse auf Verhaltensebene festgehalten hatte, und seine Brauen wanderten in die Höhe.

»Keine Verbesserung?«

»Nicht das kleinste Bisschen, Herr Professor.« Ihre Stimme klang gepresst. Offenbar nahm sie sich den Misserfolg zu Herzen und suchte den Fehler bei sich selbst. Gut so. Das bot Chancen, sie noch besser zu kontrollieren und ein Höchstmaß an Output zu fordern.

Er fasste sie scharf ins Auge. »Frau Meftaler, habe ich Sie da richtig verstanden? Seit acht, ich betone: acht Monaten therapieren Sie diese Einheit – und erst jetzt erfahre ich davon?«

»Nicht ganz, Herr Professor. Auf der nächsten Seite finden Sie unsere bisherigen Supervisionstermine. Vielleicht könnten Sie mir die bei der Gelegenheit gleich abzeichnen?«

Verdammt! Das Miststück hatte sich vorbereitet und darauf gesetzt, dass er sich nicht an die lästigen Termine erinnerte.

Mauz zeichnete mit einem lässigen Schlenker die Protokolle ab und durchforstete sie gleichzeitig auf der Suche nach einem Fehler, mit dem er sie ein wenig herunterputzen konnte. Sie hatte gemeinsam mit der Kyb-Einheit Wahrscheinlichkeitsrechnungen vorgenommen, Risikoanalysen für Infektionen abgeprüft und sogar mit mehreren Zentralrechnern abgeglichen, um die Thesen des Androiden zu hinterfragen.

Die Konfrontation mit dem Auslösereiz (die Besitzerin war aufs Klo gegangen) und die Verhinderung des Zwangsverhaltens (der Androide hatte sich vom WC fernhalten müssen) waren so präzise durchgeführt und protokolliert, als hätte die Meftaler sein Lehrbuch nicht gelernt, sondern gefressen. Update des Betriebssystems unter Einbezug der universitären Rechenzentren – abgezeichnet von ihm selbst.

Er fand einfach nichts, das er ihr vorwerfen konnte, und musste sich darauf beschränken, bedeutsam die Brauen hochzuziehen. »Und nun?«

Das genügte, um die scheinbar so kontrollierte Fassade der jungen Ärztin bröckeln zu lassen. Ihre Schultern sackten nach unten, die Finger nestelten nervös am Aufschlag des vorgeschriebenen staubabweisenden Kittels, und die Zehen in den Dienstschuhen trommelten förmlich Samba.

»Ich weiß einfach nicht mehr weiter«, brach es aus ihr heraus. »Ich habe alles, wirklich alles versucht, was Sie mir vorgeschlagen haben. Auch die Fachliteratur gibt nichts mehr her, nicht einmal die brasilianischen und chinesischen Datenbanken. Ich bin ratlos, völlig ratlos. Möglicherweise müssen wir ihn ungebessert nach Hause schicken.«

»Nun, nun.« Mauz gönnte sich einen Moment der Erleichterung. Hatte die Meftaler tatsächlich vergessen, woran er hier arbeitete? Noch konnte sie ihm nicht das Wasser reichen. Die Zeit für den väterlich-jovialen Ton war gekommen.

»Heike, meine Liebe, das ist doch ganz normal. Wir kommen alle mal an unsere Grenzen. Ich erinnere mich nur zu gut …« Er unterbrach sich, als keine Reaktion von ihr kam. Sie schien so gefangen in ihrem Misserfolg, dass sie ihm nicht einmal zuhörte.

Missgestimmt räusperte er sich, und die Meftaler fuhr hoch. »Verzeihung, Herr Professor. Ich war wohl gerade nicht bei der Sache.«

»Das habe ich bemerkt.« Mauz wandte sich wieder dem Androiden zu, der reglos den Austausch verfolgt hatte. »Kyb Tony, berechne die Wahrscheinlichkeit, dass dein Verhalten eine Zwangsstörung darstellt.«

»Zwischen achtundachtzig und achtundneunzig Prozent, Herr Professor.« Noch immer klang die Stimme des Androiden angenehm moduliert und unangestrengt, als ob er sich lediglich einer Wartung unterzog und nicht seit acht Monaten als nutzloser Haufen Schrott durch die Gegend stapfte. Doch der Lüfter in seinem Kopf lief weiter mit hoher Leistung.

»Und wie beeinflusst das deine Berechnungen von vorhin? Über das Risiko einer Ansteckung?«

»Gar nicht, Herr Professor.« Die Einheit stand nun völlig still. »Das nicht abzuschätzende Restrisiko besteht unabhängig von einer möglichen Einschränkung meiner kognitiven Fähigkeiten.«

Himmel! Mauz ertappte sich dabei, sich den Kopf zu kratzen wie ein Pennäler, und nahm hastig die Hand zurück, während er im Kopf Therapiemöglichkeiten durchging. Die Meftaler hatte an alles gedacht.

Außer an die eine Option, die auf der Hand lag.

Er hob den Kopf und fand sich von seiner Assistentin beobachtet, die mit halb geöffnetem Mund auf seine Einschätzung wartete. Zeit, den Trumpf auszuspielen.

»Haben Sie nicht eine Behandlungsmethode übersehen, Heike?« Jetzt, wo seine Assistentin ihm an den Lippen hing, konnte er gefahrlos beim Vornamen bleiben, ohne dass sie anschließend zur Gleichstellungsbeauftragten rannte. »Unser Verfahren hatte viel zu lange einen schlechten Ruf. Dabei sind wir hier echte Pioniere auf dem Gebiet.« Er warf einen bedeutungsvollen Blick zur Tür hinüber, die zu den Hardware-OPs führte.

Verständnislos blickte sie ihn an, bis sich auf einmal ihre Augen weiteten. »Sie meinen … nein! Eine Elektrokrampftherapie halte ich für keinesfalls angemessen. Die Datenlage für Androiden der Baureihe 185B17 ist viel zu dünn. Wir haben keine Ahnung, was alles passieren kann!«

»Sie haben keine Ahnung.« Mauz verschränkte die Arme und sah sie abschätzig von oben bis unten an. »Aber natürlich können Sie mit einer alternativen Behandlungsmethode aufwarten. Also? Ich warte. Oder glauben Sie allen Ernstes noch an die Mythen von der Patientenfolter?« Er beobachtete, wie sie schmerzhaft das Gesicht verzog.

Natürlich kannten Neurologen nicht nur Forschungsdaten, sondern auch die Bilder menschlicher Patienten in alten Kinofilmen, wie sie sich unter den Stromstößen der Elektrokrampftherapie aufbäumten und der Menschheit den Eindruck vermittelten, dass in psychiatrischen Kliniken gefoltert wurde.

Völliger Unsinn, das alles. Als ob Muskelrelaxanzien und Vollnarkose nicht längst für einen reibungslosen Ablauf sorgten. Er kannte aus seiner Assistenzzeit selbst noch die Dankesschreiben von Menschen, die nach Jahren schwerster Depression plötzlich aus dem Sumpf ihrer schwarzen Stimmung auftauchten und ihr Leben wieder aufnahmen.

Die Meftaler schien das zumindest für Androiden anders zu sehen. »Einen Moment, bitte. Planen Sie etwa einen unangemeldeten Versuch?«

Mauz lächelte dünn. »Was glauben Sie denn, woher die Daten stammen, auf die Sie sich in Ihren Aufsätzen immer so gern beziehen? Aus experimenteller Forschung, genau. Von Menschen wie mir, die es wagen, zum Wohl der Menschheit auch mal ein paar Risiken einzugehen. Das, meine Liebe, braucht es, um es in der Forschung zu etwas zu bringen.« Und etwas leiser: »Ich bin kein Anfänger. Oder glauben Sie etwa, ich tue das zum ersten Mal?«

»Es tut mir leid, Herr Professor, aber ich weigere mich, bei so etwas mitzumachen.«

Mauz unterdrückte seine aufkommende Wut und begnügte sich mit einem kalten Blick, den sie erwiderte, ohne zurückzuzucken.

Aha! Noch nicht einmal fertig habilitiert, und schon wurde sie frech. Diese Meftaler glaubte wohl, nach eigenem Gutdünken verfahren zu können – auf seiner Station! Das würde Folgen haben. Er kannte genügend Wege, um ihre Reputation zu untergraben, bis sie als gealterte Oberärztin in irgendeiner gottverlassenen Psychiatrie dort draußen ihr Leben fristete. Sollte sie doch irgendwelche verdammten Küchenmaschinen therapieren! Er würde schon einen anderen dienstbaren Geist finden, der für ihn die Fachmagazine mit Erfolgsgeschichten spickte.

»Ich werde die Therapie ohne Sie durchführen«, erklärte er und versuchte noch einmal, sie niederzustarren. »Ihr kläglicher Versuch, sich hinter Paragrafen zu verschanzen, wird mich Ihre Habilitationsschrift noch einmal in neuem Licht betrachten lassen. In einem äußerst kritischen.«

Das schlug ein. Die Meftaler zuckte zusammen und blieb stumm.

Mauz wandte sich dem Androiden zu. »Kyb Tony, folge mir. Und Sie, Meftaler, rufen Krusbaum oder einen anderen Techniker.«

»Herr Professor, ich werde mich nicht zum Mittäter an dieser …«, fing sie schon wieder an.

»Schon gut, Meftaler, ich habe verstanden. Sie sind draußen. Und wissen Sie was? Kommen Sie einfach morgen um neun in mein Büro und holen Ihre Papiere ab.«

Jetzt stand ihr der Mund offen. »Das können Sie nicht machen!«

»Sie werden sich wundern, was ich alles machen kann«, versetzte er gut gelaunt und schritt, gefolgt von der Kyb-Einheit, zum OP.

Eine gute halbe Stunde später war alles bereit. Tom Krusbaum, kybernetisch-technischer Assistent der Abteilung, hatte die notwendigen Gerätschaften um den OP-Tisch versammelt, auf dem Kyb Tony mit Eisenklammern gesichert war, und entfernte mit einem Spezialschraubenzieher die Abdeckplatte zur Masterschnittstelle.

Dann verband er den Androiden mit dem OP-Rechner und lud die üblichen Datensequenzen herunter: Schnittstellenparameter, Erdungspunkte und den ganzen Rest, der Mauz noch nie interessiert hatte.

Krusbaum blickte auf. »Professor? Da fehlt etwas.«

»So? Was denn?«

Inzwischen hatte Mauz Schwierigkeiten, seine zunehmende Ungeduld im Zaum zu halten. Hier ging es nicht mehr um Daten und Behandlungserfolge, sondern um seinen Status als Lehrstuhlinhaber. Die Meftaler, die draußen im Vorraum lauerte, wartete doch nur auf ihre Chance, ihn zu verdrängen! Er konnte ihren Schatten im Türspalt sehen. Hier und heute würde er sie in ihre Grenzen verweisen, sobald das Androidenhirn wieder im Gleichtakt lief.

Der Techniker verzog das Gesicht zu einer Maske der Ratlosigkeit. »Ein paar Datenbanken sind beschädigt, und Backups hat der Besitzer nicht hinterlegt. Wir wissen zum Beispiel nicht, welche Basisspannung an den dezentralen Prozessoren anliegt. Das kann übel ins Auge gehen.«

»Und woher bekommen wir die verdammten Backups?« Mauz schob die Hände in die Taschen seines staubarmen Dienstkittels, um seine Unruhe zu verbergen, doch er hörte selbst, wie ungeduldig sein Tonfall klang.

»Vom Besitzer, Herr Professor. Das wird nur ein paar Tage dauern, wenn er nicht gerade im Urlaub ist.«

Mauz zögerte, doch Meftalers Schatten in der Tür duldete keinen Aufschub. »Fahren Sie fort«, befahl er.

»Ich habe keine …«

»Nehmen Sie einfach die Durchschnittswerte ähnlicher Baureihen und ziehen Sie zehn Prozent ab.«

»Aber das ist …«

»Tun sie es! Ich übernehme die Verantwortung.«

Die Schiebetür zum OP rollte auf und die Meftaler erschien im Durchgang. »Das ist ein klarer Bruch sämtlicher Behandlungsregeln, Herr Professor. Ich verbiete Ihnen, so vorzugehen!«

»Sie haben mir gar nichts zu verbieten!«, blaffte er zurück, und die Welle der Wut, die er mühsam zurückgehalten hatte, schwappte über ihn hinweg. »Feiglinge und Korinthenkacker haben hier nichts zu suchen. Gehen Sie doch Jura studieren, wenn Sie es so mit Paragrafen haben!«

»Ich …«

»Gehen Sie endlich! Oder halten Sie den Mund.« Mit einer zackigen Handbewegung befahl er dem Techniker, die Prozedur zu starten.

Die schweigende Meftaler im Rücken, beobachtete er, wie Krusbaum am Monitor Spannungsparameter einstellte und die Kabel am Kopf des Androiden befestigte. Anders als bei den Menschen ließen sich die Elektroden für die Überspannung direkt anschließen. Der gute alte Klinkenstecker! Auch Menschen sollten einen haben, dachte Mauz.

Krusbaum, die Hand auf der Tastatur, zögerte und blickte zu Mauz. Der nickte, und Krusbaum drückte auf Enter.

Drei Sekunden geschah nichts. Dann stieg ein dünner Rauchfaden aus dem Kopf des Androiden auf, und es stank nach verbranntem Gummi und heißem Metall.

»Was ist …? Drücken Sie den Hauptschalter, verdammt!« Mauz stürzte auf den OP-Tisch zu, doch der Techniker zog bereits die Elektroden des Krampfgerätes ab und betätigte den Not-Aus-Taster der Masterschnittstelle. Vergeblich. Der Rauchfaden wurde kräftiger, und es knisterte im Inneren des Androiden, der Wärme abzustrahlen begann. Wenn der Brand die Akkus erreichte, würde ihnen der ganze OP um die Ohren fliegen.

»Löschen Sie ihn!«

Krusbaum blickte auf. »Dann ist er ganz hin.«

»Egal! Löschen Sie endlich, verdammte Hacke!«

Schulterzuckend griff Krusbaum nach dem CO2-Löscher. Mit ohrenbetäubendem Röhren blies der Löscher eine Wolke unterkühlten Kohlendioxids auf den Kopf des Androiden, der augenblicklich von einer Reifschicht bedeckt wurde. Noch zwei Gasstöße, dann waren Knistern und Rauchfaden verschwunden. Krusbaum gelang es, den Abzug einzuschalten, bevor die Brandmeldeanlage des OPs ansprang. Lärmend verschwanden die Rauchgase nach draußen.

Mauz atmete auf, doch dann fiel sein Blick auf den Androiden, und seine Anspannung kehrte schlagartig zurück. Der Kunststoff des OP-Tischs hatte Blasen geschlagen und war mit dem Kopf von Kyb Tony verwachsen.

Erst als ein Räuspern hinter ihm erklang, fiel ihm die Meftaler wieder ein. Der Schreck, der ihm durch den Körper fuhr, fühlte sich an, als hätte man ihn selbst an das Elektrokrampfgerät angeschlossen.

»Verdammt noch mal, was wollen Sie noch hier?«

»Das wird Folgen haben, Herr Professor.« Ihre Stimme klang wie das zufriedene Schnurren einer Katze. »Der Dekan wird eine Untersuchungskommission einberufen. Der Besitzer verlangt sicher Schadenersatz. Und die E-Blätter werden einmal mehr die Story von der Folterpsychiatrie aufwärmen.

Alles für Ihr übersteigertes Geltungsbedürfnis. Dafür kann man schon mal eine komplette Kyb-Einheit über den Jordan gehen lassen, nicht wahr?« Ihr Ton wurde beißend. »Sagen Sie mir, Professor, war es das wert?«

»Krusbaum, schalten Sie das Ding wieder ein«, krächzte Mauz und deutete fahrig auf den zerstörten Androiden.

Der Techniker kam seinem Befehl nach, aber augenblicklich begann es wieder zu knistern, und er musste erneut den CO2-Löscher aktivieren.

»Ich glaube, der ist endgültig hin, Professor.«

Mauz’ Blick irrte durch den OP. Das Rauschen des Abzugs schien seine Gedanken zu vernebeln, oder hatte er etwas von den Rauchgasen eingeatmet?

Die Meftaler stand noch immer mit verschränkten Armen hinter ihm. In ihrem Mundwinkel zuckte es, und sie schien das Kinn auf einmal höher zu tragen.

»Wie gut, dass ich wie vorgeschrieben das OP-Protokoll aktiviert habe. Damit dürfte klar dokumentiert sein, dass es sich nicht um ein Versagen der Kyb-Psychiatrie handelt, sondern um die eklatante Missachtung zentraler Sicherheitsvorschriften durch eine einzige Person: durch Sie, Herr Professor. Das da ist allein Ihr Werk.«

In diesem Moment fügten sich die Bruchstücke zusammen. Der fehlerlose Bericht seiner Mitarbeiterin, an dem nichts fehlte – außer der fachlichen Diskussion über Elektrokrampftherapie. Ihr gespielter Zusammenbruch, ihre Ratlosigkeit und später der Widerspruch, mit denen sie seinen Narzissmus gekitzelt hatte.

Meisterhaft hatte sie ihn in diese Katastrophe gelotst, als ob er selbst ein Androide wäre. Nicht er, die Meftaler hatte soeben eine Kyb-Einheit über die Klinge springen lassen.

»Sie … Sie …«

Doktor Meftaler verzog verächtlich den Mund und wandte sich zum Gehen. Im Abwenden fügte sie noch hinzu: »Vermutlich wird demnächst eine Professur an der Charité frei. Ich freue mich schon darauf, mich auf Ihre Stelle zu bewerben.«

DIAGNOSE F

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