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ОглавлениеVorwort
Wie kam es zu dem Titel? Wie kam es überhaupt zu der Idee zu dieser Anthologie?
Fairerweise muss man sagen, dass nicht ich, der beteiligte Psychologe und approbierte Psychotherapeut, die Idee zu diesem Buch hatte, sondern der Grafiker Uli Bendick.
Als dieser das Titelbild zu einem Roman, den ich zusammen mit Gerhard Huber verfasst habe (»Die Heilerin von Hangay«, Perry-Rhodan-FanEdition 20), kreiert und in meiner Kurzvita meinen Beruf erblickt hat, sah er die Stunde für seine lange in ihm gereifte Idee gekommen und fragte mich im Oktober 2018 kurzerhand, ob ich Lust hätte, zusammen mit ihm das Projekt zu stemmen. Natürlich hatte ich – und sagte zu.
Die Arbeitsteilung stand entsprechend seiner Idee von Anfang an fest: Uli würde die Illustrationen zu den Storys beisteuern, ich würde die Storys lektorieren. Zudem sollte ich zu jeder Story einen diagnostischen Kommentar verfassen. Später bot sich Mario Franke als zweiter Illustrator an. Die beiden Künstler haben sich die Arbeit geteilt und zu jeder der in diesem Buch veröffentlichten Geschichte eine Illustration erstellt. Der findige Leser wird aufgrund des unterschiedlichen Stils schnell die Grafiken dem jeweiligen Künstler zuordnen können.
Eine Besonderheit stellt unsere Coverillustration dar, die als einzige im Teamwork und im permanenten Austausch entstand. Uli und Mario fügten Elemente hinzu, nahmen andere wieder heraus oder bearbeiteten bereits vorhandene, solange, bis beide Künstler zufrieden waren.
Quasi als Nebenprodukt entstanden im Teamwork noch zwei weitere Illustrationen sowie einige Einzelarbeiten, die Sie im Anhang als Dreingabe finden.
Der ursprüngliche Arbeitstitel hat sich nur wenig verändert. Aus »F-Diagnosen« wurde das griffigere »Diagnose F«.
Was hat es nun mit dem Titel auf sich? Es gibt weltweit zwei große Klassifikationssysteme, die versuchen, die diagnostischen (Unterscheidungs-) Kriterien psychischer Störungen mit jeder Auflage immer genauer abzubilden: Kapitel F der ICD-10 und das DSM-V (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Edition V; auf gut Deutsch: »Diagnostisch-statistischer Leitfaden psychischer Störungen, Ausgabe 5«) der amerikanischen psychiatrischen Gesellschaft.
Die ICD steht für »International Classification of Diseases«, also die internationale Klassifikation sämtlicher Erkrankungen, und wird herausgegeben von der Weltgesundheitsorganisation, der World Health Organization (WHO). Subkapitel F umfasst besagte psychische Störungen.
Die nächste Ausgabe der ICD, die ICD-11, wurde im Mai 2019 von der WHO verabschiedet. Sie soll frühestens mit Beginn des Jahres 2022 in Kraft treten, sowohl in Deutschland als auch der übrigen Welt. Während der fünfjährigen Übergangsfrist bis Ende 2026 dürfen beide Systeme parallel verwendet werden. Die englischsprachige Version liegt bereits vor. Es wird neue Diagnosen geben (z. B. Gaming disorder – Computerspielsucht), bestehende werden zum Teil anders und genauer beschrieben.
Für uns bzw. unseren Titel gilt zum Glück noch die ICD-10, denn in der ICD-11 wird es eine komplett neue Aufteilungsstruktur und Diagnosencodierung geben. Psychische Störungen werden nicht mehr mit einem Großbuchstaben am Anfang codiert, sondern größtenteils im Kapitel 06 zusammengefasst. Dementsprechend müsste der Titel dieser Anthologie »Diagnose 06« lauten.
Im Gegensatz zur derzeit gültigen ICD-10 sind die diagnostischen Kriterien in der aktuellen fünften Ausgabe des DSM wesentlich stärker operationalisiert, was unter anderem bedeutet, dass sie detaillierter und umfassender beschrieben und somit auch genauer und konkreter gemessen bzw. beobachtet werden können. Die Diagnosefindung ist deshalb mit diesem System oft besser und verlässlicher möglich.
Während im Austausch mit anderen Beteiligten des Gesundheitssystems, also Krankenkassen, Psychiatern, Neurologen, Hausärzten, Kliniken etc. ausschließlich nach ICD-10 diagnostiziert und verschlüsselt werden muss, ziehe ich innerhalb der Therapien deshalb oft zusätzlich das DSM-V zurate, eben weil hier mehr und genauere Krankheitsaspekte und -beschreibungen zu finden sind.
Ein knappes Jahr lang, bis Ende November 2019, lief die Ausschreibung zu unserem Projekt »F-Diagnosen«. Das Thema interessierte nicht nur uns, sondern glücklicherweise viele Autoren. Wir erhielten zahlreiche Zuschriften, genau gesagt vierundsiebzig Storys, darunter auch einige aus dem europäischen Ausland.
Das freute uns, bedeutete aber auch viel Arbeit. Bevor überhaupt ans Lektorieren zu denken war, mussten erst einmal alles Storys gelesen und bewertet werden. Es gab zwei harte Kriterien, die auf jeden Fall erfüllt werden mussten, um Eingang in unsere Anthologie zu finden.
Erstens: Die Story musste mindestens eine psychische Störung thematisieren.
Zweitens: Es musste eine Science-Fiction-Story sein.
Nicht alle Kurzgeschichten erfüllten diese Hauptkriterien. Schweren Herzens mussten wir also deren Autoren eine Absage erteilen, auch wenn die Geschichte noch so gut erzählt war. Bei den verbliebenen Storys ging es hinsichtlich der Auswahl um die üblichen Verdächtigen wie Plot, Spannung, Lesefluss, Figuren und Stil.
Die verbliebenen fünfunddreißig Storys können Sie, lieber Leser, nun in der vorliegenden Anthologie lesen.
An diese Stelle sei angemerkt, dass wir dem Begriff Science-Fiction im wahrsten Sinn des Wortes gerecht werden wollten, indem wir bewusst eine Mischung zwischen Wissenschaft, Fakten und Fiktion präsentieren. Zum einen, weil dies als Psychotherapeut mein Fachgebiet ist, zum anderen, weil gerade das große Feld der psychischen Störungen einen sehr weiten Raum eröffnet, in dem sich die hier vertretenen Autoren kreativ austoben konnten.
Außerdem wollten wir jeder Story einen fachlich fundierten und selbst für den psychologisch ungeschulten Leser verständlichen Hintergrund – den diagnostischen Kommentar – mitgeben. (Siehe hierzu auch die Hinweise zu den diagnostischen Kommentaren im Anschluss an dieses Vorwort.)
Die Erzählungen, die uns die Autoren zugeschickt haben, bilden leider nicht alle Diagnosen zu allen Störungsbildern ab. Bestimmte Störungen waren beliebter als andere. Während das Thema »Protagonist verliert Kontakt zur Realität« (Psychose) sehr beliebt war und wir sehr viele Zuschriften hierzu erhalten haben, vermissen wir Geschichten zu anderen Problembereichen wie beispielsweise Essstörungen, Phobien oder soziale Ängste.
Um beim linear vorgehenden Leser keine Langeweile aufkommen zu lassen, haben wir uns gegen das Bündeln von Storys mit ähnlichen Diagnosen entschieden. Die Reihenfolge der hier vorgestellten Storys orientiert sich also nicht an Diagnosen. Für Uli und mich war Abwechslung das wesentliche Sortierkriterium.
Je nachdem, wie die Anthologie von der Leserschaft aufgenommen wird, planen wir einen Folgeband, in den eventuell hier nicht berücksichtigte Störungsbilder Eingang finden.
Im Register am Ende des Buches finden Sie bei den betreffenden Geschichten den Diagnoseschlüssel in der in der ICD-10 üblichen F-Codierung (z. B. F42.2). Wo eine diagnostische Zuordnung nicht eindeutig möglich war, finden Sie statt des F-Schlüssels ein das Hauptsymptom beschreibende Wort (z. B. Dermatozoenwahn).
Michael Tinnefeld
Essen, im Sommer 2020
Hinweise zu den diagnostischen Kommentaren
Hier folgen einige Anmerkungen zum Gebrauch bzw. zur richtigen Lesart der diagnostischen Kommentare.
Es werden zwar differenzialdiagnostische Überlegungen angestellt, die Kommentare sollen jedoch lediglich, in kursorischer Form, einen Überblick bzw. eine diagnostische Einordnung erlauben. Für Uli, Mario und mich standen und stehen die Storys im Vordergrund, nicht die Diagnostik.
Deshalb fallen die Kommentare mal kürzer, mal ausführlicher aus. Sie erheben keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit und ersetzen keinesfalls ein Lehrbuch! Für diejenigen, die sich intensiver mit dem Thema auseinandersetzen möchten, sei auf entsprechende Fachliteratur verwiesen (siehe weiterführende Literatur zur ICD und zum DSM im Anhang). Eine saubere Diagnostik ist wichtig für die anschließende Therapie. Im ungünstigsten Fall führt eine falsche Diagnose zu einer falschen Behandlung. Diagnostik in der Psychotherapie kann als hypothesengeleitetes Vorgehen verstanden werden, d. h. die Diagnose macht den Therapeuten handlungsfähig, sodass er eine gezielte Behandlung einleiten kann, und gilt so lange, bis in der Therapie etwas eintritt, was zu einer Diagnosenanpassung (und damit auch zu einer Behandlungsanpassung) führt.
Da es sich ausdrücklich nicht um ein Fach- bzw. Lehrbuch handelt, verzichten wir auf die in Fachbüchern und -journalen üblichen Quellenangaben. Die aus meiner Feder geflossenen diagnostischen Kommentare entstammen jahrelanger praktischer Tätigkeit und Erfahrung als Diplompsychologe und Psychologischer Psychotherapeut.
Die Kommentare habe ich nach bestem Wissen und Gewissen, mit größtmöglicher Sorgfalt, verfasst. An den wenigen Stellen, an denen ich gezielt in Fachbüchern nachgeschlagen und zitiert habe, habe ich die Quelle direkt im Text benannt.
Manchmal war das Finden einer oder mehrerer Diagnosen in einer Geschichte einfach, erst recht, wenn der Autor die Diagnosen gleich mitlieferte oder sie in der Story benannt wurden. In anderen Kurzgeschichten war es nicht möglich, eine eindeutige Diagnose zu finden. Hier hätte es eines diagnostischen Interviews des Patienten, also des Protagonisten bedurft, um Informationen über die in der Story gelieferten hinaus zu erhalten. Es liegt in der Natur der Sache, dass dies schlechterdings unmöglich war.
Manchmal gaben die Autoren im Austausch mit mir diagnostische Hinweise, quasi stellvertretend für ihre Protagonisten, sodass eine diagnostische Zuordnung erleichtert wurde.
Wie es in einer Science-Fiction-Anthologie nicht anders zu erwarten ist, erzählen einige Geschichten von psychischen Problemen, für die es (noch) keine Diagnose gibt. In diesen Storys muss also die literarische von der psychologisch-psychiatrischen, gegenwärtigen Realität unterschieden werden.
Das mit Abstand beliebteste Thema bei den an der Ausschreibung teilnehmenden Autoren war die Psychose, bei der die Protagonisten den Bezug zur Realität verlieren. Unter den vorstellbaren psychotischen Symptomen interessierte Autoren besonders der Wahn, vor allem der Verfolgungs- oder Verschwörungswahn – die Paranoia im engeren Sinne.
Vom Wortursprung her ist Paranoia mit Wahn gleichzusetzen, gleich, welchen Inhalt der Wahn hat. Paranoia stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie »wider den Verstand«, also verrückt oder wahnsinnig. Häufig wird es jedoch, was fachlich nicht korrekt ist, nur bei bestimmten Wahninhalten angewendet, eben bei Verfolgungs- oder Verschwörungswahn (Christian Scharfetter: »Allgemeine Psychopathologie«, Thieme, 2017). Dabei gibt es noch eine Reihe anderer Wahnideen, wie den Beziehungswahn, den Größenwahn, den religiösen Wahn, den Liebes- oder Eifersuchtswahn oder körperbezogene Wahnideen, um nur einige zu nennen.
Uli und ich haben allein zehn Storys veröffentlicht, die Paranoia in eben dieser auf Verfolgungs- oder Verschwörungswahn reduzierten Bedeutung als Haupt- oder Nebenthema behandeln. Wie bereits im Vorwort erwähnt, haben wir die Reihenfolge der Storys nicht nach Diagnoseschlüsseln ausgewählt. Da in den diagnostischen Kommentaren zu den betreffenden Storys jeweils sich ergänzende Aspekte zu Verfolgungswahn genannt werden, sind im Folgenden diese Erzählungen aufgelistet:
»Kiss« (Lea Baumgart), »Ghostwriter« (Markus Korb), »Ausgefallen« (Markus Regler), »Bürger 39« (Nora Hein), »Basteleien« (Gerry Rau), »Morgellons Krankheit und Ekboms Irrtum« (Rainer Schorm), »Doktor T.« (Andreas Müller), »Weisheiten« (Maike Braun), »Büchel« (Johann Seidl) und »Paranoia« (Monika Niehaus).
Insgesamt präsentieren wir sogar vierzehn Kurzgeschichten, die sich mit dem übergeordneten Symptomkomplex Psychose, Wahn, Halluzinationen und Realitätsverlust beschäftigen. Neben den zehn genannten sind das: »Der Fall Häwelmann« und »Folie à deux« (beide von Monika Niehaus), »Ton in Ton« (Ellen Norten) und »Ero(bo)tomanie« (Janika Rehak).