Читать книгу Ein Heimsieg per Post - Группа авторов - Страница 11
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Ausgleichstor durch Klopapier
Fassungslos holt Wolfgang Kleff den gerade neben ihm eingeschlagenen Ball aus den Maschen. Einen Moment lang ist Borussias Keeper im Zweitrundenspiel des Landesmeister-Wettbewerbs gegen den FC Everton nicht aufmerksam, da ist es passiert. Und woran lag’s? Klopapierrollen! Die vielen englischen Schlachtenbummler in der Gästekurve des Bökelbergstadions haben in der Pause zahlreiche von ihnen auf das Spielfeld geworfen. „Der ganze Strafraum war damit übersät. Es hätte gut passieren können, dass dadurch ein Ball abgefälscht wird. Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, sie wegzuräumen“, erinnert sich Kleff. Als seine Vorderleute kurz nach der Pause den Ball hinter der Mittellinie in den eigenen Reihen halten, wähnt sich der Schlussmann in Sicherheit. Er wagt sich aus seinem Kasten, packt die endlos wirkenden Klopapierrollen und räumt sie beiseite. In diesem Moment verlieren die Borussen den Ball. Die Engländer schalten schnell und treiben das Spielgerät nach vorne. Kendall erkennt die Situation, zieht aus 30 Metern ab und der Ball schlägt neben Kleff zum 1:1-Ausgleich im Winkel ein. „Unser Torhüter hätte sich nicht um die Papierrollen kümmern sollen, sondern sich besser auf das Spiel konzentriert“, ärgert sich Trainer Hennes Weisweiler über den Fauxpas, der dem FC Everton den wichtigen Auswärtstreffer beschert.
Der Torhüter selbst ärgert sich am meisten über das unnötige Gegentor. „Das war eine ziemlich peinliche Situation für mich. Wäre ich im Kasten geblieben, hätte ich den Schuss locker gehabt“, sagt Kleff und gibt zu: „Das Ding geht ganz klar auf meine Kappe, da muss man nicht drum herumreden. Wenn man einen Fehler macht, muss man auch dazu stehen.“ Auch wegen seiner offenen und ehrlichen Art ist der Torwart bei den VfL-Fans sehr beliebt. Häme und Spott bleiben deswegen trotz seines Missgeschicks bis zum Spielende aus. „Zum Glück hatte ich damals ziemlich großen Kredit bei den Fans. Die waren natürlich nicht begeistert, aber sie haben mir den Fehler sofort verziehen“, so Kleff. Allerdings zeigen sich die Borussen, die zuvor in der 35. Minute durch Berti Vogts 1:0 in Führung gegangen waren, durch den überraschenden Gegentreffer geschockt und geben die Spielkontrolle ab. Es bleibt am Ende beim mageren 1:1 – keine gute Ausgangsposition für das Rückspiel zwei Wochen später.
„Um Haaresbreite hätte ich in meinem ersten Länderspiel sogar den Ball getroffen.“
Hartwig Bleidick nach seinem Debüt für die deutsche Nationalmannschaft am 12. Juni 1971. Beim 2:0 gegen Albanien wurde er in der 89. Minute für Berti Vogts eingewechselt.
Für diese Partie hat sich Kleff viel vorgenommen. „Dieses dumme Gegentor aus dem Hinspiel hat mich extrem angespornt. Ich hatte gegenüber meinen Mannschaftskameraden ein schlechtes Gewissen und wollte das unbedingt wieder gutmachen“, berichtet der Keeper – und dieser Plan geht auf. Im Rückspiel im Goodisonpark in Everton wächst Kleff über sich hinaus. Gleich nach 30 Sekunden nutzt Morrissey eine Unachtsamkeit in der VfL–Defensive zwar zum 1:0, doch die egalisiert Herbert Laumen in der 35. Minute. Im Anschluss avanciert Kleff im Regen von Liverpool zum besten Mann auf dem Platz. Reihenweise lässt er mit seinen Paraden die Angreifer der Hausherren verzweifeln. Selbst die zum Teil äußert robusten Attacken gegen ihn steckt er weg und rettet sein Team ins Elfmeterschießen. „Kleff hat eine Torhüterleistung gezeigt, wie wir sie möglicherweise nie mehr erleben“, mutmaßt die englische Presse. Noch weiter geht Evertons Manager Catterick, der Kleff für seinen Glanzauftritt das Eiserne Kreuz verleihen will.
SAISONVERLAUF
TITELVERTEIDIGUNG NACH HERZSCHLAGFINALE In der Saison 19701/71 sorgt Borussia für ein Novum. Als erstem Bundesligaverein gelingt es ihr, den Meistertitel erfolgreich zu verteidigen. Mit 77 Toren stellt der VfL erneut die angriffslustigste Mannschaft – so weit nicht außergewöhnlich. Ein anderer Bestwert ist dagegen überraschend: Die Weisweiler-Elf muss lediglich 35 Gegentreffer hinnehmen und verfügt damit auch über die beste Abwehr der Liga. Gleich 13-mal spielt sie zu null. Von 34 Spielen verliert Borussia lediglich vier – trotz dieser rekordverdächtigen Werte muss sie bis zum Schluss um den Titelgewinn zittern. Am letzten Spieltag kommt es zum Fernduell zwischen ihr und den punkt- und nahezu torgleichen Bayern. Zur Pause würde die Meisterschale nach München wandern, die ein 0:0 in Duisburg halten, während der VfL in Frankfurt mit einem 1:1 in die Pause geht. In der zweiten Hälfte wendet sich aber das Blatt. Bayern verliert 0:2 beim MSV, Borussia entscheidet mit einem 4:1 den Titel-Krimi für sich. Den Grundstein zur zweiten Meisterschaft legt sie mit einer überragenden Hinrunde, in der sie nur ein einziges Spiel (2:4 bei Hertha BSC) verliert. Als Extra-Motivation auf dem Weg zum Titel dient den Fohlen das bittere Zweitrunden-Aus im Europapokal der Landesmeister gegen Everton. Mit einem 3:0 über den HSV – dem fünften Sieg in Folge – übernimmt Borussia am 19. Spieltag die Tabellenführung und gibt diese trotz Ausrutschern gegen Bielefeld (0:2) und in Köln (1:3) sowie dem gewerteten 0:2 im berüchtigten „Pfostenbruch-Spiel“ gegen Werder Bremen bis zum 33. Spieltag nicht mehr ab. Im Herzschlagfinale am letzten Spieltag gelingt ihr dann die Titelverteidigung.
„Ich habe zwar nur gute Spiele gemacht“, sagt Kleff augenzwinkernd. „Aber das in Everton war mein bestes und gleichzeitig mein internationaler Durchbruch.“ Das Happy End bleibt ihm und den Borussen allerdings verwehrt. Kleff pariert zwar den ersten Elfmeter von Evertons Torjäger Royle, doch im Abschluss versagen Herbert Laumen und Ludwig Müller die Nerven. Everton siegt mit 4:3 und zieht ins Viertelfinale ein – die Borussen schleichen enttäuscht in die Kabine. „Wer weiß, wie das Rückspiel gelaufen wäre, wenn wir am Bökelberg 1:0 gewonnen hätten. Doch Niederlagen gehören zum Sport dazu – auch wenn diese wirklich kurios zustande gekommen ist“, bilanziert Kleff.
Torwart Wolfgang Kleff sammelte in seinem Strafraum Klopapier ein und wurde von einem Distanzschuss überrascht.
PERSONALIE
SICHERER ELFMETERSCHÜTZE Er steht selten im Rampenlicht, dennoch ist Klaus-Dieter Sieloff zwischen 1969 und 1974 eine der Führungsfiguren Borussias. Der anfangs noch etwas schwerfällig wirkende frühere Boxer entwickelt sich beim VfL schnell zum leichtfüßigen Libero, der nach vorne marschiert, sobald sich ihm eine Gelegenheit bietet. In der zweiten Meistersaison steuert er sechs Tore bei – in keiner anderen Spielzeit gelingen Sieloff mehr Treffer. Gleich viermal trifft er vom Elfmeterpunkt, ein besonderes Geheimnis für seine Nervenstärke hat er nicht. „Entscheidend ist, dass man konzentriert ist. Wenn ich antrete, blende ich alles um mich herum aus“, sagt Sieloff. Den kuriosesten Strafstoß verwandelt er am 29. Spieltag beim 1:0 gegen den MSV Duisburg. In der 38. Minute fängt MSV-Verteidiger Michael Bella den Ball im eigenen Strafraum mit beiden Händen. Er hatte zuvor einen Pfiff gehört – doch den gibt es erst nach seinem Handspiel. Schiedsrichter Rudolf Schröck bleibt nichts anderes übrig, und er zeigt auf den Punkt. Sieloff nimmt das Geschenk an und verwandelt in gewohnt sicherer Manier.