Читать книгу Ein Heimsieg per Post - Группа авторов - Страница 6
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Der Pass kommt im Safe
Es ist Donnerstagabend, als in Borussias Mannschaftsquartier Schloss Glienicke in Berlin die Telefondrähte ordentlich glühen. In zwei Tagen spielt die Fohlenelf im Olympiastadion gegen Tasmania Berlin. Die Aufregung im Teamhotel ist weniger auf die Aufgabe beim abgeschlagenen Tabellenschlusslicht als vielmehr auf den Umstand zurückzuführen, dass gleich vier Spielern der Fohlenelf eine unfreiwillige Verlängerung der Dienstreise in die geteilte Stadt droht. Sie haben ihre Pässe zu Hause gelassen. Einige Stunden zuvor, am frühen Mittag, sind Mannschaft, Trainer und Betreuer im Bus auf dem Weg von der Geschäftsstelle zum Düsseldorfer Flughafen, als bemerkt wird, dass die vier Akteure ihre Ausweise nicht im Reisegepäck haben. „Wir dachten, Berlin gehöre zu Deutschland“, versuchen sie sich zu rechtfertigen. Die Situation ist aber eindeutig: Bei der Ausreise aus Berlin – auch über den Flughafen Tempelhof – erfolgt die gleiche Registrierung und Kontrolle, als wenn man aus dem Ausland zurückkehrt. Für die vier Fußballer heißt das: ohne Ausweis keine Rückreise aus Berlin.
Nachdem die Fohlenelf ihr Quartier an der Grenze von Berlin zu Potsdam bezieht und in einer Halle am Wannsee erst einmal eine kleine Trainingseinheit absolviert, geht es an die Lösung des Problems. In dieser Situation erweist es sich als Vorteil, dass Borussia derart früh zum Auswärtsspiel gereist ist. Am Freitag nämlich macht sich eine weitere Gruppe – bestehend aus Borussias Vorstand und Freunden des Vereins – auf den Weg vom Niederrhein nach Düsseldorf. Drei Spieler haben wenig Mühe, von Berlin aus per Telefon dafür zu sorgen, dass ihre Pässe von Mönchengladbach und Viersen rechtzeitig zu jener Reisegruppe gelangen, die die Dokumente dann mitbringt nach Berlin. Einzig bei Bernd Rupp gestaltet sich die Sache ein wenig komplizierter. „Ich habe zur damaligen Zeit bei Tante Titti gewohnt“, erinnert sich Borussias kleingewachsener Stürmer. Mathilde Bückmann, von allen nur „Tante Titti“ genannt, beherbergt in ihrem Haus in Mönchengladbach-Holt auswärtige Borussen, unter anderem den gebürtigen Hessen Rupp. Und der ist, was die Ablage seines Ausweises angeht, durchaus ordnungsbewusst. Rupp hat seinen Pass in einer Art Mini-Safe verschlossen. Dieser wiederum ist in einem ebenfalls abgeschlossenen Schrank in seinem Zimmer. Eine doppelte Sicherung, die sich in diesem Moment als äußerst ungünstig erweist. Mit Hilfe eines Schlossers muss „Tante Titti“ gewissermaßen bei sich selbst einbrechen lassen. Der Schrank ist schnell offen, es bleibt der ungeöffnete Mini-Safe. Den Schlüssel dafür hat Rupp unglücklicherweise mitgenommen zum Auswärtsspiel bei Tasmania. Also nimmt „Tante Titti“, die ebenfalls am Freitag in die frühere Hauptstadt nachreist, kurzerhand den kompletten Safe mit.
„Der Schulz tritt seine eigene Großmutter tot, wenn er damit ein Tor verhindern kann.“
Trainer Hennes Weisweiler nach dem 0:0 gegen den Hamburger SV, bei dem der Hamburger Verteidiger Willi Schulz Günter Netzer brutal foult.
Bernd Rupp in Aktion: Nach dem Auswärtsspiel bei Tasmania Berlin hätte der Angreifer beinahe unfreiwillig länger in der geteilten Stadt bleiben müssen.
SAISONVERLAUF
DIE ERSTEN SCHRITTE IN DER BUNDESLIGA Mit einem Sieg am heimischen Bökelberg und drei Unentschieden auf fremden Plätzen startet Borussia beachtlich in ihre erste Bundesligasaison. Mit dem spektakulären 4:5 gegen Borussia Dortmund, bei dem fünf Elfmeter verhängt werden, beginnt eine Serie von drei Niederlagen in Folge. Ein 2:0 gegen Hannover ist dann der erste von drei Siegen in Serie. Derart unbeständig geht es weiter. Vor der Winterpause kassieren die Borussen noch einmal vier Pleiten nacheinander. Die Hinrunde endet dann wiederum mit einem bravourösen 1:1 gegen Meisterschaftsanwärter 1860 München. Auch in der Rückserie zeigt die Weisweiler-Elf gerne ihre zwei Gesichter. Mitunter gibt es furiosen Offensivfußball, dann wieder offenbart der Aufsteiger seine Naivität. Nürnberg wird 8:3 vom Bökelberg geschossen, wenige Wochen später geht der VfL an gleicher Stelle 0:7 gegen Werder Bremen unter. Eine Woche später sichert sich Borussia mit einem 3:3 bei den Münchner Löwen, dem späteren Meister, Tabellenplatz 13. Herbert Laumen erzielt allein in diesem Spiel drei seiner insgesamt sechs Saisontore. Erfolgreichster Angreifer der Borussen ist aber Bernd Rupp, der auf 16 Treffer kommt und im DFBPokal in der ersten Runde Opel Rüsselsheim beim 5:1 mit drei Toren fast im Alleingang schlägt. Während vorne einige Male die Tormaschine angeworfen wird, zeigt sich die Abwehr nicht immer sattelfest. Mit 68 Gegentoren stellt Borussia die viertschlechteste Defensive der Liga. Daran ändert auch Berti Vogts nichts, der vor der Saison aus Büttgen kommt und sich schnell in die Herzen der VfL-Fans rackert.
Es sind einige bissige und ironische Bemerkungen, die sich Rupp anhören darf, als ihm der Safe im Mannschaftsquartier übergeben wird. Dem Angreifer wird es egal sein. Durch die Hilfsaktion ist seine Abreise nach dem Spiel gesichert. Dass das Spiel bei Tasmania, das mit zehn Niederlagen in Folge als krasser Außenseiter gilt und später alle Negativ-Rekorde der Bundesliga hält, bei unlauteren Bedingungen – der Schnee auf dem Rasen des Olympiastadions liegt bei minus sechs Grad knöchelhoch – zur Enttäuschung der Borussen nur 0:0 endet, passt zur komplett verpatzten Reise nach Berlin. Um 20.10 Uhr geht es mit einer Maschine der British European Airways (BEA) von Tempelhof aus Richtung Düsseldorf. An Bord sind alle Borussen – auch Bernd Rupp. Ohne seinen Ausweis hätte der Stürmer in Berlin auf eine amtliche Bestätigung der Stadtverwaltung Mönchengladbach warten müssen. Die wäre frühestens am Montag möglich gewesen. So aber kommt Rupp pünktlich zurück in seine Wahlheimat und kann wie seine Mannschaftskameraden am nächsten Abend am rauschenden Winterfest der Borussen teilnehmen. Spätestens dann sind alle „Unpässlichkeiten“ und schlechten Witterungsverhältnisse, die die Berlin-Reise begleiteten, vergessen.
PERSONALIE
ZWEITE KARRIERE IM SULKY Die Saison fängt denkbar schlecht an für Albert Jansen. Beim ersten Bundesligaspiel in Neunkirchen wird der Kapitän wegen zweimaligen Handspiels vom Platz gestellt. Im März 1966 verändert sich Jansens Leben nachhaltig. Zuerst heiratet er seine Freundin Margot, dann gewinnt er mit Borussia das Bundesligaspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern, und am Abend gehört er beim „Preis der Bundesliga“ auf der Gladbacher Trabrennbahn zu einigen Fußballern, die für ein Rennen in den Sulky wechseln. Jansen, Spitzname „eiserner Albert“, muss den eigenwilligen Wallach „Indosso“ lenken. Das gelingt dem 29-Jährigen mit einem souveränen Sieg bravourös. Der Auftritt hinterlässt Eindruck. Jansen bekommt ein lukratives Angebot aus der Szene und beendet vorzeitig seine Karriere. „Um meiner zukünftigen Familie willen kann ich das großzügige Trabangebot unmöglich ausschlagen. In der Bundesliga könnte ich so viel Geld gar nicht verdienen“, erklärt der beinharte Verteidiger, der den VfL drei Spielzeiten als Kapitän angeführt hat und seine Fußballschuhe nach 120 Oberliga- und 30 Bundesligaspielen für Borussia an den Nagel hängt.