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Als Netzer wie ein Nasenbär aussah
Es geht um Zeit. Also beeilt sich Rainer Bonhof, mögliche Lösungen in das TV-Studio zu rufen. Und wenn es darum geht, zu erraten, was jemand gerade malt, sind Begriffe aus der Zoologie immer willkommen. Also glaubt Bonhof einen Nasenbären in dem zu sehen, was sein Mannschaftskamerad Klaus Sieloff zeichnet. Es dauert noch ein bisschen, ehe die richtige Antwort kommt: Das Gezeichnete soll den gemeinsamen Mitspieler Günter Netzer darstellen. Auch wenn die Lösung in diesem Fall nicht allzu schnell kommt, erweist sich das Team Borussia an diesem Abend als deutlich besser als die gegnerische Mannschaft vom FC Bayern München.
In einem Fernsehstudio des Hessischen Rundfunks in Frankfurt am Main messen sich die beiden prägenden Fußballvereine der 70er Jahre auf ungewohntem Terrain. Die Sendung „Die Montagsmaler“ wird gerade ins Abendprogramm des Ersten deutschen Fernsehens aufgenommen. Das Konzept ist einfach: Zwei Teams müssen abwechselnd erraten, was einer ihrer Mitspieler gerade zeichnet. Um die Aufmerksamkeit für den Sendeplatz in den ersten Wochen zu steigern, treten in den ersten vier Sendungen jeweils Delegationen von Fußballmannschaften der Bundesliga gegeneinander an. Es geht um Striche statt um Punkte. Das Duell zwischen Borussia und Bayern am 11. März 1974 soll der Höhepunkt sein. Borussias Präsident Dr. Helmut Beyer hat der Produzentin Lia Wöhr vor Wochen die Zusage gegeben, dass der VfL sich mit einer Gruppe beteiligen werde. Trainer Hennes Weisweiler höchstpersönlich soll das kreative Ensemble zusammenstellen. „Ich weiß nicht, wieso ich dabei war“, sagt Rainer Bonhof. Das zeichnerische Talent könne es nicht gewesen sein, vielleicht eher der Humor. Neben Bonhof werden Klaus Sieloff und dessen Frau sowie Horst Köppel auserkoren. Zudem gibt es ein weiteres Team mit Jugendspielern des VfL. Die Borussen bereiten sich akribisch auf den Auftritt im Fernsehen vor und üben fleißig im Klubheim. Aus einer Schule wird ein Gerät geliehen, das die gemalten Striche aufnimmt und groß an die Wand wirft.
„Wir haben in Stuttgart ganz knapp verloren“
Berti Vogts nach dem 1:6 beim VfB vor Millionen Zuschauern in einer Fernsehsendung zugunsten von Unicef.
Das viele Üben bleibt nicht ohne Wirkung. In der von Frank Elstner moderierten Sendung setzt sich Team Borussia deutlich 60:38 gegen Team Bayern – unter anderem mit Uli Hoeneß – durch. Als Belohnung gibt es 500 Mark für die erwachsenen Spieler, einen Betrag für den Verein zur freien Verwendung und Spielzeug für die Nachwuchskicker. Insbesondere den Jugendlichen ist der hohe Sieg nämlich zu verdanken. Wobei auch die gestandenen Profis ihren Beitrag zum Erfolg geleistet haben. „Klaus Sieloff, vor allem aber seine Frau, haben sehr gut gezeichnet, und wir haben ganz gut geraten“, erzählt Bonhof. Das Mal- und Ratetalent Sieloffs hat Trainer Hennes Weisweiler wohl schon erahnt, als er auf die Frage, welche Tipps er ihm vor der Sendung geben könnte, nur entgegnet: „Der Klaus ist so gut in Form, der braucht keine Tipps.“ Grundsätzlich aber betrachtet der Trainer den Ausflug seiner Spieler ins Abendprogramm mit Missfallen. „Was haben wir uns schon mit der Vorbereitung für diese Dreiviertelstunde im Fernsehstudio herumgeplagt“, ärgert sich der Meistertrainer. „Davon hat man doch sportlich überhaupt nichts. Jeder Punkt in der Bundesliga wäre mir wichtiger.“ Die Beteiligten selbst sehen den Auftritt als nette Abwechslung im Bundesliga-Alltag an. „Es war lustig“, so Bonhof.
SAISONVERLAUF
DER BESTE VIZEMEISTER Die erste Saison ohne den Lenker und Denker Günter Netzer ist beinahe eine meisterhafte. Borussia erzielt 93 Tore, so viele wie nie zuvor in einer Spielzeit. Die Weisweiler-Elf ist das beste Team der Rückrunde, gewinnt zehnmal auf fremden Plätzen und muss sich am Ende doch „nur“ mit dem zweiten Platz hinter Bayern München begnügen. Ein Punkt trennt den VfL am Ende vom Meister. Der Traum, die Münchner im letzten Saisonspiel am heimischen Bökelberg noch zu überflügeln, platzt am vorletzten Spieltag, als Borussia bei Fortuna Düsseldorf verliert und sich der Rivale aus dem Süden den Titel vorzeitig sichert. Das 5:0 zum Saisonabschluss gegen die Bayern bleibt wertlos. Stolz ist man am Niederrhein dennoch auf die Saison. Zum Auftakt bleibt die Fohlenelf sieben Spiele ohne Niederlage. Das ist zur damaligen Zeit ein Bundesligarekord. Auch Verletzungen arrivierter Profis, die Trainer Weisweiler immer wieder zum Umbau seiner Mannschaft zwingen, stören den Spielfluss nicht. In 18 der 34 Spiele trifft der VfL dreimal oder noch öfter. Kantersiege gegen Schalke (6:0), Wuppertal (7:1), Hamburg (6:1) und Offenbach (5:1) werden von der Presse als „Tore-Feten am Bökelberg“ gefeiert. Ein Garant dafür ist Stürmerstar Jupp Heynckes, der am Ende mit 30 Toren gleichauf mit Gerd Müller die Torschützenliste der Bundesliga anführt. Mitte der Hinrunde schwächelt die Weisweiler-Elf aber, negativer Höhepunkt ist das 1:6 beim VfB Stuttgart. Borussia verliert die Tabellenspitze und jagt fortan den Bayern hinterher. Sie einzuholen, das gelingt dem „am Ende besten Tabellenzweiten, den es jemals gab“ (Präsident Dr. Helmut Beyer) trotz einer grandiosen Rückkehr nicht mehr.
Die Mannschaftskameraden, die am heimischen Fernseher zuschauen, amüsieren sich ebenfalls. „Ich glaube, als Montagsmaler haben wir Borussen eher Titelchancen als in der Bundesliga“, sagt Jupp Heynckes nicht ganz ernst gemeint. Bleibt die Frage, wie die anderen Borussen Günter Netzer gezeichnet hätten, ohne dass Vergleiche mit einem Nasenbären entstehen? Die Antworten ähneln sich: „Große Füße und einen Fußball“, sagt Heynckes. „Die großen Schuhe hätte ich gemalt“, sagt Henning Jensen. Und auch Bernd Rupp würde sich auf ein markantes Detail konzentrieren: „Einen Fußballer mit riesiger Schuhgröße.“
Dietmar Danner feiert in der Saison 1973/1974 sein Debüt in der deutschen Nationalmannschaft.
PERSONALIE
DANNERS LAUF ZU SAISONBEGINN Dietmar Danner gehört zu den Borussen, die den Weggang von Günter Netzer im Mittelfeld in dieser Saison kompensieren sollen. Und der laufstarke Linksfuß, zwei Jahre zuvor aus Mannheim an den Bökelberg gekommen, ist zu Saisonbeginn gleich voll da. Beim 3:1 zum Saisonauftakt gegen Fortuna Köln trifft er per Elfmeter. In den vier darauffolgenden Spielen markiert er ebenfalls jeweils einen Treffer. Fünf Spiele, fünf Tore – eine beachtliche Serie für einen Akteur, der in 179 Bundesligaspielen für den VfL insgesamt „nur“ 27 Treffer erzielt. Seine guten Leistungen bleiben nicht unbemerkt. Noch während der Hinrunde kommt Danner zu seinem ersten Länderspieleinsatz. Beim 1:0 der deutschen Nationalmannschaft in der Sowjetunion Anfang September bildet Danner mit Franz Beckenbauer und Hans-Georg Schwarzenbeck eine Mittelfeldreihe. An die Leistungen im Verein kann er nicht ganz anknüpfen. Im Borussen-Dress gelingen ihm derweil bis zum Saisonende noch vier weitere Treffer. Damit trägt Danner einen guten Teil dazu bei, dass der VfL mit 93 Treffern der torhungrigste Vizemeister aller Zeiten wird.