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Оглавление1967|68
„Wat glaubt ihr denn, womöt ech in Jlabach die Tore maach?“
Die Uhr im langen Gang der Station G12 im Unfallkrankenhaus Duisburg-Buchholz zeigt 19.27 Uhr, als Borussias Spielmacher Günter Netzer und der Reporter Günter Esser von der Westdeutschen Zeitung der Zimmertür von Peter Meyer zustreben. „Wollen Sie noch zu Herrn Meyer?“, fragt die Krankenschwester, „ich glaube, der schläft schon.“ Aber die junge Dame ist gnädig und lässt die beiden eintreten. Tatsächlich, der „Pitter“, wie alle Borussias verletzten Torjäger nennen, schläft schon. Aber er lässt sich gerne noch einmal aus dem Schlummer holen und berichtet seinen Besuchern von einem weiteren Tag voller Schmerzen und Kümmernisse. „Die sind hier zwar alle nett und freundlich, aber ich falle denen auf die Nerven, weil ich immer frage, wann ich hier endlich herauskomme“, berichtet Meyer.
Zehn Tage ist es nun her, dass sich Meyer das rechte Schien- und Wadenbein gebrochen hat. Passiert ist es in der Sportschule Wedau bei einem Lehrgang für angehende Verbandstrainer, durchgeführt von Gladbachs Trainer Hennes Weisweiler, der zur Anschauung seine komplette Mannschaft mitgebracht hat. Bei einem Zusammenprall mit Meyer („So etwas passiert in jedem Spiel zehnmal“, so Weisweiler) fällt Torwart Volker Danner dem Stürmer unglücklich aufs Bein, und der schreit vor Schmerzen auf. Meyer wird sofort ins Krankenhaus gebracht, wo die schwere Verletzung festgestellt wird, schon am nächsten Tag wird der Stürmer operiert, mit einem 31 Zentimeter langen Stahlstift von elf Millimetern Stärke wird der Bruch gerichtet.
18 Spieltage sind zu diesem Zeitpunkt in der Saison 1967/68 gelaufen und Meyer führt die Torschützenliste der Bundesliga mit 19 Treffern an. Von Fortuna Düsseldorf ist er im Sommer an den Bökelberg gekommen, als Ersatz für den nach Hannover abgewanderten Jupp Heynckes. Gleich im ersten Bundesligaspiel für den VfL, beim 4:3 in Schalke, trifft er dreimal, nach vier Spieltagen hat er schon neunmal zugeschlagen, am 15. Spieltag ist Meyer bei 19 angelangt und er macht sich Hoffnung, sich einen großen Wunsch zu erfüllen: Torschützenkönig zu werden. Doch daraus, das weiß der „Pitter“ nach seinem Beinbruch ganz schnell, wird nun nichts mehr werden.
„Meine Burschen wissen, dass mir ein Sieg in Köln über alles geht.“
Trainer Hennes Weisweiler nach dem 5:2-Sieg in Köln am 15. Spieltag.
Torjäger mit Krücken: Peter Meyer.
SAISONVERLAUF
VON WEGEN ABSTIEGSKAMPF … Bei Borussia ist im Sommer 1967 die Sorge groß, dass die Lücke, die Jupp Heynckes (zu Hannover 96) und Bernd Rupp (zu Werder Bremen) hinterlassen, nicht gefüllt werden kann. Die beiden haben im Vorjahr zusammen 30 Tore geschossen und sind dann dem Ruf zahlungskräftigerer Klubs gefolgt. Die größten Pessimisten unken sogar vom Abstiegskampf, Hennes Weisweiler spricht vom Neuaufbau, „wir haben uns nicht verstärken können“, sagt der VfL-Trainer.
Es läuft dann aber viel besser als erwartet. Der von Fortuna Düsseldorf geholte Heynckes-Ersatz Peter Meyer schlägt toll ein, und auch Herbert Laumen trifft weiter wie am Fließband (beide 19 Tore). Von den ersten vier Saisonspielen gewinnen die Borussen drei, dann folgt mit einem 0:1 beim späteren Meister 1. FC Nürnberg die erste Niederlage. Die Zuschauer am Bökelberg kommen in den Genuss berauschender Siege wie beim 8:2 gegen Kaiserslautern und beim 10:0 gegen Neunkirchen. Es gibt nur eine einzige Heimniederlage, die aber fällt mit 1:6 gegen Schalke deftig aus.
Borussia beendet die Saison schließlich als Dritter, fünf Punkte hinter dem 1. FC Nürnberg und zwei hinter Werder Bremen. Es ist im dritten Jahr nach dem Bundesligaaufstieg die bis dahin beste Platzierung für die Gladbacher.
Der Chirurg, der Meyers gebrochenes Bein operiert, berichtet dem Fußballer am Tag nach dem Eingriff, dass er noch nie einen stärkeren Schienbeinknochen gesehen habe. „Ja, leve Mann, wat glaubt ihr denn, womöt ech in Jlabach die Tore maach?“, entgegnet der „Pitter“. In seinem Zimmer türmen sich die Blumensträuße und Genesungskarten, jeden Tag geben sich die Besucher die Klinke in die Hand, und auch das Telefon steht nicht still. Kein Wunder, schließlich hat die Westdeutsche Zeitung offenherzig dazu aufgerufen, dem „Pitter“ zu schreiben oder ihn in seinem Krankenzimmer anzurufen, sogar die Durchwahlnummer hat das Blatt mit abgedruckt. Gerade so, als wüssten alle, dass der ungeduldige „Pitter“ nichts mehr braucht als Ablenkung. „Der Pitter freut sich über jeden Gruß aus der freien Welt wie nie zuvor.“
17 Tage verbringt Meyer im Duisburger Krankenhaus, doch damit ist seine Leidenszeit noch nicht beendet. Aus den vier Monaten ohne Fußball, die ihm die Ärzte zunächst angekündigt haben, werden fast anderthalb Jahre. Am 23. August 1969, dem ersten Spieltag der übernächsten Saison, läuft Peter Meyer noch mal für Borussia auf, muss das Heimspiel gegen Bayern München aber schon in der Pause wieder beenden – zu groß sind die Schmerzen im Bein. Es bleibt sein letztes Spiel für Borussia Mönchengladbach.
PERSONALIE
DOPPELTE ZWILLINGE Vier Spieler stoßen vor der Saison 1967/68 aus Borussias eigener Jugend zum Profikader. Kurioserweise handelt es sich bei den vieren um zwei Zwillingspärchen: Erwin und Helmut Kremers sowie Dieter und Klaus Baumanns. Während die Baumanns-Brüder zu keinem Einsatz kommen und nach der Saison zu Holstein Kiel wechseln, gelingt den Kremers-Zwillingen der Sprung in die Bundesliga. Fünf Spiele macht Erwin in seinem ersten Jahr, zwei sein Bruder Helmut. So richtig erfolgreich werden beide aber auch erst später bei anderen Vereinen, bei den Offenbacher Kickers und Schalke 04. Ein doppeltes Zwillingspärchen in die Bundesliga zu bringen, das machte Hennes Weisweiler niemand mehr nach. „Die kennen sich schon von klein auf und einer möchte immer besser als der andere sein“, so der Trainer der kickenden Brüder.