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Fragiler Ball deiner Liebe

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Tango mit Gott

Moni Egger

Schon wieder bist du mir abhanden gekommen. Klammheimlich. Erst jetzt bin ich aufgeschreckt und suche dich. Dabei erzähle oder schreibe ich fast täglich von dir. Aber ach, ich kann dich nicht halten. Und ich verliere mich ohne dich. Das hab ich mir anders vorgestellt – wenn doch jetzt Tag für Tag du mein Thema bist, hab ich gehofft, dass unsere Beziehung stabiler würde, weniger flüchtig. Aber es geht wohl nicht nebenbei, en passant. Ich muss mich von innen her und ganz bewusst um dich in mir kümmern, damit ich uns beide nicht verliere. Muss meine Füsse fühlen, wie sie den Boden tasten. Muss mein Zentrum fühlen, in meiner eigenen Achse bleiben, selbst stehen, damit ich mich führen lassen kann von dir. Ich halte, so gut es geht, das Gleichgewicht, Stabilität trotz hohen Absätzen. Du! Tanz mit mir. Tanz wieder! Ich bin bereit. Meine Schuhe glitzern, mein Herz – bitte, wart nicht so lang, komm auf mich zu! Schau mich an, nimm mich in den Arm, tanz mit mir! Und ich will auf dich lauschen. Will und werde fühlen, wo du mich hinführst. Werde meine Schritte setzen, selbst und stark und stabil. Werde nicht wanken. Werde in meiner Achse bleiben oder, wenn’s die Musik erlaubt, mein Zentrum aufgeben und mich auf unsere gemeinsame Mitte verlassen. Wenn wir uns finden, wird der Tanz schwerelos. Voll Energie, lebendig bis ins Innerste, lebendig bis in die äusserste Faser. Unser Tanz, ein «lustiger Ball deiner Liebe» (Madeleine Delbrel):

Will einer ein guter Tänzer sein, mit dir oder sonstwie, darf er nicht wissen, wohin es führt. Nur folgen muss man, aufgelegt sein und schwerelos, und vor allem sich nicht versteifen. Man soll dir keine Erklärungen abverlangen über die Schritte, die du zu tun beliebst, sondern sein wie eine Verlängerung deiner, behende und wendig, und durch dich hindurch den Takt des Orchesters aufnehmen. Man darf nicht um jeden Preis vorankommen wollen, sondern soll zufrieden sein, sich zu drehen, seitwärts zu steppen, anzuhalten, wenn nötig, und zu gleiten, anstatt zu schreiten. Und all das wären nur idiotische Schritte, machte nicht die Musik daraus eine Harmonie. Wir hingegen vergessen die Musik deines Geistes, und machen aus unserem Leben eine Turnübung; wir vergessen, dass es in deinen Armen getanzt wird, dass dein |20| Heiliger Wille von unvorstellbarer Phantasie ist, dass es monoton und langweilig nur für ältliche Seelen zugeht, die als Mauerblümchen sitzen am Rand des lustigen Balls deiner Liebe.1

Tango ist Seiltanz zwischen Folgen und Selbstbestimmung. Tango verlangt, genau wie du, ganze Hingabe bei vollkommenem Bei-mir-Sein. Leichtigkeit und Bodenhaftung. Ich lasse mich führen. Und ich tanze selbst. Grundbedingung 1: der Boden. Ich muss mich auf den Boden einlassen, mich seiner Beschaffenheit anpassen. Oder vielleicht die Schuhe wechseln. Oder aufhören zu tanzen. Grundbedingung 2: die Musik. Ganz ähnlich, aber emotionaler und darum noch schwieriger damit umzugehen. Manchmal genügt es, einen Tanz auszulassen. Manchmal aber gibt es lange Phasen, da erreicht die Musik mich nicht und ich kann mich zu keinem eigenen Schritt aufraffen. Grundbedingung 3: das Gegenüber. Ich bin zunächst Geführte, Empfangende, aber Führen und Folgen verschwimmen. Meine allerwichtigste Aufgabe ist, in meiner eigenen Achse zu bleiben, fest auf meinen Füssen zu stehen. Dabei die Impulse von Musik und Gegenüber als Bewegungen aufnehmen, leicht werden und standfest zugleich, mich in die Fliehkraft angstlos hineingeben, Nähe nicht scheuen. Grundbedingung 4: die anderen. Für den perfekten Tanz gehören die anderen mit dazu. Alle Paare auf der Fläche tanzen nicht nur den eigenen, sondern auch den gemeinsamen Tanz.

Manchmal stimmt alles zusammen und die Zeit setzt aus. Aber wie oft … seufz. Verletzlich bin ich. Mir ausgesetzt. Den Blicken ausgesetzt. Den Energien. Den Männern, die die Nähe ausnutzen, deren Arme wie Schraubstöcke sind. Verwundungsgefahr. Ich bin offen, ganz da und so leicht zu verletzen. Eine härtere Schale aber will ich nicht. Das macht Mauerblümchen. Ich aber will nicht zuschauen, ich will tanzen. Komm! Rühre mich an, fordere mich auf, nimm meine Einladung an!

Nun habe ich mich wieder ein Stücklein an dich herangeschrieben. Du, du, du. Mein Boden, meine Musik, meine Führung. Du, die du mir Raum lässt, die du mich auf die Füsse stellst. Tanz mit mir.

Erschienen in FAMA 4/2012: «fragil»

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