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2.1 Von der traditionellen Grammatik zur vergleichenden Philologie. Ein historischer Streifzug
ОглавлениеAngefangen bei der bereits in der Antike gestellten Frage, was eine Sprache überhaupt konstituiere, bis zur Prognose für die Kontrastive Linguistik für das Jahr 2020 (v. Stutterheim 2018) kann für die Sprachwissenschaft ein Weg nachgezeichnet werden, der noch lange nicht beendet ist.1 Grammatiktheoretische Grundlagen – Basis von sprachvergleichender Arbeit – differenzierten sich im Laufe der Jahrhunderte immer stärker aus, bis alle Erkenntnisse gebündelt im beginnenden 20.Jahrhundert in die Disziplin Linguistik mündeten. Von den zahllosen sprachhistorischen Meilensteinen, die im Laufe der Zeit gesetzt wurden, können hier nur einige wenige angeführt werden, was der sehr umfangreichen Materialfülle geschuldet ist. Mit Rekurs auf die Antike sind für die frühe Zeit Philosophen und Grammatiker wie Protagoras, Platon und Aristoteles prominent zu nennen. Basierend auf ihren Erkenntnissen (bspw. Beschreibung der Syntax) entwickelte der griechische Grammatiker Dionysios Thrax die erste bisher bekannte systematisch aufgebaute Grammatik Τέχνη γραμματική (Technē grammatikē) (Jungen / Lohstein 2007, 47sqq.; Wildgen 2010, 7sqq.)2, bestehend aus der heute als Teildisziplinen der Linguistik bezeichneten Phonologie, der Morphologie und den Wortarten. Darauf aufbauend sollten noch weitere Grammatiken folgen, die einem Lehrer als Vorlage, nicht nur für den muttersprachlich orientierten Unterricht, zur Verfügung stehen sollten. Der Philosoph und Grammatiker Ambrosius Theodosius Macrobius (360–425 n.Chr.) sticht neben vielen anderen wegen seiner auf wissenschaftlicher Basis gestellten Grammatik besonders hervor. Er prüfte die griechische und lateinische Sprache nicht nur nach ihren Gesetzmäßigkeiten, sondern betrachtete sie auch unter sprachkontrastiven Gesichtspunkten (Jungen & Lohstein 2007, 66, 73). Macrobius war offensichtlich nicht nur mehrsprachig sozialisiert, er besaß neben den mündlichen Fähigkeiten auch schriftsprachliche Kompetenzen. Mehrsprachige Kompetenzen, dieser Einschub sei an dieser Stelle erlaubt, spiegeln eine gewisse Selbstverständlichkeit antiker Gesellschaften wider. Im Zuge ihrer geographisch weitreichenden Handelsbeziehungen, aber auch aufgrund kriegerischer Auseinandersetzungen sowie kultureller Kontakte standen sie in einem regen Austausch mit Sprechern fremder Sprachen und/oder Sprachvarietäten. Boschung und Riehl (2011, iiisqq.) bemerken hierzu:
Schöne Beispiele für historische Mehrsprachigkeit in der Antike liefern etwa das Anatolien des 1.Jahrhunderts v.Chr. oder das römische Imperium, das in weiten Teilen eine Diglossie-Situation zwischen der lateinischen Staatssprache und den jeweiligen Sprachen der beherrschten Gebiete zeigt. D.h. die Sprachen waren auf verschiedenen Domänen verteilt: Es gab in der Regel eine oder mehrere gesprochene Sprachen, und eine geschriebene Sprache, nämlich Latein. Dabei spielt aber das Griechische eine Sonderrolle, war es doch im gesamten Ostteil des Imperium Romanums bestimmend.
Die Beschäftigung mit den antiken Sprachen verliert auch in den folgenden Jahrhunderten nicht an Intensität. Im Zuge frühmittelalterlicher Didaktisierungen (Jungen / Lohnstein 2007, 83sqq.) entstanden schubweise differente theoretische Ansätze, um Sprache sowie ihre Funktion zu erklären. So waren Anhänger der scholastischen Philosophie (13.Jahrhundert) „an der Sprache als Werkzeug zur Analyse der Struktur der Wirklichkeit“ interessiert (Lyons 1995, 15). In ihrer Essenz ergab sich ein Bild von Sprache als universellem Medium: „[…] alle Sprachen haben Wörter für dieselben Begriffe, und alle Sprachen weisen dieselben Teile der Rede und andere allgemeine grammatische Kategorien auf.“ (Lyons 1995, 16). Der allmählich weiter fortschreitende Umbruch bestehender geopolitischer Gegebenheiten, das heliozentrische Weltbild, die Neuformierung von Staaten und deren allmählich erwachendes Nationalbewusstsein, die missionarischen Aktivitäten (bspw. der Jesuiten) auch außerhalb der damaligen europäischen Welt und viele weitere Entwicklungen warfen ein neues Licht auf die Sprachforschung. In der Folgezeit stieg das Interesse daran, das Wissen über das bisher bekannte Sprachenrepertoire hinaus zu erweitern. Der Schweizer Naturforscher und Universalgelehrte Konrad Gesner3 erlangte aufgrund seines im Jahre 1555 verfassten Werks „Mithridates“4 Berühmtheit. Hierbei handelt es sich um eine erste europäische Sprachenenzyklopädie, die unter Berücksichtigung der Verschiedenheit von Sprachen und Dialekten (darunter afrikanische und indische Sprachen) konzipiert wurde. Die berücksichtigten Sprachen sind alphabetisch geordnet und „es werden Vokalbellisten erstellt und das ‚Vater Unser‘ in möglichst vielen Sprachen aufgeführt“ (Elberfeld 2014, 26). Auch über die sprachverwandtschaftlichen Beziehungen wurde nachgedacht, sodass von Sprachfamilien oder von genetischer (Sprach-)einheit (Kausen 2010, 1sqq.) die Rede war. Mit der etwa zwei Jahrhunderte später angelegten Arte (1627), einer „Dreifach-Grammatik" mit den Sprachen Spanisch, Griechisch und Latein (Trilingue de tres artes), erhoffte sich der Spanier Gonzalo Correas (1570–1631) nicht nur eine höhere Effektivität in der Sprachvermittlung, sondern das Erreichen des pädagogischen Ziels „durch ein genaues Verständnis der Muttersprache Fremdsprachen, hier also Griechisch und Latein, schneller erlernen zu können“ (Jungen / Lohstein 2007, 122). Seiner Annahme zufolge gab es universalgültige syntaktische Strukturen (LRL 1992, 622). Dass die Muttersprache eine Basis für das Erlernen einer Fremdsprache darstellt, erscheint rückblickend geradezu revolutionär. Einen weiteren Akzent setzten die neu aufgekommenen Humanwissenschaften sowie die natur- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen. Nicht mehr die einzelsprachlichen Aspekte allein waren nun zu berücksichtigen; prominent stand die Frage nach der „Geburt“ von Sprache im Raum, die durch Johann G. Herders Abhandlung „Über den Ursprung der Sprache“ (1772) innerhalb des Wissenschaftsdiskurses neu positioniert und diskutiert wurde (Wildgen 2010, 10; Gardt 1999, 219sqq.). In der Reflexion des 19.Jahrhunderts wurde die Frage nach dem Verhältnis zwischen Sprache und Denken neu gestellt, die als Ergebnis mitunter diametral entgegengesetzte Positionen hervorbrachte (Gardt 1999, 230sqq.). Anders als seine Vorgänger und Zeitgenossen positionierte sich der Universalgelehrte Wilhelm von Humboldt (1767–1835). Dieser ging von der Annahme aus, Sprache sei das „Organ des Denkens“ über das sich die Welt erschließen lasse (Elberfeld 2014, 49sq.).5 Die differenten Zugänge, Sprache zu verstehen, erklären sich somit nicht nur aus dem Versuch heraus, Sprache in ihre grammatischen Komponenten zu zerlegen und zu kategorisieren; ihr wurden biologische, kognitive und soziale Komponenten zugewiesen. Durch William Dwight Whitney (1827–1894) erhielt die Sprachforschung konkretere Konturen und entwickelt sich so zu einer von anderen Disziplinen des 19.Jahrhunderts weitestgehend unabhängigen Forschungsrichtung. Er bestimmte die Sprachwissenschaft als eine historische Wissenschaft mit den Worten:
Diese Wissenschaft ist bestrebt, die Sprache, sowohl in ihrer Einheit als ein Mittel des menschlichen Ausdrucks und in Abgrenzung zur Kommunikation der Tiere, als auch in ihrer inneren Vielfalt von Material und Struktur zu verstehen. Sie versucht, die Ursache für die Ähnlichkeiten und Unterschiede der Sprachen zu entdecken und diese zu klassifizieren (…). Sie versucht festzustellen, was Sprache im Verhältnis zum Denken ist und wie es zu dieser Beziehung gekommen ist. (…) und, wenn möglich, wie die Sprache überhaupt entstanden ist. (Whitney 1899 in der Übersetzung von Wildgen 2010, 20)
Hinter diesem Zitat verbergen sich zahlreiche Fragen, die die Linguistik heute noch beschäftigen. Was uns in der modernen Sprachforschung als selbstverständlich erscheint, bedurfte einer jahrtausendlang währenden Betrachtung von Sprache. Bereits in antiker Zeit setzte ein Nachdenken über die Funktionalität und Grammatikalität von Sprache ein. Über Jahrhunderte hinweg wurden zahlreiche Meilensteine sprachbetrachtender Arbeiten gesetzt, die „die nie mehr abgerissene Tradition der Ars grammatica [begründeten], ohne die auch die moderne Linguistik nicht bestehen würde“ (Jungen / Lohstein 2007, 12). Der Sprachvergleich bildete, dies zeigte der kursorische Überblick, eine unverzichtbare Konstante. Die Kontrastive Linguistik konnte sich als linguistische Disziplin erst später etablieren.