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2. Gedenken an Verdun

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Im Rahmen desselben Weltkrieges, zirka zeitgleich mit der antiarmenischen Gewaltorgie im westlichen Asien, fand im Westen Europas „eine der fürchterlichsten Schlachten“ statt, „die die Menschheit erlebt hat“ (Merkel) . Die 300 000 bei Verdun ums Leben Gekommenen sind jedoch der in diversen Veranstaltungen öffentlich zelebrierten Geschichtsauffassung heutiger europäischer Führer zufolge nicht einem Verbrechen, sondern einem gigantischen Missverständnis zum Opfer gefallen. Von Verbrechen kann nach dieser Auffassung schon darum keine Rede sein, weil nirgends ein Verbrecher auszumachen sein soll, waren doch alle „gleichermaßen Opfer“. Zur Untermauerung dieser Sichtweise besuchen französische und deutsche Politiker gemeinsam ein Beinhaus, in dem die Skelette von französischen und deutschen Soldaten liegen, die ja nun offensichtlich alle gleichermaßen tot sind.

Das ist der passende Hintergrund für die historischen Lehren, die Merkel dann auszubreiten hat. Die bestehen darin, die Toten des Jahres 1916 vom Stand und Standpunkt der europäischen Politik des Jahres 2016 aus zu betrachten, die die kriegerische Feindschaft der Nationalstaaten überwunden und durch die zivile Konkurrenz innerhalb der Europäischen Union abgelöst hat. Folgerichtig entdeckt die Kanzlerin nicht nur keine Täter, sondern vor allem keinen Sinn und Zweck des Tötens und Sterbens von Verdun. Den ein Jahrhundert zurückliegenden Krieg um die imperialistische Vorherrschaft in Europa präsentiert sie als negatives Abziehbild von heute: als Bruderkrieg zwischen Völkern, die damals von ihrer Verwandtschaft freilich noch nichts ahnten, die in „Engstirnigkeit und Nationalismus, Verblendung und politischem Versagen“ sich als Erbfeinde gründlich missverstanden. Und umgekehrt: Verglichen mit der verheerenden Todfeindschaft der Nationen von 1916 ist das Europa des Jahres 2016 nichts als das positive Abziehbild von damals: die vollbrachte Erfüllung aller Ideale abendländischer Völkerfreundschaft bzw. vor allem des einen Ideals – es ist ja unzweifelhaft Frieden in Europa und nicht Krieg.

Für diese Verherrlichung des heutigen Europa mittels Verdun-Gedenken muss die deutsche Staatschefin den wirklichen Zustand der Europäischen Union noch nicht einmal verschweigen, im Gegenteil:

„Das gilt für die Bewältigung der europäischen Staatsschuldenkrise oder den Umgang mit den vielen Menschen, die bei uns Zuflucht suchen... Unser gemeinsames Bekenntnis zu den grundlegenden Werten Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit muss täglich unter Beweis gestellt werden.“

Sie zitiert die aktuellen Hauptkrisenlagen und Gegenstände erbitterter innereuropäischer Staatenkonkurrenz, um zu betonen, dass das alles letztlich eine hervorragende Sache mit glanzvoller Perspektive ist und bleibt, wenn man dabei nur immer schön an das Massentöten denkt, das die Rechtsvorgänger der heutigen europäischen Konkurrenten neulich einmal für passend hielten.

GegenStandpunkt 3-16

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