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Rückschritt

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Wer jedoch Frankreich gegenüber keine Erwartungen hegt, empfindet den an der Universität von Dakar gehaltenen Vortrag als sehr aufschlussreich. Tatsächlich liefert die von dem Sonder­beauftragten Henri Guaino redigierte und von Nicolas Sarkozy in der senegalesischen Hauptstadt gehaltene Rede das überaus klare Bild der Schäden, welche eine paternalistisch-rückwärtsgewandte Haltung von Teilen der neuen französischen Eliten (rechtsstehend oder linksstehend, gleichviel) einem Kontinent gegenüber, der vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine radikale Veränderung nach der anderen erlebte, verursachen könnte. Während des kommenden Jahrzehnts könnten die Auswirkungen einer solchen Haltung – mag sie sich nun bewusst oder unbewusst manifestieren, aktiv oder passiv – verheerend sein.

In seiner großen »Offenheit« und »Aufrichtigkeit« enthüllt Nicolas Sarkozy, was bisher formal wie inhaltlich dem Bereich des Ungesagten zugehörte, nämlich das Faktum, dass das geistige Rüstzeug, auf dem die Afrikapolitik Frankreichs beruht, buchstäblich von Ende des 19. Jahrhunderts stammt. Trotz aller Basteleien handelt es sich um eine Politik, deren Strukturen von einem überholten, fast ein Jahrhundert alten Erbe herrühren.

Die Rede des neuen Präsidenten zeigt, wie die neuen Eliten an der Spitze Frankreichs im Zeichen einer oberflächlich-exotistischen Sichtweise das Bild einer Wirklichkeit entwerfen, die zu ihrer fixen Idee und ihrer Wahnvorstellung (Rasse!) geworden ist, von der sie aber in Wahrheit keine Ahnung haben. Wenn sich Henri Guaino an die »Elite der afrikanischen Jugend« wendet, begnügt er sich mit einer fast wörtlichen Wiedergabe des Kapitels, das Hegel in Die Vernunft in der Geschichte21 Afrika gewidmet hat. Nach vielen anderen Kritikern habe ich vor kurzem diesen Text in meinem Buch De la postcolonie (221–230)22 ausführlich beleuchtet. Laut Hegel ist Afrika in der Tat das Land der beharrenden Substanz und der Unordnung einer Schöpfung, die gleichzeitig faszinierend, glückselig und tragisch erscheint. So wie wir die Neger heute sehen, so waren sie zu allen Zeiten. Angesichts der ungeheuren Energie, mit der naturhafte Willkür sie beherrscht, haben bei ihnen weder der Sinn für Moral noch die Ideen der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Fortschritts irgendeinen Platz, irgendeinen Sonderstatus. Wer die scheußlichsten Ausprägungen der menschlichen Natur kennenlernen will, kann sie in Afrika finden. Dieser Teil der Welt hat im Grunde keine Geschichte. Was wir unter dem Namen Afrika erfassen, ist eine geschichtslose, unentwickelte Welt, versklavt vom Naturgeist und immer noch an der Schwelle der Weltgeschichte verharrend.

Von nichts anderem sind die neuen französischen Eliten überzeugt. Dieses hegelsche Vorurteil ist auch das ihre. Im Gegensatz zur Generation der Überväter (de Gaulle, Pompidou, Giscard d’Estaing, Mitterrand oder Chirac), die dasselbe Vorurteil stillschweigend pflegten, aber es vermieden, afrikanische Gesprächspartner vor den Kopf zu stoßen, meinen die »neuen Eliten« Frankreichs, dass jeder, der das Wort an so tief im Nächtlich-Kindlichen verwurzelte Gesellschaften richten will, sich gleichsam ungebremst, mit dem Nachdruck urtümlicher Energie ausdrücken muss. Genau dies haben sie im Sinn, wenn sie mit Seitenblick auf die Kolonial­geschichte heute ganz offen die Idee einer »Nation ohne Komplexe« propagieren.

Ihrer Meinung nach kann man von Afrika und zu Afrikanern nur sprechen, wenn man Verstand und Vernunft gegen den Strich bürstet. Was tut’s, wenn sich jedes geäußerte Wort in den Rahmen generellen Unwissens fügt. Es reicht, die Wörter mit Schwulst und Überschwang anzureichern, alles mit Bildern zu überschwemmen – genau so, wie es in Sarkozys Rede von Dakar geschieht. Dadurch wirkt sein Diskurs eigentümlich abgehackt und stammelnd.

Auch wenn ich alle Sorgfalt walten lasse – in dem langen Monolog von Dakar finde ich Einladungen zum Austausch und zum Dialog nur in Form purer Rhetorik. Was sich zwischen den Zeilen abzeichnet, das sind Forderungen, Vorschriften, Ordnungsrufe (darunter auch Zensurappelle), billige Provokationen, Beleidigungen verpackt in hohle Schmeicheleien – und dazu eine unerträgliche Selbstherrlichkeit, die man, wie ich meine, nur in Dakar, Yaoundé oder Libreville an den Tag legen kann, aber sicher nicht in Pretoria oder Luanda.

Der undankbare Kontinent?

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