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Der Präsident als Ethnophilosoph

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Neben Hegel gibt es eine zweite Referenz, die von den »neuen Eliten Frankreichs« ohne jeden Skrupel aktualisiert wird. Gemeint ist ein Repertoire von Gemeinplätzen, welche die koloniale Ethnologie gegen Ende des 19. Jahrhunderts festgeschrieben hat. Von dieser Art Völkerkunde nährt sich ein großer Teil des Afrika-Diskurses und darüber hinaus ein Teil des Exotismus und der Gedanken­losigkeit, die dem Rassismus französischer Prägung seine bevorzugten Ausdrucksmittel liefern.

Lévy-Bruhl versuchte in seinen Erörterungen zur »primitiven« oder »prälogischen« Mentalität aus dieser Ansammlung von Vorurteilen ein System zu machen. In einer Serie von Essays über die »inferioren Gesellschaften« (Les fonctions mentales, 1910; La mentalité primitive, 1921) setzte er alles daran, die Unterscheidung zwischen dem vernunftbegabten »Menschen des Westens« und den nicht-westlichen, im Zyklus des Immer-Gleichen und der Zeit des Mythos eingeschlossenen Völkern bzw. Rassen pseudowissenschaftlich zu untermauern.

Leo Frobenius, den der Romancier Yambo Ouologuem in Le devoir de violence23 heftig angreift, hat sich, so wie es Brauch war, stets als »Freund« der Afrikaner präsentiert und zugleich eifrig zur Verbreitung von Lévy-Bruhls krausen Gedanken beigetragen, indem er den Begriff des afrikanischen »Vitalismus« prägte.24 Freilich, die »afrikanische Kultur« stellte für ihn mehr als ein Vorspiel zur Logik und zur Rationalität dar. Dennoch war der schwarze Mensch für ihn letztlich nur ein Kind. So wie sein Zeitgenosse Ludwig Klages (Verfasser von Schriften wie Vom kosmogonischen Eros, Mensch und Erde, Der Geist als Widersacher der Seele) meinte auch er, dass der Mensch des Westens sich durch den ordnenden Einsatz des Willens, dem er seine Herrschaft über die Natur verdankte, einen Verlust an Vitalität und damit einen Zug zum Abstrakten eingehandelt hatte. Der belgische Missionar ­Placide Tempels wiederum dozierte über die »Bantu-Philosophie«, zu deren Grundlagen in seinen Augen die Symbiose zwischen dem »afrikanischen Menschen« und der Natur gehörte.25 Nach Ansicht des guten Paters stellt die »Lebenskraft« das Wesen des Bantu dar. Sie entfaltet sich zwischen der Nullstufe (Tod) und dem höchsten Niveau – jenem des Mannes, der sich als »Häuptling« durchsetzt.

Auf solchen Grundlagen – zu denen auch das Werk von Pierre Teilhard de Chardin zu rechnen wäre – ruht das Denken von ­Senghor, den Henri Guaino ins Spiel bringen möchte, um die Äußerungen seines Präsidenten durch einen afrikanischen Gewährsmann abzusichern. Weiß er denn nicht, wie unendlich viel der senegalesische Dichter bei der Formulierung seines ­Négritude-Konzepts, oder als er seine Konzepte der Kultur, der Zivilisation und sogar sein Métissage-Prinzip entwickelte, den extremsten rassistischen, essenzialistischen und biologisierenden Theorien seiner Zeit verdankte?

Da ist aber nicht nur die koloniale Ethnologie, diese Pseudo­wissenschaft der Eroberer und all der anderen Konstrukteure eines imaginären Afrika, dem sie gern ein Anderssein andichten, um von ihrer hohen Warte herab exotische und unwandelbare Lebensformen, Manifestationen eines fremdartigen Menschseins, vorzuführen. Da sind auch Maurice Delafosse (L’âme nègre, 1921), Robert Delavignette (Les paysans noirs, 1931) und andere Demiur­gen der »afrikanischen Seele«, dieses blödsinnigen Begriffs, auf den die französischen Eliten so viel Wert legen. Da sind ferner die Erbschaft der Kolonialausstellungen, die Tradition der Menschenzoos, wie sie von Pascal Blanchard26 und seinen Kollegen analysiert wurde, sowie die Tradition der Reiseberichte, die einander an Phantastereien überbieten – von Du Chaillus Entdeckungsreisen in die Berge von Gabun bis zur Fahrt von Dakar nach Dschibuti von Marcel ­Griaule und Michel Leiris (L’Afrique fantôme), ganz zu schweigen von den sogenannten Entdeckern der »Negerkunst« (mit Pablo Picasso an der Spitze).

Von alledem wiederum nährt sich ein rassistischer Habitus, oft im Unterbewusstsein, der weitergetragen wird von der Massenkultur mit ihren Filmen, ihrer Werbung, ihren Comics, ihrer Malerei und Fotografie und – als logische Konsequenz – ihrer Politik auf dem Niveau von Klischees wie »Y’a bon Banania«27 oder »Mon z’ami toi quoi y’en a«.28 Durch solche Produkte der Massenkultur erzeugt man Einstellungen, die keineswegs ein echtes Bemühen um das Verständnis des Anderen fördern, sondern aus diesem Anderen ein austauschbares Objekt machen, das in dem Maße interessant erscheint, als es alle Arten von Schimären und Reflexen hervorzurufen vermag.

Der Sonderberater des französischen Staatschefs übernimmt sowohl diese Phrasenflut als auch den Kernbestand der von den Predigern der afrikanischen Ontologie aufgestellten Thesen (obgleich er vorgibt, sie zu widerlegen). Um sich selbst zu jenem Ethnophilosophen in Präsidentenfunktion zu machen, der er vielleicht werden möchte, schöpft Nicolas Sarkozy seine Hauptmotive genau aus der erwähnten Bibliothek des Kolonialismus und Rassismus. Hierauf argumentiert er gerade so, als wäre die schwammige und alles in allem bescheuerte Idee eines »afrikanischen Wesens«, einer »afrikanischen Seele«, die ihre lebende Verkörperung im »afrikanischen Menschen« fände, nicht längst zur Zielscheibe einer radikalen Kritik durch die besten afrikanischen Philosophen geworden – allen voran Fabien Eboussi Boulaga, dessen Buch La crise du Muntu durchaus als Klassiker zu werten ist.29

Man darf sich daher nicht wundern, wenn Guainos Definition des Kontinents und seiner Menschen total negativ ausfällt. In der Sicht unseres Ethnophilosophen und Präsidenten ist der »afrikanische Mensch« ja vor allem gekennzeichnet durch das, was er nicht besitzt, was er nicht ist oder was er nie schaffte (gemäß der Dialektik des Mangels und des Versagens), oder aber durch seinen Widerstand gegen den »modernen Menschen« (gemeint ist der Weiße) – ein Widerstand, der erklärt wird mit der irrationalen Verbundenheit mit dem dunklen Zauberreich der Kindheit, mit schlichten Freuden und einem Goldenen Zeitalter, das nie existiert hat.

Im Übrigen ist das Afrika der neuen französischen Machteliten im Wesentlichen ein ländliches Afrika, Märchenland zwischen Pastorale und Alptraum, von Bauern bevölkert, Gemeinschaft von Leidenden, die nichts gemein haben als die für alle gleiche Position am Rand der Geschichte, die da draußen hocken, dort wo es Hexer gibt, Griots, Masken und symbolträchtige Wälder, wo Fabelwesen die Quellen bewachen, mit den Flüssen singen und sich in den Bäumen verbergen, wo die Toten und die Vorfahren sprechen, und was es mehr gibt an Albernheiten rund um die angebliche »afrikanische Solidarität«, den »Gemeinsinn«, die »menschliche Wärme« und die Ehrfurcht vor den Alten und ­Oberen.

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