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Sozialgesetzgebung im Aktienrecht

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Es gab denn auch schon früh Regeln zu Wohlfahrtseinrichtungen im Aktienrecht,[44] was auf den ersten Blick überraschen mag: Zumindest in früheren Jahrzehnten galt die Aktiengesellschaft als die Kapitalgesellschaft schlechthin, deren Seele das Gewinnstreben der Aktionäre war.[45] Und doch verankerte die Revision des Obligationenrechts von 1936 im Aktienrecht eine Norm zur Gründung und Unterstützung von Wohlfahrtseinrichtungen:

«Mit dieser Ordnung will dem Unternehmen der Aktiengesellschaften wenigstens nach einer Richtung in bezug auf die Gewinnverwendung eine soziale Funktion zugunsten der Arbeiter und Angestellten zugewiesen werden.»[46]

Der damals geschaffene Art. 673 aOR sah vor, dass die Statuten einer Aktiengesellschaft Fonds zur Gründung und Unterstützung von Wohlfahrtseinrichtungen für Angestellte und Arbeiter des Unternehmens vorsehen konnten. Dabei waren die Wohlfahrtszuwendungen aus dem Vermögen der Gesellschaft auszuscheiden und in eine Stiftung zu überführen.[47] Schliesslich hatte der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Rückerstattung der eigenen Beiträge (ohne Zins) bei Auflösung des Dienstverhältnisses.[48]

Nach der damaligen Lehre wies diese Regelung einen «ausgesprochen sozial­politischen Charakter» auf, ja sie wurde sogar als Weiterentwicklung (!) des modernen Sozialrechts bezeichnet: Ihre Besonderheit sah man in der Freiwilligkeit der Wohlfahrtszuwendungen, was es erlaubte, die Wohlfahrtseinrichtungen vollständig ins Privatrecht einzuordnen.[49] Die Bestimmungen traten in beschränktem Masse an die Stelle der (im ersten Anlauf gescheiterten) staatlichen Altersversicherung. Das Bundesgericht bezeichnete Art. 673 aOR gar ausdrücklich als «Ausschnitt aus der eidgenössischen Sozialgesetzgebung»:

«Die durch das revidierte Aktienrecht an die Generalversammlung verliehene Befugnis, Beiträge zugunsten von Wohlfahrtseinrichtungen für das Personal zu entrichten, ist ein Ausschnitt aus der eidgenössischen Sozialgesetzgebung mit der Besonderheit, dass der Staat auf Eingriffe verzichtet und es dem einzelnen Unternehmen überlässt, die zweckdienlichen Anordnungen zu treffen. Diesem Vertrauen in den sozialen Sinn der Aktiengesellschaft muss entsprechen, dass sie nicht durch ihre Satzung die erhaltene Kompetenz wegbedingen darf.»[50]

Eine solche Wohlfahrt in privaten Händen und auf private Initiative lebte vom Vertrauen in den sozialen Sinn der Aktiengesellschaft, was das Bundesgericht dadurch förderte, dass es den Zuwendungen an Wohlfahrtseinrichtungen einen Vorrang vor dem Recht auf Dividende einräumte. In diesem (sehr bescheidenen) Umfang gewährte das Aktienrecht der Wohlfahrt die Vorfahrt vor dem Gewinnstreben einzelner Aktionäre; ihr Recht auf Dividende hatte zurückzutreten.[51] Die Wohlfahrtszuwendungen blieben aber dem Mehrheitswillen der Aktionäre überlassen: Über die Zuwendungen beschloss die Generalversammlung; sie waren Ausdruck einer «dringlichen sozialen Pflicht gegenüber dem Personal».[52]

Dies waren für die damalige Zeit bemerkenswerte Wandlungen im Wesen der juristischen Person.[53] Man kann darin ein schwindendes Vertrauen in die unsichtbare Hand des Marktes und einen vorsichtigen Eingriff der sichtbaren Hand des Rechts erblicken.[54] Die Regelung gründete aber letztlich mehr in einer sozialen (moralischen) Pflicht als in einer eigentlichen Rechtspflicht. Die Stärkung des Rechts war denn auch das besondere Anliegen der geplanten Spezialgesetzgebung.

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