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Love Hurts

Lyakon

D

er Mond lugte scheu durch das Schlafzimmerfenster und tauchte den Raum in weiches Silberlicht. Seine samtenen Strahlen umschmeichelten die weiblichen Konturen des Körpers, der zwischen zerwühlten Laken lag.

Lilus Herz trommelte in Rhythmen wilder als die Tänze auf dem Voodoo-Festival in Benin, das er beinahe jedes Jahr besuchte. Ein Beben durchlief seinen Leib. Er biss sich auf die Unterlippe, um den Atem zu kontrollieren.

Love hurts, Love scars‹, schoss ihm durch den Kopf. Weise Worte aus dem Mund der Everly Brothers. Wobei er die Version von Nazareth bevorzugte. Gleichwohl ihm bei letzteren die Namenswahl missfiel. Aber von der Musik her war das Cover von Nazareth um Längen besser als das Original.

Sein Blick wanderte zu Claire.

Lilus Mundwinkel hoben sich leicht, als er sie zwischen den seidenen Laken dort liegen sah. Selbst im Schlaf umspielte jenes schelmische Lächeln ihren Mund, das wirkte, als hecke sie gerade einen Streich aus. Dieser Anblick war es gewesen, der ihn verzaubert hatte. Ihm war, als stünde er unter einem Bann.

Seit er sie vor zwei Wochen zum ersten Mal erblickt hatte, ging sie ihm nicht mehr aus dem Kopf. Wenn er abends erwachte, war es der Gedanke an sie, der ihn begrüßte, und wenn er sich morgens niederlegte, dann war sie es, deren Bild ihm den Schlaf raubte.

Sein Magen krampfte. Vor Tagen hatte er den Appetit verloren. Ihm war, als sei alleine ihr Anblick wie ein Biss in die süße Frucht der Versuchung. Seit er von ihr gekostet hatte, erschien alles andere fad.

Lilus Lächeln wurde breiter, als er die rhythmischen Bewegungen ihrer Augen sah. Sie träumte.

Ob sie von mir träumt? Der Gedanke versetzte ihm einen Stich. Wie soll das möglich sein, wo sie mich überhaupt nicht kennt.

Schon in der ersten Nacht war er gleich eines Mondschattens zu ihr gekommen und lange vor dem ersten Sonnenstrahl verschwunden. Sie hatte seine Anwesenheit überhaupt nicht bemerkt. So hatte er es immer gehalten. Er war im Schutz der Dunkelheit eingedrungen, hatte sein Ding durchgezogen und sich aus dem Staub gemacht, ohne Spuren zu hinterlassen. Für die Opfer war er kaum mehr als ein besonders lebhafter Traum gewesen.

Das war ein so einfaches Leben gewesen. Jetzt ist aber dieser brennende Schmerz tief in meinem Herzen und plötzlich ist alles so kompliziert. Love Hurts, Love Scars.

Lilu presste die Lippen fest aufeinander. Seine Augenwinkel brannten.

Wie gerne wäre er einer jener Mondstrahlen, die so sanft über ihren Körper strichen. Könnte ich doch neben ihr liegen und die Wärme ihres Leibes an meinem spüren.

Lilu biss sich auf die Unterlippe. So kann es nicht weitergehen. Ich muss etwas ändern.

Claires Absätze klackerten wie die Kastagnetten eines tollwütigen Flamencotänzers auf dem Pflaster der Simeonstaße. Ihre Schultern schmerzten vom langen Tag im Büro. Vor ihrem inneren Auge sah sie bereits das warme Entspannungsbad in ihrer Wellnesswanne mit Massagedüsen vor sich. Das ist eine wirklich lohnende Investition gewesen.

»Achtung!« Unmittelbar auf den Warnruf erfolgte der Zusammenstoß. Sie stürzte, doch starke Arme fingen sie auf.

»Alles ok?« Die kernige Stimme vom Typ ›Vin Diesel‹ ließ sie an einen muskelbepackten Fitnessfanatiker denken. Ihr Kopf hob sich und sie erstarrte. Der Mann, der sie im Fallen aufgefangen hatte, erinnerte eher an ›Oberyn Martell‹ aus ihrer Lieblingsserie. Sie hatte Rotz und Wasser geheult, als der Seriencharakter so brutal ermordet worden war. Und jetzt stand er hier vor ihr, als sei er direkt einem ihrer Träume entsprungen.

»Entschuldigung«, hauchte sie ihm entgegen. »Ich war in Gedanken.« Ihr Blick traf auf warme Augen, deren Farbe sie an süße Vollmilchschokolade erinnerte. Auf seinen Lippen lag ein geheimnisvolles Lächeln.

Seit dem ersten Auftreten Oberyns in der Serie hatte sie sich gewünscht, auch einmal derart leidenschaftlich geküsst zu werden, wie ›Ellaria Sand‹ im Bordell von Königsmund.

Der Fremde half ihr auf die Beine. Er neigte leicht sein Haupt. »Eine Frau sollte sich niemals entschuldigen. Ich hätte besser aufpassen sollen. Jetzt ist mein ›Dark Forest Kiss‹ auf Ihrem Mantel. Dabei sollten Küsse doch andere Ziele finden.«

»Was?« Claire zog die Augenbrauen zusammen.

Er deutete auf ihren Mantel. Sie sah den Schalk in seinen Augen aufblitzen.

Ein Blick an ihr herab zeigte eine Mischung aus Kakao, Sahne, Schokoraspeln und einer einzelnen Amarenakirsche, die da gerade ihren Mantel hinabglitt.

»So heißt diese heiße Schokolade im ›Coffee Fellows‹. Es tut mir alles wirklich leid. Ich bestehe darauf, die Reinigung Ihrer Kleidung zu bezahlen. Zudem würde ich Sie gerne mit einem frisch zubereiteten Kuss entschädigen.« Er lächelte und offenbarte dabei kleine Grübchen.

Claire biss sich auf die Unterlippe. Ziemlich frech dieser Typ. Genau die Art von Mann, die sich nachts in ihre Träume schlich. Ein breites Grinsen stahl sich auf ihr Gesicht. »Na, dann nehme ich doch so einen ›Dark Forest Kiss‹. Wäre ja schade, wenn einzig mein Mantel in den Genuss eines schokoladigen Kusses kommen würde.«

Sein Lachen war erfrischend wie Sommerregen.


Gleich Tau auf sterbenden Herbstblumen lag ein feuchter Glanz auf Claires Augen.

Lilu schluckte.

Love hurts, Love scars.‹ Ob Nazareth jemals in einer solchen Lage gewesen sind? Haben sie ebenfalls diesen stechenden Schmerz gespürt? Ihm war, als seien alle sechs Extremitäten an Pferde gebunden, die in unterschiedliche Richtungen strebten.

War es richtig, dass ich mich still und heimlich aus dem Staub gemacht habe?

Er war verschwunden, als dieses Kribbeln im Nacken, als ob hunderte Ameisen dort Polka tanzten, ihm vom nahenden Morgen kündete.

Claire hatte sich wie ein Kätzchen an ihn geschmiegt. Die Wärme ihres Körpers hatte sich mit der seinen vereint. Er hatte bei ihr bleiben wollen und doch war er gegangen.

In diesem Moment hatte er all jenes besessen, von dem er vorher nicht gewusst hatte, dass es ihm fehlte und es achtlos weggeworfen.

Wird dieser Schmerz jemals vergehen?

Als sie im leeren Zimmer aufgewacht war, hatte sie nach ihm gerufen. Zunächst war sie durch die Wohnung gelaufen, dann liefen die Tränen über ihr Gesicht.

Lilu war, als läge ein tonnenschwerer Stein auf seiner Brust und quetsche ihm die Luft aus den Lungen.

Ist dies der Preis der Liebe? Er schluckte. Wenn ich doch nur die Zeit zurückdrehen und wieder neben ihr liegen könnte. Aber was würde ich damit erreichen? Wie soll ich ihr nur meine Gefühle offenbaren.

Es war undenkbar, einfach zu sagen: »Hey, weißt du eigentlich, wie sehr ich dich liebe? Über Tage habe ich mich nachts in dein Zimmer geschlichen, nur um dich im Schlaf zu beobachten.«

Das hörte sich schon in seinen Ohren überaus verstörend an.

Ein Klingeln ertönte. Lilu und Claire zuckten im absoluten Gleichklang zusammen.

Claire eilte durch Lilu, der sich knapp außerhalb ihrer Wahrnehmung aufhielt, hindurch zur Tür. Ein Hauch von Hoffnung, flüchtig wie Morgennebel lag in ihren Augen. Sie riss die Tür auf und erstarrte.

Lilu erspähte den Werwolf, der vor seiner Liebsten stand. Es war keine jener zähnefletschenden Bestien, wie man sie aus alten Sagen kannte, sondern eine Version, deren Anblick wie eine Schokotorte mit Sahne und Karamellsoße wirkte.

»Süßes, sonst gibt’s Saures!«, knurrte das Mädchen und offenbarte ein Plastikgebiss mit Reißzähnen.

Rote Schminke formte ein Blutrinnsal in ihrem Mundwinkel, das wohl möglichst gruselig wirken sollte. Doch ihre allgemeine Kleidungswahl stand diesem Zweck diametral gegenüber. Der Haarreif mit den beiden Fellohren, die schwarz angemalte Nasenspitze und das rosa Petticoatkleid trugen nicht unbedingt dazu bei, der Kleinen mit den langen braunen Zöpfen ein monströses Aussehen zu verleihen.

»Ahhh, ein Werwolf.« Claires Stimme war noch vom vielen Heulen belegt, doch sie gab sich alle Mühe, sich nichts anmerken zu lassen.

Das Mädchen formte ihre Hände zu Klauen. »Harrr!«, knurrte es.

Der Augenblick zauberte ein Lächeln auf Claires Gesicht. Lilus Herz drohte zu zerspringen.

Verdammt, ich liebe diese Frau. Ich würde alles für sie tun. Irgendwie muss es doch mit uns klappen.

Er kannte ihre tiefsten Sehnsüchte und geheimsten Begierden.

Ich wäre der Mann, der hinter ihr steht, wenn sie Rückhalt braucht. Ich wäre jener, der neben ihr geht, wenn sie Gesellschaft benötigt. Ich würde mich ohne Zögern vor sie werfen, wenn sie Schutz bedarf. Das muss doch reichen, um sie für mich zu gewinnen.

Vor ihm hielt Claire dem Werwesen eine Schüssel voller Süßigkeiten hin. »Na, dann nimm dir mal was. Das hast du dir verdient.«

Und ich habe verdient, an deiner Seite zu sein.

Eine Idee brach mit der ungezügelten Kraft eines Vulkans aus seinem Innersten hervor. Lilu lächelte. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.


Ein Schmunzeln blitzte auf Claires Lippen auf, als die Werwölfin über den Gang zum Treppenhaus hüpfte. Die beiden Zöpfe wirbelten bei jedem Sprung wild durch die Luft. Die Kleine war zuckersüß.

Die Tür fiel ins Schloss. Claire sah die leere Wohnung vor sich. Tränen füllten erneut ihre Augen.

Dabei hatten wir uns doch so gut verstanden. Ihre Bekanntschaft vom ›Coffee Fellows‹ war schon vom Aussehen der Hammer gewesen. Dazu sein spezieller Humor, durchaus intelligent, wenn auch immer am Rande der Anzüglichkeit, der ihr Herz im Sturm erobert hatte. Noch gestern hätte sie es nie geglaubt, dass sie einmal einen Mann am Abend des ersten Kennenlernens mit zu sich nach Hause nehmen würde. Umso mehr hatte es sie geschmerzt, als sie heute Morgen in einem leeren Bett aufgewacht war.

Warum ist er verschwunden? Was habe ich falsch gemacht? Ich dachte, dass er mich wirklich liebt.

Die Türklingel ließ sie zusammenzucken.

Wahrscheinlich schon wieder Kinder auf der Jagd nach Halloween-Süßigkeiten. Was mich wohl jetzt erwartet? Eine Mumie, ein Vampir, ein Skelett oder gar ein Wandelwesen?

Claire öffnete, erstarrte, schrie auf und schlug instinktiv die Tür zu.

Sie hatte mit unzähligen Alptraumgestalten gerechnet, doch dieser Anblick hatte ihr Herz einen Schlag überspringen lassen.

Ein Klopfen erklang. »Entschuldigung!«, drang es gedämpft zu ihr.

In ihr tobte ein Wirbelsturm widerstreitender Gefühle. Er war am Abend einfach so wundervoll und ich habe mich so wohl bei ihm gefühlt. Aber dann lässt er mich einfach so sitzen und verschwindet im Dunkeln der Nacht. Jetzt steht er da draußen mit einem breiten Grinsen und einem Strauß Rosen, gerade so, als sei nichts gewesen.

Claire riss die Tür auf, verpasste ihrem One-Night-Stand eine schallende Ohrfeige und schlug die Tür wieder zu. »Du Arsch!«, keifte sie. »Verpiss dich.«

»And I would do anything for love. I’d run right into hell and back.« Die Töne klangen wie Fingernägeln, die über eine Schiefertafel kratzen. Trotzdem kamen ihr die Worte bekannt vor.

»Singst du gerade Meat LoafWas soll das?

»Er kann besser ausdrücken, was ich für dich empfinde. Ich würde für dich bis in die Hölle und zurückreisen.«

Claire kniff die Augen zusammen, bis sie kaum mehr als schmale Schlitze waren. »Dann geh doch in die Hölle.«

»Da war ich schon, nachdem ich dich verlassen habe. Ich will lieber bei dir sein.«

»Und warum bist du dann einfach so verschwunden?«, fauchte Claire.

»Ich wollte mich echt nicht fortstehlen. Sorry.«

»Aha, da waren wohl ein paar Ninja, die dich unbemerkt aus meinem Schlafzimmer entführt haben, und du bist ihnen erst jetzt entkommen.«

Sie vernahm ein Seufzen. »Nein.«

»Und wer hat dich verschleppt?«

»Niemand.«

»Und warum bist du dann verschwunden?«

»Weil ich dich liebe.«

»Weil du mich liebst?« Claire riss die Augen auf und ihre Kinnlade fiel runter.

»Seit ich dich das erste Mal gesehen habe, spukst du mir durch den Kopf. Ich kann nicht schlafen, kann nicht essen, denke nur noch daran, wie schön es ist, bei dir zu sein.«

»Aber du bist verschwunden.«

»Weil ich dich nicht verletzen wollte. Du weißt nicht, wer ich wirklich bin. Meine Gefühle für dich ängstigen mich.«


Die Tür öffnete sich einen Spalt breit. Lilu atmete erleichtert auf. Vielleicht war doch noch nicht alles verloren.

Claire spähte zu ihm heraus. »Wovor hast du Angst?«

»Dass du mich zur Hölle schickst, wenn du erfährst, wer ich bin.«

Misstrauen umwölkte ihren Blick. »Das Risiko musst du wohl eingehen. Fangen wir ganz vorne an. Wie heißt du überhaupt?«

»Lilu.« Noch nie hatte er jemandem seinen wahren Namen offenbart. »Könnten wir drinnen weitersprechen? Ich möchte meine Geschichte nicht unbedingt mit dem Treppenhaus teilen.«

Claire seufzte. »Ok, komm rein.« Sie gab ihm den Weg frei.

Lilu schlich wie ein getretener Hund ins Wohnzimmer und kauerte mit runterhängenden Schultern auf der Couch. Den Rosenstrauch legte er neben Claires Tasche auf den Beistelltisch. »Ich habe nie gewusst, wie sehr Liebe schmerzen kann.« Seine Stimme brach. »Was für ein Arsch ich doch gewesen bin. Ich wollte dir echt nicht weh tun. Bisher habe ich mir da nie wirklich Gedanken drum gemacht. Das waren halt immer kurze Momente der Leidenschaft gewesen und dann war es schon wieder vorbei. Da habe ich nie etwas empfunden. Nicht so wie bei dir.« Lilu bemerkte, wie mit jedem Wort Claire bleicher wurde. Seine Kehle fühlte sich mit einem Mal trocken wie Saharastaub an und er verstummte. Das ist wohl der falsche Ansatz.

»Bist du einer dieser PickUp-Artists, für die es einen Sport darstellt, Frauen zu verführen?«

»Verführen? Nein, ich komme in der Nacht, wenn sie schlafen, und liege auf ihnen.«

Claire schluckte. »Du tust was?«

Scheiße, wieder falsch. Das hier lief nicht so wie erwartet. »Nein, du missverstehst mich. Ich mache das nur, weil das meine Aufgabe ist. So war es auch, als ich mich in deine Wohnung geschlichen habe. Aber dann habe ich dich gesehen und plötzlich war da dieses Ziehen hier.« Lilu deutete auf sein Herz, ließ die Hand aber sinken, als er Claire sah.

Drei tiefe Falten hatten sich zwischen ihren Brauen gebildet und ihre Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt. »Du warst schon vor unserem ersten Treffen hier bei mir?« Ihre Hand näherte sich dem Beistelltisch.

»Eigentlich insgesamt vierzehn Mal. Aber ich habe nie auf dir gelegen«, sprudelte es aus Lilu. Verdammt. Warum habe ich das gesagt? Selbst in seinen Ohren hörte sich das unheimlich an.

Claire griff in die Tasche, riss etwas Rohrförmiges daraus hervor und sprühte den gesamten Inhalt in Lilus Gesicht. Der Geruch erinnerte ihn an den beißenden Odem des stygischen Sumpfes im fünften Kreis der Hölle – ein Hauch von Heimat.

Besorgt sah Lilu, wie Claire anfing, nach Luft zu schnappen. Jedem Japsen folgte ein Husten. Ihr Antlitz nahm die Farbe einer überreifen Tomate an. Was hat sie bloß? Warum hat sie mich mit Parfüm eingesprüht? Ob sie sich verschluckt hat? »Soll ich dir ein Glas Wasser holen?«

Statt einer Antwort drang aus ihrer Kehle ein Krächzen, gleich einer rostigen Türangel. Sie deutete auf das Fenster.

Lilu stand auf und ließ frische Luft in den Raum. Er blickte zu Claire und stutzte. Warum weint sie? Warum sind ihre Augen derart gerötet? Vielleicht hat sie erkannt, was ich für sie empfinde. Es war Zeit nachzulegen. »Weißt du, ich bringe normalerweise den Frauen erotische Träume und sauge ihnen ihre Lebensenergie aus. Aber bei dir habe ich das Gefühl, dass du mir meine Energie raubst, wenn ich fern von dir bin.« Lilu ging zur Küche. »Ist schon seltsam, wie sich plötzlich die Sicht auf etwas ändert, wenn man selbst davon betroffen ist.«

Mit einem Wasserglas in der Hand kehrte er zurück ins Wohnzimmer. Claire stand am Fenster, lehnte sich hinaus in die kühle Abendbrise und rieb sich die tränenden Augen. »Du saugst Frauen ihre Energie aus? Bist du pervers?«, krächzte sie.

Lilu lächelte. »Nein, Incubus.«


Oh Gott, das ist ein Spinner. Gestern Abend im ›Coffee Fellows‹ ist er so süß gewesen und jetzt stellt sich heraus, dass er nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. »Du bist also ein Nachtdämon? Ich dachte, die sehen anders aus.«

Lilu zuckte mit den Schultern. »Du meinst so?« Er breitete zwei schwarze Fledermausschwingen aus. Seine Augen schimmerten plötzlich in allen Farben des Regenbogens.

Das Wasserglas entglitt Claires Händen und zerbarst mit einem hellen Klirren auf dem Boden. Sie schnappte wie ein an Land geworfener Karpfen nach Luft.

»Ich kann meine Gestalt beliebig verändern und sie den Wünschen meines Gegenübers anpassen. So wusste ich auch, dass du diesen Schauspieler attraktiv findest. Doch funktioniert das bei mir als Nachtdämon nur bis zum Sonnenaufgang. Daher bin ich heute Morgen auch verschwunden. Ich wollte nicht, dass du mich so neben dir liegen siehst. Seit der Abend angebrochen ist, kann ich aber wieder all das sein, was du dir wünschst.«

An der Tür klingelte es. Noch immer spürte Claire das Brennen des Reizgases in ihrer Kehle. Ihr Blick irrlichterte zwischen dem Eingang und Lilu hin und her.

Dieser lächelte. »Ich kümmere mich darum. Komm du erstmal wieder zu Atem.« Lilu hielt, ohne zu zögern, auf den Wohnungseingang zu.

Claire wollte schreien. Doch ihre Brust fühlte sich an, als habe man sie in einen Schraubstock gespannt. Da schritt ein geflügelter Dämon mitten durch ihre Wohnung. Gleich hatte er die Tür erreicht.

Mit weit aufgerissenen Augen beobachtete sie, wie Lilu die Eingangstür öffnete. Lautes Kinderkreischen erscholl.

»Wow, das ist ja ein cooles Kostüm.« »Hey, die Schwingen sehen total echt aus.« »Quatsch, du Baby, man sieht voll, dass die aus Latex sind.« Mehrere Kinder plapperten durcheinander.

»Wollt ihr ein paar Süßigkeiten? Nehmt euch was.« Lilus Stimme war sanft wie eine Daunenfeder.

»Danke.« Die Kinder johlten vor Freude.

Claire wurde schwindlig. Alles um sie herum schien sich zu drehen. Da stand ein Nachtdämon mit Fledermausschwingen in ihrem Treppenhaus und schenkte Kindern Süßigkeiten.

Sie schleppte sich zur Couch, ließ sich darauf nieder und runzelte die Stirn, als sie die leere Dose Pfefferspray auf dem Boden sah. Wahrscheinlich ist der solche Gerüche gewohnt. Eine Sprühflasche mit Weihwasser wäre wohl effektiver und für mich weniger schmerzvoll gewesen.

Draußen alberte Lilu mit den Kindern herum. Er ließ sie seine scheinbare Verkleidung bewundern, sprang mit ihnen über den Flur und knurrte. Die Kleinen antworteten mit schaurigem Geheul. »Ein solch markerschütterndes Gekreisch habe ich selbst im vierten Kreis der Hölle nie vernommen. Jetzt aber ab mit euch«, lachte er. »Ich muss wieder zurück zu meiner Liebsten.«

Die Kleinen verabschiedeten sich überschwänglich und wollten kaum von ihm lassen. Minuten vergingen, bis sie endlich im Treppenhaus verschwanden.

Als Lilu zu ihr zurückkehrte, ließ er sich vor ihr auf dem Boden nieder und umfasste ihre Hand. »Ich wollte dich wirklich nicht verletzen. Wenn du willst, werde ich gehen und dich für immer in Ruhe lassen.«

»Du würdest echt verschwinden, wenn ich dich darum bitte?«

»Obwohl es mich innerlich zerreißen würde. Aber wie schon ›Nazareth‹ sang – ›Love hurts, Love scars.‹«

Claire atmete tief ein. »Wie soll unser Zusammenleben überhaupt klappen? Du bist ein Dämon! Was soll ich meinen Bekannten sagen, warum mein Freund nur nachts anzutreffen ist? Oder wie sollte ich ihnen erklären, dass er tagsüber Flügel hat?«

»Dein Freund?« Lilu lächelte. »Wir könnten das bei einem ›Dark Forest Kiss‹ besprechen.« Gewandt wie eine Katze stand er auf und zwinkerte ihr zu. »Bereit für ein zweites Date?«

»Aber du bist noch immer in deiner Dämonengestalt.«

Sein Kuss brachte sie zum Verstummen. Claire fühlte ein warmes Prickeln in ihrem Bauch. Da war wieder dieses schelmische Grinsen auf seinen Lippen, das ihr Herz schneller schlagen ließ. Ein sanfter Zug seiner Hand und sie stand auf.

»Das macht nichts. Heute ist Halloween«, sagte er und zwinkerte ihr zu.


Lilu lächelte, als sich ihre Hand um die seine schloss. Es war, als ob Elmsfeuer seinen Arm emporkroch. Das hier fühlte sich richtig an. Er genoss es, mit ihr an der Seite durch Trier zu wandern. Vor ihm entfaltete sich eine Zukunft voller Möglichkeiten, während er hinter sich die Fledermausschwingen ausbreitete. Maskierte Passanten lobten seine aufwendige Verkleidung und jubelten ihm zu. Er hätte nie gedacht, dass er sich unter Sterblichen so wohl fühlen könnte. Ihm zersprang vor Glück beinahe das Herz in der Brust.

Doch da war auch dieser kleine Stachel, der sich schmerzhaft in seinen Geist bohrte. Als Incubus hatte er gesehen, dass Liebe durchaus Folter sein konnte.

Love hurts, Love scars‹, schoss ihm durch den Kopf. Und plötzlich wurde ihm klar, dass es egal war. Wenn Liebe wirklich schmerzte, dann würde er diese Folter mit Freuden auf ewig ertragen, solange Claire an seiner Seite war.


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