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The Single Girl

Günter Gerstbrein

I

Regie

D

ie Anwesenden in der Regiezentrale verfolgten in gebannter Erwartung den letzten Spot des aktuellen Werbeblocks. Darin erzählte ein Mann in einem seriös wirkenden Anzug von seinen außerordentlich positiven Erfahrungen mit einem großen Finanzdienstleister.

»In Ordnung Leute«, sagte der Regisseur, »wir sind gleich wieder drauf. Das Intro in - fünf, vier, drei, ...«

Der Werbespot endete und wich dem Logo der beliebtesten Kuppelshow der letzten Jahre. Der markante Jingle erklang und aus sanft geschwungenen Buchstaben bildeten sich die Worte The Single Girl. Eine tiefe Männerstimme verkündete: »Eine Frau und zwölf Männer. Wer wird der Glückliche?«

Der Schriftzug verschwand und eine attraktive junge Frau lächelte in die Kamera. Ihre regelmäßigen Gesichtszüge ließen sie fast unwirklich erscheinen. Dunkle Augen verhießen Feuer und Leidenschaft, gleichzeitig lag auch etwas Geheimnisvolles darin. Das lange Haar trug sie zu einer außergewöhnlichen Frisur hochgesteckt. Es war eine Art breiter Haarkranz, der nicht am Hinterkopf, sondern weit vorne über der glatten Stirn thronte.

»Für wen wird Samara sich entscheiden?«, fuhr die Männerstimme fort. Bei diesen Worten kräuselten sich die Lippen der jungen Frau zu einem verführerischen Lächeln und sie zwinkerte in die Kamera. »Wer bekommt die Rose?«

Nun erschienen die Gesichter von zwölf jungen Männern im Bild. Untermalt vom Geräusch eines Bleistifts, der über Papier kratzt, wurden die meisten durchgestrichen. »Neun Kandidaten mussten die Show bereits verlassen«, sagte die Männerstimme. »Drei Finalisten sind noch im Rennen. Wer wird es sein? Wer erobert das Herz von unserem Single Girl Samara?«

Die Lautstärke der Musik steigerte sich, ehe sie in einem dramatischen Akkord ausklang.

»Okay, Kamera Sechs in drei, zwo, eins.«

Per Knopfdruck bekamen die Fernsehzuseher zuhause eine Totale vom Studio zu sehen. Ein Leuchtschild mit dem Schriftzug The Single Girl schmückte die Rückwand. Davor versprach ein breites Sofa Gemütlichkeit. Im Gegensatz dazu wirkten die drei Barhocker daneben alles andere als bequem.

Neben dem Schriftzug schwang eine Tür auf, und Samara betrat die Bühne.

»Auf die Zwei.«

Samara in Großaufnahme. Sie trug ein atemberaubendes Abendkleid in Rot, das Outfit einer Verführerin, die wusste, was sie wollte. Man hatte sie perfekt gecoacht. Erst ein Lächeln für die Kamera, dann ging sie - nein, sie schwebte - mit schwingenden Hüften zum Sofa. Mit tänzerischer Grazie ließ sie sich dort nieder, ohne ihr Kleid zu verknittern.

»Und jetzt die Acht.«

Das Live-Publikum. Tosender Applaus. Offenstehende Münder.

»Wieder die Sechs.«

Das Bild wechselte zur Bühne. Die drei Finalisten traten durch die Tür. Jeder von ihnen nahm auf einem der Hocker Platz.

»Nacheinander auf die Drei, Vier und Fünf, dabei die Namen einblenden. Kommentar abspielen.«

Der erste Mann. Ein kräftig gebauter Fitnesstrainer, der in mehreren Folgen wie zufällig sein T-Shirt ausgezogen hatte, um einen Oberkörper wie den einer griechischen Statue zu präsentieren. Heute Abend trug er ein weißes Hemd, dazu ein blaues Jackett. Die pechschwarze Mähne war mit Gel perfekt in Form gebracht worden. Seine ganze Erscheinung versprach viele schweißtreibende Stunden, nicht nur im Fitness-Studio.

Am unteren Rand des Bildes erschien der Schriftzug mit seinem Namen: Alex.

Die Männerstimme aus dem Off ergriff wieder das Wort. »Für wen wird Samara sich entscheiden? Für Alex, der sie in jeder Lebenslage zum Schwitzen bringen will?«

Schnitt zum nächsten Kandidaten. Ein unscheinbarer, glatt rasierter junger Mann, der in einer Bank arbeitete. Zu Beginn hatte ihm niemand große Chancen eingeräumt, doch dann war er aus jeder Folge mit einer Rose hinausgegangen. Unter dem blonden Haarschopf, den die Maskenbildner zu einem perfekten strubbeligen Chaos geföhnt hatten, glitzerten blaue Augen. Ständig in Bewegung, nahm ihr Blick alles in sich auf, nichts schien ihnen zu entgehen.

Der Name des Kandidaten wurde eingeblendet, gleichzeitig verkündete die Männerstimme: »Oder für Lars, der mit ihr die Geheimnisse des Lebens enthüllen will?«

Es folgte der letzte Finalist. Er war der Archetyp eines Latin Lovers. Gebräuntes Gesicht, Augen wie Kohlestücke, krauses Brusthaar, das sich hinter den geöffneten obersten Hemdknöpfen erahnen ließ. Auf dem Kopf trug er stets ein verwegen in die Stirn geschobenes Barett. Mit einem Lächeln, hinter dem strahlend weiße Zähne aufblitzten, zwinkerte er in die Kamera.

Sein Name erschien im Bild. »Oder Miguel«, sagte die Männerstimme, »der ihr Tage und Nächte voller Leidenschaft und Abenteuer verspricht?«

Von den Fernsehzusehern ungehört, meinte eine Frauenstimme in der Regiekabine: »Ich hoffe, sie nimmt Miguel. Alex und Lars sind ja so Nullachtfuffzehn.«

»Ruhe! Konzentration bitte. Auf die Sechs und Monitor ausfahren. Dann Wechsel zum Rückblick.«

Hinter dem Sofa schob sich ein Teil der Wand beiseite und gab den Blick auf einen überdimensional großen Bildschirm frei. Samara änderte ihre Haltung, um ihn besser sehen zu können. Auch die Finalisten richteten ihre Aufmerksamkeit darauf.

Begleitet von der Männerstimme, begann der Rückblick auf die Highlights der Show. »Zehn Wochen, zwölf Kandidaten. Viel ist passiert, viele mussten gehen.« Während Kamera Sechs den großen Monitor heranzoomte, huschten die Gesichter der Ausgeschiedenen in rascher Abfolge darüber hinweg.

»Und Übergang.« Für die Zuseher zuhause wechselte das Bild, sodass sie nun direkt die Einspielung verfolgen konnten.

Die Männerstimme berichtete von den Kandidaten, welche die Show verlassen hatten. Manche freiwillig, andere, weil Samara ihnen keine Rose gegeben hatte.

Nachdem die ersten vier Folgen nicht besonders aufregend gewesen waren, verkündete die Männerstimme schließlich: »Und dann die fünfte Folge, das Date zu dritt.«

Samara erschien in einem traumhaften Kleid in Blau, das Haar wie üblich zu ihrer komplizierten Frisur über der Stirn hochgesteckt. Gemeinsam mit dem Autoverkäufer Georg und dem Masseur Andreas besuchte sie ein Nobelrestaurant, in dem die Regel galt: Je höher der Preis, desto kleiner die Portion.

Eine rasche Abfolge von verschiedenen Szenen des Abends folgte. In jeder davon buhlten die beiden Kandidaten um die Gunst vom Single Girl Samara.

»Aber Georg sorgte für ein abruptes Ende«, verkündete die Männerstimme. Geschickt zusammengeschnitten wurde gezeigt, wie der Genannte seinen Stuhl immer näher an Samara heranrückte. Die ließ es lächelnd geschehen, warf jedoch mehrere herausfordernde Blicke auf Andreas. Es war, als wolle sie den Masseur herausfordern, sein Glück ebenfalls zu versuchen.

Georg war nun direkt neben ihr. Während er ihr etwas zuflüsterte, das die Mikrofone nicht erfassten, streckte er eine Hand aus, um ihr über die Wange zu streichen. Samara ließ es zu und schloss in einem genießerischen Ausdruck die Augen. Dann berührte er ihr Haar und die kunstvolle Frisur.

Blitzschnell schoss Samaras Arm nach oben und packte ihn am Handgelenk. Er stieß einen Schrei aus, bei dem nicht klar war, ob aus Schrecken oder Schmerz. »Nicht die Haare«, zischte sie, das ebenmäßige Gesicht kurz zu einer Grimasse verzerrt.

»Tja, Georg«, verkündete die Männerstimme freundlich, »Samaras Haar ist ihr Heiligtum. Das wusstest du aber.«

Das Bild wechselte und zeigte einen kurzen Clip aus dem Interview vom Ende dieser Folge, nachdem Georg keine Rose erhalten hatte. »Es war merkwürdig«, meinte er. »Unter dem Haar konnte ich eine Beule fühlen.« Mit nachdenklichem Gesicht sah er in die Kamera. »Vielleicht gibt es ja einen Grund dafür, dass sie immer diese komischen Frisuren trägt.«

»Und offensichtlich wird Georg diesen Grund nicht mehr erfahren«, fügte die Männerstimme fröhlich hinzu. »Ebenso wenig wie Andreas.«

Das Bild wechselte und zeigte den Angesprochenen, der mit einigen kurzen Worten erklärte, die Show ebenfalls verlassen zu wollen. »Sie hat mir Angst gemacht«, sagte er. »Ich dachte schon, sie will ihm die Hand brechen.«

»Schade um Andreas«, kommentierte die Männerstimme. »Seine Chancen wären nicht schlecht gewesen. Aber die anderen Kandidaten durften sich freuen. Denn wenn jemand freiwillig geht, bleibt der Rest automatisch im Rennen. Und da sich sogar zwei der Jungs verabschiedet haben, musste auch in der nächsten Folge keiner gehen.«

Der Rückblick ging weiter.

»Die siebte Folge: das Übernachtungsdate.«

Zwei Kandidaten, Niclas und Benny, klopften an eine Haustür. Samara, gekleidet in einen Bademantel, öffnete ihnen. Auch diesmal trug sie das Haar zu der üblichen Frisur aufgetürmt. »Was dann wohl passiert ist?«, fragte die Männerstimme in verschwörerischem Tonfall.

Die beiden Männer traten ein, und Samara schloss die Tür. Die Kamera blieb draußen. Es folgte ein Schnitt zu einer Verandatür. Hinter zugezogenen Vorhängen waren Schemen zu erkennen, die sich bewegten. »Wir werden es wohl nie erfahren.«

Wieder wechselte das Bild und zeigte das Interview von Benny, als dieser nach dem Übernachtungsdate die Show freiwillig verließ. Er wirkte übermüdet mit roten Ringen unter den Augen. Durch sein dunkles Haar zogen sich graue Strähnen. »Ich kann mich an kaum etwas erinnern«, sagte er matt. »Wir haben ein Glas Wein getrunken, dann bin ich wohl eingeschlafen.«

Natürlich ließ die Männerstimme das nicht unkommentiert. »Wer bei einer Frau wie Samara einschläft, hat in dieser Show nichts verloren. Also tschüß, Benny.«

Es folgten Szenen aus weiteren Episoden, die man in der Regie gebannt verfolgte.

»In Ordnung, Leute. Bereitmachen, gleich sind wir wieder da. Auf die Sechs in drei, zwo, eins.«

Die Bühne kam ins Bild. Hinter dem Sofa schloss sich die Klappe und verbarg den Monitor. Samara wandte sich mit einem Lächeln um und strahlte erst das Publikum, dann die Kandidaten an.

»Die Zwei.«

Samaras Lächeln in Großaufnahme.

»Und die Sieben.«

Die drei Kandidaten auf ihren Hockern. Alex und Miguel lächelten zurück. Lars wirkte nachdenklich. Dann schien er zu merken, dass die Kamera ihn im Bild hatte, und seine Mundwinkel wanderten nach oben.

Abermals erklang die Männerstimme. »Und jetzt wird Samara uns verraten, wer von den Dreien die letzte Rose erhält. Mit wem will sie die nächsten Wochen und vielleicht sogar den Rest ihres Lebens verbringen? Und wen wird sie nach Hause schicken?«

»Wieder auf die Nummer Zwei.«

Samaras lächelndes Gesicht füllte das Bild, dann zoomte die Kamera langsam hinaus, bis sie und das Sofa ganz zu sehen waren. Auf einem Kissen neben ihr lag eine langstielige Rose. Sie griff danach, drehte sie in den Händen und legte sie schließlich wieder zurück, ehe sie aufstand.

»Auf die Sieben.«

Die Hüften schwingend trat Samara vor die Kandidaten, die sich beeilten, von ihren Hockern zu springen.

»Alex«, sagte sie in einem Tonfall, der aufrichtiges Bedauern ausdrückte. »Wir hatten viel Spaß, aber es hat nicht gefunkt.«

»Jetzt auf die Drei und rauszoomen.«

Der Fitnesstrainer kniff die Lippen zusammen, dann nickte er. Samara, die vor ihm stand, breitete die Arme aus. Er tat es ihr gleich, und sie umarmten einander. Als sie sich wieder lösten, wechselten sie einige Worte, jedoch zu leise, als dass die Mikrofone sie hätten aufnehmen können.

»Auf die Acht.«

Das Publikum applaudierte.

»Einer ist raus, bleiben noch zwei«, verkündete die Männerstimme.

»Auf die Sechs.«

Samara glitt zum Sofa zurück und nahm die Rose. Dann wandte sie sich wieder den Kandidaten zu.

»Für wen wird sie sich entscheiden?«, fragte die Männerstimme.

II

Kandidat

D

ie Tür schloss sich, als Samara hindurchgetreten war. Mit einer Handbewegung gab der Assistent Lars und den beiden anderen Finalisten zu verstehen, dass sie sich bereithalten mussten.

Das Publikum im Studio applaudierte pflichtbewusst, dann wurde es wieder ruhig. »Also gut, raus mit euch«, sagte der Assistent und zog die Tür auf.

Alex ging als Erster, gefolgt von Lars. Den Abschluss bildete Miguel.

Mit dem Fitnesstrainer war Lars nie wirklich warm geworden. Der Kerl schien ihm immer - zu viel zu sein. Zu viel Training, zu viel Proteinshakes, zu viel ›Ich bin der Beste‹. Nur Gesprächsthemen waren dünn gesät.

Ganz anders Miguel. Der war ein netter Kerl. In Wahrheit hieß er Michael und hatte erzählt, dass er ein kleines Szene-Lokal betrieb. Sie hatten vereinbart, in Kontakt zu bleiben, ganz egal, wie die Show endete.

Natürlich konnte Miguel nicht ahnen, was für ein Ende er im Sinn hatte. Denn er wusste nicht, was Samara wirklich war.

Ganz anders als Lars.

Sie gingen zu den Hockern und nahmen Platz. Samara beobachtete sie mit dem üblichen Lächeln. Ahnte sie, dass er sie erkannt hatte? Dass er wusste, was sie war? Warum sie diese ungewöhnliche Frisur trug?

Die nervende Moderationsstimme vom Band stellte jeden von ihnen kurz vor. Als ob die Fans der Serie das nicht ohnehin schon längst wussten.

Lars fühlte den Stoffbeutel in seiner Hosentasche. Wenn es stimmte, was er recherchiert hatte, würde er Samara damit enttarnen und besiegen können. Damit und mit dem Anhänger um seinen Hals.

Endlich hatte die Nerv-Stimme die Vorstellung beendet. Es folgte eine Einspielung der Highlights der Show. Lars erinnerte sich an alle Kandidaten, doch zwei davon waren besonders hervorgestochen. Denn sie hatten untermauert, was er ohnehin schon wusste.

Hinter dem Sofa, auf dem Samara wie eine dunkle Königin thronte, öffnete sich die Wand und ein Bildschirm erschien. Als die Einspielung begann, eilte ein junger Mann zu ihnen. Die Zuseher zuhause merkten davon nichts, denn über deren Bildschirme flimmerte nun der Rückblick.

»Ein paar Schweißperlen«, sagte der Junge und tupfte mit einem Wattebausch über Alex’ Stirn. Der rümpfte die Nase, ließ es aber geschehen.

»Jetzt wird’s ernst, Kumpel«, raunte Miguel.

Du hast ja keine Ahnung, wie ernst, dachte Lars. Laut sagte er: »Genau. Aber wir trinken auf jeden Fall mal was miteinander, ja?«

»Sicher, Bro.« Er streckte Lars die Faust entgegen, und der schlug mit den Fingerknöcheln dagegen.

»Alter«, murmelte Alex neben ihnen. »Nehmt euch doch ein Zimmer.«

Nachdem der Assistent noch einen prüfenden Blick auf die Gesichter von Miguel und Lars geworfen hatte, verschwand er wieder hinter der Bühne.

Auf dem Monitor liefen gerade Ausschnitte aus dem Date zu dritt. Als die Szene kam, als Samara Georgs Handgelenk packte und verdrehte, beobachtete ihr reales Gegenstück dies mit steinerner Miene.

Du hast in diesem Moment die Beherrschung verloren, dachte Lars, und alle konnten es sehen.

Georgs Interview folgte. »Ganz kurz konnte ich etwas wie eine Beule unter dem Haar fühlen«, sagte er.

Lars wusste, dass er damit nicht ganz unrecht hatte. Samara verbarg tatsächlich etwas unter ihrer ungewöhnlichen Frisur. Nur war es keine Beule, sondern etwas ganz anderes.

»Das soll sie bei mir versuchen«, murmelte Alex.

Lars schenkte ihm einen kurzen Blick. Innerlich riet er seinem Mit-Finalist, sich besser nicht zu wünschen, dass es dazu kam. Er ahnte, dass Samara Georgs Handgelenk genauso gut hätte brechen können. Und vermutlich wäre sie dabei noch nicht einmal ins Schwitzen gekommen.

Weitere, uninteressante Sequenzen folgten, dann kam das Übernachtungsdate. Die Kandidaten dafür waren nach dem Zufallsprinzip ermittelt worden. Lars hatte sich gewünscht, dass das Los auf ihn fiel, denn das hätte ihm die Möglichkeit gegeben, die Sache vorzeitig zu beenden. Doch Fortuna hatte anders entschieden.

Er beobachtete, wie Niclas und Benny das Haus betraten, das der Sender für diesen Zweck gemietet hatte. Niclas war nach dieser Nacht unbeschadet zurückgekehrt.

Benny nicht.

»Seht euch den an«, meinte Alex. »Der hat sich die ganze Zeit die Haare gefärbt.«

Er spielte auf die grauen Strähnen an Bennys Schläfen an, die sich bei seinem Abschiedsinterview zeigten. Doch Lars wusste, dass Benny sich nie die Haare gefärbt hatte. Ebenso war ihm klar, dass die Müdigkeit, die er in dieser Szene zur Schau stellte, nicht gespielt war. Samara hatte ihm etwas geraubt, das er nie wieder zurück erhalten würde.

Wenn es nach Lars ging, würde so etwas sich nicht mehr wiederholen.

Die Einspielung endete. Samara und die Kandidaten wandten sich wieder den Kameras zu, darauf wartend, dass über einer davon das Licht anging.

Es erschien zuerst an der Kamera, von der Lars wusste, dass sie die ganze Bühne erfasste. Danach wechselte es zu jener, die für das Single Girl reserviert war. Pflichtbewusst zeigte Samara ihr verführerischstes Lächeln.

Lars machte sich keine Illusionen. Hätte er nicht herausbekommen, wer - was - sie war, wäre es bei diesem Lächeln auch um ihn geschehen. Ein Blick hätte gereicht, und er wäre ihr mit Haut und Haaren verfallen. Doch die Erkenntnis und das Wissen bildeten den wirksamsten Schutz.

In seine Gedanken versunken bemerkte er zu spät, dass das Licht über der Kandidatenkamera angegangen war. Seine beiden Mitstreiter grinsten vermutlich schon wie die Honigkuchenpferde, während er noch mit finsterer Miene vor sich hin grübelte. Er zwang sich zu einem Lächeln, dann ging das Licht der Kamera auch schon wieder aus. Gleichzeitig verkündete die Nerv-Stimme den oft gehörten Sermon von Samara, die nun ihre Entscheidung treffen musste.

Die Bewegungen des Single Girls wirkten auf Lars unnötig lasziv, als sie aufstand und vor sie trat. In diesem Moment, so war ihnen von der Regie vor der Show eingetrichtert worden, hatten sie ebenfalls aufzustehen.

Er folgte dieser Anweisung, ebenso die beiden anderen. Gab es vielleicht ein Anzeichen des Begreifens in Samaras Gesicht? Hatte sie erkannt, dass er sie durchschaut hatte?

Sie schenkte jedem von ihnen einen Blick, dann verharrte sie vor Alex. Seine aufeinander mahlenden Kiefer verrieten, dass er begriff, was das bedeutete.

»Alex«, sagte sie. Fast hätte Lars das Bedauern in ihrem Tonfall für echt halten können. »Wir hatten viel Spaß, aber es hat nicht gefunkt.«

Mit steinerner Miene nickte Alex, doch dann breitete Samara mit einem zuckersüßen Lächeln die Arme für eine Umarmung aus. Als sie wieder von ihm abließ, murmelte er ihr etwas zu. »Du machst einen Fehler, Babe«, glaubte Lars zu verstehen.

»Bestimmt nicht«, flüsterte Samara zurück.

Während die Nerv-Stimme das Offensichtliche verkündete, nämlich dass nun noch zwei Kandidaten übrig waren, spendete das Publikum Alex einen aufmunternden Applaus zum Abschied. Samara holte indessen die Rose vom Sofa und kehrte mit schwingenden Hüften zu Lars und Miguel zurück, mal den einen, mal den anderen ansehend.

Lars schob eine Hand in die Hosentasche, umfasste den kleinen Stoffbeutel darin. Die andere hob er wie zufällig zur Brust, um rasch seinen Anhänger herausziehen zu können.

»Für wen wird sie sich entscheiden?«, fragte die Nerv-Stimme.

Sie machte es spannend. Eine gefühlte Ewigkeit stand sie da und betrachtete die beiden letzten Finalisten. Lars vermutete, dass diese Szene für die Fernsehzuseher von dramatischen Akkorden untermalt wurde.

»Diese Rose«, sagte Samara schließlich mit klarer, gut verständlicher Stimme, »ist für ...« Sie verstummte mit einem Lächeln.

Lars zog die Hand mit dem Beutel aus der Tasche. Die andere schob er langsam unter sein Hemd, tastete nach dem Anhänger. Samara merkte, dass er etwas im Schilde führte. Ein Stirnrunzeln erschien auf ihrer glatten Haut.

»Lars?«, sagte sie. Es war unklar, ob sie damit ihre Entscheidung verkündete, oder nur ihre Verwirrung über sein Verhalten zum Ausdruck bringen wollte.

Für die Regie schien die Sache jedoch klar. Fanfarenklänge erschollen aus verborgenen Lautsprechern, und ein Konfettiregen ergoss sich über sie. Das Publikum brach in tosenden Applaus aus.

»Was zum ...«, begann Miguel.

Lars zog den Anhänger hervor. Es handelte sich um einen fünfzackigen Stern. Ein Drudenfuß. Dieses Amulett sollte Schutz vor dem Bösen in seinen verschiedenen Ausformungen bieten. Mit einem Ruck zerriss er die dünne Kette, um es Samara am ausgestreckten Arm entgegenzustrecken.

Sie ließ die Rose fallen und wich zurück. Ihr Gesicht verwandelte sich in eine Grimasse.

Nun führte Lars die Hand mit dem Beutel zum Mund und zog mit den Zähnen an der Schnur, die ihn geschlossen hielt. Mit einer schwungvollen Bewegung schüttete er den Inhalt in Samaras Richtung.

Getrocknete und zerkleinerte Blätter der Verbene, auch als Eisenkraut bekannt, flogen durch die Luft. Samara schaffte es nicht, ihnen auszuweichen. Wo die Krümel die Haut berührten, rötete sie sich und schlug Blasen. Sie kreischte. Hinter ihrem Rücken erschienen zwei schattenhafte Gebilde, wurden zu ledrigen Flügeln. Gleichzeitig verdrehten sich ihre Beine unter dem roten Abendkleid. Die zierlichen Schuhe platzten mit einem reißenden Geräusch auf und Hufe kamen zum Vorschein.

In Schmerzen warf Samara ihren Kopf hin und her. Dabei löste sich ihre Frisur, und das, was sie darunter verborgen hatte, kam zum Vorschein. Keine Beulen, wie Georg vermutet hatte, sondern kleine, geschwungene Hörner.

»Jetzt vernichte ich dich, Sukkubus«, brüllte Lars und stürzte sich auf sie, das Amulett vor sich gestreckt.

III

Single Girl

E

s war aufregend, fand Samara. Ständig von Männern voller Testosteron umgeben zu sein, war einfach nur berauschend. Und die Show stellte eine nette Abwechslung zu der üblichen Weise dar, wie sie an ihre Beute kam. Hier musste sie nicht jagen, nicht lauern. Stattdessen kam die Beute zu ihr und balgte sich darum, sich ihr zu unterwerfen. Doch noch durfte sie nicht zugreifen. Denn die Regeln der Show sorgten dafür, dass sie ihre Ernte erst am Ende einfahren durfte.

Und sie wollte nach den Regeln spielen. Zumindest diesmal.

Jetzt saß sie hier, im großen Finale von The Single Girl. Auf dem Monitor hinter ihrem Sofa liefen noch die Höhepunkte der Show, doch schon in wenigen Minuten würde sie sich entscheiden. Im Moment wusste sie selbst noch nicht, wen sie wählen würde. Sie wusste nur, wer es bestimmt nicht wurde. Dieser Alex war uninteressant. An ihn zu denken, verursachte in ihr Empfindungen, die wohl dem glichen, was die Menschen beim Gedanken an Fast Food fühlten. Es gab nur einen Grund, warum er noch in der Show war: Sie liebte es, Typen wie ihn verlieren zu sehen. Um seine Enttäuschung perfekt zu machen, hatte sie ihn immer wieder mal angeflirtet. Hatte angedeutet, er hätte eine Chance. Was für ein Genuss würde es sein, sein Gesicht zu sehen, wenn sie ihn jetzt, so kurz vor dem Ziel, aus der Show kickte.

Wenn Alex nur Fast Food war, dann konnte sie die beiden anderen Männer wohl als Gourmet-Dinner betrachten. Aber für wen von ihnen sollte sie sich entscheiden? Da würde sie sich wohl spontan auf ihr Bauchgefühl verlassen.

Sie beobachtete die Szenen aus den vergangenen Folgen.

Ach ja, dieses verfluchte Dreier-Date. Georg hatte sie am Kopf berührt. Nicht, dass sie etwas gegen eine Berührung an sich einzuwenden hatte, ganz im Gegenteil. Aber er hätte es wohl nicht verstanden, wenn er gemerkt hätte, dass sie unter ihrer Frisur Hörner verbarg.

Diese verfluchten Hörner.

Wie alle von ihrer Art konnte Samara ihr Aussehen verändern. Die Bocksbeine so zu verdrehen, dass sie zu dem wurden, was menschliche Männer für wohlgeformt hielten? Kein Problem. Die Flügel unsichtbar machen? Nichts leichter als das.

Nur nicht die vermaledeiten Hörner. Die ließen sich nicht verwandeln. Sie zwangen sie dazu, Hüte und Mützen zu tragen. Oder, wie für diese Show, das Haar zu abenteuerlichen Frisuren hochzutürmen. Und alles nur, um sich unbemerkt unter Menschen bewegen zu können.

Georg gewähren zu lassen, hätte zu Fragen geführt. Fragen, die sie nicht beantworten wollte. Trotzdem sie hatte in ihrem Schreck überreagiert, das wusste sie nun. Zum Glück hatte Georg sich eine Erklärung zurechtgelegt, die in ein Weltbild passte, in dem es keinen Platz für Wesen wie sie gab.

Aber das war noch nichts gegen die Sache mit dem Übernachtungsdate, dessen Bilder nun über den Monitor flimmerten. Mit Niclas hatte sie an jenem Abend leichtes Spiel gehabt. Er war betrunken weggeschlummert, ehe sich die Gelegenheit zu irgendwelchen Dummheiten geboten hätte.

Nicht aber Benny. Er hatte mehr Wein vertragen als sein Konkurrent. Und sie war schwach geworden, hatte ihr Bestreben vergessen, die Regeln der Show einzuhalten.

Immerhin hatte sie sich zurückgehalten.

Der Ausschnitt seines unbeholfenen Interviews wurde nun gezeigt. »Wir haben ein Glas Wein getrunken, und dann bin ich wohl eingeschlafen.«

Es war mehr als nur ein Glas gewesen. Und eingeschlafen war er nur, weil sie dafür gesorgt hatte. Doch dann waren Gier und Lust zu stark geworden. Das graue Haar an seiner Schläfe sah sie als Mahnmal für ihre Schande. Sie hätte sich besser im Griff haben müssen. Zwar hatte sie ihm nicht viel entnommen, aber immer noch genug, um diese Spur zu hinterlassen. Zumindest hatte sie ihm die Erinnerung an diese Nacht nehmen können.

Dann war es so weit. Die Stimme aus dem Off verkündete, dass sie sich entscheiden musste. Neben ihr auf dem Sofa lag die Rose. Sie hob sie hoch und betrachtete sie aus der Nähe. Eine schöne Blume. Ein Symbol für das Band, das es in Kürze zwischen ihr und dem Sieger der Show geben würde.

Sie legte die Rose wieder hin und trat vor die Kandidaten.

Um für das Publikum die Spannung zu erhöhen, zögerte sie einen Augenblick, als hätte sie nicht schon längst entschieden, dass Alex gehen musste.

Sie wandte sich an ihn. »Alex«, sagte sie, »Wir hatten viel Spaß, aber es hat nicht gefunkt.«

Er war in seiner Männlichkeit gekränkt, das fühlte sie deutlich, denn es strahlte wie in Wellen von ihm aus. Gierig sog sie diese Empfindungen in sich auf. Nein, er war kein Fast Food. Eher ein Aperitif.

Sie bot ihm eine Umarmung an, um besser in seine Enttäuschung eintauchen zu können. Er akzeptierte.

Zwar war es längst nicht so berauschend wie die Gefühle beim Sex, doch sein testosterongeschwängerter Zustand sorgte zumindest für einen kurzen Genuss.

Einen Aperitif eben.

»Du machst einen Fehler, Babe«, raunte er ihr zu.

Natürlich. Seine gekränkte Männlichkeit ließ keine andere Sichtweise zu.

Sie unterdrückte ein Lachen. »Bestimmt nicht«, sagte sie.

Während sie zurück zum Sofa ging, um die Rose zu holen, sagte die Moderationsstimme etwas. Sie hörte nicht darauf, denn nun wurde es ernst. Für wen wollte sie sich tatsächlich entscheiden? Sie sah beide Männer an.

An der Oberfläche wirkte Lars wie der Bravere der beiden. Doch da gab es auch eine Tiefe, die Alex gefehlt hatte. Sie ahnte, dass sie mit ihm kein so leichtes Spiel haben würde, wie bei den anderen. Das reizte sie. Wie lange mochte es wohl dauern, bis sie sich an ihm nähren konnte?

Oder Miguel. Bei ihm war es wohl leichter als bei Lars. Und er strotzte vor Energie. An ihm würde sie sich tagelang sättigen können, und selbst dann wäre immer noch genug übrig.

Lars bewegte sich und steckte eine Hand in die Hosentasche. Machte er nun etwa auf lässig? Gleichzeitig ruhte die andere Hand an der Brust und schien nach etwas zu tasten. Vielleicht nach einem Glücksbringer?

Genüsslich zögerte sie den Moment hinaus. »Diese Rose ist für ...«, sagte sie schließlich und verstummte, um die Spannung noch ein wenig zu steigern. Dann sah sie, dass Lars sich bewegte. Er zog ein Stück Stoff aus der Hosentasche.

Sie runzelte die Stirn. »Lars?« Eigentlich wollte sie ihn fragen, was er da machte, doch die Regie schien es für ihre Entscheidung zu halten. Laute Musik erklang, gefolgt von einem Konfettiregen. Das Publikum applaudierte.

Als Lars etwas unter seinem Hemd hervorzog, erkannte Samara sofort, was es war. Ein Drudenfuß, jenes verhasste Symbol, mit dem die Menschen in alter Zeit sie und andere Ihrer Art in die Flucht geschlagen hatten.

»Was zum ...?«, brachte Miguel hervor, der das Geschehen fassungslos beobachtete.

Samara ließ die Rose fallen und wich zurück. Entsetzt sah sie zu, wie Lars die andere Hand zum Mund führte. Das Stück Stoff, erkannte sie, war ein Beutel, den er nun mit den Zähnen öffnete.

In diesem Moment nahm sie den widerlichen Geruch wahr. Verbene, jene Pflanze, die sie ebenso verabscheute wie den Drudenfuß.

Der Arm mit dem Beutel zuckte nach vorn, und streute den Inhalt über sie. Samara versuchte auszuweichen, war jedoch zu langsam. Wo die Blätter und Krümel sie trafen, bohrte sich brennender Schmerz in ihre Haut. Die Verbene leistete ganze Arbeit.

Samara fühlte ihre Tarnung in sich zusammenbrechen. Die Beine nahmen ihre richtige Form an, und hinter ihr materialisierten sich die Flügel. Dass sich ihre Frisur löste und so auch die Hörner preisgab, nahm sie nur mehr am Rande wahr.

»Jetzt vernichte ich dich, Sukkubus«, hörte sie Lars brüllen. Durch einen Schleier aus Tränen hindurch sah sie, wie er sich auf sie stürzte.

Vernichten würde er sie weder mit dem Amulett noch mit den Kräutern. Beides verbrannte ihre Haut und hinterließ schmerzhafte Spuren, die lange sichtbar blieben. Aber nicht mehr.

Mehr aus Instinkt, als dass sie sah, was sie tat, streckte sie ihren eigenen Arm aus, und bekam ihn am Hals zu fassen. Langsam hob sie ihn hoch, so dass seine Füße mehrere Handbreit über dem Boden zappelten. Der Drudenfuß segelte in hohem Bogen davon.

Das Publikum verharrte wie in Schockstarre, doch sie achtete nicht darauf. »Das war ein Fehler«, spie sie Lars entgegen, dessen Gesicht über ihrem Griff eine bläuliche Farbe annahm.

Dann stand Miguel neben ihr. »Nicht«, sagte er.

Sie erkannte, wie das Barett, das er alle Folgen hindurch getragen hatte, verrutschte. Darunter kamen Hörner zum Vorschein.

Hörner wie ihre eigenen.

Ein Inkubus.

Sie blinzelte die Tränen weg und ließ Lars los. Mit einem dumpfen Laut fiel er zu Boden.

»Sieht so aus, als hätten wir ähnliche Ideen gehabt«, meinte Miguel ruhig.

Allmählich beruhigte sich das Brennen auf ihrer Haut wieder. Vielleicht würden die Spuren ja schneller wieder verschwinden, als sie befürchtet hatte.

»Ähnliche Ideen?«, fragte sie barsch. »Mir ging es um das Spiel. Um die Auswahl«, sagte sie.

»Und ich wollte wissen, ob ich mich in dieser Show gegen menschliche Konkurrenten durchsetzen kann. Ganz ohne - du weißt schon.«

»Und was jetzt?«

Er deutete auf Lars, der am Boden saß und entsetzt zu ihnen empor sah. »Lass ihn gehen.«

»Warum?«

»Ich mag ihn.«

Sie seufzte. Na schön, sollte Miguel seinen Willen haben. »Hier sind wir aufgeflogen«, sagte sie. »Verschwinden wir.«

Er nickte. Hinter seinem Rücken flimmerte es, dann erschienen ledrige Schwingen. »Ich würde immer noch gern was mit dir was trinken gehen«, sagte er freundlich zu Lars. »Das erste Bier geht auf mich.«

Dann breitete er die Flügel aus und stieg in die Luft. Nach einigen Metern verschwand er in einer schwarzen Rauchwolke.

Auch Samara wandte sich an Lars. »Du weißt nicht, was dir entgangen ist.«

Damit stieß auch sie sich vom Boden ab und wechselte, eine Rauchwolke hinterlassend, in die andere Welt.


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