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Interview mit einem Sukkubus

Anna Kügler-Stietenroth

A

zareas Schicht ist bislang ziemlich langweilig. Sie sitzt an ihrem Arbeitsplatz, die klauenbewehrten Füße auf die Tischplatte gelegt, und feilt sich die Nägel, als der Vorarbeiter ihr zuruft: »Wir brauchen einen Sukkubus an Portal drei!«

Na toll. Azarea legt die Nagelfeile weg und steht eher widerwillig auf. Und das kurz vor Feierabend! Auf dem Weg lässt sie ihr schwarzes Schuppenkleid verschwinden. Statt einer Dämonin mit Krallen und langem Schwanz schreitet eine schwarzhaarige Frau auf das Portal zu, die gewisse Männer wohl als üppig bezeichnen würden. Nur die Flügel bleiben. Mit einem tief ausgeschnittenen Kleid, das viel Rücken zeigt, ist das kein Problem.

»Wo geht’s hin?«, fragt sie den Vorarbeiter und wirft die Haare in einer dramatischen Geste über die Schulter. Ihr dunkles Kleid schimmert im Widerschein der Höllenfeuer. »Ich hoffe, das dauert nicht so lange. Ich habe heute Abend noch was vor und ab morgen Urlaub.«

Der Vorarbeiter bedenkt sie mit einem verächtlichen Blick aus gelben Augen und zuckte mit den Schultern. »Woher soll ich das wissen? Los jetzt.«

Es ist doch immer dasselbe. Azarea strafft die Schultern, gibt sich einen Ruck und durchschreitet das Portal.

Auf der anderen Seite erwartet sie das übliche Bild. Ein abgedunkelter Raum, tropfende Kerzen, ein Pentagramm auf dem Boden, in dem sie erscheint, umgeben von tiefrotem Licht. Zusätzlich ist ein breiter Salzkreis um das Pentagramm gestreut worden. Sie blinzelt. An den grauen Wänden hängen Plakate von Rockbands und alte Eintrittskarten von Konzerten, dazwischen ein Poster, das eine leicht bekleidete Frau aus der Gothic-Subkultur zeigt. Azarea ächzt leise. Bitte nicht schon wieder so ein hormongesteuerter Teenager, der ihr seine Jungfräulichkeit im Tausch gegen ewiges Leben anbietet!

Das Zimmer sieht beunruhigend danach aus. Es gibt einen Schreibtisch, eine Klappcouch und eine Menge Darstellungen von Fledermäusen. Azarea will das Gesicht in den Händen verbergen, doch das ist kein dämonisches Verhalten. Also lässt sie einen möglichst überheblichen Blick durch den Raum gleiten.

Sie entdeckt zwei Beschwörer. Beide tragen lange Kapuzenumhänge, bestimmt aus dem Faschingsladen, und schwarze Masken, die ihre Gesichter bedecken. Sie sind ungefähr gleich groß und scheinen nicht ganz sicher zu sein, wie es jetzt weitergeht.

Azarea unterdrückt einen Seufzer. »Was ist euer Begehr?«, raunt sie in bester Dämonen-Manier.

»Ich grüße dich, Sukkubus.« Der linke Beschwörer räuspert sich. Seine Stimme klingt ziemlich hoch.

»Können wir die Masken jetzt abnehmen?«, fragt der zweite Beschwörer. Noch so eine Piepsstimme. Wie alt sind die beiden, dreizehn?

Der erste Beschwörer hält irritiert inne. »Was?«

»Die Masken. Können wir sie abnehmen? Da kriegt man ja keine Luft drunter.«

Ein tiefer Seufzer. »Von mir aus. Aber dann geht die ganze Atmosphäre flöten.«

»Macht ja nix.« Die schwarze Maske wird heruntergezogen. Dahinter kommt ein braun gebranntes Gesicht zum Vorschein. Azarea zieht erstaunt die Augenbrauen hoch. Eine Frau!

Auch der erste Beschwörer nimmt die Maske ab. Im Gegensatz zu ihrer Freundin ist sie leichenblass. Dunkles Make-Up um die Augen verstärkt diesen Effekt noch. Ihre Kapuze rutscht zurück und enthüllt tiefrot schimmerndes Haar.

Azarea runzelt die Stirn. Wo ist sie denn hier gelandet?

»Ich heiße Sally«, stellt die Braungebrannte sich vor. Ihre hellen Haare sind eine einzige Masse aus Dreadlocks und Holzperlen. »Ich studiere Journalistik im vierten Semester. Seit einiger Zeit bringen wir eine Campus-Zeitung heraus.« Die Worte sprudeln nur so aus ihrem lächelnden Mund. Azarea weiß nicht, wie sie sich verhalten soll.

»Sie will ein Interview mit dir führen.« Die Grufti-Beschwörerin zuckt gleichgültig mit den Schultern. »Ich bin nur wegen der Beschwörung hier.«

Ein Interview?

»Das ist Midnight.« Sally blickt zu Azarea empor. »Und wie heißt du?«

Was ist das für eine Art, mit einer Dämonin zu sprechen? Unerhört! »Wisse, dass du dich in der Gegenwart von Azarea befindest, Ausgeburt der untersten Hölle und-«

»Ausgeburt der Hölle?« Fassungslos schüttelt Sally den Kopf. »So redet man über dich? Ist ja furchtbar!« Sie wendet sich an Midnight: »Und du bist sicher, dass sie den Kreis nicht verlassen kann?«

Midnight zuckt mit den Schultern und zieht die Mundwinkel nach unten. Ihrem Gesichtsausdruck nach ist es ihr herzlich egal, ob Azarea den Kreis verlässt und Sally den Kopf von den Schultern reißt oder nicht. »Nee«, sagt sie. »Ist ja der Sinn des Kreises, dass sie nicht rauskann.«

»Cool.« Sally lässt sich auf die Couch fallen und angelt Schreibblock und Kuli vom Boden. Ihre Füße sind nackt. »Also… Azarea. Schreibt man das so, wie man es spricht?«

In all ihren Jahrhunderten ist Azarea nie gebeten worden, ihren Namen zu buchstabieren. Ihr fällt keine passende Antwort ein. »Ja.«

Midnight wandert um das glühende Pentagramm herum und betrachtet Azarea von oben bis unten. »Geile Flügel«, findet sie.

»Ich möchte mit dir über die Sexualisierung von Sukkubi in der modernen Zeit sprechen«, verkündet Sally und lehnt sich entspannt zurück.

»Sukkuben«, korrigiert Midnight.

Sally zuckt mit den Schultern. »Ein wichtiges Thema. Ich arbeite an einem Artikel darüber und hätte gerne Erfahrungen aus erster Hand.«

»Ihr habt mich für ein Interview beschworen?«, entfährt es Azarea. So etwas ist ihr noch nie passiert! »Ich bin eine Dämonin der untersten Hölle! Ich habe Besseres zu tun als Interviews zu geben.«

»Bis Midnight es dir erlaubt, kannst du nirgendwo hin.« Sally grinst breit. »Das tut mir sehr leid, ich würde es gern anders lösen, aber ich weiß nicht, wie.«

»Wir hatten das schon«, schnappt Midnight. »Sie bleibt im Kreis.«

»Du hörst es ja.« Entschuldigend zuckt Sally mit den Schultern. »Gegen sie bin ich machtlos. Also. Es geht um Folgendes-«

Was wird ihr Vorarbeiter sagen? Azarea kann es sich nur zu gut vorstellen. Sie ist hier, um Unheil über die Welt zu bringen und nicht, um sich nett mit einem Menschen zu unterhalten! »Ich stehe nicht für Interviews zur Verfügung«, zischt sie.

Midnight hat ihre Runde um das Pentagramm beendet und steht wieder vor ihr. Sie zuckt mit den Schultern. »Ich seh das so«, fängt sie an. »Du hängst in diesem Kreis fest. Ich hab dich beschworen. Das bedeutet, du musst tun, was ich dir sage.«

»So funktioniert das nicht.«

»Im Grunde funktioniert es genau so. Du kannst dich zieren und alles unnötig in die Länge ziehen. Ich hab keine Probleme mit einem Sukkubus in meinem Zimmer. Passt zur Einrichtung.«

»Midnight!«, zischt Sally empört. »Wie redest du denn mit ihr?«

Midnight beachtet sie nicht. Ihr Blick bleibt auf Azarea gerichtet. »Ich kann dich hier tagelang festhalten. Vielleicht beschweren die Nachbarn sich, was soll’s? Sind eh alles ignorante Arschlöcher. Klar, deine Rache trifft mich bestimmt ziemlich hart.« Wieder ein Schulterzucken. Midnight sieht nicht eingeschüchtert aus. »Aber davor hab ich keine Angst. Ich hab gute Verbindungen zu deinen Kollegen und längst einen Deal ausgehandelt. Also? Machst du mit oder sträubst du dich und guckst dir ein paar Tage mein Studentenleben an?«

Sie hätte Feierabend gehabt. Azarea knurrt unwillig. Feierabend, und ab morgen Urlaub. Schlimm genug, dass sie jetzt schon Überstunden machen muss! Sie traut dieser frechen Göre zu, sie noch stundenlang festzuhalten. »Na schön«, zischt sie. »Wenn das dein Begehr ist…«

»Ist es.«

Sally strahlt. »Wunderbar! Wir beeilen uns auch, Azarea, dann musst du nicht so lange im Netz bleiben.«

»Pentagramm.«

»Sag ich doch. Gut.« Sie platziert den Block auf ihren Knien und beugt sich vor. »Du kennst sicher diese übersexualisierten Darstellungen von Sukkubi und Dämoninnen im Internet.«

In der Hölle gibt es kein Internet. Aber Azarea hat genug von diesen Bildern ausgedruckt an Wänden gesehen. »Ja, kenne ich.«

»Wie fühlst du dich damit?«

Wie bitte? Wie fühlst du dich? Azarea zuckt mit den Schultern. »Weiß ich nicht. Die Zeiten ändern sich eben.« Als Sukkubus ist man nicht mehr länger der Albtraum aller Männer. Im Gegenteil.

Sally macht sich Notizen und nickt nachdenklich. »Beeinträchtigt dich die Wahrnehmung der Sukkubi-«

»Sukkuben«, wirft Midnight ungeduldig ein. »Hab ich dir schon hundertmal gesagt.«

Sally schneidet ihr eine Grimasse. »Beeinträchtigt dich die Wahrnehmung der Sukkuben in deiner alltäglichen Arbeit?«

Kurz denkt Azarea über ihre alltägliche Arbeit nach. »Na ja, es hat sich schon verändert«, gibt sie zu. »Früher habe ich Männer in ihren Träumen besucht, um ihren Samen zu stehlen.« Die gute alte Zeit. »Man hat mich gefürchtet. Und heute … muss ich auf Beschwörungen von rotzfrechen Gören reagieren und mich ihren Wünschen beugen, weil sich das mit den Träumen nicht mehr rentiert.«

Midnight zieht gekonnt eine Augenbraue hoch. »Ich wär vorsichtig, wen ich hier ein rotzfreches Gör nenne.«

Sally winkt ab. »Du sagst doch immer, man soll sich nicht so anstellen.« Zu Azarea gewandt, fährt sie fort: »Das klingt nicht schön.«

»Es ist nicht schön«, stimmt sie zu. »Vor dreihundert Jahren war ich ein Albtraum! Nichts mit Befehle befolgen und in Kreise beschworen werden! Aber heute…« Sie wirft verzweifelt die Hände hoch und lässt sie wieder fallen. »Du siehst es ja selbst. Pentagramme, Salzkreise, Befehle und Männer, die sich über einen Sukkubus freuen. Die wollen, dass ich vorbeikomme. Die beschwören ausdrücklich einen Sukkubus.«

Ein leises Kichern entfährt Midnight. »Klar. Gothic-Girls sind in.«

»Ich bin kein Gothic-Girl.«

»Natürlich nicht.« Sally gestikuliert beschwichtigend. »Das muss furchtbar sein. Warum beschwört man ausgerechnet einen Sukkubus?«

In Midnights Augen sieht Azarea, dass die Beschwörerin die Antwort längst kennt und wahrscheinlich amüsant findet. »Um sich mit uns zu paaren«, gibt sie zu. Wenn man es so sagt, klingt es irgendwie peinlich. »Ich meine, das ist eh das, was wir mit den Männern machen. Mein Job. Dafür bin ich geschaffen worden. Aber doch nicht, wenn die Männer wach sind!«

»Du bist also praktisch eine unfreiwillige Sexarbeiterin«, schlussfolgert Sally. »Das ist nicht lustig, Midnight!«

Midnight zuckt mit den Schultern und holt eine Flasche Wein und drei Gläser aus einer Schublade unter ihrem Schreibtisch. »Für dich auch?«, fragt sie und wirf Azarea einen fragenden Blick zu.

»Ich bin nicht zum Weintrinken hier.«

»Gut, dann halt nicht.« Midnight füllt zwei Gläser und reicht eines davon Sally. Sie scheint sich prächtig zu amüsieren.

Sally sieht nicht so fröhlich aus. Ihr Gesicht ist ernst, sie sieht Azarea traurig an. »Das ist furchtbar, Azarea«, sagt sie voller Mitgefühl. »Gibt es bei euch einen Personalrat, an den du dich wenden könntest? Eine Gleichstellungsbeauftrage?«

Ein Personalrat in der Hölle? Azarea schüttelt den Kopf. Und was die Gleichstellungsbeauftragte angeht… Schon zu biblischen Zeiten war allen Dämonen bekannt, dass Frauen so viel Unheil anrichten können wie Männer. Gleichberechtigung in ihrer reinsten Form. »So was kann man auch nicht ändern«, meint sie. »Es ist eben so. In ein paar hundert Jahren sieht alles vielleicht ganz anders aus.« Und sie will wirklich nicht weiter darüber nachdenken. Sie hat fast Urlaub!

»Was würde denn helfen? Gibt es etwas, das wir Menschen tun können?«

Weniger vollbusige, paarungswütige Dämonenfrauen ins Internet stellen? Azarea ist nicht sicher, ob das helfen würde. Aber dann fällt ihr etwas ein, wie sie dieses Interview überstehen könnte, und zwar so, dass ihr Vorgesetzter zufrieden mit ihr ist. »Wenn ihr wieder an…« Sie gestikuliert vage nach oben. »Na ja, die große Eminenz und so…«

»Gott«, hilft Sally aus.

Azarea verzieht das Gesicht. »Ja, ja. Wenn ihr wieder daran glauben würdet, das würde helfen. Also, richtig glauben. Wie früher.« Sie denkt kurz nach. »Inklusive Hexenverbrennung«, fügt sie hinzu. »Mann, Hexenverbrennungen. Das waren vielleicht Events!«

Sally runzelt die Stirn. »Da sind unzählige Unschuldige qualvoll gefoltert und verbrannt worden.«

»Ohne Qual wäre es keine Folter«, gibt Midnight zu bedenken.

»Das stimmt.« Azarea nickt. »Ich mein ja nur. Mehr Religiosität und weniger, ich weiß nicht, Internet wahrscheinlich. Das würde mir und meinem Berufsstand echt helfen.«

Zögerlich schreibt Sally auf, was die Dämonin gesagt hat. »Ja, gut…« Sie beißt sich unsicher auf die Unterlippe. »Aber meinst du nicht, dass man mit Aufklärung mehr erreichen könnte? Wäre es nicht schöner, wenn du dir deinen Job selber aussuchen könntest?«

»Wenn ich mir meinen Job selber aussuchen könnte, würde ich wieder so arbeiten wie vor fünfhundert Jahren.«

»Das ist nicht sehr emanzipiert, Azarea, ich muss schon sagen.«

Der schrille Ton einer Türklingel unterbricht Sally. Midnight stellt ihr Weinglas auf den Schreibtisch. »Das ist die Pizza«, verkündet sie. »Können wir Schluss machen, Sally?«

»Aber…«

»Ich hab Hunger.«

»Und ich hab Feierabend«, rutscht es Azarea raus.

»Oh.« Sally legt ihren Block beiseite und nickt hastig. »Das wusste ich nicht, bitte entschuldige. Vielen Dank, dass du dich meinen Fragen gestellt hast.«

Midnight verdrehte ihre schwarz umrandeten Augen. »Mach mal dem Pizzaboten auf«, seufzt sie. »Ich banne den Sukkubus.«

»Sie hat einen Namen«, zischt Sally im Hinausgehen.

Azarea blickt ihr nach. Was für ein seltsamer Mensch.

Midnight bemerkt ihren Blick und zuckt mit den Schultern. »Der Deal war gut«, meint sie gelassen. »Ich beschwör ihr einen Sukkubus, sie bezahlt die Pizza. Perfekt, oder?«

»Ja?«

»Ja. Nun denn.« Midnight zieht sich die Kapuze über die roten Haare und hebt die Hände zu einer letzten Beschwörung. »Hebe dich hinfort, grässlicher Dämon, und kehre zurück in die Hölle, aus der du gekrochen kamst!«

Das Pentagramm leuchtet grell auf. Azarea schließt die Augen und schüttelt sich, als sie aus Portal drei tritt. Ihr Kleid wird wieder zu Schuppen, die High Heels zu klauenbewehrten Füßen. Sie streckt die Flügel. Endlich zurück.

Ihr Vorarbeiter kommt auf sie zu. »Ich erwarte deinen Bericht noch vor deinem Urlaubsantritt!«, keift er.

Gelassen winkt Azarea ab. »Keine Sorge, den kriegst du.«


Auf der Erde sitzen Sally und Midnight über ihren Pizzen. Midnight ist zufrieden mit sich; ihre Freundin nicht so. Sie geht wieder und wieder ihre Interviewnotizen durch. »Mann, das kann ich doch so nicht schreiben«, klagt sie.

Midnight zuckt mit den Schultern. »Ich hab dir gesagt, dass das eine blöde Idee ist.«

»Ja, aber das sagst du immer.«

»Und wenn schon. Warum kannst du das jetzt nicht schreiben? Ein Interview mit einem Sukkubus, das hat noch keiner gebracht.«

»Ja, aber…« Sally schüttelt verzweifelt den Kopf. »Bringt die mittelalterliche Kirche mit all ihren grässlichen Praktiken wieder an die Macht und schaltet das WLAN aus, damit die Sukkubi ein besseres Leben haben? Das geht nicht. Das geht einfach nicht.«

Midnight seufzt tief. »Es heißt Sukkuben, Sally, nicht Sukkubi.«

Sally hört sie gar nicht. »Das kann ich so nicht schreiben«, murmelt sie nochmal.


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