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2.3 Ökumenische Haltungen

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Als weitere Form der ökumenischen Spiritualität möchte ich ökumenische Haltungen nennen, die mir aufgegangen sind. Dabei ist die Reihenfolge der Aufzählung nicht als Rangfolge zu verstehen.

1. Ich beginne mit dem Gebet als Zugangsweg zum anderen (und umgekehrt des anderen zu mir). Wo ich den anderen als Betenden erlebe, erfahre ich ihn in seinem Glauben(svollzug), in seinem Christus- und Gottesbezug. So erlebe ich ihn konstruktiv, nicht als Gegner oder beängstigend. Einem Bittenden gegenüber brauche ich mich nie zu behaupten, da fällt die Falle der Selbstbehauptung oder Feindschaft weg. Stattdessen zeigt sich der andere vom selben Grundvertrauen bestimmt, das auch mich trägt.

Wer den anderen als Betenden erfährt und sich selber als Betenden zeigen darf, dem wird klar, dass der gelebte Gottesbezug das Entscheidende ist und das Verhältnis untereinander wie die Verbindung miteinander prägt. Das gemeinsame Gottesverhältnis eröffnet Gegenseitigkeit.

Im Gespräch mit der Selbständigen Evangelisch Lutherischen Kirche in ökumenischer Absicht habe ich selbst erfahren, wie Vertrauen schaffend und Verbundenheit stiftend es sein kann, von der offiziellen Liturgie der jeweiligen Gemeinschaften her auf den Glauben zu schauen in Rückgriff auf das alte Axiom Lex orandi – Lex credendi. Im Verhältnis zu lutherischen Kirchen hat ein solches Vorgehen noch den zusätzlichen Charme, dass für lutherische Theologie das Gottesverhältnis im Kern ein personales, also ein Gebetsverhältnis ist, das der Gottesdienst spiegelt.

2. Ökumene konkretisiert und vertieft sich weiter, wo etwas im Glauben und aus Glauben gemeinsam getan wird oder geschieht. Das lässt die Beteiligten erleben, was der Glaube vermag, auch wenn er gegenseitig noch unvertrauter Glaube ist. Außerdem wird dann Ökumene nicht mehr als Zusatzbelastung erlebt, sondern wird zur Vollzugsform, Bewährung und Weitung des eigenen Glaubens, die verbindet und Vertrauen schafft.

3. Wir haben alle nur einen begrenzten ökumenischen Aktionsradius. Daher ist es wichtig, die konkreten, wirklichen, wenn auch scheinbar kleinen Chancen in der Ökumene vor Ort oder in der eigenen konkreten Lebenswelt zu ergreifen. Es ist wichtig, das hier Mögliche zu tun ohne sich mit der Überzeugung zu dispensieren, die wirklich zählenden, entscheidenden Schritte könnten wir gar nicht tun, weil wir viel zu weit unten in der Hierarchie stünden. Es gibt umgekehrt Chancen, die nur vor Ort, nur in dieser Konstellation wahrzunehmen sind und erst dann und deswegen ansteckend wirken können. Ökumene geht immer nur mit konkreten Partnern. Vor Ort gibt es Chancen, die es auf höheren Ebenen nicht gibt, weil man sich vor Ort persönlich kennt, weil die Wirkung des Tuns begrenzt bleibt (kein Präzedenzfall wird) und weil man nicht strikt die offizielle Linie vertreten muss, sondern konkret handeln und auch experimentieren darf. Kirchenleitungen haben diese Freiheit nicht.

4. Erfahrungen der ökumenischen Bewegung lehren, dass sie als Bewegung entscheidend von Leuten gelebt hat und lebt, die ökumenische Partner gefunden haben. Beispielhaft will ich nur das Zeugnis Frère Rogers von seiner ersten Begegnung mit Johannes XXIII. nennen; sie war für ihn noch vor dem Konzil die eigentliche Durchbruchserfahrung. Beide waren sich ohne Worte einig, miteinander versöhnt, und haben in diesem Geist, der bei beiden ganz verschiedene Ausprägungen gewann, die Ökumene sehr viel weitergebracht, wenn auch noch nicht ans Ziel. Sie „konnten“ miteinander.

Von da aus die Frage: Habe ich einen Vertrauten, einen Freund/Freundin in der anderen Kirche? In der anderen Gemeinschaft? In der anderen Konfession? Eine(n), mit dem/der ich wirklich „kann“? Von dem/der her mir die Wirklichkeit und das Verhalten dieser Gemeinschaft neu aufgeschlossen wird? Von dem/der her ich Vertrauen zu dieser Gemeinschaft gewinne? Eine Person, die ich auch dann fragen kann, wenn ich etwas nicht verstehe, wenn ich von Reaktionen, Verhaltensweisen oder Handlungen konsterniert bin, den eigenen Glauben missverstanden oder brüskiert fühle?

Kann ich auf diesem Weg zunehmend in das Selbstverständnis der anderen hineinwachsen, es nachvollziehen, gar teilen? Werde ich umgekehrt für andere ein solcher Ansprechpartner und Vertrauter? Jemand, der auskunftsfähig ist, aber darüber hinaus den eigenen Glauben in einer solchen Weise lebt, dass der Andere nicht misstrauisch oder zurückhaltend werden muss, sondern freimütig sich zu fragen traut oder seine Bedenken äußern kann?

Ich glaube, dass solche Beziehungen unendlich wichtig sind.

5. Ich erinnere mich einer Studentin, die als Jüdin ein Stipendium an der Gregoriana in Rom hatte. Sie hat von ihren Begegnungen und Austauscherfahrungen so gesprochen, dass mir nachher klar wurde, dass ich den Psalmvers über Jerusalem: „Wegen meiner Brüder und Freunde / will ich sagen: in dir sei Friede“ (Ps 122,8) ab jetzt um ihretwillen für Jerusalem neu und konkret beten kann und muss. Kann ich so auch um einzelner anderer Christen willen für ihre Gemeinschaft/Kirche beten?

Eine solche Erfahrung und Praxis ist zunächst verblüffend und theologisch nicht unmittelbar zwingend, handelt es sich doch um einen Einzelfall, der die Wirklichkeit der Gruppe nicht verändert. Und doch ist eine solche Erfahrung wirksam und eine solche Reaktion theologisch stimmig, weil diese Gemeinschaft, Gruppe oder Kirche einen solchen Glaubenden hervorgebracht hat. Dann hat diese Gruppe ganz andere Potentiale als bisher gedacht. Dann stellt sich die Frage durchaus so: Warum sind die anderen nicht wie diese Person? Es ist eben nicht zu bestreiten, dass die erlebte Ausnahme die möglichen Potentiale der Gruppe aufzeigt. Deswegen werden alle Pauschalurteile unmöglich. Von daher dürfen und müssen wir lernen, auf den Glauben des einzelnen zu schauen und was aus ihm erwächst. Dann entdecken wir vielleicht, was Liebe vermag. Was bringt das? Liebe bleibt nicht individualistisch, sie strahlt aus, wie die geschilderte, eigene Erinnerung beweist. Liebe hat die besseren Augen und ist die bessere Theologin. Sie schafft und lässt entdecken, was ich als Motto erwähnte (und was die innerste, die verwandelnde Kraft der Ökumene ist): Love is the force that creates a symphony out of contrasts. Darin liegt die innere Hoffnung, Kraft und Überzeugung ökumenischer Spiritualität; und sie ist theologisch durchaus im Recht, weil davon auszugehen ist, dass in der Ökumene der andere als Getaufter geprägt ist mit dem Siegel Christi und begabt ist mit dem Heiligen Geist. Deswegen kann all das, was ich wahrnehme und worauf ich setze, ihm nicht notwendig abgesprochen werden, sondern kann überraschend konstruktiv wirken.

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