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1. Grundlagen: Wie sagen wir wir? Wie wollen wir wir sagen?

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Wen meinen wir, wenn wir als Christen wir sagen? Vielleicht können wir uns anhand dieser Frage über unsere ökumenische Einstellung und Spiritualität klarer werden.

Wer sind, wenn wir wir sagen, die anderen, die nicht zum wir gehören? Wo ziehen wir, ohne nachzudenken, die Grenze?

In den offiziellen Papieren reden beide großen Kirchen in Deutschland, die katholische wie die evangelische, von Kirche fast immer so, als gäbe es die andere Kirche nicht, sondern nur die eigene. Das ist eigentlich der alte theologische Singular aus vorökumenischer Zeit. Wer sind „die anderen“, wenn wir von uns als Kirche reden? Sind sie auch Christen oder wirklich Nichtchristen? (Übrigens bleibt die Rede in beiden Fällen selbstbezogen, ist nie vom anderen her oder mit ihm zusammen gedacht). Sind die anderen (Christen) ein bloßes Gegenüber? Auf dem Boden welcher – verbindenden – Gemeinsamkeit sind sie die anderen oder andere? Welches Verhältnis haben wir zu ihnen? Ist es stärker von der Gemeinsamkeit oder von der Differenz, dem Anderssein, bestimmt?

Sind sie andere als Fremde, als eine gegenüber stehende, unbekannte Gruppe, oder sind sie andere, wie Yves Congar programmatisch formuliert hat, als chrétiens désunis, als un-geeinte Christen, die einmal zusammengehörten, aber infolge von Spaltung, Trennung oder Scheidung bis heute ent-zweit, genauer: ent-eint sind? Das Gemeinte ist zu verdeutlichen.

Aus Münster in Westfalen gebürtig, arbeite ich jetzt in Erfurt/Thüringen. Neue Bundesländer oder ehemalige DDR oder Osten oder „anderes“ Deutschland wird diese Gegend zumeist genannt. Immer wird der Unterschied benannt, nicht das dortige Selbstverständnis.

Was ist wirklich vorgegangen, dass wir und bis wir Deutschland, wenn auch mit Mühe, auf welchen Wegen auch immer, irgendwie wieder zusammen gebracht und als Einheit verwirklicht haben? Gerade weil Deutschland infolge des Nationalsozialismus und des Krieges de facto machtmäßig, politisch und vor allem ideologisch gespalten war, gehörte paradoxer wie unvermeidlicher und bezeichnender Weise zur Identität der DDR die BRD dazu und zur Identität der BRD die DDR. Keiner der beiden Staaten konnte sich selbst verstehen und in seiner Selbstbestimmung handeln, ohne zugleich den anderen als zur eigenen Identität im Kontrast als dazugehörig, wenn auch ungewollt zugehörig, zu wissen und zu berücksichtigen. Man konnte die DDR nicht ohne Bundesrepublik denken und die Bundesrepublik nicht ohne DDR – gerade wegen des Alleinvertretungsanspruches (vgl. die Hallsteindoktrin). Das Gegenüber gehörte gerade durch die Abgrenzung zur eigenen Existenz. Hier war der andere, den man unreflektiert im Sinn hatte, so etwas wie der Systemkonkurrent, der für das eigene Selbstverständnis unbewußt und ungewollt mitkonstitutiv war, ohne den man sich selbst de facto nicht verstand; der wohl abgeblendet wurde, aber nicht auszublenden war.

Der Andere ist unter Umständen zugleich der Böse, der das Unrecht begeht, das wir systematisch ablehnen. Der Gewalt ausübt, die wir nicht anwenden. Der Unterdrückung betreibt, die bei uns nicht vorkommt. Der kollektiv denkt, was bei uns nicht der Fall ist, usw. So lebt man aus Kontrasten (bis zu Projektionen), statt aus einem Verhältnis zur Wirklichkeit des anderen und des eigenen Selbst.

Ein solches enteintes Gegenüber kann unter Umständen viel schärfer trennen als ein sogenannter „Erbfeind“, der immer schon der andere, der Feind war. Die DDR und unter Umständen der andere Christ ist der andere, das Gegenüber geworden – das ist viel schmerzhafter und trifft viel tiefer, als wäre er von Anfang an ein fremder, äußerer anderer gewesen.

Wir haben als Christen eine gemeinsame Geschichte, wir sind durch denselben tragenden Bezugspunkt miteinander verbunden, mehr noch: zur Gemeinschaft gerufen. Genau in dieser Verbundenheit aber sind wir gespalten, enteint.

Kann man den Anderen, das Gegenüber, auch in einem ganz anderen Bild verstehen, mit einem anderen „Schlüssel“ erschließen statt wegschließen, nämlich wie das Gegenüber beim Tennis, eben als anderen, ohne den Tennis überhaupt nicht zu spielen ist? Er ist dann der andere als Partner, ohne den nichts geht, ohne den man allein gar nicht spielen kann. Er ist mein Gegner nur insofern, als ich mich spielerisch besser erweisen, mich trainieren, an ihm steigern will und kann. Aber ich muss ihn nicht besiegen, schon gar nicht ausschalten oder absorbieren (vielmehr von ihm lernen, wo er besser spielt als ich). Ich brauche den „Gegen-spieler“ als Mitspieler. Spiele ich so, dass ich mit ihm spielen kann und dass ich mit ihm spielen kann?

In welchem Sinn ist der andere Christ, die andere Kirche für mich mein Gegenüber? Wie stehe ich und wie verhalte ich mich zu ihr und wie gehe ich mit ihr um?

Spiritualität der Ökumene sieht im anderen Christen und der anderen Kirche ein relatives Gegenüber, mit dem ich auf gemeinsamem Grund und Boden stehe, nämlich dem Boden des Glaubens an Jesus Christus. In diesem Glauben sind mindestens die Taufe und der Heilige Geist gemeinsam gegeben (die Sünde, der Widergeist, trennt immer!), d. h. das Fundament und das tragende wie leitende Prinzip.

Die Formel dafür, dass das Tragende und Verbindende stärker ist als die Spaltung, lautet: Die Spaltung ist nicht bis in die Wurzel gegangen.

Oder: Was uns eint, ist stärker als das, was uns trennt.

Doch wird in diesen Formeln nicht mitgesagt und bleibt meist unbedacht, was weiterhin trennend wirkt und was das Entzweitsein, die Ungeeintheit und Trennung umso schmerzhafter oder widersinniger andauern lässt. Das Trennungspotential darf man um der Einheit willen nicht außer Acht lassen, auch wenn es nicht grundlegend und tragend ist. Es steht nicht in Entsprechung zum tragenden und verbindenden Grund und kann und darf daher nicht entscheidend bleiben.

Deswegen heißt Spiritualität der Ökumene oder ökumenische Spiritualität: Es gibt diesen gemeinsamen Wurzelgrund, der fundamental verbindet, trägt und nährt. Er ist die eigentliche und wirkliche Kraft, aus der wir leben und die uns verbindet. Aber sie hat die Trennung noch nicht überwinden können, ihre volle Wirksamkeit und ihr Ziel noch nicht erreicht. Wie kann sie umfassend verbindend werden? Wie entsteht aus Kontrasten die Symphonie? Wie kommt es zur Versöhnung der Getrennten (wie zwischen BRD und DDR, wie zwischen Deutschland und Frankreich)?

Biblisch drückt der Hebräerbrief die trennende Differenz und die diese Differenz überwindende Kraft im Tiefsten so aus. „Er, der heiligt und sie, die geheiligt werden, [der Erlöser und die zu Erlösenden, die Sünder], stammen alle von dem einen ab. Deswegen scheut er sich nicht, sie Brüder zu nennen.“ (Hebr 2, 11; das „deswegen“ fasst Hebr 1,1–2,10 zusammen) Der eine Ursprung aus Gott, dem Vater, vermag den Abgrund der Spaltung sogar zwischen Heiligendem und Sündern zu überwinden. Warum dann nicht auch die Differenz unter Brüdern, unter Geschwistern?

Im 2. Vatikanischen Konzil (1962–1965) hat die katholische Kirche mühsam gelernt, statt von acatholici von getrennten Brüdern (fratres seiuncti, losgebundenen, ent-bundenen) zu reden; dabei ist Bruder (bzw. Schwester) das Nomen, getrennt ist das Adjektiv, die Zustandsbeschreibung, nicht die Substanz der Sache. Diese liegt in der Bruderschaft, die als Brüderlichkeit/Geschwisterlichkeit gelebt sein will. Die Annahme durch Christus ist entscheidender als alle Ablehnung und daraus resultierende Trennung untereinander.

Wir, das sind für alle Christen grundlegend alle Christen, alle Getauften, nicht nur die eigenen Gruppe! (Jede Spaltung macht beide Seiten zu einem Teil des Ganzen, stuft sie zur Gruppe herab. Das Ganze ist keiner der Teile mehr, selbst wenn ein Teil behauptet, die Strukturen zu haben, das Ganze darzustellen.)

Christus geht in seinem Brudersein viel weiter und tiefer, als wir Menschen es können. Wenn wir aus ihm und seinem Bruderwerden leben, kann seine Kraft, sein Geist der Versöhnung, zum Zuge kommen. Es geht darum, in unserer christlichen Geschwisterlichkeit deren Quelle, das Bruderwerden Christi, der in allem uns gleich wurde außer der Sünde (vgl. Hebr 4,15: versucht wurde, aber nicht gesündigt hat), wirklich zur Wirkung kommen zu lassen.

Die ökumenische Spiritualität nicht nur als eine Frage der Weite (alle Christen), sondern gerade der Tiefe, nämlich der Haltung Christi, zu sehen, lernte ich von Kardinal Bea, dem ersten Präsidenten des 1960 neu errichteten vatikanischen Einheitssekretariates. Er hielt noch vor Konzilsbeginn allenthalben Vorträge, um mit einer Theologie der Taufe, dass diese alle Getauften sakramental verbinde und überdies in die Brüderlichkeit Christi hineinnehme, Bischöfe und Katholiken für den ungewohnten, bis dahin nicht akzeptierten Ökumenismus zu gewinnen. Er erntete kräftigen Widerspruch von Kardinal Ottaviani aus der Glaubenskongregation: Wenn dem so sei, repräsentierten dann die Konzilien der katholischen Kirche wirklich die Universalkirche? Müssten nicht die anderen Christen einbezogen werden? Solche Fragen lassen sich von einem Ansatz bei der Taufe nicht trennen. Aber sie zeigen weniger seine Ambivalenzen als vielmehr seine Amplitude, d. h. seine Weite und Tiefe.

Es heißt von Christus ausdrücklich: „Er scheut sich nicht, sie Brüder zu nennen, denn …“ Die Quelle zur Versöhnung und die Versöhnungsnotwendigkeit ist nicht nur die tatsächliche Grundlage, sondern auch die nicht versiegende Quelle und treibende Kraft des Ökumenismus. Wir dürfen die Weite und Tiefe des Handelns und Geistes Christi nicht unterbieten, verkürzen, depotenzieren oder der Welt vorenthalten.

Die in der Taufe mitgegebene Wirklichkeit, in der alle Christen deutlich geeint sind, ist der Hl. Geist. Jedem Christ und jeder Christin ist durch die Taufe der Hl. Geist gegeben. Das macht die Unterscheidung der Geister nicht überflüssig, sondern erfordert sie permanent, aber eben, weil der Hl. Geist gegeben und deswegen in seinen Weisungen zu befolgen ist. Ohne die anderen Christen als Geistbegabte und Geistgeführte, wenn auch gegebenenfalls in concreto Irregeführte anzunehmen, kommen wir in der Ökumene keinen Schritt weiter, ja missachten wir das Christsein des anderen, d. h. seine größte, verbindende Stärke. Das Konzil formuliert diesen Sachverhalt sehr klar, und zwar nicht nur für die einzelnen Christen, sondern auch für ihre Gemeinschaften, die mit der katholischen nicht geeinten Kirchen: „Daher sind diese getrennten Kirchen und Gemeinschaften, auch wenn sie, wie wir glauben, mit jenen Mängeln behaftet sind, keineswegs ohne Bedeutung und Gewicht im Geheimnis des Heiles. Denn der Geist Christi weigert sich nicht (non renuit), sie als Mittel des Heiles zu gebrauchen, deren Kraft sich von der Fülle der Gnade und Wahrheit herleitet, die der katholischen Kirche anvertraut ist.“ (UR 3 = DH 41892) Deren Anspruch auf Fülle wird damit zur Aufgabe über alle eigenen Grenzen hinaus und nimmt sie ökumenisch unbedingt in Pflicht.

Was heißt es für Katholiken, dass weder Christus noch der Hl. Geist sich zu schade waren und sind, nichtkatholische Gemeinschaften als Instrumente des Heils zu gebrauchen?

Können wir mehr und anderes tun als dem Wirken des Geistes zu folgen? Was anderes sollte Spiritualität überhaupt und Spiritualität der Ökumene konkret sein? Achten wir in der Ökumene auf diese Gemeinschaft in dem und durch den Heiligen Geist, der nicht nur heiligt, sondern führt und durch unterschiedliche Gaben verbindet? Welchen Stellenwert gewinnt die Taufe in ihrer Weiten- und Tiefendynamik? Weder der Geist noch Christus scheut sich … Reden wir wie sie von „uns“, und gehen wir wie sie mit unseren Brüdern und Schwestern um?

Die ökumenische Bewegung, die nicht vor dem Ziel aufhören kann, sich und alle zu bewegen, hat im 20. Jahrhundert historisch klarere Konturen bekommen. Im Rückblick zeigt sich, dass die Weltmissionskonferenz von Edinburgh 1910 (vor genau 100 Jahren) zum Startschuss für die Ökumene mindestens des zwanzigsten Jahrhunderts geworden ist. Im 2. Vatikanischen Konzil hat die Katholische Kirche diese Ökumene für sich aufgenommen. Warum? Weil sie nach dem Ökumenismusdekret auf den Hl. Geist zurückgeht (UR 1 = DH 4186). Wenn Kirche und Christen nicht wider den Heiligen Geist sündigen wollen, müssen sie sich auf ökumenische Bewegung, Veränderung und Entwicklung einlassen.

Unübersehbar und bewusst hat hier die katholische Kirche von den evangelischen Kirchen gelernt und profitiert. Mehr noch, die Ökumene hat eine innerkatholische Umkehr bewirkt. Die Eigenart der katholische Kirche macht Ökumene weder überflüssig (weil in der katholischen Kirche schon die Einheit gegeben sei) noch zu einem gefährlichen Mittel der Abspaltung, sondern es braucht die Ökumene, um die ursprüngliche Einheit wiederherzustellen. Ökumene ist ein, ja der Weg dahin.

Demnach hat die katholische Kirche erstens von anderen gelernt und zweitens an ihnen sogar umgelernt, d. h. sich bekehrt – und konnte dann auch sagen, dass es keinen Ökumenismus ohne Bekehrung [der Kirchen] gibt. Sie hat etwas gelernt und aufgenommen, was ihr vorher fehlte. Sie hat vorher gar nicht gemerkt, was ihr fehlte, sondern hat das erst an den anderen gelernt, dass ihr etwas und was ihr fehlte. Ihre Umkehr bestand darin, dass sie mit Vollzug der Ökumene merkte, dass sie in der Ablehnung des Ökumenismus einer Fehlinterpretation des Katholischen aufgesessen war. Sie hatte ihre eigene Fülle oder Vollständigkeit in ihrer Dynamik missverstanden. Die Ökumene hat sie korrigiert und tiefer verstehen lassen, wie ihre Fülle und ihre beanspruchte Vollständigkeit genauer oder konkreter zu begreifen und zu verwirklichen ist und sich, als gegeben, noch realisieren muss, aber auch kann. Anders gesagt: wie ihre Katholizität gegeben ist und gegeben wird; wie sie sich entwickeln kann, soll und muss, um ihre im Modus der Zusage empfangene Fülle real zu verwirklichen.

Die katholische Kirche hat realisiert, dass ihr etwas, ja manches fehlte. Sie hat von anderen etwas über ihre eigene Katholizität gelernt und für ihr eigenes Christ- und Kirchesein empfangen. Sie hat eine eigene Fehlinterpretation korrigiert. Rechnen wir als Katholiken damit, dass wir in der Ökumene auch weiterhin weitere Überraschungen erleben, die bisherige Sichten nicht nur korrigieren und neu ordnen, sondern die uns selber verändern und damit anderen nicht nur verträglich(er) machen, sondern uns eigentlich auch zum ursprünglich Eigenen führen, nämlich weiterer und wachsender Gemeinschaft, auch wenn das fast immer erst nachträglich sichtbar wird?

Was ich hier ausgeführt habe, gilt an vielen „Baustellen“ der Ökumene und macht etwas von der Kehrseite der dunklen Aspekte der Kirchengeschichte deutlich, dass da auch Umkehr-, Erneuerungs- und Veränderungsprozesse vorkommen, in den Vordergrund treten und das Bild bestimmen.

Spiritualität der Ökumene - Ökumenische Spiritualität

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