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2.2 Leben aus der Begegnung

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Wer bereit wird, vom anderen zu lernen, dass ihm etwas und was ihm selber fehlt (das ohne den anderen gar nicht wahrzunehmen ist), und so von der Logik der Selbstgenügsamkeit, der Selbstverteidigung und Selbstbehauptung zur Logik der Versöhnung wechselt; wer an der eigenen Beschränktheit (oder gar Borniertheit), die ihm am anderen aufgeht, diese Beschränktheit mit Hilfe des anderen in Selbstumkehr überwindet, beginnt, statt aus der Logik des Gegensatzes aus der Logik der Begegnung zu leben.

Am ehesten wahrnehmbar wird diese Logik durch ihr Fehlen, wenn sie nicht zur Wirkung und Geltung kommt: Wenn nämlich die Resultate eines Dialoges oder auch eines Konzils einfach als unmittelbar umsetzbare Fertigprodukte weitergegeben und übernommen werden (sollen). Ohne dass die Adressaten und intendierten Rezipienten eines Dialogs oder einer Synode den entsprechenden Dialog- oder Synodalprozess durchgemacht oder wenigstens nachvollzogen haben, fehlen ihnen für die Übernahme und Anwendung der Ergebnisse wesentliche Veränderung ihrer Erfahrung und Prägung ihres Denkens durch den Begegnungsprozess. Kann jemand die Spitze eines Berges als Gipfel und die dort neue und weite Sicht wirklich in ihrer Bedeutung für die Perspektive im Tal einschätzen, wenn er mit dem Hubschrauber hinaufgebracht wurde, statt die Mühen des Aufstieges durchzumachen und seine Sicht Schritt für Schritt zu weiten?

Anders gesagt: Spiritualität der Ökumene lebt, wo Begegnung mit dem anderen geschieht. Sie lebt aus der Begegnung. Sie lebt zutiefst aus dem Überraschenden, aus dem Ungeahnten und in diesem Sinne aus dem Eigenen des anderen, das mir unvertraut war, aber nicht ganz fremd ist bzw. bleibt. Sie lebt vom Neuen, im Glauben so noch nicht Gesehenen, Erlebten, Bedachten, das mich anfragt, in mir arbeitet, mich verändert. Dann ist zu unterscheiden, ob es mehr zur gemeinsamen Mitte und zum gemeinsamen Grund hin oder davon wegführt. Ob es verbindet, einen gemeinsamen Weg eröffnet oder weiter auseinanderführt.

Zwei Beispiele: In der Begegnung mit evangelischen Christen, Kirchen und Theologien haben Katholiken und katholische Kirche deutlich gemerkt, dass die Verkündigung im katholischen Gottesdienst zu kurz kam. Das Wort Gottes musste einen anderen Stellenwert für das Leben des einzelnen, der Kirche, des Gottesdienstes und der Theologie bekommen. Katholische Exegese ging bei den Protestanten in die Schule, besonders in die historisch-kritische Klasse. In dieser Rezeption stellten sich viele bekannte Fragen in einem neuen Kontext. Es blieb nicht bei den bisherigen Antworten und die neuen wirkten auf die alten zurück. Vor allem: Wozu dieses historisch-kritische Unterscheiden? Damit wir, wenn wir das Nötige und das nötige Unterscheiden gelernt haben, wieder intern katholisch sind auf etwas höherem Niveau? Ohne weitere Veränderungen!?

Oder damit wir eine andere Art des Denkens lernen, die methodisch sogar über die Exegese hinausgreift? Was macht dieser „Bazillus“ historisch-kritischen Denkens mit den Katholiken? Lernen wir, zu unterscheiden, genau hinzuschauen, um der Sache und der intellektuellen Ehrlichkeit willen? Das wäre schon sehr viel. Oder um wissenschaftlich auf der Höhe zu sein? Auch nicht schlecht. Oder – und jetzt kommen Interessen und „Ideologien“ ins Spiel, eben die Motive –: Unterscheidet man, um zu vereinen, so ein Buchtitel von Jacques Maritain: Distinguer pour unir5 (so auch der Hl. Geist, vgl. 1 Kor 12.14.), oder unterscheidet man, um Trennung und Autonomie aufrecht erhalten zu können? Um den status quo zu bewahren? Um die Selbstbehauptung nur intelligenter zu gestalten? In den gleichen Fragestellungen kann die gleiche Intelligenz und sogar die gleiche Feststellung mit sehr verschiedenen Motiven verbunden werden, die zu entsprechend verschiedenen Antworten, Haltungen und Strategien führen. Hier kommt erneut und anders die Spiritualität ins Spiel: Von welchen Motiven lässt sich jemand bestimmen, welche sind in ihm am Werk?

Im Ringen der Motive spielen Begegnungen eine entscheidende Rolle. Motive klären sich meistens in Begegnungen.

In der Ökumene entscheiden die Motive über die Ergebnisse mit. Es bleibt nie bei bloßen Feststellungen. Ist Versöhnung gewollt oder nicht? Wer gleicht sich wem an? Wer behauptet sich? Wer ist oder wird stärker? Hier werden leicht alle Ängste und Befürchtungen wach, aber auch alle Machtinstinkte.

Muss der Schwächere weichen? Regiert der Porporz? Gelingt gegenseitige Rücksicht oder Abstimmung oder gar Bereicherung? Kommt es zu einer größeren, gemeinsamen Annäherung an Christus, an die Schrift? Darf das Entdeckte verändernde, verwandelnde Kraft entfalten?

Darf ich mich auf den bisherigen Gegner einlassen? Die letzte Frage kann man klar antworten: Wir haben es getan, bewusst und unbewusst, seit der Reformation. Gestaltbar ist nur das Wie des Sicheinlassens.

Die Reformation und dann auch die katholische Antwort (ob in Trient, als Gegenreformation oder katholische Reform oder was immer) sind mitein-

ander verquickt. Die Entwicklung der Reformation und der Katholischen Kirche ist überhaupt nicht zu verstehen, ohne den jeweiligen Gegenpart. Auch die Kontroverse ist eine Form der Gegenseitigkeit. Beide haben sich de facto gegenseitig geprägt. Die Frage ist nur, wie das geschieht, ob kontrovers gegeneinander im kämpferischen, feindlichen Sinne oder ob in gegenseitigem verstehenden Miteinander auf einer gemeinsamen Basis, die für beide tragend und verbindend ist. Weil wir aus der Gegenseitigkeit überhaupt nicht herauskommen, können wir bewusst nur überlegen, wie wir sie gestalten wollen. Das ist, meine ich, letztlich eine spirituelle Frage, eine Frage der Spiritualität: Von welchem Geist lasse ich mich bestimmen? Diese Frage umfasst mehr als nur bestimmte (Lehr-)Inhalte. Es ist auch mehr als eine Frage des Stils des Erfolgs. Es ist die Frage, welchen Stellenwert Gemeinschaft und Einheit für den christlichen Glauben hat und wie er Gemeinschaft stiftende statt trennende Kraft entfaltet.

Konkret zeigt sich die Antwort darin, wie und worin wir unsere Identität festmachen bzw. woran wir sie je gewinnen: Ist Katholizität noch zu verstehen aus der Frontstellung gegen evangelische Positionen? Oder umgekehrt: Ist etwas sicher evangelisch, wenn es nicht katholisch ist? Gilt die gegenseitige Exklusivität? Oder dämmert beiden Seiten, dass ihre Identität nicht gegeneinander, nicht aus der Exklusion, sondern aus der Entsprechung zu Jesus Christus, aus dem Hören auf das Wort Gottes, aus den Zeichen der Zeit und durch die Führung des Heiligen Geistes zu gewinnen ist, gleich wo sie gefunden wird? Dann gibt es eine andere Gegenseitigkeit und ein anderes Verhältnis untereinander. Dann wird aus dem Ringen gegeneinander ein Ringen miteinander.6

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