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Barmherzigkeit

1. Regina Polak

Barmherzigkeit beschreibt eine Form der Liebe: jenes Mitgefühl, das einen Menschen erfasst, wenn er Menschen begegnet, die – z.B. an Armut – leiden. Das hebräische, griechische und lateinische Wort dafür verweisen jeweils auf seine seelisch-leibliche Dimension: „rachamim“ (Erbarmen) bedeutet Mutterschoss, Gebärmutter; eusplanchnizomai (sich erbarmen) heißt „die Eingeweide ziehen sich zusammen“ und misericordia beschreibt das mitfühlende Herz.

Barmherzigkeit kann und muss als in diesem Sinn spirituelle Erfahrung geübt werden. Laut biblischem Zeugnis ist die Barmherzigkeit untrennbar mit der Gerechtigkeit verbunden. Sie ist nicht deren Gegenteil, sondern ihre innere Kraft. Sie ist der „Raum“, in dem Gerechtigkeit erst möglich und menschlich wird. Freilich sind nur in Gott beide einig und eins. Menschen müssen um deren Verbindung in der Praxis immer wieder ringen.

In der christlichen Tradition helfen dabei die sieben leiblichen und die sieben geistigen Werke der Barmherzigkeit: Hungernde speisen, Dürstenden zu trinken geben, Nackte bekleiden, Fremde aufnehmen, Kranke und Gefangene besuchen, Tote bestatten; Unwissende lehren, Zweifelnden recht raten, Sünder zurechtweisen, Betrübte trösten, Lästige geduldig ertragen, Beleidigern verzeihen und für die Lebenden und Toten beten.

Die Barmherzigkeit hat auch eine politische Dimension: Sie beschreibt die Freiheit des Einzelnen, angesichts von Unrecht einem Menschen Gutes widerfahren zu lassen. Deshalb kann die Notwendigkeit, barmherzig zu handeln, auch auf mangelnde Gerechtigkeit verweisen. Jeder Akt der Barmherzigkeit stellt daher die Frage, wie gerecht ein System ist.

2. Johann Pock

Barmherzigkeit ist biblisch eine Eigenschaft Gottes (Ex 34,6) und Teil seiner Gerechtigkeit. Die biblischen Worte meinen vor allem den konkreten Erweis des Erbarmens.

Für Papst Franziskus ist Barmherzigkeit „der letzte und endgültige Akt, mit dem Gott uns entgegentritt“. Sie „öffnet das Herz für die Hoffnung, dass wir, trotz unserer Begrenztheit aufgrund unserer Schuld, für immer geliebt sind.“ (Misericordia Vultus 2) Barmherzigkeit steht in unmittelbarem Zusammenhang mit Solidarität und Versöhnung – im Blick auf die Nächsten um uns, vornehmlich im Blick auf die Armen. Das lateinische miseri-cor-dia bedeutet: Sein Herz bei den Armen haben. Damit ist eine Optionalität des Handelns mitgegeben.

Barmherzigkeit wird so zu einem „prophetischen Einspruch“, indem sie die Kirche auf ihre primäre Sendung zu den anderen hin verpflichtet (vgl. Evangelii Gaudium 15).

Barmherzigkeit hat individuelle und institutionelle Aspekte: Indem man persönlich die Werke der Barmherzigkeit tut (die nach Mt 25 Reich-Gottes-Kriterien sind), kann ein jeder/eine jede ZeugIn für das Handeln Gottes im Leben werden. Zugleich gibt es die Kirche nur aufgrund der versöhnenden Barmherzigkeit Gottes. Indem die Kirche sakramental das Wirken Gottes präsent hält, ist barmherziges Handeln für ihre Sendung konstitutiv – und zwar in allen ihren Grunddiensten.

Barmherzigkeit hatte immer wieder den (negativen) Anstrich von Paternalismus (einem Helfen, das andere klein hält). Befreit von solchen Vorurteilen zeigt Barmherzigkeit das Göttlichste an Gott und gleichzeitig das Menschlichste am Menschen – und auch umgekehrt: das Menschlichste an Gott und das Göttlichste am Menschen.

3. George Augustin

Die Botschaft der Barmherzigkeit steht im Zentrum der biblischen Offenbarung und sie bildet die Mitte der christlichen Berufung: „Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!“ (Lk 6,36). Diese Botschaft ist nicht nur zentral für die Heilige Schrift, sondern Barmherzigkeit ist ein Begriff, der universal über die Grenzen der Nationen, Kulturen und Religionen hinweg verstanden wird. Barmherzigkeit ist eine Sprache des Herzens und als solche ist sie universal kommunikabel.

Um die tiefere Bedeutung der Barmherzigkeit für unser Leben und Tun zu erfassen, müssen wir verschiedene Dimensionen der Barmherzigkeit unterscheiden: 1. die Barmherzigkeit Gottes als Ausdruck seiner wohlwollenden Liebe; 2. die uns geschenkte Barmherzigkeit durch die Teilhabe an der Barmherzigkeit Gottes und ihre verwandelnde Kraft in unserem Leben; 3. die Barmherzigkeit als Ausdruck der gelebten Nächstenliebe in unseren Handlungen, besonders das Erweisen von Barmherzigkeit gegenüber den Armen und Notleidenden. Die Praxis der Barmherzigkeit kann unsere Welt gerechter und schöner machen. Für das Leben und Zusammenleben der Menschen in unserer Zeit ist die Praxis der Barmherzigkeit unverzichtbar. Deshalb ist es von großer Bedeutung, dass wir die Schönheit der Barmherzigkeit Gottes erkennen und seine Tiefe in unserem Leben erfahren, damit wir in allen Lebensbereichen Barmherzigkeit leben können.

In der christlichen Tradition unterscheiden wir zwischen leiblichen und geistlichen Werken der Barmherzigkeit, wobei die jeweils 7 Werke gleich wichtig sind.

Die Barmherzigkeit ist jedoch keine ‚Zauberformel‘ für alles und jedes. Wenn Barmherzigkeit nicht eine rein menschliche Vorstellung von humanitären Werken sein soll, ist es wichtig, sich der tieferen erlösenden, heilenden und motivierenden Kraft der göttlichen Barmherzigkeit bewusst zu werden.

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