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Armut in Westeuropa

Situation und Herausforderungen

Martin Schenk

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit Armut in den westeuropäischen Ländern, ihren Ausprägungen und ihren Unterschieden. Dazu werden die wichtigsten Indikatoren zu Rate gezogen und die Ergebnisse in den Kontext sozialstaatlicher Sicherung gesetzt. Aus den sozialempirischen Daten wird auf die Herausforderungen geschlossen, mit denen sich Armutsbekämpfung und -vermeidung in Westeuropa aktuell konfrontiert sieht. Dabei kommen Wohnen, Gesundheit, sozialer Aufstieg, Pflege, Prekarität und die Suche nach Anerkennung in den Blick.

1. Armut: Verhältnis, Freiwilligkeit und Freiheit

Armut setzt sich stets ins Verhältnis. Sie manifestiert sich in reichen Ländern anders als in Kalkutta. Menschen, die in Österreich von 700 € im Monat leben müssen, hilft es wenig, dass sie mit diesem Geld in Kalkutta gut auskommen könnten. Die Miete ist hier zu zahlen, die Heizkosten hier zu begleichen und die Kinder gehen hier zur Schule. Deshalb macht es Sinn, Lebensverhältnisse in den konkreten Kontext zu setzen. Armut ist weniger ein Eigenschafts- als ein Verhältniswort.

Die Ohnmacht: Armut ist das Leben, mit dem niemand tauschen will. Hier geht es nicht um freiwillig gewählte Armut wie sie zum Beispiel von Mönchen oder Asketen praktiziert wird. Freiwillig gewählte Armut braucht einen Status, der den Verzicht zur Entscheidung erhebt. Unfreiwillige Armut sieht anders aus. Armutsbetroffene haben die schlechtesten Jobs, die geringsten Einkommen, die kleinsten und feuchtesten Wohnungen, sie haben die krank machendsten Tätigkeiten, wohnen in den schlechtesten Vierteln, gehen in die am geringsten ausgestatteten Schulen, müssen fast überall länger warten – außer beim Tod, der ereilt sie um durchschnittlich sieben Jahre früher als Angehörige der höchsten Einkommensschicht.1 Fasten ist nur dann Fasten, wenn die Möglichkeit, etwas zu essen, offen steht, sonst sind wir beim Hungern. Der Zustand der Unterernährung mag der gleiche sein, aber die Möglichkeiten, die die Personen haben, unterscheiden sich. Den Unterschied zwischen Hungern und Fasten macht die Freiheit.

Die Unfreiheit: Armut ist nicht nur ein Mangel an Gütern, sondern auch an Möglichkeiten. Armut heißt eben nicht nur ein zu geringes Einkommen zu haben, sondern bedeutet einen Mangel an Möglichkeiten, um an den zentralen gesellschaftlichen Bereichen zumindest in einem Mindestausmaß teilhaben zu können: Wohnen, Gesundheit, Arbeitsmarkt, Sozialkontakte, Bildung. Armut ist eine der existenziellsten Formen von Freiheitsverlust2. Freiheit zum Beispiel über Raum zu verfügen: aus einer runtergekommenen Wohnung wegziehen können oder eben nicht. Oder sich frei ohne Scham in der Öffentlichkeit zu zeigen oder nicht. In Armut kann man sein Gesicht vor anderen verlieren. Oder die Verfügbarkeit über Zeit: Frauen mit Kindern in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen, die nicht entscheiden können, wann und wie lange sie arbeiten und wann eben nicht. Oder die Freiheit sich zu erholen. Die sogenannte Managerkrankheit mit Bluthochdruck und Infarktrisiko tritt bei Armen dreimal so häufig auf wie bei den Managern selbst. Nicht weil die Manager weniger Stress haben, sondern weil sie die Freiheit haben, den Stress zu unterbrechen: mit einem Flug nach Paris, einem guten Abendessen und Hilfen im Haushalt.

2. Soziale Ungleichheit

Der Begriff soziale Ungleichheit definiert Unterschiede zwischen Gesellschaftsmitgliedern bezüglich sozialer Schichtmerkmale, wie z.B. Einkommen, Teilhabe an den Bildungsgütern, berufliches Sozialprestige, verfügbarer Besitz, Gesundheitsrisiken von Arbeitsbedingungen und Wohngegend. Die wichtigste Determinante sozialer Ungleichheit stellte nach Hradil3 in vorindustriellen Ständegesellschaften die Geburt dar, in der beginnenden Industriegesellschaft war es der Besitz und in den modernen Industriegesellschaften entwickelte sich der Beruf zum zentralen Ungleichheitsfaktor. Sage mir welchen Beruf Du ausübst und ich sage Dir, wo Du in der Gesellschaft stehst. Als bedeutsamste Dimensionen sozialer Ungleichheit gelten heute berufliche Position, Einkommen und Bildung, die für die Konstruktion sozialer Schichten miteinander kombiniert werden.

Dieser sozioökonomische Status entspricht einer vertikalen Ungleichheit, die mit anderen Dimensionen verwoben ist wie Gesundheit, Wohnsituation, sozialen Kontakten und auch Lebensstilen. Wenn Einkommen ungleich verteilt ist, spricht man von Verteilungsungleichheit. Unter Chancenungleichheit hingegen versteht man, wenn bestimmte Bevölkerungsgruppen wie Frauen oder Zugewanderte „innerhalb der Verteilung eines knappen, begehrten Gutes eine bessere oder schlechtere Stellung einnehmen“4.

Die drei Dimensionen des Schichtindikators haben auch ihre Grenzen. Die berufliche Position gilt nur für die eine Hälfte der Bevölkerung: die Erwerbstätigen. Für die andere Hälfte wie PensionistInnen, Arbeitslose und viele Armutsbetroffene ist der Berufsstatus nicht ermittelbar. Und für gut ausgebildete „Ich-AG“s und studierte Taxifahrer verbindet sich hohe Bildung nicht mehr mit hohem Einkommen.

Vertikale und horizontale Ungleichheiten sind miteinander verwoben. Es ist nicht so, dass in der postindustriellen Gesellschaft soziale Schichten bzw. sozialer Status vom Milieu bzw. der Lebenslage abgelöst werden, sondern es zeigen sich neue Verknüpfungen und Abhängigkeiten. Pierre Bourdieu5 hat mit dem Begriff des „Habitus“ den Brückenkopf beschrieben, der in einem Feedbackprozess soziale Position und Lebensstil verbindet.

3. Armut in der Europäischen Union

Wenn wir nun die Daten der empirischen Sozialforschung vergleichen, können wir in West-Europa unterschiedliche Entwicklungen beobachten. Der Indikator „Armutsgefährdung und Mehrfach-Ausgrenzung“ umfasst die drei Gruppen „Armutsgefährdung“, „erhebliche materielle Deprivation“ und „Personen in Haushalten mit keiner oder sehr niedriger Erwerbsintensität“ (vgl. Abb. 1). Armutsgefährdung bedeutet so viel wie Einkommensarmut, also ein Leben unter der mit Haushaltseinkommen berechneten Armutsgrenze. Als „erheblich materiell depriviert“ gelten Personen in Haushalten, denen es am Notwendigsten mangelt, die Wohnen, Ernährung, Gesundheit, Wärme beraubt („deprivare“) sind. Westeuropäische Länder, die weniger als 4% „erheblich deprivierte“ Personen aufweisen, sind Schweden, Niederlande, Finnland, Dänemark, Österreich und Luxemburg. Länder mit höherer sozialer Ausgrenzung sind Portugal, Spanien, Italien, Irland und Griechenland. Bei „Armutsgefährdung“ haben Großbritannien und Deutschland relativ hohe Werte.


Abb. 1: Armut in Europa6

NEET-bedeutet im Englischen Not in Education, Employment or Training. Der Begriff bezeichnet die Gruppe Jugendlicher und junger Erwachsener, die keine Schule besuchen, keiner Arbeit nachgehen und sich nicht in beruflicher Ausbildung befinden. Italien hat die höchste NEET-Rate (22,2%), gefolgt von Bulgarien (21,6%), Griechenland (20,6%), Zypern (18,7%), Kroatien (18,6%), Spanien (18,6%), Rumänien (17,2%), Irland (16,1%), Ungarn (15,4%) und Portugal (14,2%).7 Alle diese Länder verzeichnen ein massives Anwachsen der Jugendarbeitslosigkeit seit 2008. Das Land der EU-28 mit dem größten Anstieg ist Zypern, dicht gefolgt von Griechenland. Deutliche Zuwächse sind auch in Rumänien, Italien, Spanien und Portugal zu verzeichnen (Abb. 2).


Abb. 2: Jugendarbeitslosigkeit in Europa8

Eine vergleichende Studie im Auftrag des Europäischen Parlaments,9 dem Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, führt die Ergebnisse von nationalen Studien aus Belgien, Zypern, Griechenland, Irland, Italien, Spanien und Portugal über die Auswirkungen der Finanzkrise und der Austeritätspolitiken zusammen und analysiert deren Auswirkungen auf die Grundrechte in der Europäischen Union: In allen sieben Ländern kam es zur Reduktion von LehrerInnen an den Schulen, obwohl die SchülerInnenzahlen gestiegen sind. In Griechenland wurden Schulen nicht mehr beheizt und Schulstandorte wurden geschlossen, was den Zugang zur Bildung für bestimmte Bevölkerungsgruppen erschwerte. In Spanien sparte man bei der Schulausstattung, sogar bei den Schulbüchern. In Griechenland kam es zu gravierenden Einschnitten zusätzlich im Gesundheitssystem. Dabei wurde die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung so aufs Spiel gesetzt, dass sogar die Kindersterblichkeit anstieg. Auch die Wartezeiten für Operationen sind explodiert, gleichfalls in Spanien, Irland und Zypern. Diese Kürzungen in den Gesundheitssystemen haben die Ärmsten am härtesten getroffen.

3.1. Der Elefant im Weltladen und der Sozialstaat

Er hat einen breiten, hohen Rücken, der Kopf mit Mund geht nach unten, der Rüssel zeigt nach oben. Der Elefant, der da über die Erdkugel spaziert, bildet die Entwicklung der Einkommen in den letzten 30 Jahren ab – in einer Grafik, die als Elefantenkurve bekannt geworden ist.


Abb. 3: Einkommenszuwachs und Verlust weltweit

Beim Schwanz hinten, ganz unten wird der arme, abgehängte Teil der Weltbevölkerung sichtbar. Dort, wo sich des Elefanten Rücken befindet, ist der Anstieg der Einkommen der städtischen Mittelschichten in China und Indien abgebildet. Dort, wo der Mund nach unten geht und der Rüssel seinen Anfang nimmt, kann man die unteren Mittelschichten Europas und der USA erkennen, im aufgerichteten Rüssel sehen wir die Zunahme des Reichtums der Reichsten.

Der Elefant des Ökonomen Branko Milanovic10 zeigt uns vier Entwicklungen: Es gibt Regionen dieser Erde, die weiter bitter arm sind. Es gibt eine Verbesserung der Einkommen in den städtischen Milieus Asiens, besonders in China. Es gibt einen Verlust bei den unteren Mittelschichten in Europa und den USA. Und es gibt mehr Reichtum ganz oben. Die Gruppe der Superreichen mit mehr als 2 Milliarden Dollar Vermögen hat sich verfünffacht und ihr Gesamtbesitz mehr als verdoppelt. Die großen Gewinner sind die Mittelschichten Asiens und die Superreichen im Westen, die großen Verlierer die Angehörigen der unteren Mittelschicht der reichen Welt.

Die Elefantenkurve beim Rüssel zeigt uns noch ein interessantes Detail: Der Rückgang der Mittelschicht im Westen ist dort am stärksten, wo der Sozialstaat geschwächt und abgebaut wurde – ersichtlich in den USA, Großbritannien oder Spanien. Bei einem genaueren Blick auf die Mitte werden unterschiedliche Teile dieser – oft fälschlicherweise als einheitlich dargestellten – Schicht sichtbar. DIE Mitte gibt es nicht, wie aktuelle Daten der Nationalbank11 zeigen. Bezieht man neben Einkommen auch Konsum und Vermögen in die Analyse ein, dann zerfällt die Mitte in einen Teil mit Vermögen und in einen ohne. Etwa die Hälfte der Mitte ist in Besitz einer Wohnung oder eines Hauses. Die untere Hälfte hat kaum nennenswerten Besitz. Wobei „Unten“ und „Mitte“ einander näher sind als „Mitte“ und „Oben“. Und das macht einen Riesenunterschied. Die untere Mittelschicht lebt nämlich solange in relativem Wohlstand mit Mietwohnung, Auto, Urlaub, Hobbies und Zukunftschancen für die Kinder, solange Systeme des sozialen Ausgleichs existieren. Ihre Lebensqualität wird durch den Sozialstaat möglich gemacht. Pensionsversicherung, Kranken- und Arbeitslosenversicherung, geförderte Mietwohnungen und öffentliche Schulen sichern den Lebensstandard und verhindern gerade in unsicheren Zeiten ein Abrutschen nach unten. Die untere Mitte hat kein Vermögen, um Einschnitte wie Krankheit oder Arbeitslosigkeit einfach aufzufangen. Und wäre sie gezwungen, Vermögen für Alter, Bildung, Krankheit oder Arbeitslosigkeit anzusparen, wären ihr Lebensstandard und ihr Konsumniveau vernichtet. Die Mitte ist dort weniger gefährdet, wo es ein starkes Netz sozialer Sicherheit gibt.

Auch die aktuellen Daten der Statistik Austria weisen auf diesen Zusammenhang hin. Die Haushaltseinkommen bleiben in Österreich insgesamt stabil. Einige Armutsindikatoren sinken seit 2008 – zwar nur auf das hohe Niveau von vor der Krise, aber: Die langfristige Entwicklung seit 2004 zeigt keine steigenden, aber konstant hohe Armutslagen.12 Das ist sehr ungewöhnlich im Vergleich zu anderen europäischen Staaten. Ohne Sozialleistungen und soziale Dienstleistungen wären auch mittlere Haushalte massiv unter Druck und stark abstiegsgefährdet.

All das weist auf die Stärken des Sozialstaats hin:

• Sozialleistungen wirken als automatische Stabilisatoren: Während Industrieproduktionen, Exporte und Investitionen in Folge der Finanzkrise stark gesunken sind, ist der Konsum der privaten Haushalte stabil geblieben, teilweise sogar gestiegen.

• Ein stabiles Sozialsystem fördert stabile Erwartungen: Der Sozialstaat bedeutet eine Risikoabsicherung bei Arbeitslosigkeit, Krankheit und im Alter. Die Verlässlichkeit der sozialen Institutionen verhindert Angstsparen.

• Länder mit hohen Sozialstandards performen besser: Sämtliche wirtschaftlichen Indikatoren (Beschäftigung – insbesondere Arbeitslosigkeit, Wirtschaftswachstum, Armutsgefährdung, Staatsfinanzen) zeigen, dass die skandinavischen und kontinentaleuropäischen Länder die besten Ergebnisse vorweisen.

• Der Großteil wohlfahrtsstaatlicher Leistungen stellt eine Umverteilung im Lebenszyklus dar. Wir befinden uns im Laufe unseres Lebens auf verschiedenen Einkommensstufen. Die meisten wandern im Laufe des Lebens die Einkommensleiter hinauf und im Alter wieder eine gewisse Strecke zurück. Der kontinentaleuropäische Sozialstaat legt hohen Wert auf Versicherungsleistungen und Statuserhalt; daher profitiert die Mittelschicht stark von den Sozial- und wohlfahrtsstaatlichen Leistungen.

• Monetäre Transfers tragen entscheidend zum sozialen Ausgleich bei und wirken armutspräventiv. Sie reduzieren die Armutsgefährdung von 40% auf 12%. Am progressivsten wirken klassische Sozialausgaben wie Arbeitslosengeld, Notstands- und Sozialhilfe sowie Wohnbeihilfe. Staatliche Umverteilung erfolgt in Österreich fast ausschließlich über die Ausgabenseite: Ins erste Drittel der Haushalte fließen 44% aller Sozial- und Wohlfahrtsausgaben und belaufen sich dort auf 84% des Markteinkommens. Auch ohne Berücksichtigung der Haushaltsgröße fließen fast 90% der Arbeitslosenversicherungen, der Notstands- und Sozialhilfen sowie der Wohnbeihilfen ins untere Drittel bzw. der Hinterbliebenenpensionen in die unteren zwei Drittel. Deutlich weniger umverteilend wirken die übrigen wohlfahrtsstaatlichen Ausgaben für Gesundheit, Bildung und Familienförderung, die im Wesentlichen nach der Anzahl der kranken Personen bzw. Kinder, SchülerInnen und StudentInnen verteilt werden. Aber auch sie wirken progressiv, d.h. ihre Bedeutung in Relation zum Einkommen nimmt in den höheren Einkommensschichten ab.13

4. Herausforderungen: Wohnen, Gesundheit, Bildung, Pflege, Prekarität, Suche nach Anerkennung

Was sind nun die großen Herausforderungen für die Armutsbekämpfung und Vermeidung? Zu den Schwächen des Sozialstaats kontinentaler Prägung wie Österreich oder Deutschland gehört, dass sich prekäre Arbeitsverhältnisse und nicht durchgängige Erwerbsbiografien ungebrochen in den Systemen sozialer Sicherung fortsetzen. Dem stark am Versicherungsprinzip und am männlichen Ernährerhaushalt ausgerichteten Sozialstaatsmodell fehlen echte Mindestsicherungselemente sowie universelle Leistungen und es mangelt an Bildungschancen unabhängig von sozialer Herkunft, eigenständiger Existenzsicherung für Frauen, sozialen Dienstleistungen und einer Demokratisierung des Wohlfahrtsmodells mit stärkeren partizipativen Elementen. Die neuen sozialen Risiken – new social risks – liegen quer zu den klassischen Risiken sozialstaatlicher Sicherungssysteme: neue Selbständige, prekäre Beschäftigung, Lebensrisiko Pflege, chronische Krankheiten. Neue soziale Herausforderungen brauchen auch neue soziale Antworten. Zurzeit drohen gegenläufige Entwicklungen: Dort, wo die armuts-präventive Wirkung des Sozialsystems ausgewiesen ist, wird gekürzt, und dort, wo Fehlentwicklungen und Armutsfallen im Sozialstaat auftreten, werden Reformen verweigert. So werden die Schwächen verstärkt und die Stärken geschwächt.

4.1. Wohnen

„Früher habe ich das oft gehabt in der Beratung. Foto vom Schimmel machen, an das Wohnungsamt schicken. Da haben die Leute wirklich innerhalb von ein paar Monaten eine neue Wohnung gehabt. Heute kannst du nicht einmal mehr ein Foto von einem Schimmel hinschicken, weil die sagen, ich habe schon 3000 Schimmelfotos da, das interessiert uns überhaupt nicht.“ So schildert eine Sozialarbeiterin die aktuelle Situation in Salzburg. Wohnen ist derzeit eines der heißesten von allen brennenden Themen. Das ergab eine Studie der Wirtschaftsuniversität Wien und der österreichischen Armutskonferenz.14 Die Mietpreise sind in den letzten Jahren – vor allem in den Städten wie Salzburg, Innsbruck und Wien – derart in die Höhe geschossen, dass viele kaum noch leistbaren Wohnraum finden, berichten die Studienautorinnen Evelyn Dawid und Karin Heitzmann. Ein ganzes Jahr haben sie sich auf die Spuren sozialer Alltagsprobleme begeben, mit Leuten gesprochen, sich Zeit genommen und genau hingehört. Prekäre Wohnverhältnisse und versteckte Wohnungslosigkeit sind angestiegen: Manche Armutsbetroffene leben in Räumen ohne Fenster, ohne Strom, ohne Wasser. Andere teilen sich eine kleine Wohnung, was zu krassen Überbelegungen führt, und wieder andere „wandern“ von hilfsbereiten Bekannten zu Bekannten, um nicht auf der Straße schlafen zu müssen. Tatsächlich ist Wohnen massiv teurer geworden und macht einen immer größeren Anteil am monatlichen Haushaltsbudget aus. 6% der Bevölkerung in Österreich klagen über dunkle Räume, 11% leben in feuchten, oft auch schimmligen Wohnungen. 7% in Überbelag – davon sind untere Einkommen stärker betroffen.15 Die unterschiedliche Belastung durch Lärm, Luft, Hitze, Kälte und Umweltverschmutzung wird zunehmend auch in Europa unter dem Stichwort Umweltgerechtigkeit (environmental justice) diskutiert.

4.2. Gesundheit

Obige Studie verglich die Situation mit der vor 10 Jahren. Sozialorganisationen, die in der Armutsbekämpfung tätig sind, betreuen aktuell mehr Personen mit psychischen Erkrankungen als noch vor zehn Jahren. Deren Problemlagen sind tendenziell komplexer geworden. Umso mehr fällt ins Gewicht, dass die gesundheitliche Hilfe bei psychischen Beeinträchtigungen und Erkrankungen als äußerst lückenhaft beschrieben wurde: Es fehlt an leistbaren Psychotherapiemöglichkeiten, stationären Langzeittherapieplätzen, unterstützenden Maßnahmen für Familien, in denen ein Mitglied erkrankt ist und an niederschwelligen aufsuchende Angeboten.16 Als schwierig gestaltet sich der Alltag von ehemaligen BezieherInnen einer Invaliditätspension, die nach deren Abschaffung einen Wiedereinstieg ins Berufsleben versuchen sollen. Manche finden einen Job, viele pendeln aber frustriert zwischen Arbeitsmarktservice, Transitstelle und kurzen Phasen in regulärer Arbeit.

Die Bevölkerung unter der Armutsgrenze weist einen dreimal schlechteren Gesundheitszustand auf als hohe Einkommen und ist doppelt so oft krank wie mittlere Einkommen.17 Bei Kindern von Erwerbslosen und SozialhilfeempfängerInnen treten überproportional asthmatische Erscheinungen und Kopfschmerzen auf. Teilt man die Gesellschaft in drei soziale Schichten, finden sich bei Kindern in der unteren Schicht mehr Kopfschmerzen, Nervosität, Schlafstörungen und Einsamkeit. Wo Sicherheit fehlt, wird die kritische Phase des Einschlafens doppelt schwierig. Und der stressige Alltag unter finanziellem Dauerdruck erreicht auch die Kinder und zwingt sie, sich den Kopf zu „zerbrechen“. Die sozialen und gesundheitlichen Ungleichheiten, die in der Kindheit auftreten, haben eine hohe Prognosewirkung für die Morbidität im Erwachsenenalter. Diese Kinder tragen die soziale Benachteiligung als gesundheitliche Benachteiligung ein Leben lang mit. Sie sind auch als Erwachsene deutlich kränker als der Rest der Bevölkerung. Arme Kinder von heute sind die chronisch Kranken von morgen.

Wenn ich mit der Straßenbahn vom ärmsten Wiener Gemeindebezirk, Fünfhaus, in den reichsten – nach Hietzing – fahre, dann liegen dazwischen einige Minuten an Fahrzeit, aber auch fünf Jahre an Lebenserwartung der jeweiligen Wohnbevölkerung. Betrachtet man nicht nur die Armut, also diejenigen im untersten Segment, sondern die gesamte Gesellschaft, dann zeigt sich bei steigender sozialer Ungleichheit eine Verschlechterung der gesundheitlichen Lebensbedingungen. Die Lebenserwartung sinkt, Kindersterblichkeit steigt, Teenager Birth Rate nimmt zu und die Aufstiegschancen für Kinder sinken (Abb. 4). Der Index umfasst: Lebenserwartung, Analphabetismus & mathematische Fähigkeiten, Kindersterblichkeit, Mordraten, Anzahl an Häftlingen, Schwangerschaften von Jugendlichen, Vertrauen, Fettleibigkeit, Ausmaß an psychischen Erkrankungen (inkl. Drogen- und Alkoholmissbrauch) & soziale Mobilität.


Abb. 4 : Soziale Ungleichheit wirkt sich negativ auf gesundheitliche und soziale Entwicklung aus18

Die Ergebnisse zum Einfluss von Armut und sozialem Status auf die Gesundheit in Westeuropa entsprechen den Forschungsergebnissen, die international seit Jahren vorliegen.19 Das Bild ist überall das gleiche: Mit sinkendem sozialem Status steigen die Krankheiten an, die untersten sozialen Schichten weisen die schwersten Krankheiten auf und sind gleichzeitig mit der geringsten Lebenserwartung ausgestattet. Es lässt sich eine soziale Stufenleiter nachweisen, ein sozialer Gradient, der mit jeder vorrückenden Einkommensstufe die Gesundheit und das Sterbedatum anhebt.

Maria hat drei Kinder, eines ist krank und braucht eine spezielle Therapie. Das geht sich dann nicht aus, sagt sie. Kleinigkeiten? Nein, das sind die wichtigen Faktoren für die Entwicklung von Kindern: Gesundheit, Anerkennung, Förderung – keine Beschämung und keine Existenzangst. Die Streichungen bei der Wohnbeihilfe in England führten zu einem zehnprozentigen Anstieg von psychischen Problemen bei Personen aus Niedrigeinkommenshaushalten, wie Studien der Universität Oxford zeigen. 20

4.3. Bildung und sozialer Aufstieg

Kinder und Jugendliche, die in Haushalten mit niedrigem Einkommen aufwachsen, haben Nachteile, die in mehreren Bereichen sichtbar werden. Die Gefahr des sozialen Ausschlusses zeigt sich in den geringeren Möglichkeiten, Freunde einzuladen, Feste zu feiern und an kostenpflichtigen Schulaktivitäten teilzunehmen. Diese sozialen Teilhabemöglichkeiten sind erst ab mittlerem Einkommen für fast alle Kinder leistbar.21 Soziale Ungleichheit hat Folgen und geht unter die Haut.

Die Chance, aus der Armut herauszukommen, steht in enger Wechselbeziehung zu gesellschaftlicher Polarisierung insgesamt. Je sozial gespaltener eine Gesellschaft ist, desto mehr Dauerarmut existiert. Je mehr Dauerarmut existiert, desto stärker beeinträchtigt sind die Zukunftschancen sozial benachteiligter Kinder. Je früher, je schutzloser und je länger Kinder der Armutssituation ausgesetzt sind, desto stärker die Auswirkungen.

Das Schulsystem hat eine starke Hebelwirkung, wenn es darum geht, den Teufelskreis der „Vererbung“ von Armut zu durchbrechen. Johann Bacher, Soziologieprofessor an der Universität Linz,22 nennt drei Faktoren, die eine Rolle spielen: erstens: Das österreichische Schulsystem delegiert sehr viele Aufgaben an die Eltern, gerade die Bildungsaufgaben. Daher hängt viel davon ab, ob die Eltern unterstützen können oder nicht. In der Soziologie wird das als primärer Schichteffekt bezeichnet. Zweitens: die Selektion. Österreich trennt die Kinder zu früh. Je früher die Trennung, desto weniger spielt der Leistungseffekt eine Rolle, desto stärker wirkt der soziale Hintergrund bei der Bildungsentscheidung. Dies wird als sekundärer Schichteffekt bezeichnet. Drittens: die soziale Zusammensetzung in der Schule. Schulen in ärmeren Vierteln mit Arbeitslosigkeit oder niedrigerem Status wirken sich ungünstig auf die Bildungschancen der Kinder aus. Das nennen wir soziale Kontext- bzw. Kompositionseffekte. Eine überbelegte Wohnung fällt zusammen mit einer Halbtagsschulordnung. Wenig Einkommen trifft auf ein einkalkuliertes Nachhilfesystem. Keine Unterstützung zu Hause kommt mit eigener Erschöpfung und Unkonzentriertheit zusammen.

Ein sozial selektierendes Bildungssystem mit Tendenz zu homogenen Gruppen blockiert sozialen Aufstieg. Trotz der im europäischen Vergleich geringen Kinderarmut schneidet Österreich in den sozialen Aufstiegschancen nach oben nur durchschnittlich ab. Hohe Bildung und damit hohes Einkommen, hohe berufliche Position der Eltern bedeuten im hiesigen Schulsystem viel bessere Testleistung als Kinder aus Elternhäusern mit weniger Bildung und Einkommen. In anderen EU-Ländern ist dieser Abstand geringer.23

4.4. Pflege und Altersarmut

PflegegeldbezieherInnen in Privathaushalten müssen mitunter – auf Grund ihrer geringen Einkommen und gleichzeitig hoher Ausgaben – mit einer überaus prekären Lebenssituation zurande kommen. Armutsbetroffene werden im Alter öfter krank und pflegebedürftig sein als Ältere mit hohen Pensionen, aber gleichzeitig weniger Geld zur Bezahlung sozialer Dienstleistungen zur Verfügung haben. Besondere Gefährdung besteht für alleinstehende Frauen in der Pension.

Zu geringe Investitionen in Dienstleistungen lassen Pflegebedürftige und ihre Angehörigen allein und Potentiale im Dienstleistungssektor brach liegen. Die sozialen Dienstleistungen wie Kinderbetreuung oder Pflege liegen in Österreich unter dem EU-Durchschnitt. Auch der Anteil der Beschäftigten im Sozial- und Gesundheitssektor ist unterdurchschnittlich (Abb. 5). Hier stellt sich die Frage der Verteilung der „Care-Arbeit“ zwischen den Geschlechtern und innerhalb der Gesellschaft.


Abb. 5: Anteil der Beschäftigten im Sozial- und Gesundheitssektor an den Beschäftigten insgesamt, 1995–201524

4.5. Prekarität und Working Poor

Jetzt schon leben an die 200.000 Menschen in Österreich in Haushalten, in denen der Verdienst trotz Erwerbsarbeit nicht reicht, um die eigene Existenz und die der Kinder zu sichern. Unfreiwillige Ich-AGs, Generation Praktikum, Abstiegsbiographien sind hier die Stichworte. Ein niedriges Erwerbseinkommen schlägt sich weiters in nicht-existenzsichernden Sozialleistungen bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und in der Pension nieder. Wer sein Leben lang in prekären Jobs arbeitet, wird keine ausreichende Pension erhalten; das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe sind so gering, dass man im Falle eines Jobverlusts damit keinen Tag überleben kann. Und die eigene Krankenversicherung kann unsicher werden. „Prekär“ heißt ja wörtlich nicht nur „unsicher“, sondern lateinisch eigentlich „auf Widerruf gewährt“, „auf Bitten erlangt“. Da steckt der geringe Umfang an Kontrollchancen und Handlungsspielräumen bereits im Begriff.

Serge Paugam unterscheidet zwischen der Prekarität von Beschäftigung und der Prekarität von Arbeit.25 Die Beschäftigung ist demnach dann prekär, wenn es unsicher ist, die berufliche Zukunft nicht überblickt werden kann, eine starke ökonomische Verwundbarkeit aufweist und mit einer partiellen Einschränkung von sozialen Rechten einhergeht. Davon zu unterscheiden ist die Prekarität von Arbeit, die unabhängig von der Form des Beschäftigungsverhältnisses dann vorliegt, wenn damit das Gefühl verbunden ist, dass sie nicht von Belang und schlecht bezahlt ist, wenig Anerkennung im Unternehmen erhält und der Beitrag zur gesellschaftlichen Produktion keinerlei Wertschätzung erfährt.

4.6. Achtung und Anerkennung

Mangelnde Transparenz und Mitbestimmung sind gerade im kontinentaleuropäischen Sozialstaatsmodell große Herausforderungen: Arbeitslose am Arbeitsamt, Patienten in Spitälern, Wohnbevölkerung ohne Wahlrecht, Mitbestimmung in den Sozialversicherungen etc.26 Hier wirkt auch der Dschungel des föderalen Systems mit seinen unterschiedlichsten Regelungen, die in vielen Fällen sachlich nicht begründbar sind und eine Verwaltungs- und Vollzugspraxis, die nicht den Bürger, sondern den Untertanen sieht. Vieles atmet den obrigkeitsstaatlichen Wohlfahrtsstaat, Vater Staat, der seinen minderjährigen Kindern Gaben zuteilt. Besonders auf den Sozialämtern wird in zahlreichen Studien ein willkürlicher und bürgerunfreundlicher Vollzug festgestellt.27

Der Eintritt ein Gedicht. Der Zugang ein Lied. Der Türöffner eine Kurzgeschichte. Abends wird zum Treff in die Wiener Diakonie-Not-stelle s`Häferl geladen, dem Wirtshaus für Leute, die es eng haben und am Limit leben. Gekommen sind Anneliese, die mit ihrer Mindestpension mehr schlecht als recht durchkommt. Da ist Kurt, den der Arbeitsmarkt ausgespuckt hat wie ein ungenießbares Stück Fleisch. Gekommen ist Lisa, die mit Krankheit und dem Alltag kämpft. Für Essen und Trinken ist gesorgt. Anneliese liest ihre vor einigen Tagen verfasste Kurzgeschichte über eine verflossene Liebe vor, Kurt gibt Stanzln aus seiner früheren Arbeit zum Besten, Lisa wagt sich an ein Gedicht, das ihr in der Straßenbahn eingefallen ist. Alle sind sie sonst als unbrauchbar abgestempelt worden, vom Arbeitsmarkt als chancenlos tituliert, in der Öffentlichkeit unsichtbar gemacht. Doch hier im Häferl wird das wie zu einer „Inventur der verborgenen Talente“, all die ökonomisch entwerteten Fähigkeiten und Kenntnisse von Menschen werden gehoben, sichtbar und hörbar.

Der Demokratietheoretiker Pierre Rosanvallon argumentiert, dass nicht wahrgenommen werden ausgeschlossen sein bedeutet. Deshalb sei heute die Sehnsucht nach einer gerechten Gesellschaft untrennbar verbunden mit dem Wunsch nach Anerkennung.28 Und genau hier müsse eine Erneuerung der Demokratie ansetzen: bei jenen, deren Leben im Dunkeln bleibt, die nicht repräsentiert werden, die nicht sichtbar sind. In Paris gründete Rosanvallon ein „Parlament der Unsichtbaren“, das dazu dient, all die Geschichten und Lebensbiographien von Menschen zu erzählen, die sonst im Dunkeln geblieben wären: von Jugendlichen, die es schwer haben, von Arbeiterinnen im Niedriglohnsektor, vom alten Mann am Land. Die Unsichtbarkeit weist auf zwei Phänomene: einerseits auf das Vergessen, die Zurückweisung und die Vernachlässigung, andererseits auf die Unlesbarkeit der Verhältnisse. Für viele ist es schwierig geworden, die Gesellschaft noch zu lesen und sich selbst mittendrin. Das Projekt will dem Bedürfnis nach Erzählung der „gewöhnlichen“ Lebensgeschichten, dem Anhören der ungehörten Stimmen und der Beachtung der alltäglichen Sehnsüchte nachgehen. „Es untergräbt die Demokratie, wenn die vielen leisen Stimmen ungehört bleiben, die ganz gewöhnlichen Existenzen vernachlässigt und die scheinbar banalen Lebensläufe missachtet werden.29

Wer das Wort ergreift, hat etwas zu erzählen. Wer jemand ist oder war, können wir nur erfahren, wenn wir die Geschichte hören, deren Held er oder sie ist. Das Wort zu ergreifen, heißt nicht fürsprechen, sondern selbst sprechen. Wenn Ausgeschlossene die eigene Lebenswelt sichtbar machen, schaffen sie einen Ort, von dem aus sie sprechen können. Der Vorhang öffnet sich zu einer Bühne, auf der die eigene Geschichte eine eigene Deutung – und zugleich Bedeutung – erfährt. Das Unspektakuläre des eigenen Lebens bekommt eine Bühne und wird besonders. Die, die das Wort ergreifen, können zur Sprache bringen, wer sie sind – und wer sie sein können.

Es gibt etwas in unserem Leben, das einfach wichtig ist. Bestimmte Bedürfnisse, die gestillt werden müssen. Dazu gehören auch Lebensmittel, die man nicht essen kann, aber trotzdem zum Leben braucht. Der Psychologe Abraham Maslow beschrieb in seiner „Theorie der menschlichen Motivation“ fünf Mängel, die uns bei Nichtbefriedigung empfänglich für Hetze aller Art machen: Hunger und Durst, Gewalt und Arbeitslosigkeit, Isolation und Einsamkeit, fehlende Achtung und Wertschätzung, Brachliegen der eigenen Potenziale. „Wer dauernd hungert, wird jenen folgen, die Brot versprechen. Jene, die Sicherheit garantieren, werden bei Verängstigten und Traumatisierten einen Zuhörer finden“, analysiert der Netzwerkforscher Harald Katzmair.30

„Jene, die Teilhabe anbieten, werden beim Einsamen Resonanz erzeugen. Jene, die sagen: So wie Du bist, bist du ein wertvoller Mensch, werden bei denen, die nie im Licht der Anerkennung stehen, Anklang finden. Die in Hierarchien eingepferchten werden jene, die neue Spielräume ermöglichen, als Befreier sehen.“31

Wer diese Grundbedürfnisse nicht mehr auf dem Radar hat, wird auch nichts ausrichten gegen Ideologien der sozialen Ausgrenzung.

„Vor allem das Bedürfnis nach Wertschätzung, Würde und Integrität von all jenen, die sich nicht täglich im Lichte des Erfolgs sonnen können, ist aus dem Blick geraten“.32

Die einen verwandeln Armutsbetroffene in Objekte sozialmoralischer Pädagogik, in defizitäre Unterschichtsdeppen, die nichts können. Die anderen betrachten sie als Objekte erobernder Fürsorge, als immerwährende Opfer, die alles brauchen. Aber nie als Akteure, als Handelnde, als Personen. Es gibt eben Lebensmittel, die man nicht essen kann, aber trotzdem zum Leben braucht. Wer nicht im Licht steht, wird suchen, was in seinem Alltag verloren zu gehen droht: Achtung und Würde.

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Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO, Umverteilung durch den Staat in Österreich, Wien 2009.

1 Vgl. Dimmel/Schenk/Stelzer-Orthofer, Handbuch Armut in Österreich.

2 Vgl. Sen, The idea of Justice.

3 Vgl. Hradil, Krankheitsrisiko, 34.

4 Ebd.

5 Bourdieu, Die feinen Unterschiede.

6 Statistik Austria, EU SILC 2016.

7 Vgl. Eurostat.

8 Eurostat.

9 Vgl. European Parliament, The impact of the crisis on fundamental rights across Member States of the EU.

10 Vgl. Milanovic, Die ungleiche Welt.

11 Vgl. Fessler/Schürz, Zur Mitte in Österreich, 270-290.

12 Was wir bei der Einkommensmessung aber nicht exakt sehen, sind die Ausgaben. Besonders die Bereiche Wohnen, Energie und Ernährung sind inflationsbedingt am stärksten gestiegen. Das sind genau jene Ausgaben, die bei einkommensärmeren Haushalten den größten Teil des Monatsbudgets ausmachen. Dabei werden diese Lebenslagen noch unterschätzt, da es sich hier um eine Statistik von Privathaushalten handelt und Notunterkünfte, Heime, Psychiatrien etc. nicht erfasst sind.

13 Vgl. Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO, Umverteilung durch den Staat in Österreich.

14 Vgl. Dawid/Heitzmann, Österreichische Nichtregierungsorganisationen in der Armutsbekämpfung.

15 Vgl. Statistik Austria, EU SILC 2016.

16 Vgl. Riffer/Schenk, Lücken und Barrieren.

17 Vgl. Statistik Austria, EU SILC 2013.

18 Wilkinson/Pickett, The Spirit Level.

19 Vgl. Mackenbach & Bakker, 2002; Van Lenthe, Schrijvers & Mackenbach, 2004; Orpana & Lemyre, 2004; Marmot, 2005; Mielck, 2005; Siegrist & Marmot, 2008.

20 Vgl. Reeves/Clair/McKee/Stuckler, Reductions, 421-429.

21 Vgl. Statistik Austria, EU SILC 2014.

22 Vgl. Bacher, Diakonie Themen, 11.

23 Vgl. OECD, Education at a Glance.

24 Eurostat.

25 Vgl. Paugam, Die elementaren Formen der Armut, 225.

26 Vgl. Moser/Schenk, Armutsbetroffene als Akteure.

27 Vgl. Dimmel/Fuchs, Im toten Winkel des Wohlfahrtsstaates; Schenk, Geld oder Leben?; Die Armutskonferenz, Sozialhilfevollzug in Österreich.

28 Vgl. Rosanvallon, Das Parlament der Unsichtbaren, 18.

29 Ebd., 17.

30 Vgl. Bachinger/Schenk, Wert und Würde; Schenk/Schriebl-Rümmele, Genug gejammert, 58.

31 Schenk/Schriebl-Rümmele, Genug gejammert, 58.

32 Ebd.

Kirche der Armen?

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