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Kirche der Armen? Eine Einleitung

Johann Pock / Regina Polak / Frank G. C. Sauer/ Rainald Tippow

Als Jorge Mario Bergoglio 2013 bei seiner Papstwahl den Namen Franziskus wählte, war das mit Bedacht und als Programm gewählt. „Vergiss die Armen nicht!“, soll ihm Kardinal Claudio Hummes nach seiner Wahl zugeflüstert haben. In den mittlerweile sieben Jahren seines Pontifikats hat Papst Franziskus dann das Thema der Armut und auch der armen Kirche vielfach angesprochen, aber auch symbolische Akte gesetzt, wie gleich zu Beginn seine Reise zu den Geflüchteten und MigrantInnen in Lampedusa oder nach Lesbos. Wie Laubach und Wahl in ihrem Buch „Arme Kirche?“1 im Jahr 2014 hervorheben, ist die Rede von der armen Kirche heftig umstritten. Jon Sobrino wurde für die Aussage, dass die Kirche der Armen der ekklesiale Ort für die Christologie sei, von der Glaubenskongregation noch 2007 kritisiert.2

Papst Franziskus spricht jedoch in seiner programmatischen Antrittsenzyklika „Evangelii gaudium“ (EG) vom 24.11.2013 explizit von der „armen Kirche für die Armen“ (EG 198). Was aber kann darunter konkret verstanden werden bzw. welche Fragen werden damit aufgeworfen? Und woher kommt dieses Motiv?

1. Das Motiv „Kirche der Armen“ – ein Kind des II. Vatikanums?

In den vergangenen Jahren haben sich international unterschiedliche AutorInnen der Frage gewidmet, in welcher Form das Thema der „Armut“ auch für die Kirchen und Religionen von Bedeutung ist. Eine wichtige Stimme ist dabei Luigi Bettazzi.3 Er war während des Konzils 1963 zum Bischof geweiht worden – und er war (wie er selbst schreibt „zufällig“) auch einer jener 40 Bischöfe, die 1965 den sogenannten „Katakombenpakt“ unterschrieben hatten. Für ihn liegt ein wesentlicher Grund dafür, dass sich gerade die römischkatholische Kirche so schwer tut mit dem Motiv der Armut darin, dass hinter jeder Äußerung zur ungerechten Verteilung des Reichtums der „Einfluss der marxistischen Ideologie“ gewittert würde.4 Dem hält er entgegen, dass jemand, der „Aussagen über Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit dämonisiert und pauschal als marxistisch aburteilt“, damit zugleich „die eigenen, einstmals ‚bürgerlich‘ genannten gesellschaftlichen Privilegien“5 verteidigt.

Bettazzi benennt die wichtigsten biblischen Aussagen, die das Thema der Armut zentral in die christliche Botschaft einschreiben: In der Bergpredigt werden die „Armen im Geiste“ (Mt 5,3) seliggesprochen. Damit seien jene gemeint, die sich vor Gott als niedrig empfingen, wie z.B. Maria im Magnifikat (Lk 1,48). Für Lukas hingegen sind es die tatsächlich physisch Armen (Lk 6,20ff), denen er mit einem Wehe-Ruf die Reichen gegenüberstellt. Diese spannende Differenz zwischen dem matthäischen und dem lukanischen Armutsverständnis versucht Bettazzi zu übersteigen mit dem Begriff der „Kirche der Armen“.

Bettazzi zeichnet die Entwicklung des Motivs der „Kirche der Armen“ auf und nach dem II. Vatikanischen Konzil nach. Er versteht darunter: „die Kirche muss sich selbst so verändern, dass sich die Armen in ihr ‚zu Hause‘ fühlen, dass sie nicht mehr Objekte der Nächstenliebe der Gläubigen sind, sondern selbst als Subjekte aktiv als Protagonisten das Leben der Kirche gestalten.“6 Bettazzi stellt jedoch zu Recht fest, dass die aktuelle Kirche eher eine „für“ die Armen als eine „der“ Armen ist.

Einen anderen wichtigen Beitrag in der Ideengeschichte bietet Pierre Ganne, der 1973 vom „Armen und dem Propheten“ geschrieben hat.7 Er spricht davon, dass eine „Kirche der Armen“ noch keine arme Kirche ist. Nach ihm leidet die Beziehung „Kirche – Arme“ unter der gleichen Zweideutigkeit wie die Beziehung „Kirche – Welt“. Wenn man auf die Armen zugeht, ohne selbst arm zu sein, „ist [es] ein verdächtiges Unternehmen“8. Es bestehe immer die Gefahr der Paternalisierung oder Instrumentalisierung. Die Motivlage des Zugehens auf Arme müsse ständig kritisch hinterfragt werden. Denn auch Armut sei nicht ein eindeutiges Phänomen, sondern beruhe auf sehr unterschiedlichen Ursachen. Daher hält Ganne fest: „Die wahre Armut aber fordert … eine kritische Analyse der dauernden Ursachen des Elends“ 9.

Wenn sich nun die Kirche (bzw. auch die Theologie als Wissenschaft) verstärkt der Armut bzw. den Armen zuwendet, bedarf es einer großen Achtsamkeit in der Form der Zugehensweise. Ganne meint beispielsweise zu Recht im Blick auf die Verkündigung und Mission der Kirche: „Wenn die Kirche anfängt, die ‚Armen‘ zu evangelisieren, ohne selber im Herzen arm zu sein, vermengt sie großmütige Verkündigung der Frohbotschaft mit verdächtigen Motiven.“10

Für ihn besteht dabei eine doppelte Versuchung: den Glauben preiszugeben – oder Armen zu instrumentalisieren. Er sieht die einen, die bereit sind,

„die Wahrheit Christi und ihren Glauben zugunsten der ‚Befreiung der Armen‘ preiszugeben, vergessend, daß der Kampf gegen das Elend und für die Gerechtigkeit nur eine Vorbedingung ist für die Fülle der Hoffnung und der Liebe, und daß die Gerechtigkeit ohne diesen wesenhaften Bezugspunkt verrotten muß und ebenso viele Verbrechen erzeugen kann, als solche im Namen der Freiheit begangen wurden. Die andern werden versucht sein, die Menschen und ihr Elend der Wahrheit ihres Glaubens zu opfern.“11

Armut hat eine prophetische Funktion in einer jeweiligen Zeit und Gesellschaft. Problematisch ist für Ganne jedoch, wenn der „Arme“ und der „Prophet“ den Kontakt zueinander verlieren:

„Der Arme, der nicht mehr weiß, wer er ist, wird zwar den Propheten spielen können … Die falschen Propheten ihrerseits, von den Armen getrennt und deren Glauben in ein Haben verwandelnd, werden vorgeben, die Hüter der Wahrheit zu sein, aber nicht mehr wissen, wie die Prophetie der wahren Menschheitszukunft lautet. Das prophetische Licht wird bei ihnen zu einer Theologie entwürdigt, die letzten Endes das Elend mit der Erbsünde erklärt. Diese Theologie wird schließlich den christlichen Glauben entmenschlichen und ihn ins ‚Noman’sland‘ einer gewissen Transzendenz verbannen, angeblich, um seine Reinheit zu sichern.“12

Was Ganne hier erkennt, ist die Gefahr einer „idealisierten“, realitätsenthobenen Theologie oder Kirche, die „entmenschlicht“ ist.

„Ohne die Gegenwart der Armen aber, die das prophetische Licht ‚inkarnieren‘, verliert die Theologie ihr Schwergewicht, sie beginnt, die Geschichte zu überschweben und hängt sie an ein angeblich Ewiges, das sich bloß als ein Zeitloses entpuppt.“13

Die beiden Ansätze von Bettazzi und Ganne verweisen auf die Notwendigkeit einer genauen Klärung dessen, was jeweils unter „Armut“ verstanden wird; aber auch auf die Kontigenz theologischer Konzepte, die immer wieder von konkreten gesellschaftlichen und politischen Umständen beeinflusst werden. Deutlich ist, dass das Motiv der „Kirche der Armen“ im Nachgang zum II. Vatikanischen Konzil (und nicht zuletzt angestoßen durch die Teilnehmer des Katakombenpakts) eine erste große Aufmerksamkeit in der Katholischen Kirche erhalten hat – und zugleich nicht zum zentralen Motiv katholischer Theologie geworden ist.

Dies hat komplexe Gründe, die noch näher zu untersuchen wären. So birgt die Auseinandersetzung mit Armut und deren Ursachen immer auch macht- und gesellschaftskritisches Potential, das nicht nur die Frage nach einer gerechten Gesellschaftsordnung stellt, sondern auch die Kirchen verpflichtet, selbstkritisch ihren Ort innerhalb der Gesellschaft zu reflektieren. Weiters spiegelt sich darin wieder, dass Systematische Theologie und Sozialethik innerhalb der Theologie nicht im nötigen Ausmaß zusammenarbeiten. Da das Thema Armut eng mit der Frage nach der Gerechtigkeit verbunden ist, wirkt hier überdies das jahrhundertelange Vergessen und Ignorieren der jüdischen Herkunft des Christentums nach – steht doch die Bekämpfung von Armut durch das Etablieren einer gerechten Ordnung im Zentrum des Alten Testaments.

2. Kontextualisierung des Armutsthemas

Damit aber plädiert Ganne bereits vor 50 Jahren, im Nachgang zum Zweiten Vatikanum, für eine kontextualisierte Theologie. Wie sehr das Thema einer „Kirche der Armen“ nicht nur grundsätzlich, theologiegeschichtlich und ideengeschichtlich zu analysieren ist, sondern letztlich nur kontextuell behandelt werden kann, zeigen zwei Ereignisse, die die Entstehungsgeschichte des vorliegenden Buches einrahmen. Den Ausgangspunkt nahm das Buch in der Zeit der großen Migrations- und Flüchtlingsbewegungen im Jahr 2015, die im Hintergrund ja nicht nur die vielen Kriegs- und Verfolgungserfahrungen in Ländern wie Syrien oder Afghanistan hatten, sondern vor allem die Armutserfahrungen in vielen Herkunftsländern und auf den Fluchtwegen.

Zum Erscheinungsdatum dieses Buches ist die Welt beinahe erstarrt aufgrund der Covid-19 Pandemie und den damit verbundenen Restriktionen in vielen Ländern der Erde. Dies führt aktuell viele Menschen in Arbeitslosigkeit und Existenznöte – und es kommt leicht zum Vergessen der vielen Armen in jenen Ländern, denen nicht die medizinischen oder technischen Ressourcen zur Verfügung stehen wie in Europa. Die Pandemie mit ihren immensen wirtschaftlichen Folgen trifft aber auch nachweislich in Europa die Ärmsten stärker und vertieft soziale Unterschiede. Die Corona-Krise hat nicht nur einfach soziale Folgen, sie ist eine soziale Krise.

Die Diakonie-Leiterin Österreichs, Maria Katharina Moser, benennt die Konsequenzen dieser sozialen Unterschiede: „Eine österreichweite Cluster-Analyse der AGES (Mai 2020) hat gezeigt, dass sich ein Drittel der untersuchten Fälle in Senioren- und Pflegeheimen infiziert haben (1.127 von 3.800 Personen und 60 von 169 Clustern). Die 460.000 Pflegegeldbezieher/innen haben Expert/innen zufolge im Vergleich zu den unter 50jährigen ein 50- bis 80-fach erhöhtes Risiko zu versterben, und die Wahrscheinlichkeit, dass sie ein Krankenhausbett oder intensivmedizinische Versorgung brauchen, ist 100 bis 1.000-fach höher. Menschen aus dem unteren Fünftel der Gesellschaft haben ein zwei- bis dreifach höheres Risiko für chronische Krankheiten als Menschen aus dem oberen Fünftel. Das gilt für Krebs, Diabetes, koronare Herzkrankheit oder schweres Asthma – Erkrankungen, die besonders anfällig für eine Covid19-Infektion machen. Wer in beengten, prekären Verhältnissen wohnt und arbeitet, kann kaum Abstand halten – und so erleben wir Superspreading-Events in Flüchtlingsheimen, Obdachlosenunterkünften, Erntehelferquartieren, Fleischfabriken und Postverteilerzentren.“14

In beiden Fällen waren und sind die Kirchen und Religionen herausgefordert, sich einzusetzen für die Menschen „am Rande“, für die VerliererInnen der jeweiligen Entwicklungen. Und es gab und gibt auch sehr viele Zeugnisse von institutionellen Hilfestellungen, aber auch von privaten Initiativen von Seiten der Kirchen und Religionsgemeinschaften.15

3. Inhaltliche Logik des Buchs

Das vorliegende Buch führt vor diesem Hintergrund von grundsätzlichen Überlegungen hin zu praxisbezogenen Analysen. In einem ersten Abschnitt wird eine Annäherung an zentrale Begriffe geboten – von Armut, über Caritas und Diakonie hin zu Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Freiheit, jeweils kurz definiert von unterschiedlichen AutorInnen. Dabei geht es nicht um eine endgültige Definition, sondern um eine plurale Annäherung an die Begriffe und Konzepte. Dieses Angebot unterschiedlicher Begriffsdefinitionen stellt eine Aufforderung dar, die eigenen Begrifflichkeiten zu hinterfragen und zu einem eigenen, kritisch fundierten Verständnis zu kommen.

Die Diskussion zur Armut muss dabei kontextuell geführt werden. Der Zugang des Buches fokussiert daher auf Europa, mit einigen ausgewählten Herausforderungen (wie Migration oder die ökonomischen Aspekte). Während im zweiten Abschnitt des Buches der ehemalige Politiker Erhard Busek Osteuropa ins Zentrum seiner Überlegungen stellt, benennt der Armutsforscher Martin Schenk die Situation der Armut in Westeuropa (mit Stand 2019). Die sozioökonomische Sicht wird einerseits von Karin Heitzmann dargelegt, andererseits vom Finanzfachmann Guenter Benischek. Regina Polak thematisiert Migration und Flucht als wichtige Faktoren der aktuellen Entwicklung.

Zu diesen Kontexten gehört ebenso der Blick auf die Geschichte, denn auch sie stellt einen zentralen Horizont des heutigen Sprechens von der „armen Kirche“ dar. Der dritte Abschnitt des Buches bringt einige zentrale geschichtliche Schlaglichter. Schon in der Alten Kirche war das Thema der Armut zentral (Andreas Müller); in Mittelalter und Neuzeit spielten Armut und Armutsfürsorge ebenfalls eine wichtige Rolle (Bernhard Schneider). Aber auch der Begriff „Kirche der Armen“ hat selbst eine spezielle Geschichte, deren theologischen Aspekten Sebastian Pittl auf den Grund geht.

Der vierte Abschnitt des Buchs entfaltet die theologischen Grundlagen der Rede von der Kirche der Armen. Die Alttestamentlerin Rita Perintfalvi hält ein bibeltheologisches und befreiungstheologisches Plädoyer für die Kirche der Armen. Die Bischöfe Manfred Scheuer (Linz) und Benno Elbs (Feldkirch) sowie der österreichische Caritasdirektor Michael Landau benennen aus lehramtlicher Sicht die Bedeutung einer Kirche, die „Zeugin der Freiheit, Mutmacherin und Horizonterweiterin“ ist. Herbert Haslinger führt in seinen beiden Beiträgen einerseits die Frage nach Gott als zentrale Frage einer Theologie der Diakonie aus, andererseits fragt er auch nach dem, was zumeist vergessen oder übersehen wird – nämlich nach den „Rückseiten der Diakonie“. Bei aller Bedeutung der Diakonie ist aber auch mit Doris Nauer zu fragen, warum das diakonische Engagement „typisch christlich“ ist und welche Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede es zwischen der katholischen Caritas und der evangelischen Diakonie gibt.

Der fünfte Abschnitt wendet den Blick auf andere Konfessionen und Religionen und versucht ansatzweise deren Perspektiven auf das Thema der Diakonie bzw. der Kirche der Armen darzulegen. Die jüdische Sicht auf Armut wird von Willy Weiß ausgeführt; die islamische Perspektive von Amena Shakir und Adam Shehata. Aus evangelischer Sicht legt die österreichische Direktorin der Diakonie, Maria Katharina Moser, dar, was „diakonisch Kirche sein“ bedeuten kann. Frank Sauer greift auf den Missionsbegriff zurück in der Ausfaltung der anglikanischen Perspektive.

Im letzten Abschnitt werden Konkretionen bzw. „Landschaften des Diakonischen“ angeboten: angefangen von der Frage, wie eine diakonische Gemeindebildung geschehen kann (Johann Pock), über die Analyse von konkreten diakonischen Orten wie der „Solwodi“, der „Solidarität mit Frauen in Not“ (Anita Ofner und Katja Fraunbaum). Georg Steininger berichtet, was Armut aus der Sicht von Menschen mit Behinderung bedeutet. Abgeschlossen wird dieses Kapitel mit der Darstellung von Franz Helm SVD und Karin Weiler CS, wie OrdenschristInnen an der Seite der Armen wirken.

4. Ergänzende Überlegungen zur orthodoxen Sicht

Das vorliegende Buch versteht sich als Handbuch – als ein kleines Nachschlagewerk zu zentralen Aspekten im Umfeld der Diskussion um die „arme Kirche für die Armen“. Der Entstehungsprozess des Buches bedingte auch eine gewisse notwendige Auswahl von AutorInnen und Themen.

Die Orthodoxen Kirchen stellen in Österreich eine wichtige Größe der Gesellschaft dar. Ein eigener Beitrag zur Orthodoxie fehlt im Buch. Beim Symposium 2016 legte Radu Preda, orthodoxer Sozialtheologe in Cluj (Rumänien), der zugleich als Staatssekretär in der Aufarbeitung kommunistischer Verbrechen beschäftigt ist, zentrale Linien einer orthodoxen Theologie der Diakonie vor.16

Da es in der Orthodoxie kein zentrales Lehramt (wie den Papst) gibt, versuche jede national verfasste orthodoxe Kirche auf ihre je eigene Form auf die Fragen der Zeit zu antworten. Damit sei die orthodoxe Kirche viel kontextgebundener. Für ihn liegt dabei ein Schwerpunkt auf der Gerechtigkeit, die jedoch nicht zu verabsolutieren sei. Theologisch ist Gerechtigkeit für ihn nur ein Attribut Gottes und müsse im Kontext der anderen Eigenschaften Gottes gesehen werden.

In Rumänien gab es auch vor dem Kommunismus soziale Institutionen; diese waren aber zumeist in privater bzw. kirchlicher Trägerschaft. Im Zentrum war und ist stärker die Nachbarschaftshilfe, und die Gemeinde war wichtiger als übergeordnete Strukturen. Daher ist eine Verbandsarbeit für Rumänien auch ein Novum.

In der orthodoxen Kirche (vor allem Rumäniens) gäbe es zwar eine Praxis der Diakonie, aber wenig theologische Reflexion dazu. Als Hauptbegriff sieht er dabei die „Philanthropie“ an, die „Menschenfreundlichkeit“. Aus dem Griechischen gäbe es auch noch die Rede von der „apostolischen Diakonie“. Dabei bestünde jedoch die Gefahr, sich mit der Diakonie nur nach außen zu legitimieren und eine Rechtfertigung zu haben für den Besitz. So werde beispielsweise das Netzwerk „philantropia“ zu einem Großteil über die EU finanziert.

Ein Problem sieht Preda darin, dass zu wenig Reflexion auf die Ursachen der Armut (und deren Beseitigung) gelegt werde. Für ihn ist die (orthodoxe) Kirche in Rumänien daher gewissermaßen die „metaphysische Putzfrau des gescheiterten Sozialstaats“: Sie helfe dabei, den Müll zu beseitigen. Es werde aber nicht danach gefragt, warum so viel Müll entsteht.

Ein Ziel wäre es, nicht mehr nur ein Projekt von Philantropie zu haben, sondern zu einem Prinzip von Philantropie zu kommen, bei welchem wirklich das Wohl der Menschen im Zentrum stünde. Dies müsste sich aber auch strukturell auswirken, da ansonsten keine Nachhaltigkeit erzielt werden könnte und die alten (kommunistischen) Strukturen weiterhin wirkmächtig wären.

Preda wies auch auf die vorhandenen Sündenbockmechanismen hin, durch die von den tatsächlichen Problemen abgelenkt und eine Veränderung der sozialen Situationen von der Wurzel her erschwert werden würde.

Für ihn ist zentral, dass die Armut in den osteuropäischen Ländern ein anderes Gesicht hat als im Westen. Aber auch innerhalb der osteuropäischen Länder sei die Armut nicht überall gleich. Es gäbe einige wenige, die extrem reich wären, bei gleichzeitiger großer Armut sehr vieler Menschen. Das Armutsgefälle zwischen West und Ost ist aus seiner Sicht „abyssal“.

Schließlich betont er noch die zentrale Bedeutung der Menschenrechte. In der orthodoxen Diskussion gingen dabei die Meinungen weit auseinander. So werde von einigen die Meinung vertreten, mit den Menschenrechten werde der Mensch an die Stelle Gottes gesetzt. Menschenrechte würden da oft in karikierter Form dargestellt: Menschenrechte werden nur zitiert zur Begründung für gleichgeschlechtliche Ehen, für Abtreibung oder als Grundlage für Propaganda der amerikanischen Sekten in Russland. Da sie in der Rezeption nur verkürzt wahrgenommen würden, käme es häufig auch zu einer grundlegenden Ablehnung der Menschenrechte. Hier bräuchte es mehr ökumenisches Engagement. Westliche Kirchen müssten mehr zeigen, dass auch die eigene Kulturgeschichte nicht so geradlinig gelaufen ist.

Preda hielt schließlich offene Fragen fest, die aus seiner Sicht im Blick auf eine Theologie der Diakonie für die Orthodoxie zu stellen sind:

• In einer noch zu schreibenden Sozialgeschichte der Orthodoxie müsste skizziert werden, dass man die Andersartigkeit der orthodoxen Kirche sieht (nicht als Gegensatz, sondern als andere Form bei gemeinsamer Basis).

• Wie stellen sich orthodoxe Kirchen dem Dialog mit der Moderne?

• Welche Rolle spielt das Trauma des Totalitarismus? Wie sieht die Diakonie nach dem Gulag aus (als Frage nach der „gescheiterten Nächstenliebe“).

• Wie stehen die Orthodoxen in der westlichen Gesellschaft zu ihrer Aufgabe, Träger der Nächstenliebe zu sein?

Literatur

Bettazzi, Luigi, Die Kirche der Armen vom Konzil bis zu Papst Franziskus, Würzburg 2015. (Original: La chiesa dei poveri. Dal concilio a Papa Francesco, übers. v. Barbara Häußler)

Ganne, Pierre, Die Prophetie der Armen, Einsiedeln 1986. (Original: Le Pauvre et le Prophète, Culture et Foi, Lyon 1973, übers. v. Hans Urs von Balthasar)

Laubach, Thomas / Wahl, Stefanie A. (Hg.), Arme Kirche? Die Botschaft des Papstes in der Diskussion, Freiburg 2014.

Moser, Maria Katharina, Corona als Karfreitagsmoment, in: https://theocare.wordpress.com/2020/06/26/corona-als-karfreitagsmoment-maria-katharina-moser/ [Zugriff: 26.06.2020].

Tippow, Rainald, Hoffnung statt Isolation, in: https://theocare.word-press.com/2020/04/07/hoffnung-statt-isolation-gastautor-rainald-tip-pow/ [Zugriff: 10.05.2020].

1 Laubach / Wahl (Hg.), Arme Kirche?

2 Vgl. ebd., 8.

3 Vgl. Bettazzi, Kirche der Armen. Dieses Buch hatte Bischof Bettazzi schon 2001 verfasst und dann aufgrund des Pontifikats von Papst Franziskus 2015 aktualisiert, vor allem aufgrund der 50-Jahr-Feier des Abschlusses des II. Vatikanums und des Auftauchens des Originaldokuments des sogenannten „Katakombenpakts“ von 1965, der damals von 40 Bischöfen unterschrieben worden war.

4 Ebd., 7.

5 Ebd.

6 Ebd., 40.

7 Ganne, Prophetie der Armen.

8 Ebd., 120.

9 Ebd., 122.

10 Ebd.

11 Ebd., 134.

12 Ebd., 134f.

13 Ebd., 135.

14 Moser, Corona als Karfreitagsmoment. Vgl. auch https://www.sn.at/panorama/oesterreich/ein-drittel-der-corona-cluster-in-senioren-und-pflegeheimen-87207229.

15 Vgl. Tippow, Hoffnung statt Isolation.

16 Die folgenden Gedanken entstammen dem Symposium.

Kirche der Armen?

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