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Armut in Osteuropa

Was versteht der Westen davon?

Erhard Busek

Heute muss man sagen, dass mit einem gewissen Anflug an Leiden statt an Leidenschaft an Europa herangegangen wird. Seit 1989 haben wir nach einer langen Zeit endlich die Möglichkeit, den gesamten Kontinent neu zu gestalten – an sich eine ungeheure Chance, wo Freude aufkommen müsste. Nach einer kurzen Phase des Jubels beim Fall des Eisernen Vorhangs und der Berliner Mauer hat man heute aber den Eindruck, dass alles mühselig geworden ist. Europäische Integration ging leichter, als man quasi noch einen Feind hatte, während man nach dem Ende des Kommunismus oft feststellen muss, dass wir beinahe unser eigener Feind in der Gestaltung der Zukunft des Kontinents sind. Daher möchte ich angesichts der großen Chancen, die die Krise von heute eigentlich für die Zukunft dieses Kontinents bietet, weniger von den Problemfeldern als von den Aufgaben sprechen, die uns im Zuge dessen erwarten. Diese Aufgaben mögen gewaltig sein, vor allem in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht, aber ich möchte mich einer ausschließlichen Problematisierung doch entgegenstellen.

Ich möchte mich in meinen Ausführungen weiters auf die politischen und gesellschaftlichen Aufgaben konzentrieren und die rechtlichen und ökonomischen den Expertinnen und Experten überlassen. Die Aufgaben, die sich in dieser Hinsicht stellen, können aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden.

Europaweite wie nationale Umfragen zeigen, dass die Bürgerinnen und Bürger in Europa mit der Erweiterung der EU, darüber hinaus aber generell mit dem Europäischen Integrationsgedanken keine große Freude haben. Die mangelnde breite Verwurzelung des Projekts „Europa“ in der Bevölkerung war schon immer ein bestehendes Manko. Angesichts der zunehmenden Bedeutung und des Einflusses des Europäischen Rechts auf viele alltägliche Angelegenheiten, die die europäischen Bürgerinnen und Bürger betreffen und vor dem Hintergrund der Herausforderung der Globalisierung wird dieses demokratiepolitische Defizit jedoch immer schlagender. Die EU-Institutionen machen sich verstärkt Sorge über diese Tatsache und bemühen sich, durch die Förderung von Informations- und Werbekampagnen entgegenzusteuern. Letztendlich wird jedoch nur ein intensiver Dialog aller politischen Instanzen mit den Bürgerinnen und Bürgern die notwendige Breite und Tiefe der Auseinandersetzung mit Europa bringen. Möglicherweise entsteht durch die Zunahme von Krisen und Druck von außen eine neue Sicht der Notwendigkeit eines gemeinsamen Europas mit mehr Handlungsfähigkeit.

Für den Erweiterungsprozess im engeren Sinn ist die festzustellende mangelnde Unterstützung in den Beitrittskandidatenländern selbst ein Problem. Das Aufkommen europakritischer Parteien wie zum Beispiel bei den Parlamentswahlen in Ungarn und Polen, in Westeuropa sowie sogar negative Ergebnisse von Meinungsumfragen zum EU-Beitritt wie zuletzt in Estland sind Alarmsignale. Man versucht hier durch die Investition von Mitteln für Kampagnen entgegenzusteuern. Am wichtigsten wird jedoch sein, dass den Bürgerinnen und Bürgern in diesen Ländern von Brüssel als auch den nationalen Hauptstädten der EU-27 signalisiert wird, dass nur genau so die Probleme gelöst werden können. Die verbale Ablehnung der EU durch Donald Trump könnte dabei eine Hilfe sein – paradoxerweise!

An dieser Stelle ist ein Rückblick notwendig. Zunächst war es das allgemeine Verständnis des geteilten Europas, dass die Armen mehrheitlich auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs zu Hause sind. Das ist jedoch ein sehr undifferenzierter Standpunkt des Westens, weil das kommunistische Systeme den Vorteil hatte, praktisch für jeden Bürger zu sorgen, wobei es erwartungsgemäß nicht jene Ausstattungen gab, die viele im Westen nutzen konnten, um ein angenehmes Leben zu führen. Daraus sind bei den verschiedensten Gelegenheiten Wanderungsbewegungen entstanden, die vor allem durch politische Ereignisse gefördert wurden – wie z.B. beim Aufstand in Budapest 1956, bei der Invasion der Warschauer Pakt Truppen in Prag 1968, beim Kriegsrecht in Polen in den 80er Jahren. Es war wohl mehr die politische Unzufriedenheit als die ökonomische Problematik, die dazu geführt hat, dass das Gefühl „arm“ zu sein, unter diesen politischen Umständen zweifellos weit verbreitet war. Die Reaktionen darauf waren unterschiedlich: War die Charta 77 in der CSSR eine Reaktion auf die mangelnde Freiheit, so war die Bewegung „Solidarność“ auch eine Reaktion auf die Situation der Arbeiterklasse. Die Charta 77 war im Wesentlichen getragen von Intellektuellen, während die Figur von Lech Wałęsa als Elektriker in der Danziger Lenin-Werft ein Symbol für die Zustände unter der Arbeiterklasse war. Die Unterschiedlichkeit in dem, was als Ostblock bezeichnet wurde, war gerade in dieser Zeit sehr stark, so dass nur eine differenzierte Darstellung hier präzise Aussagen zur Befindlichkeit über Armut ermöglichen könnte. Für die Sowjetunion mag es daran gelegen sein, dass der größte Teil dieses Landes ohnehin durch Jahrhunderte gewöhnt war, alles andere als sozial zufriedenstellend zu leben, und daher die Leidensfähigkeit ungeheuer stark entwickelt war.

Aus meiner jahrelangen Tätigkeit für Dissidenten in den Warschauer Pakt-Staaten, insbesondere auch im christlichen Bereich, kann ich nur feststellen, dass die Armutsfrage eine Rolle gespielt hat, zugleich aber in den Reaktionen der christlichen Kirchen äußerst unterschiedlich thematisiert wurde. Ich erinnere mich daran, dass eine Caritasorganisation im ehemaligen Jugoslawien, die in der Diözese Zagreb zu Hause war, einigen Zulauf hatte; dass es einschlägige Aktionen der katholischen Kirche im tschechischen Teil der CSSR gab; dass die katholische Kirche in ihrer Minderheitensituation in der DDR ebenso über Caritas ähnliche Einrichtungen verfügte, aber über eine „Kirche der Armen“ sprach eigentlich niemand.

1. Das gelobte Land des Westens

Der Fall des Eisernen Vorhangs hat dazu geführt, dass man endlich mit den reicheren Teilen Europas direkt oder indirekt in Kontakt kam. Es gab selbstverständlich Migrationsbewegungen (besonders in Polen), die davon getragen waren, dass man in einen besseren Teil des Kontinentes kommen wollte, um Arbeit und materielle Möglichkeiten zu finden. Aber auch da war die Situation unterschiedlich: Die DDR war beeinflusst durch die Teilung Deutschlands und Familienbindungen; die Polen haben ihre Bewegungsfreiheit dazu benützt, quasi halb illegal in reichere Gegenden zu kommen, und Jugoslawien ist unter dem Prätext „Osten“ hier ohnehin nicht zu sehen. Natürlich war die Relation zum „gelobten Westen“ davon gekennzeichnet, dass man alle Lebensstandardmerkmale von Auto bis Urlaub erreichen wollte, die man jeweils in der Berichterstattung durch Medien, Auskünfte durch Freunde etc. erhalten hatte.

Aus diesem Streben nach Wohlstand nach westlichem Vorbild ist nicht zuletzt die ungeheure Sehnsucht nach der Europäischen Union entstanden, die dazu führte, dass in den ersten Jahren die Beurteilung des europäischen Integrationsprozesses allgemein durchaus positiv, idealistisch und bedingungslos gewesen ist. Darauf ist beispielsweise die ungeheure Erweiterung von 2004 und 2007 zurückzuführen, die entsprechende Migrantenströme – insbesondere im Arbeitsbereich – erzeugte, aber zugleich Nebenerscheinungen wie Kriminalität und die Entstehung von Korruption mit sich brachte.

Besonders ist anzumerken, dass vor allem die Städte, insbesondere die Hauptstädte, sich rasch ein westliches Kapitalismuskleid überzogen, das in Hochhäusern, Unmengen von Autos und glanzvollen Hotels sichtbar war. Die Armut erschien allerdings merkbar am Stadtrand und in Richtung ländlicher Raum, wo es zu einem Teil zu einer Entvölkerung, ganz sicher aber auch zu keiner dynamischen wirtschaftlichen Entwicklung gekommen ist. Darin ist einer der Gründe zu sehen, warum etwa die Kommunistische Partei in Tschechien im agrarischen Raum gegenwärtig immer noch Erfolge hat. Es sind ausgesprochene „Armutsecken“ entstanden, deren Beseitigung eine an sich intensive Regionalpolitik der Europäischen Union im Wege der Erweiterung bislang jedoch noch nicht steuern konnte. Über diesen Zustand ließe sich noch viel schreiben, wobei allein die statistischen Zahlen über Arm und Reich, über Kapitalkonzentration bei wenigen und das Entstehen einer schmalen, aber wirksamen Schichte von Oligarchen Auskunft geben. Gerade diese Entwicklung in Richtung einer Klassengesellschaft muss kritisch bemerkt werden. Interessanterweise haben dazu ebenso Sanktionen beigetragen, wie etwa z.B. die gegen Jugoslawien, wobei die Oligarchen wieder nicht nur in den Besitz aller möglichen Unternehmen kamen, sondern sich zugleich der Medien und später auch der politischen Parteien bemächtigten. Eine andere Ausdrucksform ist im Wege der Korruption festzustellen, die dann ihre eigenartigen Blüten trieb, wenn sie etwa – wie in Rumänien – zum Teil offensichtlich erfolgreich bekämpft wurde, aber politische Kräfte erzeugte, die wieder auf die Abschaffung der Korruptionsbekämpfung drängen. Kritisch muss bemerkt werden, dass das verfasste Europa dazu wenig Mittel gefunden hat, um diese Missstände selbst zu bewältigen, wenngleich auf Korruptionsbekämpfung und sozialen Ausgleich immer wieder Wert gelegt wurde. Hier reichen die politischen Mittel nicht nur der Regionalpolitik, sondern ebenso der allgemeinen wirtschaftlichen Steuerung keineswegs aus. Das alles ist wohl ein Ergebnis der nur halbherzig durchgeführten Integration, die zu wenig Einfluss auf Steuerpolitik, Budgetmaßnahmen und sozialen Ausgleich legt. Der Prozess ist noch sehr intensiv in Bewegung, wobei er sehr wesentlich die Haltung zur europäischen Integration beeinflusst, was insbesondere in der Frage der Bewältigung der Migrationsströme zu merken ist. Daraus ist die totale Ablehnung der in der EU sich eingefunden habenden Warschauer Pakt Staaten zur Frage einer Aufteilung der Migrationslasten zu verstehen. Es ist verständlich, wenn die Regierungen dieser Länder der Meinung sind, sie hätten in der Geschichte ohnehin so viele Belastungen gehabt, dass sie jetzt nicht noch zusätzliche brauchen. Das mangelnde Verständnis des Westens für diese Haltung ist eine Problematik, weil man ja jeweils die Geschichte nicht wegwischen kann, sondern mit ihr zu leben hat. Dass damit zugleich nationalistische Strömungen unterstützt werden, ist wohl selbstverständlich, was wiederum nicht auf besonderes Verständnis in anderen Teilen Europas stößt. Diese politischen Kräfte werden auch instrumentalisiert und erhalten dadurch einen falschen Zungenschlag von Nationalismus, nämlich den eines nationalen Egoismus. Wir sind weit entfernt davon, am Ende dieses Prozesses zu sein…

2. … und die Kirche?

Hier muss vorneweg festgestellt werden, dass die Kirchen auf der einen Seite des Eisernen Vorhangs ein begrenztes Verständnis für diesen Prozess haben. Wohl gab es eine Reihe von Maßnahmen, durch die man die Institutionen der Kirche im Osten unterstützte – insbesondere die deutsche katholische Kirche war hier beeindruckend unterwegs – wenngleich ein Großteil der Mittel vor allem in den Kirchenbau geflossen ist, nicht aber in die Errichtung sozialer Institutionen. Die unterschiedliche Befindlichkeit der Christenheit spielt hier ebenso eine Rolle. Ich war persönlich durchaus involviert, die serbische Orthodoxie für eine Art von Caritas zu gewinnen, wo aus den Grundzügen der östlichen Kirche her schon ein geringeres Verständnis für diese brüderliche Mitverantwortung vorzufinden ist. Infolge der Verarmungsprozesse in Griechenland in jüngerer Zeit hat freilich die griechisch-orthodoxe Kirche im Sinne von sozialer Verantwortung durch Ausspeisungen und andere Maßnahmen Wege organisierter Hilfeleistung entwickelt, die jenen im deutschsprachigen Raum ähneln.

Die Entwicklung der letzten Zeit in Griechenland hat dazu geführt, dass etwa diese orthodoxe Kirche infolge der Verarmung in Griechenland Wege gefunden hat, denen wir zum Teil noch näher stehen. Generell muss aber gesagt werden, dass die Bereitschaft zum „Teilen“ in osteuropäischen Ländern schwächer entwickelt ist, weil die generelle Befindlichkeit „ohnehin schon lange gelitten zu haben“, nach wie vor dominant hervortritt. So ist etwa die Ablehnung der tschechischen Katholiken, allen voran des Vorsitzenden der Bischofskonferenz, für eine Mitwirkung an der Bewältigung der Migration sehr markant, und findet eine breite Unterstützung unter den Christinnen und Christen dieses Landes. So katholisch eine große Zahl an Politikerinnen und Politikern in Polen auch ist, so wenig haben viele Verständnis dafür, dass die Aufnahme von Bedürftigen aus anderen Gegenden der Welt eine christliche Verpflichtung darstellt. Angesichts der kritischen Stellungnahme, die ich zu dieser Entwicklung mache, muss jedoch festgehalten werden, dass es in christlichen Gemeinden durchaus Engagement für arme Menschen gegeben hat, wobei die Armut der Kirchen selbst die Möglichkeiten begrenzte und eher dazu führte, dass Einzelpersonen aktiv wurden. Es muss zweifellos ebenso angeführt werden, dass die plurale Verfasstheit der Christinnen und Christen in einzelnen Ländern ebenfalls eine Rolle spielt, wie etwa die vielfältige christliche Landschaft in der Ukraine in den verschiedensten Denominationen von Orthodoxen und Katholiken, die eine Einheit in dieser Frage ermöglichen könnte.

An dieser Stelle muss zugleich erwähnt werden, welche Bemühungen gerade durch die Armut verschiedener Bevölkerungsgruppen ausgelöst wurden, eine Verbesserung der Lage zu erreichen. Ein besonderes Kapitel sind hier die Roma und Sinti, für die sich vor allem die Civil Society engagiert. Das Europäische Parlament hat zwar immer wieder versucht, bei der Bewilligung verschiedener Mittel die Bemühungen um diese Gruppe als zwingend zu verankern, aber inwieweit dies wirksam geworden ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Es ist allerdings zu vermuten, dass nicht allzu viel passiert ist. Ein Beispiel dafür ist die EUSDR (European Union Strategy for the Danube Region), wo von Beginn an verlangt wurde, diese Gruppen zu betreuen. Die große Schwierigkeit dabei ist, dass entweder die jeweiligen Regierungen der betroffenen Länder gar nicht willens waren, das zu tun, oder selbst sehr begrenzte Kenntnisse hatten. Die Überprüfbarkeit der Aktivitäten ist eine weitere Schwierigkeit.

Verschiedene herausstechende und in den Medien publizierte Situationen haben zu Aktivitäten geführt, wie etwa für Straßenkinder in Bukarest, wo der österreichische Jesuit Pater Georg Sporschill sehr aktiv wurde und eine relativ wirksame Aktivität entfaltete. Diese erstreckte sich dann später ebenso auf andere Gebiete – z.B. auf Moldawien, wo ein ganzes Kinderdorf an der Grenze zu Rumänien entstand. Es gelang sogar den damaligen Staatspräsidenten bzw. seine Frau als Schutzpatronin zu gewinnen, was zumindest eine Absicherung war, denn sehr beliebt waren solche Aktivitäten in den jeweiligen Ländern nicht. Das Problem der Roma und Sinti erstreckt sich von der Slowakei, ein kleinwenig auch in Tschechien, über Rumänien, Moldawien, Bulgarien und Serbien, was nicht zuletzt durch die Wanderungen bedingt ist. Aus meiner Erfahrung kann ich nur hinzufügen, dass die einzige Möglichkeit darin besteht, Bildung an die Kinder und Jugendlichen heranzubringen, wobei es ebenso notwendig ist, dies mit staatlichen Möglichkeiten durchzusetzen, da die Tendenz, solchen Einrichtungen auszuweichen, in dieser Gruppe sehr stark verankert ist.

Minderheiten in den einzelnen Ländern stellen ein weiteres Problem dar, doch würde es zu weit führen, das zu behandeln. Die Minderheitenlage begünstigt Marginalisierung, und diese wieder bedeutet, dass man quasi der Armut ausgeliefert ist, weil einfach die Möglichkeiten für Maßnahmen nicht existieren. Es verdient festgehalten zu werden, dass eine kompakte Sozialpolitik nicht existiert, wenngleich sie in allen Strategien zum Beitritt dieser Länder zur Europäischen Union und in der Nachbarschaftspolitik immer wieder verankert ist. Hier muss kritisch gesagt werden, dass es schlicht und einfach an Einrichtungen fehlt, die das tun. Der Versuch, das den jeweiligen Verwaltungen beizubringen, ist mehr oder weniger zum Scheitern verurteilt, weil die Verwaltungen selbst geringe Kapazitäten haben. Es muss hier festgehalten werden, dass vor allem die Civil Society aus anderen Teilen Europas und der Welt an verschiedenen Orten in der Lage ist, in diesen Belangen etwas zu erreichen.

3. Neue Armut durch Migration

In diesen Prozess der Bewältigung der neuen Situationen, die durch den Fall des Eisernen Vorhangs und die Öffnung zum übrigen Europa entstanden sind, hat die Migrationswelle der letzten Jahre – Binnenwanderung, Auswanderung der Jugend und der Eliten sowie Flüchtlinge – neue Armutssituationen erzeugt. Zweifellos ist die Armut einer der zentralen Gründe für Migration, wenngleich es dann jeweils stärker Kriegssituationen, Vertreibungen und Klimaveränderungen sind, die verbunden mit der Sehnsucht, in einer besseren Welt zu leben, zu diesen Entwicklungen geführt hat. Es muss festgehalten werden, dass vielfach neue Bevölkerungsgruppen auftreten, die in Europa selbst weder gekannt werden, noch irgendwelche Partner haben. Das gilt vor allem für Afghanen, Pakistani, Tschetschenen, etc. Die durch Kriegshandlungen betroffenen Wanderungsbewegungen werden eher noch in irgendeiner Weise bewältigt, wenngleich die Ergebnisse weit weg von einer Integration und Armutsbewältigung sind. Es gibt zu diesen Bereichen sehr viele Forschungen, aber letztlich noch keine endgültigen Ergebnisse, weil die Strategien noch nicht existieren. Es entstehen aber Armutspunkte, vor allem die Lager, die von den einzelnen Staaten jeweils angelegt werden, um diese Bereiche annährend zu bewältigen. Wahrscheinlich hätte man schon früher Strategien entwickeln müssen, etwa im Hinblick auf Schwarzafrikaner, die seit geraumer Zeit nach Italien einwandern und im Straßenbild etwa als Taschenverkäufer oder Bettler durchaus bemerkbar sind. Wir sind jedenfalls weit entfernt von einer Strategie, damit fertig zu werden.

Weniger deutlich in der Öffentlichkeit sind Ergebnisse der Wanderungsbewegungen, die schon sehr lange stattfinden, wie etwa die „Gastarbeiter“, die von Armut deswegen bedroht sind, weil sie bei den Wirtschaftsveränderungen seit 2008 (Bankenkrise, Konjunkturschwächen, etc.) meistens die ersten sind, die ihre Jobs und damit die materielle Grundlage verlieren, oder im Graubereich von Schwarzarbeit einem entsprechenden Druck ausgesetzt sind. Wir haben hier verschiedene Generationen mit unterschiedlichen Problemen, wobei teilweise beginnend mit der zweiten Generation die dritte und vierte jeweils schon gut integriert ist, wenn nicht wirtschaftliche Entwicklungen und nationalistische Tendenzen zu einer neuerlichen Marginalisierung führen. Begonnen hat es durch die „Gastarbeiter“ aus dem früheren Jugoslawien, wobei es gerade hier die südlichen Teilrepubliken waren, die viele auf die Reise schickten. Auch aus dem Norden (Slowenien, Kroatien, Serbien und später Kosovo) und aus Albanien kommend gab es solche Bewegungen. Die Albaner sind insbesondere sehr stark in die Schweiz gegangen, wo sie streckenweise bis zu 200.000 Personen ausmachten, von denen 100.000 ordentlich erfasst bzw. versorgt waren, während andere in einer Grauzone lebten mit großen Wanderungsbewegungen. Hier haben die Kriegshandlungen ihre entsprechenden Wirkungen.

Die Armutssituation ist Resultat schlechter Arbeitsverhältnisse bzw. der finanziellen Ausstattungen, wobei mit der Zeit ebenso Marginalisierungen durch Religion, Geschlechtszugehörigkeit etc. stattgefunden haben. Überhaupt ist das Aufkommen der Religion als ein Kriterium ein neueres Element, das zu entsprechenden Spannungen führt, die nicht nur etwa die Zulassung der Burka und ähnliche Dinge erfasst, sondern auch in die Ablehnung solcher Gruppen führt. Insbesondere viele türkische Frauen haben keine Chance auf Integration, weil sie von sich aus in Gruppen unter sich bleiben, schwer Sprachen lernen und gleichzeitig von ihren Männern dazu angehalten werden, quasi nicht nach außen zu gehen. Dadurch entsteht eine soziale Armut, die man nicht unterschätzen sollte! Hier wäre ein Kapitel über Diskriminierung zu schreiben, das aber eher in die Frage der Sozialpolitik im Zusammenhang mit der Integration zu sehen ist und deutlich zeigt, dass zwar allgemein Multikulturalität offiziell hochgehalten wird, aber tatsächlich nicht leicht zu bewältigen ist, weil einfach die Kenntnisse des „Andersseins“ fehlen. Ein besonderes Thema ist hier in der Entwicklung nicht nur die Generation, die in das westliche Europa gekommen ist, sondern die Kinder und Kindeskinder mit entsprechenden Problemen der Integration. Es ist eine „Generation inbetween“, die am deutlichsten in den Vorstädten der französischen urbanen Gebiete zu bemerken ist. Hier ist dann die Entwicklung hin zu Erlösungssehnsüchten, die etwa durch IS befriedigt werden, naheliegend.

4. Zusammenfassung

Zur Auseinandersetzung mit der „Kirche der Armen“ gehört ebenso eine umfassende Debatte über die Armut. Die West-Ost-Unter-scheidung beinhaltet einen beachtlichen historischen Hintergrund, der eine unterschiedliche Begrifflichkeit von Armut im Laufe der Zeit als Grundlage hat. Es muss festgehalten werden, dass sich unsere heutigen „westlichen“ Diskussionen über die Frage wer arm ist, nach wie vor davon unterscheiden, was im ehemaligen Osten darunter verstanden wird. Das wirkt noch nach, so dass die Reaktionen nach wie vor unterschiedlich sind. Dass durch die Migrationsfrage und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten unserer Zeit diese Auseinandersetzung nicht nur dynamisiert wird, sondern zugleich unübersichtlicher ist, muss hier einkalkuliert werden. Im politischen Spektrum ist es ebenso nicht leicht, dazu Stellung zu nehmen, weil die Armutsfrage immer wieder in Wahlkämpfen eine entscheidende Rolle spielt, in der Darstellung und Definition aber nicht sehr genau ist. Der Spitzenkandidat der SPD im Jahr 2017, Schulz, griff zum Beispiel primär dieses Thema auf, wobei allein schon die Unterschiedlichkeit zwischen dem, was früher die Bundesrepublik und die DDR waren, die Angelegenheit auch für ihn wahrscheinlich nicht leichter machte. Gesamteuropäische Antworten sind daher ebenso schwierig, insbesondere dann, wenn die Tendenz zu gemeinsamen europäischen Aktionen immer schwächer wird. Es ist daher anzunehmen, dass zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie den übrigen europäischen Staaten eine ganz beachtliche komplexe Problematik entsteht, die die verschiedensten Folgen haben könnte.

Inwieweit die Kirche in der Lage ist, diesen Spannungen und Herausforderungen gerecht zu werden, ist ebenso schwierig zu beantworten. Ganz sicher ist das Verhalten von Papst Franziskus ein wichtiger Anstoß, wobei wahrscheinlich ein gemeinsames, akkordiertes Wirken der Kirche in Europa nicht einfach zu erzielen ist. Wahrscheinlich ist die Grundbefindlichkeit im überschaubaren Bereich leichter zu definieren und zu bewältigen als in großen Antworten. Nach wie vor ist die Botschaft des Evangeliums von entscheidender Bedeutung, nämlich die Verfolgung der aktiven Nächstenliebe, „sie in die Häuser aufzunehmen und zu versorgen“!

Kirche der Armen?

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