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2.3 Der EuGH als Motor der Integration und als Hüter des europäischen Antidiskriminierungsrechts

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Rolle und Perspektive des EuGH unterscheiden sich wiederum grundlegend sowohl von derjenigen des EGMR als auch von derjenigen des Bundesverfassungsgerichts. Im Grunde genommen haben Fragen der Religion für den EuGH bis vor wenigen Jahren kaum eine Rolle gespielt. Abgesehen von einem frühen dienstrechtlichen Fall,34 wurde der EuGH erst in den vergangenen Jahren intensiver mit Auswirkungen der Religionsfreiheit oder des mitgliedstaatlichen Religionsrechts konfrontiert. Dessen ungeachtet haben gerade die deutschen christlichen Kirchen potentielle Auswirkungen des Unionsrechts schon sehr früh bedacht und bei der Rechtserzeugung auf die Entwicklung Einfluss zu nehmen versucht. Gerade die vorliegend umstrittenen Regelungen in Art. 4 Abs. 2 RL 2000/7835 und in Art. 17 AEUV gehen auf die Aktivitäten der beiden christlichen Kirchen zurück, die maßgeblich aus Deutschland angestoßen und betrieben wurden.36

Für den EuGH waren und sind die Einheitlichkeit der Unionsrechtsordnung und ihre Durchsetzung gegenüber den Mitgliedstaaten die entscheidenden Parameter. In der Literatur ist insoweit von einer „gelegentlich kühn vorwärtsweisenden weitsichtigen Rechtsprechung“ die Rede.37 Das Selbstverständnis der früheren EWG als Wirtschaftsgemeinschaft wirkt vielfach noch in der Rechtsprechung nach, auch wenn insbesondere mit dem Raum der Freiheit der Sicherheit und des Rechts zahlreiche Rechtsfragen von grundsätzlicher rechtsstaatlicher Bedeutung verbunden sind.38 Hinzu kommt, dass das Unionsrecht immer als eine Querschnittsmaterie verstanden wurde, die Einfluss auf die unterschiedlichsten Teilgebiete des innerstaatlichen Rechts hat. Der EuGH hat dabei durchgängig keine Rücksicht auf vermeintlich nicht von den Unionskompetenzen erfasste Rechtsbereiche genommen und insbesondere die Grundfreiheiten flächendeckend durchgesetzt. In der Gesamtschau ist diese Rechtsprechung überzeugend.39 In ihr finden sich dementsprechend zahlreiche Beispiele, in denen nicht in die Zuständigkeit der Union fallende Bereiche von Auswirkungen der Grundfreiheiten oder anderen Regelungen des Unionsrechts erfasst sind. Ein frühes Beispiel betrifft das Verwaltungsprozessrecht.40 Besonders intensiv wurden die Auswirkungen des Diskriminierungsverbots auf den Zugang von Frauen zu Streitkräften diskutiert.41 Auch das Steuerrecht ist ein Beispiel.42 Im Ergebnis ist es sicher nicht falsch, wenn dem EuGH aufgrund dieser Tradition unterstellt wird, er zeige wenig Sensibilität für die Besonderheiten religionsrechtlicher Fragestellungen.43 Die Urteile zum Kopftuch am Arbeitsplatz lassen sich jedenfalls gut in diesem Sinne deuten.44

Ein Weiteres kommt hinzu: Anders als der EGMR hat der EuGH nie eine eigene Dogmatik der Verschiedenheit und der Rücksichtnahme auf mitgliedstaatliche Besonderheiten entwickelt. Bei aller Unübersichtlichkeit und allen Schwierigkeiten der Konturierung im Einzelfall liefert die vom EGMR verwendete Doktrin der margin of appreciation doch zumindest einen Anhaltspunkt für die Zurücknahme der euopäischen gerichtlichen Kontrolle. Beim EuGH lassen sich zwar verstreute Ansätze für eine ähnliche Form der Rücksichtnahme auf mitgliedstaatliche Besonderheiten finden,45 eine entsprechende Dogmatik gibt es aber bislang nicht und der EuGH hat sich auch nicht darum bemüht, die vom EGMR gerade für religionsrechtliche Fragen angelegte Spur46 aufzunehmen und unionsrechtlich weiterzuverfolgen.47

Identität und Profil kirchlicher Einrichtungen im Licht europäischer Rechtsprechung

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