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3.2 Gerichtliche Überprüfbarkeit

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Die Frage der gerichtlichen Überprüfbarkeit ist so eng mit dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften verknüpft, dass man von einer Dilemmasituation sprechen kann: Aus Gründen der Neutralität darf der Staat nicht darüber befinden, welche religiösen Anforderungen eine Religionsgemeinschaft an ihre Mitglieder stellt. Das wird besonders deutlich bei verhaltensbezogenen Anforderungen, wie etwa Bekleidungsvorschriften, Speiseregeln oder auch Vorgaben an eine gute Lebensführung im persönlichen Bereich, zu denen man die Beachtung einer bestehenden Ehe und auch ein Scheidungsverbot zählen kann. Über das Bestehen und den Umfang derartiger, oft unter dem Stichwort der „Loyalitätsobliegenheiten“ zusammengefasster Anforderungen kann nur die betreffende Religionsgemeinschaft selbst entscheiden. Dieser Hintergrund erklärt die auf Plausibilität beschränkte Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts auf der von ihm gesondert vorgenommenen ersten Prüfungsstufe.64 Gleichzeitig – und daraus resultiert das Dilemma – lässt sich eine Bewertung derartiger Anforderung durch staatliche Gerichte zumindest dann nicht vermeiden, wenn die Anforderungen nicht nur die private Lebensführung als solche betreffen, sondern zur Voraussetzung für die Einstellung gemacht werden. Das gleiche Problem stellt sich auch in Bezug auf die Mitgliedschaft als Einstellungskriterium.

Die Zweistufigkeitsdogmatik des Bundesverfassungsgerichts schichtet die gerade beschriebenen Probleme teilweise ab, indem sie die Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts auf der ersten Stufe besonders herausstreicht. Gleichzeitig kaschiert sie aber in gewisser Weise auch das Dilemma, weil nicht mehr hinreichend deutlich wird, dass auf der zweiten Stufe auch nach der Dogmatik des Bundesverfassungsgerichts eine Gewichtung der jeweiligen Interessen erforderlich wird, zu der dann auch eine Bewertung der von der Religionsgemeinschaft im Rahmen des Selbstbestimmungsrechts geltend gemachten Positionen gehört. Es ist demnach auch unter der Dogmatik des Bundesverfassungsgerichts keineswegs so, dass keine Kontrolle der im Rahmen des Selbstbestimmungsrechts geltend gemachten Positionen durch die staatlichen Gerichte stattfände.

An dieser Stelle ist im Verfahren Egenberger vor dem EuGH offenbar durch die Begründung des Vorlagebeschlusses durch das BAG ein Missverständnis entstanden. Man kann die Begründung des BAG in seinem Vorlagebeschluss so verstehen, als ob die zweite Prüfungsstufe mit der intensiveren gerichtlichen Kontrolle nur in Kündigungsschutzprozessen zur Anwendung komme.65 Der Versuch einer Richtigstellung im Verfahren vor dem EuGH ist gescheitert, weil Generalanwalt und Gerichtshof sich – nachvollziehbar – auf den Standpunkt gestellt haben, der EuGH müsse seiner Entscheidung die Darstellung der Rechtslage durch das vorlegende Gericht zugrunde legen, weil er nicht selbst über die „richtige“ Darstellung des mitgliedstaatlichen Rechts entscheiden könne.66 Im Verfahren IR, bei dem es sich um einen Kündigungsschutzprozess handelte, spielte die Frage von vorneherein keine Rolle.67

Die missverständliche Darstellung der Rechtslage in Deutschland ist sicherlich unglücklich. Sie dürfte aber letztlich weder für den Verfahrensausgang vor dem EuGH noch für die weitere Praxis entscheidend sein. Das gilt schon deshalb, weil der EuGH eben nicht über die deutsche Rechtslage entschieden hat, sondern nur über die unionsrechtlichen Vorgaben. Dabei legt der EuGH zugegebenermaßen einen starken Akzent auf das Erfordernis effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes.68 Das ist angesichts der Vorgaben in Art. 47 Grundrechte-Charta sowie Art. 9 und Art. 10 RL 2000/78 aber wenig überraschend.69 Hinzu kommt, dass auch der EGMR den Rechtsschutzaspekt besonders betont und dabei von strengeren Maßstäben ausgeht als sie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angenommen werden.70 Für die deutsche verfassungsrechtliche Dogmatik liegt in der Betonung des Rechtsschutzerfordernisses aber kein unüberwindliches Hindernis, da – wie gesehen – ohnehin auf der zweiten Prüfungsstufe auch gegenüber auf das Selbstbestimmungsrecht gestützten Entscheidungen von Religionsgemeinschaften Rechtsschutz gewährt werden muss. Im Ergebnis wird eine genauere gerichtliche Überprüfung angemahnt, nicht aber das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften als tragende Säule des deutschen Religionsverfassungsrechts zum Einsturz gebracht.71

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