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DIRK BOLL

3 London 1882

Der moderne Kunstmarkt entwickelte sich in Europa im Laufe des 19. Jahrhunderts. Zentrale Vorraussetzung war die Entstehung der ersten öffentlichen Museen und Kunstvereine.68 Das 1793 gegründete Museum im Louvre war die erste Institution, welche die bis heute gültigen vier Aufgaben Sammlung, Bewahrung, Forschung und Vermittlung definierte – und gemäß Voltaire als Tempel des guten Geschmacks fungierte.69 Da der Louvre jedoch Altkunst sammelte, wurde 1818 im Palais du Luxembourg das erste Institut für Gegenwartskunst gegründet. Gleichzeitig entstanden, zunächst in Deutschland, Geschichts- und Altertumsvereine. Erstmals beteiligte sich der Bürger an der öffentlichen Sammlung und Ausstellung von Kunst. So vermehrten sich auch im bürgerlichen Milieu privates Kunstinteresse und Sammelfreudigkeit.70 Durch die ökonomische Erstarkung des Bürgertums stieg die Nachfrage auf dem Kunstmarkt. Mit der ersten Weltausstellung im Londoner Kristallpalast 1851, die wunderkammerartig ästhetische Fragen wie die Ausstaffierung großbürgerlicher Interieurs mit Werken der »beaux arts« und der »arts utiles« zu beantworten suchte, war dann das Konzept einer Warenmesse geboren, das sich bis in die Kunst- und Antiquitätenmessen des 21. Jahrhunderts fortgesetzt hat.71

Der Kunstmarkt in seiner heutigen Ausprägung hat seine Wurzeln hauptsächlich in drei nahezu gleichzeitigen Entwicklungen: Dem ökonomischen Aufstieg der USA seit dem Unabhängigkeitskrieg, der Neuregelung der britischen Erbgesetzgebung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und dem Einfluss der Impressionisten in Frankreich.72 Wie die Geschichte der Hamilton-Palace-Auktion zeigt, gab es durch den »Settled Land Act« 1882 in England eine grundlegende Umge­staltung der juristischen Grundlagen für Nachlassverkäufe und damit auch ein verändertes Verhalten der internationalen Käuferschicht.73 Als Folge der Überschwemmung des europäischen Marktes mit billigem amerikanischem Weizen verarmte die Schicht der britischen Großgrundbesitzer. Nachdem sich die Bankrotte häuften, wurde die Erb­rechtsregelung geändert, um den Grundeigentümern eine Rettung ihrer Güter durch den Verkauf ihrer Kunstschätze zu ermöglichen. Die britischen Adligen waren seit dem 17. Jahrhundert die bedeutendsten Sammler der Welt. Diese Reichtümer begannen nun in die Londoner Auktionshäuser zu strömen und untermauerten deren Vormachtstellung in Europa. Gleichzeitig war der ökonomische Aufstieg der USA bereits so weit fortgeschritten, dass reiche Amerikaner als Sammler und Käufer dieser Güter in Europa auftreten konnten.

Die folgenden drei Jahrzehnte werden häufig als das Goldene Zeitalter des Kunsthandels bezeichnet und sind geprägt durch die hohe Wertschätzung vor allem der französischen Ebenistenkunst.74 Die heute erstaunlich anmutenden Preise, die – auch und vor allem in der Auktion des Inventars von Hamilton Palace – für Werke der angewandten Kunst gezahlt wurden, orientierten sich an den Kosten für die Herstellung eines Ersatzes, das heißt an aktuellen Gestehungskosten.75 Diese waren nicht nur theoretische Kosten, denn es wurden auch Kopien historischer Möbel hergestellt und verkauft. Die Leidenschaft für Objekte, die ein Interieur im klassischen französischen Stil ausstaffierten, sank erst wieder nach dem Ersten Weltkrieg – zugunsten der Nachfrage nach Werken der bildenden Kunst.

Helden der Kunstauktion

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