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ОглавлениеDIRK BOLL
4 Berlin 1916–1932
Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erlangten die französischen Impressionisten endlich öffentlich Anerkennung. Zuvor hatten sie als Verrückte gegolten, die im Zustand des Delirium tremens malten und der Schönheit den Krieg erklärt hatten.76 Mit den Impressionisten begann auf dem Kunstmarkt die Moderne. Nicht, weil die Werke später besonders hohe Preise erzielen werden, sondern weil die Bewegung zunächst nur geringen Erfolg hatte. Da die herkömmlichen Vertriebswege aufgrund der vorherrschenden Ablehnung ausfielen, mussten sich die Impressionisten um Absatzalternativen bemühen: Der Verkauf über einen Kunsthändler (statt an einen Auftraggeber) war die Folge. Der Mangel an potenziellen Auftraggebern bedeutete, dass der Künstler von deren Geschmack unabhängig wurde und sich als autonomer Meister zu verstehen begann. Hier liegt eine Wurzel von der Idee einer künstlerischen Avantgarde wie auch des künstlerischen Genies. Dieser Ansatz hob auch das Ansehen des Kunsthändlers, hatte er doch Zugang zum Genius, den er anderen durch Vermittlung und Erklärung eröffnen konnte.77
Zentrum der zeitgenössischen Kunst um 1900 war Paris. Neben dem führenden Händler Paul Durand-Ruel gab es zunächst nur zwei Galerien, die ebenfalls zeitgenössische Werke ausstellten: Ambroise Vollard und Berthe Weill.78 1907 eröffnete der in Stuttgart aufgewachsene Daniel-Henry Kahnweiler ebenfalls in Paris eine Galerie. Durch seine Freundschaft zu Pablo Picasso und Juan Gris wurde diese rasch zum Zentrum einer Künstlergruppe. Kahnweiler schuf durch seine Verbindungen mit Kunsthändlern in London, Düsseldorf oder New York ein eigenes Netzwerk.79 Erstmals der harten Prüfung einer Auktion ausgesetzt wurde die Kunst des Impressionismus im Jahr 1921, als Kahnweilers Privatsammlung in Paris zur Zahlung von Reparationen verkauft wurde. In London wurde der erste Picasso 1937 versteigert – Christie’s erzielt für ein Porträt 157 Pfund.80
Einer der ersten erfolgreichen Händler seiner Zeitgenossen in Deutschland war Paul Cassirer, gleichzeitig Geschäftsführer, später Präsident der Berliner Sezession. Er zeigte in seinem Berliner Kunstsalon die französischen Impressionisten, aber auch Max Liebermann und Ernst Barlach.81 Anders als im europäischen, »zentralistischen« Ausland gab es in Deutschland mehrere Kunstzentren, neben Berlin München, Düsseldorf und Hamburg.
Nach wie vor war der Kunstmarkt dieser Jahre aber geprägt von Werken Alter Meister und, mehr noch, von angewandter Kunst.82 Noch bis in die 1920er-Jahre sind die teuersten gehandelten Werke keine Gemälde, sondern Objets d’arts; 1929 wird als höchster Bilderpreis des Jahres der Zuschlag für ein Van-Dyck-Porträt bei Christie’s vermeldet, das sich für 17 850 Pfund verkauft. In derselben Saison erzielt im selben Haus ein Manuskript aus dem 14. Jahrhundert, der Luttrell Psalter, 35 000 Pfund, und die berühmte Portland Vase 30 450 Pfund. Bei Sotheby’s hingegen wird ein Aquarell von Paul Cézanne, Mont Saint Victoire, für 400 Pfund zugeschlagen. Dass im selben Jahr Andrew Mellon für 1,4 Millionen Pfund eine Gruppe von 21 Bildern aus der St. Petersburger Eremitage kauft, reflektiert keineswegs den kommerziellen Alltag dieser Jahre, sondern das Außergewöhnliche der Situation dieses Museumsverkaufs.83