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DIRK BOLL

2 Lucius Caecilius Iucundus

Botschaften des antiken Kunstmarkts

Sich im Lauf der Welt öffnende Türen, die den Blick in eine zeitlich oder räumlich distante Sphäre freigaben, hatten immer große Auswirkungen auf die Geistesgeschichte der Menschheit. Die Reiseberichte von Marco Polo und Kolumbus, die Öffnung von Tutenchamuns Grab und die Landung auf dem Mond – deren Einfluss war jeweils mannigfaltig. In besonderem Maße gilt dies auch für die Entdeckung von Pompeji und Herculaneum im Jahr 1748, als die von der Lava des Vesuvs im Jahr 79 n. Chr. konservierten Lebenswelten der römischen Antike hinter einer solchen Tür auftauchten.

Obgleich der Zugang zunächst vom neapolitanischen Königshaus aufs Strengste kontrolliert wurde, breitete sich die Kunde – auch dank kostspieliger, aber distribuierbarer Kupferstiche – in Windeseile aus: Die Gelehrten wie auch die Dilettanti Europas reisten nach Italien, um diese versunkene Welt zu studieren, und veröffentlichten dann ihre Erlebnisse und Forschungsergebnisse.56 Antiken wurden gesammelt wie noch im Jahrhundert zuvor Kunstkammerobjekte. Und überhaupt wurde die zeitgenössische Idee des Kunstsammelns, -bewahrens und -erforschens und damit die Quintessenz des modernen Museums maßgeblich in dieser Epoche entwickelt. Nicht umsonst waren die ersten Antiken, die das British Museum nach seiner Gründung erwarb, die Sammlung sogenannter »etruskischer«, in Süditalien ausgegrabener Vasen des britischen Botschafters in Neapel, Sir William Hamilton.


Venus Medici, sog. Jenkins-Venus, Marmor, 1. Hälfte 2. Jahrhundert n. Chr. (römische Kopie nach griechischem Original), H 162 cm

Trotz der Sensation des Fundes von Pompeji und Herculaneum und der unmittelbar darauf einsetzenden Antikenbegeisterung und Reisetätigkeit in die Region57 dauerten die Ausgrabungen nicht Jahre und Jahrzehnte, sondern weit über ein Jahrhundert – vor allem aufgrund der beschränkten technischen Mittel, aber auch wegen der enormen Ausdehnung des Gebietes.58 Zumal viele Mauern, die, nach beinahe zwei Jahrtausenden in der Dunkelheit nun erstmals wieder dem Klima ausgesetzt, dies nicht lange überstanden und kollabierten und so weitere Grabungsebenen eröffneten oder Fundstücke preisgaben. Es überrascht daher nicht, dass eine bestimmte Entdeckung in der Stadt Pompeji erst 1875 gemacht wurde: Die Urkunden des römischen Bankiers und Auktionators Lucius Caecilius Iucundus. Seit diesem Grabungsfund kennt man Details finanzieller Transaktionen sowie von Auktionen, denn Iucundus hatte seine Geschäfte nicht nur genauestens dokumentiert, sondern diese Akten auch sicher verwahrt. Die zu Di- und Triptychen59 zusammengefassten 153 Wachstäfelchen waren in einem Holzkasten gelagert, dessen grossflächiger Metallbeschlag die Hitze des Ascheregens weitgehend abgehalten hat. Wie im römischen Kaiserreich üblich, handelt es sich bei den Urkunden um Tafeln aus Buchsbaumholz, die einseitig mit Wachs überzogen waren und mit Griffeln beschrieben wurden. War der Platz auf der Wachsfläche erschöpft, dann wurde auf dem Rand oder der Rückseite der Holztafel weitergeschrieben, und zwar mit Tinte. Erwartungsgemäß ist das Wachs in der Hitze des Vulkanausbruchs geschmolzen, sodass heute vor allem die Tinteninschriften Auskunft über einzelne Geschäftsvorgänge geben.60



Wachstäfelchen des Lucius Caecilius Iucundus, Abbildung aus: August Mau, Pompeii. Its Life and Art, 1899

So wie der Kunsthandel waren Auktionen in aller Regel nur ein Beigeschäft zu anderen kaufmännischen Tätigkeiten; Lucius Caecilius Iucundus war im Hauptberuf Bankier, gelegentlich auch Steuereintreiber.61 Die Holztafeln sind Quittungen von jenen Personen, für die er Auktionen durchgeführt hat. Sie geben dem heutigen Betrachter einen tiefen Einblick in die Struktur eines solchen Geschäfts, das überraschende Paralellen zum modernen Auktionswesen aufweist. Von antiken Autoren wie Plinius, Cicero oder Cato dem Älteren wissen wir, dass Gegenstände versteigert wurden, wenn ein Nachlass aufgelöst wurde oder der Eigentümer Schulden nicht begleichen konnte.62 Diese Auktionen wurden seit den Zeiten Kaiser Augustus mit einer Auktionssteuer von 1% besteuert. Schon damals wurde der Verkäufer in einer solchen Transaktion von einem gewerbsmäßigen Vermittler, dem »coactor«, repräsentiert. Diese Vermittlungstätigkeit entlohnt wiederum der Käufer der Sache mit »merces«, einer Gebühr in Höhe von einem weiteren Prozent. Aus anderen römischen Quellen, die später in Portugal gefunden wurden, wissen wir, dass es durchaus eine Staffelung gab: Für Geschäfte unterhalb einer gewissen Wertschwelle wurden 2%, darüber dann nur noch 1% Käuferaufgeld verlangt. Für Objekte, deren Verkauf in Relation zum zu erzielenden Preis einen unverhältnismäßig großen Aufwand bedeutete, gab es feststehende Sockelbeträge.63 Alle diese Kosten zog der »coactor«, wie auch die Auktionssteuer, vom Kaufpreis ab und zahlte den Restbetrag an den Verkäufer aus.


Herme mit Porträt von Lucius Caecilius Iucundus aus dem Atrium seines Haus in der Via Stabia, Pompeji, Bonze und Marmor, Abbildung aus: August Mau, Pompeii. Its Life and Art, 1899

Neben dem »coactor« behielt ein Bankier als »argentarius« die finanzielle Gesamtübersicht und die Kontrolle über die Auktion; diese beiden Ämter wurden auch in Personalunion ausgeübt. Diese Kontrollfunktion lässt sich am ehesten mit der des heutigen Ammanns oder »huissier« vergleichen, die in der Schweiz und in Frankreich nach wie vor die Auktionen überwachen. Der »argentarius« konnte aber dem Käufer auch den Kaufpreis vorschießen und wäre somit auch mit einem heutigen Garantor im Kontext der »Third Party Guarantee«64 vergleichbar. Der Bankier Lucius Caecilius Iucundus wird als ein solcher »coactor argentarius« bezeichnet.65 Ausgerufen wurden die Güter jedoch vom »praeco«, der auch dem Meistbietenden den Zuschlag erteilte.66 Das bedeutet, dass die Aufgaben des Auktionators – einerseits neutrale Instanz, die zwischen Verkäufer und Käufer vermittelt, andererseits die eines Zeremonienmeisters des Verkaufsvorgangs – hier offenbar noch auf zwei Personen aufgeteilt waren.67

Diese Details aus Iucundus’ Akten zeigen, dass Auktionen ein zentraler Teil des römischen Wirtschaftslebens waren und alltäglich genutzt wurden, um zügig Güter umzuschlagen. Obgleich sie einzelne Arbeitsschritte des Auktionierens noch auf mehrere Akteure verteilten, war im ersten nachchristlichen Jahrhundert bereits eines der zentralen Distributionssysteme des modernen Kunstmarktes in seinen Grundzügen festgelegt. Auch wenn sich das Aussehen und der Spezialisierungsgrad von Auktionen stark verändert haben, so ist doch die Struktur des Verkaufsvorgangs im Grunde geblieben. Man sieht also, dass das geflügelte Wort vom »archaischen Wettstreit« im Auktionsaal nicht nur Metapher ist.

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