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ОглавлениеCHRISTOPHER MAXWELL
3 Die Hamilton-Palace-Auktion und ein globaler Markt
Am Samstag, den 17. Juni 1882, herrschte Aufregung in London. Ein stetiger Strom von Kutschen bewegte sich auf Christie’s in der King Street zu, eifrig beobachtet von Journalisten, die die Insassen zu identifizieren versuchten. Der Auktionsraum wimmelte bereits von Aristokraten, Bankiers, Großindustriellen, Kunsthändlern und Museumsangestellten. Eine wachsende Menge drängte sich vor dem Auktionatorenpult.
Der Anlass war die Versteigerung der Einrichtung von Hamilton Palace, und die Gebote auf das erste von über 2 000 Losen würden in Kürze beginnen. Im Laufe der folgenden 17 Tage brachte diese Auktion fast 400 000 Pfund, eine Summe, die 30 Jahre lang nicht übertroffen werden konnte.
Nordseite des Hamilton Palace (nach 1920 zerstört), Fotografie von Thomas Annan, vor 1882, National Museums of Scotland, Edinburgh
Hamilton Palace war der Stammsitz der Herzöge von Hamilton, die an der Spitze des schottischen Hochadels standen, und lag etwa 16 km südöstlich von Glasgow. In den 1820er-Jahren war der Bau erweitert worden, um den fürstlichen Ambitionen Alexander Hamiltons, des 10. Herzogs (1767–1852), zu entsprechen. Er füllte die neuen Repräsentationsräume mit Gemälden Alter Meister, französischen Möbeln königlicher Provenienz, napoleonischem Silber und anderen Luxusartikeln und brachte damit die Schlossbewohner auf ein mit den herrschenden Dynastien Europas vergleichbares Niveau. 1844 wurde die Sammlung durch den umfangreichen Nachlass des herzoglichen Schwiegervaters, William Beckford (1760–1844), erweitert. Im Jahre 1882 war das Schloss ein Manifest des gesellschaftlichen Status und des Reichtums der Herzöge, den sie im 19. Jahrhundert durch Kohleabbau auf ihren Gütern im zentralschottischen Industriegebiet zwischen Edinburgh und Glasgow erwirtschaftet hatten.
In der Auktionsgeschichte gilt die Hamilton-Palace-Versteigerung als Meilenstein, weil sie zeitlich mit der Verabschiedung des »Settled Land Act« zusammentraf. In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts war die ökonomische Vorherrschaft der britischen Landbesitzer durch eine zunehmend globalisierte Wirtschaft und billige landwirtschaftliche Importe aus Amerika ins Wanken geraten. Das traditionelle Dreigespann von Landbesitz, Reichtum und Macht löste sich auf. Die britische Regierung entschied daher 1882, der um ihre Existenz kämpfenden Aristokratie unter die Arme zu greifen. Die neue Gesetzgebung erlaubte dem Landadel, dem finanziellen Ruin durch Verkäufe aus freien Stücken von ererbten und zuvor unveräußerlichen Ländereien und materiellen Gütern vorzubeugen. Bis dato mussten diese laut Gesetz für die nächste Generation bewahrt werden. Zwar fand die Hamilton-Palace-Auktion mehrere Monate vor der Gesetzgebung statt und somit nicht als deren direkte Konsequenz. Dennoch hatte der 12. Herzog von Hamilton anscheinend mithilfe eines findigen Steuerbeamten ein Schlupfloch in den Bedingungen seines Fideikommiss gefunden, die ihm gestattete, seine von den Ahnen ererbte Kunstsammlung versteigern zu lassen. Außerdem hatten seine finanziellen Nöte wenig mit der Landwirtschaftskrise zu tun, da seine Einkünfte zum großen Teil aus dem Kohleabbau stammten. Seine Schulden von über 1 Million Pfund waren vorwiegend das Ergebnis seiner Neigung zu Rennpferden und teuren Yachten. Die Umstände der Hamilton-Palace-Auktion unterschieden sich daher nicht wesentlich von den Zwangsversteigerungen vorheriger Generationen, wie Wanstead House (1822), Fonthill Abbey (1822 und 1823) und Stowe House (1848). Es waren Ausschweifungen und nicht Entbehrungen, die die Schätze aus Hamilton Palace in den Auktionssaal trugen.
Das neue Paradezimmer, Fotografie von Thomas Annan, vor 1882, National Museums of Scotland, Edinburgh
Auch wenn die Hamilton-Palace-Versteigerung dem neuen Gesetz um kurze Zeit vorausging, läutete sie dennoch eine neue Ära »zwangsfreier« Landsitzversteigerungen ein, die in der Folge ein zunehmend fester Bestandteil des Auktionsmarktes wurden. In dieser Auktion erschienen Kunstschätze in einem Umfang am Firmament des Marktes, wie er seit einer Generation nicht mehr vorgekommen war. Besonders prachtvoll waren die französischen Möbel des 18. Jahrhunderts, aber die Versteigerung enthielt auch bedeutende holländische, flämische, italienische, spanische und französische Alte Meister, feinstes vergoldetes Silber, Standuhren, japanische Lackarbeiten, chinesisches Porzellan, Bergkristalle und andere Liebhaberstücke. Viele der herausragenden Objekte sind heute Glanzlichter in den Museen, Galerien und Bibliotheken der Welt.
Ein weiteres Wesensmerkmal dieser Auktion ist die beispiellose Momentaufnahme des Kunstmarkts zu einem Zeitpunkt enormer sozialer und wirtschaftlicher Veränderung. Die Mischung aus Aristokraten, Plutokraten, internationalen Kunsthändlern und Museumsmitarbeitern im Saal, von der berichtet wurde, war 1882 eine neue Erscheinung. In dem Maße, wie das Land auf die Auswirkungen der wachsenden Globalisierung reagierte, wurden die Londoner Auktionshäuser unvermeidlich zum Treffpunkt einer Gesellschaft im Wandel, in der die alte Garde ihre ererbten Reichtümer an eine schillernde Palette von zunehmend internationalen Plutokraten abtrat. Auch wenn sich der Landadel noch nicht ganz verausgabt hatte, so wurden seine Mittel doch stetig geringer, es sei denn, man sanierte sich durch Einheiraten in Familien mit Bank- oder Industrievermögen. Kurz gesagt, dominierten der britische Adel und seine Agenten nicht länger den Auktionssaal. Gingen bemerkenswerte Verkäufe auch an Aristokraten wie den 5. Earl of Rosebery (1847–1929), den 14. Earl of Moray (1816–1895), den 7. Baronet Sir Michael Shaw-Stewart (1826–1903) und den 2. Baron Leconfield (1830–1901), so war ihr Gesamtanteil an der Auktion doch relativ gering. Der häufigste Einzelbieter war ein mysteriöser Bankier namens Christopher Beckett Denison (1823–1884), der zu dieser Zeit sein neu erworbenes Haus in der eleganten Londoner Upper Grosvenor Street ausstattete und mindestens 284 Losnummern zu einem Hammerpreis von 50 000 Pfund kaufte.
Jean-Henri Riesener, Sekretär, Paris, 1783, Eiche, Ebenholz und andere Hölzer, japanischer Lack, vergoldete Bronze, 144,8 × 109,2 × 40,6 cm, Metropolitan Museum of Art, New York
Die wichtigsten Käufer waren jedoch die Rothschilds. Man weiß, dass sieben Mitglieder aus den britischen, französischen, deutschen und österreichischen Zweigen der Familie für 37 Losnummern insgesamt 67 000 Pfund ausgaben. Aus Großbritannien kam Ferdinand de Rothschild (1839–1898), der 14 Lose für insgesamt 25 000 Pfund kaufte, darunter Möbelstücke von Jean-Henri Riesener, die sich heute in Waddesdon Manor befinden. Sein Vetter Alfred (1842–1918) hatte noch vor der Auktion einen bemerkenswerten Privatankauf von sechs Stücken ausgehandelt, darunter ein Paar Pierre Gouthière zugeschriebene Leuchter (heute in der Huntington Library und Art Gallery in Pasadena), eine von Jean-Antoine Lépine signierte Uhr und eine prunkvolle byzantinische Sardonyx-Tazza mit Goldmontierung (heute im National Museum of Scotland), insgesamt für die atemberaubende Summe von 24 000 Pfund. Die Rothschilds waren zwar schon seit Jahrzehnten auf dem Kunstmarkt präsent, ihre Dominanz auf der Hamilton-Palace-Auktion veranschaulicht jedoch deutlich die Überlegenheit der neuen Plutokratie auf dem Kunstmarkt.
Relativ neu auf dem Schauplatz waren die Amerikaner, die 1882 gerade erst anfingen, an europäischen Auktionen teilzunehmen. Der Bankier Matthias Arnot (1833–1910) reiste nach London und bot persönlich auf zahlreiche Gemälde, von denen er 18 für sich gewinnen konnte (heute im Arnot Art Museum in New York). Der außergewöhnlichste Ankauf von allen wurde allerdings im Auftrag von William K. Vanderbilt (1849–1920) durch die hoch angesehenen Londoner Kunsthändler Samson Wertheimer und Frederick David getätigt und betraf die beiden wohl exquisitesten Möbelstücke in der Auktion. Es handelte sich um eine Lackkommode und einen Sekretär, die Riesener für Marie Antoinette angefertigt hatte. Vanderbilt bezahlte für die beiden Stücke einen Gesamthammerpreis von 18 900 Pfund. Als erste dokumentierte Möbelstücke mit königlich französischer Provenienz in den USA trafen sie in New York ein und waren somit ein Indiz für die unmittelbar bevorstehende Vorherrschaft der Amerikaner auf dem europäischen Kunstmarkt.
Die internationale Spannbreite der Hamilton-Palace-Auktion reichte jedoch nicht nur über den Atlantik, denn auch der neuseeländische Großreeder James Tannock Mackelvie (1824–1885) kaufte eine zugegebenermaßen bescheidene Auswahl von Objekten, die die Sammlung des Auckland Museum begründete.
In der Tat spiegelte sich auch das Wachsen öffentlicher Museen in Großbritannien in der Zusammensetzung des Publikums der Auktion von 1882. Die Londoner National Gallery gab fast 22 000 Pfund für 13 Gemälde aus. Der Direktor Frederic Burton gab sich bei Christie’s ein Stelldichein mit den Abgesandten der Londoner National Portrait Gallery, der irischen National Gallery und des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst. Dieses war damals zuständig für Institutionen wie das heutige Londoner Victoria & Albert Museum, das heutige National Museum of Scotland in Edinburgh und das heutige National Museum of Ireland. In der gesamten britischen Presse kam das enorme öffentliche Interesse zur Sprache, eine Anzahl ausgewählter Kunstwerke für die Sammlungen des Landes zu sichern und damit vor der Abwanderung ins Ausland zu schützen. Diese Haltung stand im deutlichen Gegensatz zu der vorheriger Generationen, die sich bei einer Versteigerung von Kunst aus Adelsbesitz lediglich für jene skandalträchtigen Details interessiert, die den Verkauf nötig gemacht hatten.
Die Hamilton-Palace-Auktion ist zudem ein gutes Beispiel für die wachsende Professionalität und Internationalität des Kunsthandels. Man verkaufte nicht mehr lediglich Nippes, sondern galt als Experte, Kenner und Berater. Die zunehmend wohlhabende und internationale Klientel hob das Format des Berufsstands und veränderte seine Dynamik. Vollgestopfte Geschäfte verwandelten sich in elegante Ausstellungsräume mit mondänen Adressen und unterschieden sich kaum noch von den Interieurs, die von den Kunden angestrebt wurden. Zweigstellen wurden in den Metropolen auf beiden Seiten des Atlantiks eingerichtet. Joseph Duveen (1843–1908) stand 1882 gerade erst am Beginn seiner steilen internationalen Karriere und kaufte auf der Hamilton-Palace-Auktion lediglich 13 Lose für etwas über 1 000 Pfund. Im Jahre 1919, als der 13. Herzog von Hamilton später die restliche Einrichtung des Hamilton Palace bei Christie’s einlieferte, erwarb die Firma Duveen Brothers das Hauptwerk, George Romneys Bildnis der Beckford-Kinder. Sie bezahlte 54 600 Pfund und verkauften es mit 10 000 Pfund Gewinn weiter an Henry E. Huntington (1850–1927), einen der größten amerikanischen Industriellen und Sammler.
Die Hamilton-Palace-Auktion von 1882 war ein zukunftsweisendes Ereignis in der Geschichte des modernen Kunstmarkts. Wenden wir unseren Blick um 180 Grad weg von den Objekten der Auktion und hin zu den Akteuren in dem Verkauf, erhalten wir ein einzigartiges und komplettes Register aller wichtigen Personen des Kunstmarkts am Beginn dieser bewegten historischen Epoche. Diese Auktion kann mit Recht als die erste Versteigerung mit wahrhaft globaler Reichweite gelten.